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Der Fall Böhmermann und die Türkei
"Dieses Verfahren wird im Sande verlaufen"

Die öffentliche Erregung im Fall Böhmermann halte er für völlig unangemessen, sagte der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann im DLF. Dieses Verfahren werde vermutlich eingestellt werden - wie so viele Beleidigungsverfahren. Grundsätzlich finde er, dass sich ein Bundeskanzler in diese Diskussion überhaupt nicht einmischen müsse.

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 16.04.2016
    Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann
    Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann (imago stock&people)
    Christoph Heinemann: Und am Telefon ist der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann, guten Tag!
    Karl-Georg Wellmann: Guten Tag, Herr Heinemann!
    Heinemann: Herr Wellmann, ist Frau Merkel Herrn Erdogans Hampelfrau?
    Wellmann: Absolut nicht, das ist dummes Zeug. Wir müssen vor allem gucken, dass wir klaren Kopf behalten und jetzt nicht alles wegen dieses einen Schmähgedichts des Herrn Böhmermann im Nebel endet. Die Türkei ist für uns ein ganz wichtiges Land geostrategisch. Sie bildet die Grenze zu einer Region, die in hellen Flammen steht, in der Islamismus wächst, Terrorismus wächst, Syrien, Irak, der ganze Nahe und Mittlere Osten. Und deshalb haben wir ein hohes außenpolitisches Interesse an einer stabilen Türkei und an guten Beziehungen mit der Türkei.
    Heinemann: Und auch Interesse zu Schleimereien gegenüber Herrn Erdogan?
    "Die öffentliche Erregung, halte ich für völlig unangemessen"
    Wellmann: Absolut nicht, das tut auch niemand, das tut auch die Kanzlerin nicht. Wir machen uns große Sorgen um die Menschenrechtslage, um die Pressefreiheit in der Türkei. Das sagen alle und das hat auch die Kanzlerin gestern sehr klar gesagt. Nur…
    Heinemann: Herr Wellmann, der Eindruck bleibt, Angela Merkel musste diese Ermächtigung nicht erteilen: In Ankara zieht jemand am Schnürchen und in Berlin zappeln Gliedmaßen!
    Wellmann: Nein, das ist falsch. Das Ganze gehört vor die Justiz. Ich bin selbst Anwalt und sage voraus, dass dieses Verfahren im Sande verlaufen wird. Es wird vermutlich eingestellt werden wie so viele Beleidigungsverfahren bei uns. Die öffentliche Erregung, die darüber produziert worden ist, halte ich für völlig unangemessen. Das muss nicht die Regierung entscheiden, das soll der zuständige Amtsrichter entscheiden.
    Heinemann: Hätte insofern sich Frau Merkel von vornherein heraushalten sollen?
    Wellmann: Ich finde, es hätte der Justizminister dieses machen müssen. Der hat sich gedrückt. Insofern, ich habe öffentlich gesagt, es ist richtig, was Frau Merkel jetzt angekündigt hat, diesen Beleidigungsparagrafen, Majestätsbeleidigungsparagrafen abzuschaffen, das ist 19. Jahrhundert. Und ich finde nicht, dass sich ein Bundeskanzler in diese Diskussion überhaupt einmischen muss.
    Heinemann: Die SPD-Minister haben sich geäußert, sie waren gegen diese Ermächtigung. Haben die SPD-Minister in der Bundesregierung mehr Rückgrat als die CDU-Kollegen?
    "Das Verhältnis zur Türkei müssen wir nüchtern behandeln"
    Wellmann: Nein, überhaupt nicht. Ich wundere mich, dass der Außenminister dies so gesagt hat. Denn das Verhältnis zur Türkei ist wichtig, wir müssen es nüchtern behandeln, genauso nüchtern, wie wir unser Verhältnis zu China und Saudi-Arabien behandeln. Dort ist die Menschenrechtslage noch schlechter als in der Türkei. Insofern gehört eines mit dem anderen überhaupt nicht zusammen, das ist kein politischer Vorgang, das gehört vor die Justiz. Und da ist es in guten Händen, in unserem Rechtsstaat.
    Heinemann: Herr Wellmann, das kann man sich kaum vorstellen, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.
    Wellmann: Es ist aber so. Wir müssen kluge Außenpolitik machen und kluge Flüchtlingspolitik machen. Dafür brauchen wir ein gutes Verhältnis zur Türkei, das hat mit Herrn Erdogan nicht das Geringste zu tun. Das ist schon seit Bismarcks Zeiten so, dass, wenn wir ein gutes Verhältnis mit der Türkei hatten, die Dinge in Südosteuropa und im Mittleren Osten besser unter Kontrolle waren und besser funktionierten als ohne. Stellen Sie sich vor, die Türkei würde destabilisiert, das wäre ein Horror für uns.
    "Ich bin guten Mutes, dass ihm nichts passieren wird"
    Heinemann: Ja, aber doch nicht durch Herrn Böhmermann?
    Wellmann: Und das hat mit Leisetreterei nicht das Geringste zu tun.
    Heinemann: Die Türkei wird doch nicht durch Herrn Böhmermann destabilisiert! Oder anders gefragt: Sollte sich ein Unterdrücker der Pressefreiheit wie Herr Erdogan gegen die Freiheit der Presse zur Wehr setzen können in Deutschland?
    Wellmann: Jeder kann das, wir sind ein Rechtsstaat. Jeder, der sich beleidigt fühlt, kann zu einem Anwalt oder zu einem Staatsanwalt gehen und Strafanzeige erstatten. Und in diesem Rechtsstaat – anders als in der Türkei – ist man in guten Händen und ich bin auch im Hinblick auf Herrn Böhmermann guten Mutes, dass ihm nichts passieren wird.
    Heinemann: Herr Wellmann, Sie haben eben den Blick über die türkischen Landesgrenzen geweitet. Human Rights Watch hat erschreckende Informationen von syrischen Flüchtlingen bekommen, der Deutschlandchef der Menschenrechtsorganisation, Wenzel Michalski, sagte heute früh bei uns im Deutschlandfunk:
    O-Ton Wenzel Michalski: Nach Aussagen dieser Menschen haben türkische Sicherheitskräfte von einem Berg herab auf die Flüchtlinge geschossen, die vor der ISIS geflohen sind. Die ISIS hatten gerade deren Lager gestürmt, die sind von denen weggerannt. Man muss sich vorstellen, das ist sehr nah an der türkischen Grenze, sodass sie wieder zurück in die Arme der ISIS rennen mussten.
    Heinemann: Das ist die Politik dieses Partners, den Sie stabilisieren möchten. Kann Erdogan machen, was er will?
    "Das wird Konsequenzen haben müssen"
    Wellmann: Natürlich nicht. Und dieses, wenn es sich so abgespielt hat, ist völlig inakzeptabel. Wir engagieren uns in der Region unter anderem mit einer maritimen Aktion, weil wir nicht länger wollen, dass Frauen und Kinder ertrinken auf der Flucht. Wir sind humanitär tätig. Und wir werden sehr intensiv mit der Türkei zu reden haben, wenn sich das bewahrheitet, dass das nicht akzeptabel ist und dass auch entsprechende Konsequenzen gezogen werden müssen.
    Heinemann: Was heißt entsprechende Konsequenzen? Müsste das EU-Abkommen mit der Türkei dann ausgesetzt werden?
    Wellmann: Nein, das hat wieder auch nichts damit zu tun. Das ist in unserem Interesse, dieses EU-Abkommen.
    Heinemann: Weil wir erpressbar sind?
    Wellmann: Nein, weil wir den Flüchtlingsstrom begrenzen wollen, und aus humanitären Gründen, damit die Leute nicht mehr sich auf eine lebensgefährliche Reise machen müssen. Und das Zweite ist das innenpolitische Verhalten in der Türkei, das war und wird immer auf der Tagesordnung stehen. Die Türkei hat ein Interesse, sich der Europäischen Union anzunähern, das, was dort passiert, ist mit europäischen Werten nicht vereinbar. Und das wird aus dieser Hinsicht Konsequenzen haben müssen.
    Heinemann: Aber hat die EU Herrn Erdogan da nicht einen Freibrief ausgestellt am 18. März? Sie hat ja gesagt, die syrischen Flüchtlinge sollen in Syrien versorgt werden. Und das setzt ja voraus, dass die türkische Armee dafür sorgt, dass diese Flüchtlinge dann auch in Syrien bleiben.
    "Erdogans Außenpolitik ist ja völlig gescheitert"
    Wellmann: Ja, das ist ja immer die Frage nach sicheren Zonen in Syrien. Wir haben auch immer gesagt, die Europäische Union hat immer gesagt: Wenn das nicht gewährleistet werden kann, dann sollen sie Schutz zunächst im Nachbarland Türkei finden, dafür wird die Türkei finanziell unterstützt, dass sie die Leute anständig versorgt, anständig unterbringt, Beschulungsmöglichkeiten für die Kinder schafft. Und das ist das Thema. Und auf Flüchtlinge zu schießen, geht überhaupt nicht. Wir müssen den ISIS gemeinsam bekämpfen, wir müssen den Menschen helfen, wir müssen die Gegend befrieden, damit sie möglichst zurück in ihre Heimatstädte und -dörfer gehen können.
    Heinemann: Über welches Druckmittel verfügt Deutschland und die EU?
    Wellmann: Erdogans Außenpolitik ist ja völlig gescheitert. Er wollte eine Null-Problem-Politik mit allen seinen Nachbarn haben, jetzt ist er mit allen Nachbarn zerstritten, von Israel über Russland, Syrien, Irak. Er hat ein hohes Interesse, mit der Europäischen Union zusammenzuarbeiten und Bündnispartner hier zu haben, aus sicherheitspolitischen, energiepolitischen und vielen anderen Gründen. Und da werden wir ihm sagen müssen: Das ist mit europäischen Werten nicht vereinbar, eine Annäherung an Europa kann nicht stattfinden, wenn es von Pressefreiheit bis zu Menschenrechten nicht eine Annäherung an europäische Standards gibt.
    Heinemann: Herr Wellmann, noch mal zurück zur Affäre Böhmermann: Ist die eine Folge der menschlich löblichen, aber politisch gefährlichen Flüchtlingspolitik, weil isolierenden, der Bundeskanzlerin?
    "Es ist ja keine Verurteilung"
    Wellmann: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass die Bundeskanzlerin diesen Fall Böhmermann in Verbindung bringt mit der Flüchtlingskrise, weil … Es ist ja keine Verurteilung. Wir sagen ja nicht, das, was er getan hat, ist strafrechtlich relevant oder nicht, das soll die Justiz entscheiden.
    Heinemann: Gut, Frau Merkel hat gesagt: bewusst verletzend. Sie hat sich schon eingeschaltet.
    Wellmann: Ja, bewusst verletzend muss ja noch nicht strafbar sein. Und das ist in der Satire ja häufig so, viele Satiresendungen sind ja bewusst verletzend gegen Politiker, gegen wen auch immer. Und mit gutem Grund hat die deutsche Strafjustiz dort immer sehr zurückhaltend agiert. Und bevor man da strafrechtlich belangt wird, muss schon, ich glaube, sehr viel mehr passieren als mit diesem Gedicht passiert ist.
    Heinemann: Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann, danke schön für das Gespräch, Ihnen noch ein schönes Wochenende!
    Wellmann: Danke Ihnen, tschüs aus Berlin!
    Heinemann: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.