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Der ewige dritte Platz

Mittelmäßiges Normalkino war das Hauptkennzeichen der diesjährigen Berlinale. Die wenigen guten Filme hat die Jury herausgefiltert. Das Spektakel in der Hauptstadt festigte so seinen ewigen dritten Platz hinter den Filmfestspielen von Cannes und Venedig.

Von Christoph Schmitz | 17.02.2013
    Jurypräsident Wong Kar-Wai überreichte den Goldenen Bären an den in Stuttgart aufgewachsenen Rumänen Calin Peter Netzer. Für seinen ebenso realistischen wie dicht komponierten Film mit dem seltsamen Titel "Child's Pose", die Pose des Kindes. Die Geschichte über den fintenreichen Kampf einer korrupten High-Society-Mutter im heutigen Bukarest für ihren Sohn, der wegen eines tödlichen Autounfalls droht im Gefängnis zu landen.

    Calin Peter Netzers Arbeit zum Sieger zu küren, war eine richtige Entscheidung. Der Film brachte zudem die Eigentümlichkeiten der diesjährigen Ausgabe der Berlinale auf den Punkt. Zum einen waren es viele zum Teil sehr junge Regisseure, die ihre Spielfilme vorstellten. Nicht die Altmeister standen im Fokus und hatten was zu bieten, sondern der Nachwuchs. Netzer ist Ende 30, Emir Baigazin aus Kasachstan Ende 20. Baigazins Film "Harmony Lessons" erhielt einen Silbernen Bären für seine herausragende künstlerische Leistung, eine Schülergeschichte über Gewalt und Überlebensstrategien einer Gesellschaft und des Menschen überhaupt. Zum anderen machte der Goldene Bär für "Child's Pose" die quantitativ und qualitativ starke Präsenz des osteuropäischen Kinos deutlich. Gleich zwei Silberne Bären wurden dem bosnischen Film "Eine Episode im Leben eines Eisenschrottsammlers" zuteil. Regisseur Danis Tanovic bekam den Großen Preis der Jury und sein Laiendarsteller, der Roma Nazif Mujic, den Preis als Bester Schauspieler. Im Film stellt Mujic zusammen mit seiner Familie die Tage nach, als seine Frau wegen einer Fehlgeburt fast gestorben wäre, weil sie nicht krankenversichert und weil kein Geld für eine OP da war, weswegen kein Arzt sie operieren wollte. Regisseur Danis Tanovic über sein wahrhaftiges dokumentarisches Stück:

    "Manchmal können gute Dinge auch aus dem Zorn heraus geschehen. Und diesmal war es so."

    Dass Paulina García für die Hauptrolle in "Gloria" des Chilenen Sebastián Lelio als beste Darstellerin prämiert wurde, kann man auch als Ehrung der zahlreichen Schauspielerinnen in zahlreichen Filmen über kluge, kämpfende und leidende Frauen verstehen, von Catherine Deneuve über Isabelle Huppert bis Juliette Binoche und Nina Hoss. Eine gute Entscheidung, sowohl ästhetisch wie auch politisch, war es, den zu Unrecht mit Berufsverbot bestraften iranischen Regisseur Jafar Panahi mit einem Silbernen Bären für das Drehbuch seines Films "Closed Curtain" zu ehren. Jafar Panahis Co-Regisseur und Schauspieler Kamboziya Partovi über das freie Wort und freies Denken:

    "Das Aufhalten eines Künstlers und eines Denkers war niemals möglich. Bis zum heutigen Tage. Einzig passiert es, dass ihre Gedanken überall Früchte getragen haben. Ich habe den Traum, dass jeder Künstler und jeder Denker, getragen von dem Gefühl der Sicherheit, in seinem eigenen Land sich seinen eigenen Gedanken widmen kann im Dienste des Friedens und der Menschlichkeit."

    Unter all den treffsicheren Jury-Voten gab es zwei Ausrutscher. Die läppische amerikanische Halbkomödie "Prince Avalanche" und der kanadische Halbkrimi "Vic und Flo". Sie haben die Silbernen Bären für Regie und Neue Kinoperspektive nicht so verdient, wie es Jafar Panahi und die Osteuropäer verdient hätten. Aber das Jury-Geschäft in diesem Jahr war wie in den vielen vergangenen Jahren (ausgenommen 2012) wieder einmal ein hartes. Das Wettbewerbsprogramm ging über einen befriedigenden Durchschnitt nicht hinaus. Mittelmäßiges Normalkino war das Hauptkennzeichen der 63. Berlinale. Die wenigen guten Filme hat die Jury herausgefiltert. Die Berlinale festigte so ihren ewigen dritten Platz hinter den Filmfestspielen von Cannes und Venedig. Ob das für die Zukunft reichen wird, ist fraglich. Ein lokales Publikumsereignis taugt noch lange nicht für eine Weltliga, in der Festivalchef Dieter Kosslick vielleicht gar nicht mehr mitmischen will.