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Der Fall al-Bakr
"Gemkow soll nicht mehr solchen Unsinn erzählen"

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki ist überzeugt, dass der Selbstmord des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr leicht zu verhindern gewesen wäre. Es gebe Hafträume, in denen ein Suizid nicht möglich sei, sagte Kubicki im DLF. In Sachsen sei ein gravierender Fehler passiert - deshalb sollte Landesjustizminister Sebastian Gemkow zurücktreten.

Wolfgang Kubicki im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki am 23.04.2016 auf dem Bundesparteitag der FDP.
    Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki (imago stock&people)
    Kubicki betonte, in deutschen Gefängnissen säßen derzeit zwei Dutzend Terroristen mit ähnlichen Absichten ein, die alle nicht Selbstmord begangen hätten. Der Suizid al-Bakrs wäre zu verhindern gewesen, wenn die Beteiligten mit der notwendigen Sorgfalt an den Fall gegangen wären. Zudem seien die Pläne des Mannes vorhersehbar gewesen: "Für einen Selbstmordattentäter gehört es zum Programm, Selbstmord zu begehen." Bei ihnen sei der Lebensplan, ins Paradies zu kommen.
    Der FDP-Politiker mahnte zudem an, dass im Justizbereich mehr Personal nötig sei, das die Muttersprache der Verdächtigen spreche. Die Psychologin, die bei al-Bakr keine Suizidgefahr erkannte, habe mit ihm sicherlich nicht arabisch gesprochen. Kubicki ergänzte, die Erklärungen des sächsischen Justizministers Gemkow seien "absoluter Nonsens". Der CDU-Politiker solle endlich die Verantwortung übernehmen und zurücktreten.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Er übernehme die politische Verantwortung, aber einen Grund zum Rücktritt sehe er nicht. Das hat der Justizminister des Freistaats Sachsen, Sebastian Gemkow, auch hier im Deutschlandfunk betont, nachdem in der vergangenen Woche die Nachricht vom Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr in seiner Leipziger Zelle bekannt wurde. Seitdem reißt die Kritik nicht ab. Jetzt hat der CDU-Politiker erstmals konkret Reformbedarf eingeräumt. Wir alle müssten im Umgang mit islamistischen Strafgefangenen dazulernen, so ließ er sich von der "Bild am Sonntag" zitieren. - Dazu begrüße ich jetzt Wolfgang Kubicki von der FDP, stellvertretender Bundesvorsitzender und Vorsitzender der FDP-Fraktion in Schleswig-Holstein. Außerdem ist er Anwalt für Zivil- und Strafrecht. Schönen guten Morgen, Herr Kubicki!
    Wolfgang Kubicki: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Kubicki, wir alle müssen im Umgang mit islamistischen Strafgefangenen dazulernen. Hat er da nicht recht? Ist es nicht so, dass die Behörden in Deutschland bisher einfach noch nicht genug Erfahrung mit islamistischen Terroristen sammeln konnten?
    Kubicki: Ich halte die Aussage von Herrn Gemkow für absoluten Nonsens, denn bei einem Selbstmordattentäter gehört es zum Programm, Selbstmord zu begehen, und das nicht aus Verzweiflung, sondern um möglichst schnell ins Himmelreich zu kommen. Jede größere Haftanstalt verfügt über Hafträume, die das völlig ausschließen, und es wäre auch ohne Weiteres möglich gewesen, Herrn al-Bakr damit auszustatten, mit reißfester Kleidung, sodass jede Selbstmordmöglichkeit genommen worden wäre. Es ist schlicht und ergreifend die Verzweiflung, die jetzt der sächsischen Justiz ins Gesicht geschrieben steht, einen gravierenden Fehler begangen zu haben. Ich habe mir die Frage gestellt, in welcher Sprache sich die Psychologin eigentlich mit al-Bakr unterhalten hat. Arabisch wird sie ja wohl nicht gekonnt haben und er kein Deutsch. Insofern kann man sich auf die Einschätzung einer solchen Psychologin im Nachhinein nicht berufen, wenn man ein solches Versagen zu verantworten hat.
    Heckmann: Sebastian Gemkow hat auch gesagt, offensichtlich reichen unsere herkömmlichen Instrumente und Erfahrungen zur sicheren Unterbringung von Gefangenen nicht aus. Ist das so? Reichen die herkömmlichen Instrumente nicht aus?
    "Der Mensch wollte sich in die Luft sprengen, um ins Paradies zu gelangen"
    Kubicki: Die Aussage ist auch falsch, denn wir haben eine Reihe von potenziellen Attentätern bereits in Haft und niemand von denen hat Selbstmord begangen. Wir haben wie gesagt in jeder größeren Haftanstalt entsprechende Hafträume und die Möglichkeit, man muss sie nicht rund um die Uhr bewachen, die Möglichkeit auszuschließen, dass sie sich mit den Mitteln, die zur Verfügung stehen, selbst umbringen können. Ich glaube einfach, das war kurz vor dem Wochenende und es hat keiner richtig darauf geachtet, wie man mit einem solchen Selbstmordattentäter umgehen muss und umgehen sollte, und die jetzigen Erklärungen sollen nur dazu dienen, davon abzulenken, welches Versagen eigentlich in Sachsen geschehen ist.
    Heckmann: Aber ist es nicht auch so, Herr Kubicki, muss man nicht einräumen, dass es nicht so einfach ist, jetzt jeden Terrorverdächtigen einfach mal so als suizidgefährdet einzustufen und in einer Spezialzelle quasi unter Dauerbewachung zu stellen? Damit sind ja auch massive Eingriffe in die Grundrechte verbunden.
    Kubicki: Das stimmt. Aber noch einmal: Wir haben es hier nicht mit einem "normalen Attentäter" zu tun, sondern mit einem Selbstmordattentäter. Man hat Sprengstoff gefunden, einen Sprengstoffgürtel. Es war klar, der Mensch wollte sich in die Luft sprengen, um ins Paradies zu gelangen. Und deshalb war auch klar, dass er diese Tat, dieses Ansinnen verwirklichen wird, egal in welchem Bereich und welche Möglichkeiten da zur Verfügung stehen. Und Spezialeinrichtungen würden auch nicht dienen. Man muss, noch einmal, einen solchen Gefangenen auch nicht rund um die Uhr bewachen. Es gibt Hafträume, in denen jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, mit den dort befindlichen Gegenständen Selbstmord zu begehen.
    Heckmann: Aber sind die Hürden dafür, jemanden in so einen Haftraum, wo ja überhaupt nichts sich befindet - unsere Korrespondentin hat das gerade auch schon mal geschildert, wie so ein Raum aussieht -, einen solchen Gefangenen dort unterzubringen? Gibt es da nicht hohe Hürden?
    Kubicki: Ja, es gibt rechtliche Vorschriften. Aber wenn ich schon bei der Haftrichterin die Feststellung habe, dass dort Selbstmordgefahr ist, also nicht Suizid aus Verzweiflung, sondern Selbstmord als Plan, schnell ins Himmelreich zu kommen, dann bestehen die Möglichkeiten, einen solchen Häftling auch entsprechend unterzubringen. Dazu braucht man keine weiteren Vorkehrungen. Und noch einmal: Ich glaube wirklich, dass der Justizminister in seiner Verteidigungslinie auf einer völlig falschen Spur ist, indem er den Eindruck erweckt, in unseren Haftanstalten bestünden momentan keine Möglichkeiten, entsprechende Selbstmordattentäter unterzubringen. Was ist das für eine Vorstellung? Man muss ja Angst haben auch um die Bediensteten, wenn wir erst mal warten müssen, bis eine solche Haftanstalt gebaut ist. Das dauert mehrere Jahre. Dann Gnade uns Gott, wenn wir weitere Selbstmordattentäter in der Zwischenzeit festnehmen. Die Aussage ist falsch, definitiv falsch, und sie erzeugt wieder ein Unsicherheitsgefühl, das nur anderen dient und nicht der jetzigen vernünftigen Einstellung zu solchen Vorgängen.
    "Die sächsischen Behörden sind diskreditiert"
    Heckmann: Aber, Herr Kubicki, Sebastian Gemkow steht nicht alleine. Die Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten, aus deren Reihen kam auch die Forderung nach Spezialgefängnissen für Islamisten, weil reguläre Gefängnisse dafür einfach nicht geeignet seien.
    Kubicki: Ich wiederhole mich ungern, aber wir haben rund zwei Dutzend Menschen mit entsprechenden Absichten in deutschen Haftanstalten untergebracht, ohne dass bisher was passiert ist. Und ich kann natürlich die Bediensteten verstehen: Sie wollen sich mit Selbstmordattentätern im normalen Strafvollzug einfach nicht abgeben, weil das Risiko natürlich der Eigengefährdung relativ hoch ist. Aber zu erklären, wir hätten keine Haftanstalt momentan in Deutschland, die in der Lage wäre, entsprechende Selbstmordattentäter unterzubringen, das würde mich ja sehr besorgt machen, weil es darauf hindeutet, dass eine erhebliche Sicherheitslücke besteht, und das eben glaube ich nicht. Wir haben in Karlsruhe und anderen Städten bereits Menschen inhaftiert, die sich nicht umbringen konnten, und es wäre in Sachsen auch möglich gewesen bei der erforderlichen Sorgfalt.
    Heckmann: Der Justizminister in Sachsen, Herr Gemkow hat auch gesagt, es kann sein, dass ein Islamist einen Selbstmord gezielt umsetzt, um den Behörden die Ermittlungen zu erschweren und dem verhassten westlichen Rechtssystem zu schaden. Da dachte ich mir als Laie, als ich das gestern gelesen habe, ist das nicht eigentlich klar auf der Hand liegend? Weshalb kommt diese Erkenntnis erst jetzt?
    Kubicki: Die Frage müssen Sie nicht mir stellen, sondern dem Justizminister. Ein Selbstmordattentäter möchte schnell, ein arabischer Selbstmordattentäter möchte schnell ins Himmelreich gelangen, und zwar egal auf welchem Wege. Und wenn man ihn fasst, muss man verhindern, dass er dieses Ansinnen umsetzt. Der ist ja nicht verzweifelt, sondern es gehört zu seinem Lebensplan, möglichst schnell ins Paradies zu kommen. Und im Nachhinein zu erklären, das kann auch dazu dienen, um die Behörden zu diskreditieren, das hat funktioniert! Die sächsischen Behörden sind diskreditiert. Und zu erklären, das könnte der Plan eines solchen Selbstmordattentäters sein, ist absurd, wenn man selbst nicht verhindert, dass er umgesetzt werden kann.
    Heckmann: Es gibt mittlerweile auch Kritik am Generalbundesanwalt Peter Frank. Die CDU-Abgeordnete Winkelmeier-Becker, die hat sich zu Wort gemeldet am Wochenende. Und sie sagt, der Generalbundesanwalt, der hätte das Verfahren al-Bakr viel schneller an sich ziehen müssen. Und es gibt ja auch Kritik daran, dass der Mann nicht sofort nach Karlsruhe gebracht worden ist. Sind dem Generalbundesanwalt Vorwürfe zu machen aus Ihrer Sicht?
    Kubicki: Nein, denn er hat das Verfahren ja an sich gezogen.
    Heckmann: Aber erst am Sonntag.
    "Das dokumentiert immer wieder das Versagen der sächsischen Behörde"
    Kubicki: Ja. Aber hinter der Aussage interessanterweise steckt ja die Vorstellung, wäre der Selbstmordattentäter nach Karlsruhe gebracht worden, dann hätte der Selbstmord nicht geschehen können. Wenn das richtig ist, dann hätte er auch in Leipzig verhindert werden können. Diejenigen, die jetzt einen Anwurf an den Generalbundesanwalt machen, erklären damit gleichzeitig das Versagen der sächsischen Behörden.
    Heckmann: Rainer Wendt, der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, der hat gesagt in diesem Zusammenhang, in solchen Fällen, wo nämlich der Bundesanwalt den Fall an sich zieht, da müsste sofort eine Task Force von Spezialisten eingreifen. Wäre das eine Idee, mit der Sie was anfangen können?
    Kubicki: Was soll die Task Force machen? Sie soll verhindern, dass sich jemand umbringt? Wie gesagt: Die Idee, die dahinter steht, ist ja, wenn man den Generalbundesanwalt das machen lässt, dann passiert kein Selbstmord in einer Haftanstalt. Wenn aber kein Selbstmord in einer Haftanstalt passiert, dann haben wir Haftanstalten offensichtlich, wo keine Selbstmorde geschehen können, und wenn das in Karlsruhe geschehen kann, dann kann es auch in Leipzig geschehen. Das dokumentiert immer wieder das Versagen der sächsischen Behörde, weil die Idee, jemand anders hätte sich anders verhalten, darauf hindeutet, dass man sich in Sachsen falsch verhalten hat.
    Heckmann: Also eine Ablenkungsstrategie aus Sachsen, der Punkt ist angekommen, Herr Kubicki. Brauchen wir dennoch ein spezielles Verfahren für Dschihadisten, wie das ja auch von Seiten von der SPD ins Spiel gebracht wurde am Wochenende?
    Kubicki: Jedenfalls brauchen wir eine andere psychologische Herangehensweise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die sächsische Psychologin Arabisch gesprochen hat. Und wenn Sie ergründen wollen, was in einem Menschen vorgeht, müssen Sie zunächst dessen Sprache beherrschen. Dafür haben wir momentan noch zu wenige Personen, die ausgebildet sind. Das wäre etwas, was eine sinnvolle Maßnahme wäre, dass der erste oder zweite Kontakt geschehen würde mit Menschen, die die gleiche Sprache sprechen wie die Selbstmordattentäter.
    Heckmann: War es ein Fehler, die Zuständigkeit für den Strafvollzug an die Länder zu geben? Seither gibt es ja 16 verschiedene Gesetze und auch daran hat sich Kritik entzündet.
    Kubicki: Ja, es ist kein Fehler, und die 16 Gesetze sind ja so unterschiedlich nicht, wie manche jetzt suggerieren. Wir haben auch 16 verschiedene Bildungspolitiken, 16 verschiedene Polizeibehörden, 16 verschiedene Polizeigesetze auch der Länder, und trotzdem funktioniert es. Auch das ist wiederum nur eine Ablenkung vom Versagen der sächsischen Behörden.
    "Ich würde ihm raten, zurückzutreten"
    Heckmann: Und denken Sie, abschließend gefragt, dass der Justizminister in Sachsen politisch zu halten ist? Was ist da Ihre Einschätzung?
    Kubicki: Die Art und Weise seiner Verteidigung spricht nicht für ihn. Die meisten Skandale enden ja dann bei einem Rücktritt nicht wegen des Ursprungs, sondern wegen der Abarbeitung der Affäre. Man stolpert nicht darüber, sondern über Maulwurfshügel, und ich glaube, dass die öffentlichen Äußerungen des Justizministers nicht geeignet sind, seine Kompetenz zu dokumentieren.
    Heckmann: Das heißt?
    Kubicki: Ich würde ihm raten, möglichst schnell politische Verantwortung wirklich zu übernehmen und zurückzutreten, statt weiter solchen Unsinn zu erzählen wie gegenwärtig.
    Heckmann: Und das reicht dann, das Problem ist damit gelöst?
    Kubicki: Das Problem ist damit nicht gelöst. Wir sind ja sensibilisiert. Das Problem wäre damit gelöst, wenn man Menschen arabischer Herkunft, von denen man weiß, dass sie Selbstmordattentate begehen wollen, bei der Aufnahme schon anders behandeln wird als gegenwärtig, also sie mit Menschen konfrontiert, die ihre Sprache sprechen, damit man den Eindruck empfinden kann, wohin die Reise weiter geht.
    Heckmann: Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki war das. Er ist auch Vorsitzender der FDP-Fraktion in Schleswig-Holstein. Herr Kubicki, danke Ihnen für das Gespräch!
    Kubicki: Vielen Dank auch an Sie. Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.