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"Der erste Schritt auch zu Versöhnung"

Es waren vier Jahre des Schreckens: Von 1975 bis 1979 tyrannisierten die Kommunisten der Roten Khmer das Volk der Kambodschaner und töteten wahllos und grausam fast zwei Millionen Menschen. Nun endete der erste Prozess gegen ein Mitglied der Pol-Pot-Diktatur in Kambodscha - Moritz Kleine-Brockhoff von der Friedrich-Naumann-Stiftung zum Urteil, den Folgen und Reaktionen.

Moritz Kleine-Brockhoff im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Moritz Kleine-Brockhoff: Ja, guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Kleine-Brockhoff, heute ist das erste Urteil gegen die Pol-Pot-Kader gefallen, 35 Haft für den Leiter eines Foltergefängnisses. Zunächst mal die Frage: Wer stand da vor Gericht?

    Kleine-Brockhoff: Ja, der erste Angeklagte war Kaing Guek Eav alias Duch, so wird er genannt in Kambodscha. Sie sagten es, er hat die Folterstätte Tuol Sleng geleitet, die sogenannte Sicherheitsstätte 21 im Zentrum Phnom Penhs. Dort wurden etwa 14.000 Menschen getötet. Sie wurden dazu gezwungen, Geständnisse zu unterschreiben, sie sollten gestehen, dass sie Saboteure waren, dass sie Spione des Auslands waren. Es gab kein Entrinnen. Fast alle Häftlinge sind dort gestorben, und Duch hat dieses Gefängnis jahrelang geleitet. Das Gericht hat ihm nicht nachweisen können, dass er persönlich Gewalt angewandt hat, dass er persönlich Menschen umgebracht oder gefoltert hat. Das Gericht hat aber festgestellt, dass es dort systematisch Folter und Mord gab, dass Duch das bewusst angeordnet und organisiert hat. Und deshalb ist er heute schuldig gesprochen worden.

    Liminski: Wie steht es mit den anderen noch lebenden Mitgliedern der Pol-Pot-Regierung?

    Kleine-Brockhoff: Ja, es sind vier weitere Verdächtige in Untersuchungshaft und man muss sagen, das zweite Verfahren – wir rechnen mit einem Prozessauftakt im kommenden Jahr – wird weitaus schwieriger werden. Der erste Fall, Duch, war insofern eindeutig, als das Verbrechen an einem einzigen Ort geschah, als dass der Angeklagte geständig war, dass die Fakten klar waren, dass diese Geständnisse, die erpresst wurden, vorlagen, es gab viele Beweismittel. Nun wird es zu den anderen Angeklagten kommen und das sind diejenigen, denen politische Verantwortung von damals vorgeworfen wird. Es ist der ehemalige Staatschef, der ehemalige Stellvertreter des Chefes des Pol-Pot-Regimes, es geht um den ehemaligen Außenminister und es geht um die ehemalige Sozialministerin. Man wird also eine Befehlskette nachweisen müssen und auch im Unterschied zu diesem ersten Verfahren ist es so, dass alle vier anderen Angeklagten Schuld von sich weisen. Sie sagen, wir hatten damit nichts zu tun, Pol Pot hat alles entschieden, und wir sind für diese Gräueltaten nicht verantwortlich. Das heißt, das zweite Verfahren wird wichtiger. Es geht um politische Verantwortung und es wird viel schwieriger für die Staatsanwaltschaft, die Schuld nachzuweisen.

    Liminski: Kann es sein, dass die menschenverachtenden Schwerverbrecher von damals auf freien Fuß kommen?

    Kleine-Brockhoff: Ja, zunächst muss man sagen, dass sie schockierend lange auf freiem Fuß waren. Das ... sie sind ja erst vor zwei, drei Jahren verhaftet worden und konnten also 25 Jahre unter ihren Opfern leben. Ieng Sary hat in der Hauptstadt gewohnt, der ehemalige Außenminister, in einer Villa. Und dass sie jetzt schon mal hinter Gittern sind, ist etwas, was die Kambodschaner sehr erleichtert. Können sie freikommen – das ist im Moment sehr schwer zu sagen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Jahren gegen sie, natürlich gibt es eine ganze Menge an Unterlagen, dies Pol-Pot-Regime hat ja sehr gut dokumentiert, was es getan hat. Es ist auch außer Frage, wo Menschen gestorben sind. Es war nicht nur dieses eine Gefängnis, um das es im ersten Prozess ging, es gab viele andere Orte, an denen Massengräber gefunden wurden. Von daher würde es die Beobachter schockieren, wenn es zu Freisprüchen käme. Aber ausschließen kann man das natürlich nicht.

    Liminski: Herr Kleine-Brockhoff, wie wird der Prozess im Volk aufgenommen? Ist es die Aufarbeitung mit der Vergangenheit? Immerhin werden ja nicht alle Funktionäre von damals verurteilt werden können ...

    Kleine-Brockhoff: Ich glaube, der Prozess ist unheimlich wichtig, weil das Volk sich erstmals wirklich richtig mit der Vergangenheit auseinandersetzt. Die Pol-Pot-Zeit war ein Tabuthema lange Zeit in Kambodscha. Wir sprechen hier über eine sogenannte Post-Conflict-Society, das heißt eine Gesellschaft, in der Gewalt auch noch weit verbreitet ist, weil die Vergangenheit schlecht aufgearbeitet ist. Es gibt viel häusliche Gewalt, es gibt ... die Kriminalrate ist hoch, die Mordrate ist hoch und so weiter. Und die Pol-Pot-Zeit tauchte nie in Geschichtsbüchern auf, das heißt auch kommende Generationen mussten sich und haben sich damit kaum beschäftigt. Und das Tribunal hat dazu beigetragen, dass ein Diskurs beginnt, dass Gespräche auch begannen in Familien, in Nachbarschaften, wo teilweise Täter und Opfer, Angehörige von Opfern noch zusammenleben. Das heißt, die Reaktion des Volkes war dahin gehend, dass man angefangen hat, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, was ja der erste Schritt auch zu Versöhnung ist. Und es ist, dass das Thema jetzt auch Teil des Curriculums in der Schule ist. Das heißt, das Tribunal strahlt aus, ich denke, im positiven Sinne.

    Liminski: Wird der Prozess auch im nahen Ausland, etwa in Vietnam oder Laos kommentiert, wo ja noch heute kommunistische Regime herrschen?

    Kleine-Brockhoff: Wenig bis kaum. Dort ist die Aufmerksamkeit ich würde sagen gering. Weitergehend in der Region wird das schon sehr genau betrachtet. Man muss ja auch sehen, dass die Verbrechen des Pol-Pot-Regimes nicht die einzigen in dieser Region sind. In Südostasien hat es in den vergangenen Jahrzehnten andere schlimme Verbrechen gegeben, ich erinnere nur an hunderttausende tote Kommunisten in Indonesien unter General Suharto, ich denke an die politischen Häftlinge, die zu Tausenden verschwunden sind auf Buru, ich denke an die Untaten des Diktators Marcos in den Philippinen. Und Kambodscha ist halt das erste Land, was zusammen mit der Internationalen Staatengemeinschaft die Kraft gefunden hat, sich mit der Vergangenheit auch juristisch auseinanderzusetzen.

    Liminski: Wie beurteilen Sie das mediale Interesse an diesem Prozess?

    Kleine-Brockhoff: Ja, ich war ja selbst oft da und es ist immer an den signifikanten Raddrehungen, so will ich es mal sagen, sehr, sehr hoch. Heute zum Beispiel sind hunderte Journalisten aus aller Welt da, im Februar vergangenen Jahres, als die Hauptverhandlung gegen Duch begann, waren ebenfalls Hunderte von Journalisten da. Die Inlandspresse in Kambodscha berichtet live, das Verfahren aus dem Gerichtssaal wird live übertragen, dort gibt es sehr viel Berichterstattung. Das heißt, ich glaube schon, dass sehr genau hingeschaut wird. Allerdings ist es nicht so, dass jede Raddrehung international auch regional oder weltweit beobachtet werden kann, denn die Verfahren dauern doch sehr lange: Das Gericht hat im Jahr 2006 seine Arbeit aufgenommen, erst im Jahr 2009, im Februar, kam es zur ersten Hauptverhandlung und erst jetzt wurde das Urteil gesprochen. Und die anderen vier Angeklagten, über die wir eben sprachen, die sitzen seit Jahren in Untersuchungshaft und deren Hauptprozess wird erst fürs kommende Jahr erwartet. Das heißt, ich glaube, es wäre zu viel verlangt, wenn man Medienaufmerksamkeit bei jedem Schritt des Weges erwarten würde.

    Liminski: Der Prozess gegen die Mitglieder der Pol-Pot-Diktatur in Kambodscha - Urteile, Folgen, Reaktionen. Das war hier im Deutschlandfunk die Einschätzung des Vertreters der Friedrich-Naumann-Stiftung in der Region, Moritz Kleine-Brockhoff. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kleine Brockhoff!