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Der ewige Gärnter

Sie fliegen von Nairobi in den Süden, mieten einen Jeep, nehmen einen Fahrer und machen sich auf in Richtung Turkanasee zu Joseph Leaky, dem aufrechten Archäologen, dem anständigen weißen Afrikaner. Sie werden ihm nicht begegnen. Am Ufer des Sees, an dem der Joseph Leaky die Wiege der Menschheit gefunden hat, findet die britische Diplomatengattin Tessa Abbott den Tod. Sie wird vergewaltigt und ermordet. Ihr Begleiter, der afrikanisch - belgische Entwicklungshelfer Arnold Bluhm bleibt verschwunden. Der gewaltsame Tod der ungewöhnlichen jungen Frau rüttelt das britische Hochkommissariat in Nairobi auf. Alle Männer haben Tessa zu Füßen gelegen, Tessa, der schönen, dunkelhaarigen Diplomatengattin in den hauchzarten Kleidern. Die Gerüchte brodeln.

Simone Hamm |
    Bluhm, der Vorzeigeafrikaner für die westliche Welt, der bärtige Apollon der Cocktailpartys von Nairobi, charismatisch, witzig, attraktiv. Bluhm und Tessa Seite an Seite, den Gästen die Hände schüttelnd, während Justin, der Schwarm aller alternden Debütantinnen, mit breitem Strahlen die Drinks verteilt.

    Justin Quayle ist der Ehemann im Hintergrund, der Schöngeist, der Hobbygärtner, der seine Frau und ihre Arbeit in den Slums grenzenlos bewundert. Und jetzt ist sie einem gigantischen Verbrechen auf die Spur gekommen. Sie klagt einen mächtigen Pharmakonzern an.

    Arzneimittel sind der größte Skandal in Afrika. Wenn es eines gibt, was die Gleichgültigkeit des Westens gegenüber dem Leid Afrikas deutlich macht, dann ist es der erbärmliche Mangel an wirksamen Medikamenten. Und außerdem die schändlich hohen Preise, die die Pharmafirmen seit 30 Jahren dafür verlangen.

    John le Carre ist in seinem neuen Roman "Der ewige Gärtner" wieder einmal auf der Höhe der Zeit. Eine Klage internationaler Pharmakonzerne gegen die Herstellung von einigermaßen erschwinglichen Präparaten für Aidskranke in Afrika wurde erst im letzten Moment nach massiven Protesten aus aller Welt zurückgezogen. Der Impfstoff gegen Bilharziose ist längst entwickelt, wird aber nicht hergestellt, weil man nicht daran in Afrika nichts verdienen kann. Das wird sich bald ändern - allerdings nicht für Menschen in Afrika, sondern für Schafe in Irland, die an einer der Bilharziose ähnlichen Wurmkrankheit leiden, wird der Impfstoff freigegeben werden.

    John le Carreé beschreibt in den Nuancen spöttisch bis zornig, wie ein multinationaler Pharmakonzern ein Mittel gegen Tuberkulose entwickeln läßt, Dypraxa.

    Tuberkulose ist ein Riesengeschäft. .. Die reichsten Nationen müssen jetzt jederzeit mit einer Tuberkulose - Pandemie rechnen, und Dypraxa wird die Milliardenumsätze machen, die alle guten Aktienbesitzer sich erträumen. Die weiße Pest, der Böse Schnitter, der große Imitator, der Hauptmann des Todes sucht nicht mehr nur die Elenden dieser Welt heim. Jetzt waltet die Krankheit wieder wie vor hundert Jahren. Wie eine stinkende Giftbombe schwebt sie am Horizont der westlichen Welt, auch wenn ihr vorläufig nur die Armen zum Opfer fallen.

    Allerdings ist das Mittel noch nicht erprobt. Und so entscheidet der Konzern, es dort auszuprobieren, wo die Tuberkulose schon heute wütet, nämlich in Kenia und zwar an denen, die schon daran erkrankt sind. Viele der unfreiwilligen Probanden überleben den Versuch nicht. Ihre Angehörigen schweigen aus Angst. Die Europäer, die in Nairobi in ihren Villen hinter Stacheldrahtverhau leben schweigen aus anderen Gründen. Der Pharmakonzern ist mächtig, hat seine Niederlassungen überall auf der Welt. Auch in Großbritannien.

    Einzig Tessa Abbott hatte ihre Stimme erhoben, wütende Briefe an den Chef der Firma geschrieben, die das Mittel in Afrika vertreibt, hatte die britische Botschaft, die Entwicklungshelfer informiert.

    Auch deren Ehemann Justin Quayle, einige Jahre älter als die schöne Tessa, Schöngeist und Hobbygärtner, gehört zu denen, die lange weggeschaut haben. Nach der Ermordung seiner Frau ändert er sein Leben radikal. Er will er ihre Arbeit zu Ende führen und reist auf ihren Spüren durch Europa und den afrikanischen Kontinent. Dabei lernt er, dass sie eine andere war, als die, die er kannte, ungleich faszinierender, stärker, leidenschaftlicher. Tiefer und tiefer dringt Quayle in ihre Welt ein, eignet sich ihr gefährliches Wissen an. Es gibt kein zurück mehr für ihn. Während er um die Ehre seiner Frau kämpft, um das Leben der afrikanischen Versuchskaninchen und um Glaubwürdigkeit, klettern seine Botschaftskollegen unbeirrt die Karriereleiter empor nach der Devise der drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Er sucht seinen Vorgesetzten, Bernhard Pellegrin in London auf. Er kennt ihn gut, sie hatten in Beirat zusammen gearbeitet:

    Dann hatten sie zusammen in London einen Kurs "Überleben als Geisel" besucht und dabei so einiges Denkwürdige gelernt: Wie stellt man fest, dass man von einer Gruppe bewaffneter Schurken verfolgt wird, die den Tod nicht fürchten? Wie wahrt man seine Würde, wenn man, Augen verbunden, Hände und Füße mit Klebband gefesselt, in den Kofferraum eines Mercedes geworfen wird? Und welches ist die beste Methode, aus einem hoch gelegenen Fenster zu springen, angenommen, man könnte die Treppe nicht benutzen, hätte aber die Füße frei?

    Justins Vorgesetzter Pellegrin ist mit seinen Gedanken woanders.

    Pellegrin hört nie zu, fiel Justin wieder ein. Auf diese Weise hat er sich den Ruf eines großen Unterhändlers erworben.

    Auch die Leiterin der Personalabteilung will ihm nicht weiterhelfen. Justin betrachtet die Fotos in ihrem Büro.

    Ein Foto an der Wand zeigte sie beim Abschlag im Moor Park. Auf einem anderen - das ihr in Justins Augen nicht unbedingt zur Ehre gereichte - schüttelte sie Helmut Kohl die Hand. Bald wird ein Frauencollege nach dir benannt, und du heißt Dame Alison, dachte er.

    Als auch noch die beiden jungen englischen Polizisten, die nach Kenia gekommen sind, um Tessas Tod zu untersuchen, abgezogen werden, nachdem sie begonnen haben, kritische Fragen zu stellen, ist Justin Quayle ist ganz auf sich allein gestellt.

    Justin Quayle Er trägt die Züge eines jungen John le Carés. Auch le Caré war im diplomatischen Dienst, auch er war ein stiller Beobachter, der allenfalls niederschrieb, was er gesehen hatte, sich aber selten einmischte.

    Der ewige Gärtner ist kein Spionageroman und doch ein Roman von Verrat. Es ist ein Roman von der großen, den Tod überdauernden Liebe, ein spannender Roman von den Guten, den Bösen und den Gleichgültigen. Nur jemand, der so suffisant, so ironisch schreiben kann wie John le Caré darf solche Lichtgestalten wie Tessa Abbott erfinden. Die Bösen, wie Daniel arab Moi gibt es in realiter ja genug.

    Für Moi und seine korrupte Regierung sollte Joseph Leaky, der von le Carés Kunstfigur Tessa so geschätzte Archäologe, der einzige weiße Abgeordnete im kenianischen Parlament, das Feigenblatt sein, um an Kredite der Weltbank heranzukommen. Leaky galt im korrupten Kenia als Hoffnungsträger. Bekanntermaßen ging Mois Rechnung auf. Damit hatte Leaky seine Schuldigkeit getan. Erst vor wenigen Wochen wurde Joseph Leaky von Daniel arab Moi aus der Regierung entlassen. Und die Wirklichkeit hat die Phantasie eines Autoren wieder einmal eingeholt. Das gilt im übrigen für den gesamten Roman, wie John le Carré in seinem Nachwort bemerkt:

    Je tiefer ich in den pharmazeutischen Dschungel eindrang, desto klarer wurde mir, dass mein Roman, verglichen mit der Wirklichkeit, ungefähr so harmlos ist wie eine Urlaubspostkarte.