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Der erste Diener seiner Staates

Den Abschluss des Friedrich-Schwerpunkts bildet seine eigene Streitschrift - der Antimachiavel. Sein darin formuliertes Herrscherideal konnte er später nicht unbedingt einhalten. Die Thesen formulierte er in seinen 20ern.

Von Tom Goeller |
    Noch war er Kronprinz von Preußen. Der Vater, mit dem Beinamen "der Soldatenkönig", lag auf dem Krankenbett, das Ende in Sicht. Es war das Jahr 1739 und Kronprinz Friedrich war gerade 27 Jahre alt geworden, als er in seinem abgelegenen brandenburgischen Schlösschen Rheinsberg darüber nachdachte, wie ein König idealerweise regieren sollte. In Vorbereitung auf seine künftigen monarchischen Pflichten beschäftigte sich der Thronfolger intensiv mit dem damals gängigen Regierungshandbuch für Königshäuser, dem Werk "Il Principe - Der Fürst" von Niccolò Machiavelli, das bereits 1513 erschienen war und an Allgemeingültigkeit augenscheinlich über die Jahrhunderte nicht verloren hatte.

    Friedrich sah das anders: Beim Studium des italienischen Renaissancedenkers kamen dem preußischen Kronprinzen Zweifel, ob dieses 200t Jahre alte Werk wirklich noch aktuell wäre. Im Mai 1739 vertraute er dem französischen Philosophen Voltaire, mit dem er in brieflichen Kontakt stand, an:

    "Ich habe damit begonnen, ein Werk zu verfassen, das Machiavells Maximen völlig widerlegen wird, und zwar wegen des Gegensatzes, der sich zwischen ihnen und der Tugend sowie den wirklichen Interessen der Fürsten auftut."

    Das Manuskript war Anfang Februar des darauffolgenden Jahres fertig und Friedrich schickte es an Voltaire, mit der Bitte um kritische Durchsicht. Friedrichs Thronbesteigung am 1. Juni 1740 ließ ihm indes keine Muse mehr, sich um das Manuskript zu kümmern. Unter Wahrung seiner Anonymität erteilte er Voltaire die Vollmacht für die Veröffentlichung seines "Antimachiavell", der im Sommer 1740 beim Buchdrucker Van Duren in Den Haag erschien. Friedrichs Schrift verfolgte das Ziel, den in ganz Europa weidlich bekannten "Il Principe" systematisch anzuprangern und Punkt für Punkt auseinanderzunehmen.

    Vereinfacht ausgedrückt propagierte Machiavelli, dass Moral und Politik unvereinbar seien und dass Monarchen List, Verrat und Eidbruch erlaubt sei, wenn diese dazu dienten, ihre Macht im Inneren zu stärken und nach außen hin zu erweitern. Gegen diese despotische Willkür empört sich Friedrich lautstark. Im Gegensatz zu dem Florentiner Vordenker unterstrich der preußische Königssohn, dass es für einen Fürsten Ehrensache sei, die von ihm getroffenen Abmachungen einzuhalten.

    Als König wird er später genau diese Ansicht in seinen Spätwerken widerlegen und begründen, wann Vertragsbruch gerechtfertigt, ja sogar notwendig sei. Aber noch sind wir im Jahr vor der Thronbesteigung, und noch erhitzt sich das Gemüt des jungen Preußen für Humanität und fürstliche Tugenden. Hier entwickelt der Kronprinz jene berühmte These, die er später als König vertreten wird:

    "Der Herrscher ist alles andere als der absolute Herr der Völker, die seiner Herrschaft unterworfen sind; er ist lediglich ihr erster Diener."

    Als "Erster Diener seines Staates" - als solcher sah sich Friedrich vom ersten bis zu letzten Tag seiner Regierung. In der Bevölkerung als Erster Diener anerkannt wird er insbesondere nach dem Siebenjährigen Krieg, also ab 1763 bis zu seinem Tod im Jahr 1786. Denn Friedrich rackert und müht sich tatsächlich sichtbar für jedermann, das im Krieg heruntergekommene Preußen wieder aufzupäppeln und zu Wohlstand zu bringen, während er, durchaus beabsichtigt, öffentlichkeitswirksam in seiner schäbigen, geflickten Uniform als bescheidener Monarch auftritt.

    Der Polit-Slogan vom "Ersten Diener im Staat" prägte seine Regierungszeit. Er diente den deutschen Revolutionären von 1848 dazu, die rigorose Unterdrückung durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. anzuprangern. Bis heute dürfte diese Kernthese des Antimachiavell der bekannteste Teil des philosophischen Frühwerkes von Friedrich dem Großen sein.

    Die Geschichtsschreibung hat ihm später vorgehalten, dass sein Handeln nach seiner Thronbesteigung meistens im krassen Widerspruch zu den hehren Grundsätzen seines politischen Credos von 1739 stand. Allen voran ist hier folgende Stelle aus dem Antimachiavell zu nennen:

    "Ich frage mich, was einen Menschen dazu bringt, sich größer zu machen, und aus welchem Grund er den Plan fasst, seine Macht über dem Unglück und der Vernichtung anderer Menschen zu errichten, und wie er zu glauben vermag, Ruhm zu erlangen, wenn er doch nur Unglück hervorruft. Die neuen Eroberungen eines Herrschers bringen den Staaten, die er schon zuvor besaß, weder Wohlstand noch Reichtum, sein Volk hat davon überhaupt keinen Nutzen, und er befindet sich im Irrtum, wenn er glaubt, dass er davon glücklich wird."

    Während sich Friedrich also in seiner Anleitung für den Idealfürsten über Eroberungskriege entrüstet, wird er ein Jahr später, im Dezember 1740, in Schlesien einmarschieren und insgesamt drei Kriege gegen Österreich um diese polnische Provinz führen.

    In vielerlei Hinsicht jedoch hat Friedrich tatsächlich Grundsätze seines Anti-Machiavell umgesetzt. Das politisch-philosophische Programm Friedrichs, wie eine ideale Regierung auszusehen habe, hat unbeabsichtigt an Aktualität gewonnen. Besonders seine zentrale These wird in unseren Tagen bei der Beurteilung deutscher Spitzenpolitiker zitiert. Denn ein Antimachiavell ist für Friedrich ein Staatsmann, der sich weder in Kleinem noch im Großen Vorteile verschafft, sondern der sich als "erster Diener seines Staates" versteht.

    Anhand der Lektüre des "Antimachiavel" wird somit auf selten eindrucksvolle Weise deutlich, welche Fortschritte und welchen Verfall unsere politische Kultur im Vergleich zu damals erlebt hat und wie weitblickend der preußische Kronprinz zu seiner Zeit war und dass er tatsächlich zu den Großen gezählt werden darf, nämlich zu den großen Staatsdenkern.

    Friedrich II. von Preußen/Voltaire
    Der Antimachiavel oder Kritischer Versuch über den "Fürsten" des Machiavel, in Deutsch erstmals erschienen Frankfurt und Leipzig 1741, antiquarisch und als E-Book erhältlich


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