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Der Europol-Drogenbus
Auf Verbrecherjagd quer durch Europa

Noch nie gab es so viele Drogen auf dem europäischen Markt. Besonders das Angebot an synthetischen Drogen bereitet Europol Sorgen. Um illegale Ecstasy-Labore aufzuspüren, machen sich die Fahnder mit einem hochspezialisierten Bus auf den Weg.

Von Kerstin Schweighöfer | 02.09.2019
In einer Garage im brandenburgischen Hoppegarten gelang den Beamten mit der Entdeckung des Labors und der Sicherstellung von rund 75.000 Ectasy-Tabletten ein Schlag gegen einen internationalen Drogenring im Land Brandenburg.
Drogenlabore wie dieses werden werden vor allem in Polen, Deutschland, Belgien und den Niederlanden entdeckt, sagen die Fahnder von Europol (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein unscheinbarer grauer Lieferwagen. Auf den zweiten wie ein Wohnmobil. Doch dann fällt der Blick in den hinteren Teil des Fahrzeugs.
Hier hängen weiße Schutzoveralls und Gasmasken, eine Wärmebild-Kamera, Atemschutzgeräte, Gasmelder. Und zwei Laserpoint-Geräte, erklärt Europol-Drogenexperte Werner Verbruggen:
"Sobald einer dieser Laserpointer mit einer Droge in Kontakt gebracht wird, versucht er, sie zu identifizieren. Dieses eine Gerät hier, das kann Hunderte von verschiedenen Substanzen erkennen, das andere tausende. Es kostet auch dementsprechend mehr, bis zu 40.000 Euro."
Einsatzbus der Drogenfahnder von Europol
Mit diesem Einsatzbus fahren Drogenfahnder durch ganz Europa, spüren Drogenlabore auf und unterstützen Kollegen (Europol)
Der Bus, der "Operational Van", wie er offiziell heißt, wurde speziell gebaut, um den Produzenten von synthetischen Drogen das Handwerk zu legen. Europol-Experte Verbruggen fährt darin kreuz und quer durch Europa. Für Trainingskurse für Polizisten. Oder um Labore für synthetische Drogen zu identifizieren und zu zerlegen. Je nach Größe des Labors dauert das einen oder einen halben Tag, so der 61 Jahre alte Belgier.
"Wir helfen Kollegen, die mit synthetischen Drogen nicht so viel Erfahrung haben wie wir. Die Deutschen und die Niederländer haben selbst einen Drogenbus, die sind weniger auf unsere Unterstützung angewiesen als Länder wie etwa Schottland oder Spanien. Wer Hilfe nötig hat, braucht sich nur zu melden, und wenn's geht, fahren wir sofort los und sind am nächsten Tag vor Ort."
Dieser Beitrag ist Teil der Reportagereihe "Europa im Rausch – Den Drogen auf der Spur".
Die meisten Labore werden zufällig entdeckt. Versteckt im Wald. In Kellern, unterirdischen Garagen, Bunkern. Oder auf Schiffen - so wie vor kurzem in Amsterdam:
"Unsere Kollegen von der Amsterdamer Polizei hatten mit ihrem Polizeischiff zufällig neben dem Drogenschiff angelegt. Sie wollten sich schnell einen Kaffee kaufen. Da fiel ihnen der seltsame Geruch auf. Manchmal muss man halt einfach Glück haben."
Ecstasy-Pille: 15 Cent fürs Material, Verkaufswert 20 Euro
Das Schiff war gut 80 Meter lang: "An Bord befanden sich Mexikaner, die als Lehrmeister eigens eingeflogen worden waren, um belgischen und niederländischen Kriminellen das Handwerk beizubringen."
Das lohne sich, so Verbruggen, denn mit synthetischen Drogen lasse sich sehr schnell und leicht sehr viel Geld verdienen. Nur 15 Cent kosten die Zutaten für eine Ecstasy-Pille. [*]
In Australien werden für eine Pille bis zu 20 Euro gezahlt. Und in den Drogenlaboren können bis zu drei Millionen Pillen auf einmal hergestellt werden. Es gehe um enorme Beträge.
Die meisten synthetischen Drogen-Labore in Europa werden in Polen entdeckt, in Deutschland, in Belgien. Und in den Niederlanden. Nirgendwo werden so viele synthetische Drogen hergestellt - aus gutem Grund. Erstens sind die Strafen niedriger:
"Warum sollten die Drogenproduzenten woanders hin, wo sie zehn, 15 oder 20 Jahre bekommen, wenn sie hier in Holland schon nach zwei, drei Jahren wieder rauskommen?"
Benelux-Gebiet logistisch optimal für Drogenhändler
Die Folge: Verbruggen begegnet immer wieder denselben Gesichtern. Noch heute treffe er auf Kriminelle, denen er vor Jahrzehnten schon mal begegnet sei.
Der zweite Grund ist die gute Infrastruktur in diesem Teil Westeuropas: schnelle, breite Autobahnen, gute Zugverbindungen, kurze Abstände. Moderne Flughäfen in Brüssel und Amsterdam, die Häfen von Antwerpen und Rotterdam. Das mache das Benelux-Gebiet ideal – sowohl für den Export von hier produzierten Drogen als auch für den Import.
Zum Beispiel von Kokain. Es kommt längst nicht mehr nur aus Kolumbien, sondern auch aus Ecuador und Peru und erreicht Europa sowohl über die Häfen im Norden, als auch von Süden aus, über Spanien. Auch mit Cannabis aus Nordafrika wird Europa regelrecht überschwemmt.
"Eine Drogenschwemme in Europa"
Und mit Heroin aus Afghanistan und Pakistan, berichtet Europol-Sprecher Jan Op Gen Orth:
"Wir haben noch nie so viel Heroin nach Europa reinbekommen wie im Moment. Das heißt, wir haben eigentlich eine Drogenschwemme in Europa."
Früher gab es Wellenbewegungen: Die eine Droge war in, die andere out. Mal gab es mehr Heroin, mal mehr Kokain, Anfang der 90er-Jahre dann die erste große Welle der synthetischen Drogen:
"Und was wir heutzutage sehen, ist, dass eigentlich alle Drogen auf einem Allzeithoch sind."
Denn, und das dürfte eine der Ursachen sein, so der Europol-Sprecher: Noch nie waren Drogen so leicht erhältlich wie heute im Internetzeitalter:
"Man muss halt nicht mehr, wenn man jetzt zehn Gramm Kokain will oder Ecstasy-Tabletten, irgendwo in eine dunkle Seitenstraße gehen oder auf eine Party, sondern man kann eigentlich zu Hause auf dem Sofa sitzen bleiben, und man geht ins Darknet und bestellt sich was."
"Nichtstun ist keine Option"
Drogenbosse, Drogenschwemme, Drogen-Allzeithoch: Verlässt einen da als Drogenbekämpfer nicht manchmal der Mut?
Europol-Drogenexperte Werner Verbruggen widerspricht. Er sei nach wie vor motiviert, betont er, als er aus seinem Drogenbus klettert:
"Es gelingt uns regelmäßig, dem organisierten Verbrechen einen schweren Schlag zu versetzen. Es ist also nicht so, dass wir keine Erfolge hätten. Nichtstun ist keine Option. Und deshalb machen wir weiter."

[*] Anmerkung der Redaktion
An dieser Stelle haben wir eine zwischenzeitliche Zahlenkorrektur wieder rückgängig gemacht: Wie in der Sendefassung ursprünglich berichtet, liegen die Materialkosten für Ecstasy-Pillen laut Nachfrage bei Europol bei 15 Cent.