Dirk Müller: Die Zahlen werden von Monat zu Monat besser: 2010 kommt Deutschland aus der Finanz- und Wirtschaftskrise mit einer wirtschaftlichen Dynamik heraus, die selbst die Optimisten überrascht. Dunkle Wolken dagegen am europäischen Himmel, die Krise fordert ihren Tribut: Griechenland, Irland und der Euro. Die gemeinsame Währung ist angeschlagen, verliert an Vertrauen, verliert an Wert, die Politik versucht zu helfen, zu stützen, zu reparieren – mit Milliarden. Die Kanzlerin erntet mehr Kritik von ihren europäischen Partnern als sonst, und die Zukunft des Euro ist äußerst ungewiss. Was passiert in Portugal, in Spanien und Italien? Alles ganz genau beobachtet hat diese Entwicklung in diesem Jahr der Ökonom Norbert Walter, viele Jahre Chefvolkswirt der Deutschen Bank, jetzt selbstständig unterwegs. Guten Morgen!
Norbert Walter: Guten Morgen!
Müller: Herr Walter, ist der Euro ein Irrtum?
Walter: Die Antwort ist ein ganz klares Nein. Der Euro ist die richtige Antwort auf ein sich integrierendes Europa in einer herausfordernden Welt, in der Europa, wenn es zusammensteht, ein wichtiger Starter sein kann für die Welt, nicht nur für sich selbst. Und glücklicherweise gibt es nicht nur die krisenhaften Entwicklungen an der Peripherie Europas, an einem anderen Teil der Peripherie hat man sich aufgemacht, voller Sicherheit und Stolz und mit konstruktiver Haltung in Estland zum Euro. Und auch das ist ein gutes Zeichen.
Müller: Das heißt, wir sind gar nicht in der Eurokrise?
Walter: Doch, wir sind in der Eurokrise, weil wir ein Währungssystem aufgerichtet haben, an dem eine Reihe von Ländern teilnehmen, die sich nicht klargemacht haben, welche Disziplin ein solcher Verbund erfordert. Und das gilt nicht nur für die jetzt am Kapitalmarkt abgestraften Iren oder Griechen, das gilt auch für andere Länder, die in Bezug auf ihre Lohnkostenentwicklung so getan haben, als ob sie immer noch das Instrument einer Abwertung zur Verfügung hätten, um sich dann, wenn sie sich danebenbenommen haben, wieder aus der gefährlichen Ecke herauszubewegen durch eine Abwertung, die aber jetzt ja nicht mehr möglich ist.
Müller: Also ist der Euro eine politische Krise?
Walter: Der Euro ist eine ökonomische Krise in erster Linie. Wir haben wirtschaftliche Fehlentwicklungen gehabt, zum Beispiel in Spanien mit einem völlig unsinnigen Bauboom, der jetzt natürlich Leerkapazitäten erzeugt, die Eigenkapital vernichten werden, die für lange Zeit große Enttäuschungen im Immobilienmarkt, in der Bauindustrie zur Folge haben wird. Das ist zuerst mal eine ökonomische Krise. Danach kommt die Frage: Haben wir genügend politische Solidarität, um aus dieser Krise nicht etwas Dramatischeres zu machen, eben eine existenzielle Gefährdung für den Euro. Und da hat sich Europa schwergetan, da hat sich auch Deutschland schwergetan. Wir haben im Jahr 2010, weil Berlin, das politische Berlin die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sicher über die Bühne steuern wollte, in ihrem Interesse, das heißt im schwarz-gelben Interesse, europäische Belange hintangestellt mit ziemlich hohen ökonomischen Kosten für uns alle. Auch das sollten wir klar und ungeschminkt sagen. Aber natürlich ist es wahr, die ursprünglichen Fehler haben wirtschaftlich und politisch die Griechen, die Iren gemacht – die einen, die zu große Hebel für Banken zugelassen haben in Irland, andere, die Korruption für viel zu lange Zeit zugelassen haben und Statistiken gefälscht haben. Und das geht natürlich in einem Verbund nicht.
Müller: Bleiben wir, Herr Walter, noch einmal bei der politischen Dimension. Stimmt es denn, dass die Politik, die Regierungen, auch die Bundesregierung eben nicht hart genug war, zu lasch war?
Walter: Das ist wahr, wir haben eine Sozialpolitik, die nach meiner Einschätzung eben auch wegen der demografischen Perspektive ohne wirkliche Basis ist. Wir haben Subventionen gezahlt, die man als romantisch bezeichnen muss. Die Photovoltaik wird in einer Weise subventioniert, die zu Fehlinvestitionen führt in Deutschland. Wir haben Transferzahlungen, die wir uns nicht leisten können, wir haben Subventionszahlungen, die das Kapital in unproduktive Verwendungen führen. All das gilt es zu korrigieren. Natürlich hat also auch Deutschland wirtschaftspolitische Korrekturen zu machen, das ist völlig richtig, nur wir haben eine Reihe von Korrekturen gemacht – in Deutschland gab es Lohndisziplin, in Deutschland gab es Unternehmen, die sich auf die internationalen Herausforderungen wirklich und ernsthaft eingestellt haben –, und insofern haben wir einiges besser gemacht als unsere europäischen Nachbarn.
Müller: Gehen wir einmal weg vom Beispiel, was Sie eben genannt haben, Nordrhein-Westfalen, sicherlich ein wichtiger Faktor in diesen politischen Entscheidungsprozessen, gerade was Frühjahr und Sommer anbetrifft. Aber warum sollten die Bürger Vertrauen haben in eine schwarz-gelbe Regierung, ausgerechnet in eine bürgerliche Regierung, dass die es jetzt schafft?
Walter: Der Bürger ist vielleicht in mancher Hinsicht sehr klug, er weiß, dass man von der Politik nicht das Manna vom Himmel erwarten kann und dass es eine Entscheidung unter verschiedenen Übeln ist. Wir sehen jetzt mit großer Klarheit, dass die schwarz-gelbe Koalition ihre Versprechungen nicht erfüllt hat und, was das Personal dieser Koalition anlangt, mehr Enttäuschungen als positive Überraschungen zu beobachten waren. Aber ich glaube, der Bürger spürt das intuitiv, dass politische Alternativen derzeit nicht wirklich attraktiver sind. Führungspersonal in anderen politischen Parteien, das überzeugend ist, muss eben auch mit der Lupe gesucht werden.
Müller: Sie sehen also wirtschaftspolitisch auch keine Alternative zur FDP?
Walter: Ich würde eine Renaissance der FDP für das Beste für Deutschland halten und bin allerdings nicht davon überzeugt, dass das in absehbarer Zeit gelingen kann, weil es dort am Personal und am Mut fehlt. Und deshalb bin ich eigentlich der Meinung, wir brauchen größere politische Initiative aus der Bevölkerung, aus den Gruppen der Wirtschaft und der Wissenschaft heraus. Wir brauchen junge Menschen, die qualifiziert ausgebildet sind, die einen Teil ihres Lebens der Gemeinschaft, der res publica geben, um auf diese Weise – wie beispielsweise ein Gesundheitsminister Rösler – der Gesellschaft etwas davon zurückzugeben, was die Gesellschaft ihnen, den jungen Menschen, in qualifizierter Ausbildung und in wunderbarer Infrastruktur gegeben hat.
Müller: Norbert Walter, wir haben vor einem Jahr auch an dieser Stelle über die ökonomischen Perspektiven geredet. Für Sie persönlich hat sich auch einiges geändert, Sie sind seit dem 1. Januar 2010 nicht mehr bei der Deutschen Bank, nach vielen, vielen Jahren dort als Chefvolkswirt – sind Sie nun frei?
Walter: Ich war vorher frei, weil ich immer eine Familie hatte, die mich gestützt hat, und weil ich ein selbstständiger Geist bin. Und ich war froh, in einer Institution arbeiten zu dürfen, die diesen Freiheitswillen, diese Unabhängigkeit ertragen hat – nicht immer mit großem Glücksgefühl, aber ertragen hat. Und ich glaube, ich habe am Ende damit der Deutschen Bank ebenso gedient wie natürlich auch meine eigene Identität nicht verloren. Ich bin also in diesem Sinne gleich geblieben, aber ich habe natürlich nun eine andere Aufgabe, ich habe nicht mehr einen großen Stab und ich kann die Themen etwas freier wählen als zuvor, ich muss nicht mehr der Bank unmittelbar dienen. Und das bedeutet, dass ich mich eher strukturellen und strategischen Themen zuwende als den täglichen Schwankungen von Wechselkursen und Zinsen.
Müller: Arbeiten Sie wenigstens etwas weniger?
Walter: Ja, ich arbeite statt 80 Stunden die Woche 60 Stunden, aber es ist ein bisschen mehr immer noch, als ich mir vorgenommen habe. Und ich bin vor allem mit Vorträgen immer noch mehr unterwegs, als ich dachte.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Norbert Walter, inzwischen selbstständig – vielen Dank für das Gespräch und kommen Sie gut ins neue Jahr!
Walter: Besten Dank!
Norbert Walter: Guten Morgen!
Müller: Herr Walter, ist der Euro ein Irrtum?
Walter: Die Antwort ist ein ganz klares Nein. Der Euro ist die richtige Antwort auf ein sich integrierendes Europa in einer herausfordernden Welt, in der Europa, wenn es zusammensteht, ein wichtiger Starter sein kann für die Welt, nicht nur für sich selbst. Und glücklicherweise gibt es nicht nur die krisenhaften Entwicklungen an der Peripherie Europas, an einem anderen Teil der Peripherie hat man sich aufgemacht, voller Sicherheit und Stolz und mit konstruktiver Haltung in Estland zum Euro. Und auch das ist ein gutes Zeichen.
Müller: Das heißt, wir sind gar nicht in der Eurokrise?
Walter: Doch, wir sind in der Eurokrise, weil wir ein Währungssystem aufgerichtet haben, an dem eine Reihe von Ländern teilnehmen, die sich nicht klargemacht haben, welche Disziplin ein solcher Verbund erfordert. Und das gilt nicht nur für die jetzt am Kapitalmarkt abgestraften Iren oder Griechen, das gilt auch für andere Länder, die in Bezug auf ihre Lohnkostenentwicklung so getan haben, als ob sie immer noch das Instrument einer Abwertung zur Verfügung hätten, um sich dann, wenn sie sich danebenbenommen haben, wieder aus der gefährlichen Ecke herauszubewegen durch eine Abwertung, die aber jetzt ja nicht mehr möglich ist.
Müller: Also ist der Euro eine politische Krise?
Walter: Der Euro ist eine ökonomische Krise in erster Linie. Wir haben wirtschaftliche Fehlentwicklungen gehabt, zum Beispiel in Spanien mit einem völlig unsinnigen Bauboom, der jetzt natürlich Leerkapazitäten erzeugt, die Eigenkapital vernichten werden, die für lange Zeit große Enttäuschungen im Immobilienmarkt, in der Bauindustrie zur Folge haben wird. Das ist zuerst mal eine ökonomische Krise. Danach kommt die Frage: Haben wir genügend politische Solidarität, um aus dieser Krise nicht etwas Dramatischeres zu machen, eben eine existenzielle Gefährdung für den Euro. Und da hat sich Europa schwergetan, da hat sich auch Deutschland schwergetan. Wir haben im Jahr 2010, weil Berlin, das politische Berlin die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sicher über die Bühne steuern wollte, in ihrem Interesse, das heißt im schwarz-gelben Interesse, europäische Belange hintangestellt mit ziemlich hohen ökonomischen Kosten für uns alle. Auch das sollten wir klar und ungeschminkt sagen. Aber natürlich ist es wahr, die ursprünglichen Fehler haben wirtschaftlich und politisch die Griechen, die Iren gemacht – die einen, die zu große Hebel für Banken zugelassen haben in Irland, andere, die Korruption für viel zu lange Zeit zugelassen haben und Statistiken gefälscht haben. Und das geht natürlich in einem Verbund nicht.
Müller: Bleiben wir, Herr Walter, noch einmal bei der politischen Dimension. Stimmt es denn, dass die Politik, die Regierungen, auch die Bundesregierung eben nicht hart genug war, zu lasch war?
Walter: Das ist wahr, wir haben eine Sozialpolitik, die nach meiner Einschätzung eben auch wegen der demografischen Perspektive ohne wirkliche Basis ist. Wir haben Subventionen gezahlt, die man als romantisch bezeichnen muss. Die Photovoltaik wird in einer Weise subventioniert, die zu Fehlinvestitionen führt in Deutschland. Wir haben Transferzahlungen, die wir uns nicht leisten können, wir haben Subventionszahlungen, die das Kapital in unproduktive Verwendungen führen. All das gilt es zu korrigieren. Natürlich hat also auch Deutschland wirtschaftspolitische Korrekturen zu machen, das ist völlig richtig, nur wir haben eine Reihe von Korrekturen gemacht – in Deutschland gab es Lohndisziplin, in Deutschland gab es Unternehmen, die sich auf die internationalen Herausforderungen wirklich und ernsthaft eingestellt haben –, und insofern haben wir einiges besser gemacht als unsere europäischen Nachbarn.
Müller: Gehen wir einmal weg vom Beispiel, was Sie eben genannt haben, Nordrhein-Westfalen, sicherlich ein wichtiger Faktor in diesen politischen Entscheidungsprozessen, gerade was Frühjahr und Sommer anbetrifft. Aber warum sollten die Bürger Vertrauen haben in eine schwarz-gelbe Regierung, ausgerechnet in eine bürgerliche Regierung, dass die es jetzt schafft?
Walter: Der Bürger ist vielleicht in mancher Hinsicht sehr klug, er weiß, dass man von der Politik nicht das Manna vom Himmel erwarten kann und dass es eine Entscheidung unter verschiedenen Übeln ist. Wir sehen jetzt mit großer Klarheit, dass die schwarz-gelbe Koalition ihre Versprechungen nicht erfüllt hat und, was das Personal dieser Koalition anlangt, mehr Enttäuschungen als positive Überraschungen zu beobachten waren. Aber ich glaube, der Bürger spürt das intuitiv, dass politische Alternativen derzeit nicht wirklich attraktiver sind. Führungspersonal in anderen politischen Parteien, das überzeugend ist, muss eben auch mit der Lupe gesucht werden.
Müller: Sie sehen also wirtschaftspolitisch auch keine Alternative zur FDP?
Walter: Ich würde eine Renaissance der FDP für das Beste für Deutschland halten und bin allerdings nicht davon überzeugt, dass das in absehbarer Zeit gelingen kann, weil es dort am Personal und am Mut fehlt. Und deshalb bin ich eigentlich der Meinung, wir brauchen größere politische Initiative aus der Bevölkerung, aus den Gruppen der Wirtschaft und der Wissenschaft heraus. Wir brauchen junge Menschen, die qualifiziert ausgebildet sind, die einen Teil ihres Lebens der Gemeinschaft, der res publica geben, um auf diese Weise – wie beispielsweise ein Gesundheitsminister Rösler – der Gesellschaft etwas davon zurückzugeben, was die Gesellschaft ihnen, den jungen Menschen, in qualifizierter Ausbildung und in wunderbarer Infrastruktur gegeben hat.
Müller: Norbert Walter, wir haben vor einem Jahr auch an dieser Stelle über die ökonomischen Perspektiven geredet. Für Sie persönlich hat sich auch einiges geändert, Sie sind seit dem 1. Januar 2010 nicht mehr bei der Deutschen Bank, nach vielen, vielen Jahren dort als Chefvolkswirt – sind Sie nun frei?
Walter: Ich war vorher frei, weil ich immer eine Familie hatte, die mich gestützt hat, und weil ich ein selbstständiger Geist bin. Und ich war froh, in einer Institution arbeiten zu dürfen, die diesen Freiheitswillen, diese Unabhängigkeit ertragen hat – nicht immer mit großem Glücksgefühl, aber ertragen hat. Und ich glaube, ich habe am Ende damit der Deutschen Bank ebenso gedient wie natürlich auch meine eigene Identität nicht verloren. Ich bin also in diesem Sinne gleich geblieben, aber ich habe natürlich nun eine andere Aufgabe, ich habe nicht mehr einen großen Stab und ich kann die Themen etwas freier wählen als zuvor, ich muss nicht mehr der Bank unmittelbar dienen. Und das bedeutet, dass ich mich eher strukturellen und strategischen Themen zuwende als den täglichen Schwankungen von Wechselkursen und Zinsen.
Müller: Arbeiten Sie wenigstens etwas weniger?
Walter: Ja, ich arbeite statt 80 Stunden die Woche 60 Stunden, aber es ist ein bisschen mehr immer noch, als ich mir vorgenommen habe. Und ich bin vor allem mit Vorträgen immer noch mehr unterwegs, als ich dachte.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Norbert Walter, inzwischen selbstständig – vielen Dank für das Gespräch und kommen Sie gut ins neue Jahr!
Walter: Besten Dank!