Mario Dobovisek: Job weg, Frau weg, das öffentliche Ansehen auch, und Schuld daran sind die Medien. Auf diese kurze Formel könnte man als Kritiker die Causa Christian Wulff bringen. Der Ex-Bundespräsident trat 2012 zurück, als die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn einleitete wegen Bestechlichkeit. Juristisch wurde er inzwischen freigesprochen; heute stellt Wulff in Berlin seine Sicht der Dinge vor, die er niedergeschrieben hat. "Ganz oben Ganz unten" der Titel seines Buches.
Die Wulff-Affäre, die mit einer umstrittenen Hausfinanzierung begann und über mehrere Einladungen von Freunden und einem Bobby Car hin zu seinem Rücktritt führte. Das war am 17. Februar 2012. – In Berlin begrüße ich Michael Götschenberg. Er ist Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio und Autor des Buches "Der böse Wulff? Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien". War Christian Wulff, Herr Götschenberg, immer aufrichtig, wie er damals beteuerte?
Michael Götschenberg: Ja, er hat schon seinen Teil dazu beigetragen, dass die Dinge sich so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben. Er hat berechtigte Fragen der Journalisten am Anfang nicht so offen und klar beantwortet, wie er das hätte tun müssen, und insofern trägt er seinen Teil der Schuld daran, dass diese Skandalisierung sich in einem Maße entwickelt hat, wie wir das selten erlebt haben in diesem Land. Aber Teil der Wahrheit ist eben auch, dass die Medien im Laufe der Zeit jedes Maß, jede Verhältnismäßigkeit verloren haben und dass es am Ende einen Machtkampf gab zwischen Bundespräsident und Medien, die Medien also auch ihrerseits aus der Rolle gefallen sind, ähnlich wie Christian Wulff, als er zum Telefon gegriffen hat und den Chefredakteur der "Bild"-Zeitung angerufen hat.
Dobovisek: Das Maß haben also beide Seiten verloren. Heute nun stellt Christian Wulff sein Buch vor. Viel über den Inhalt ist noch nicht bekannt. Der Verlag schweigt dazu. Gerechnet wird mit einer Abrechnung mit den Medien. Womit rechnen Sie, Herr Götschenberg?
Man rechnet mit Medienschelte
Götschenberg: Ja, ich rechne auch genau damit. Es ist in der Tat so, dass man hier sehr konsequent den Deckel draufgehalten hat, dass nichts nach außen dringen sollte, und das sagt auch schon etwas. Christian Wulff hat in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren erlebt, dass er ständig behandelt wurde und mit sehr unerfreulichen Aspekten dabei natürlich – denkt man an die juristische Auseinandersetzung vor allem, wo immer wieder intimste und privateste Details aus den Ermittlungsakten dann in den Medien aufgetaucht sind. Diesmal möchte er das nicht. Diesmal möchte er Herr des Verfahrens sein und es sieht so aus, als sei ihm das diesmal auch gelungen.
Dobovisek: Das mediale Interesse an der Finanzierung von Wulffs Haus war durchaus berechtigt. Sie haben es gerade angesprochen. Stichwort Kontrollfunktion der Medien. Wann begann die Situation zu kippen und das berechtigte Interesse zu schwinden?
Götschenberg: Wir erinnern uns: Das ging los Mitte Dezember und eigentlich war bis Weihnachten alles auf dem Tisch. Und wie gesagt, da konnte man durchaus der Ansicht sein, dass vieles von dem, was man da erfahren hat, nicht wirklich passte in das Bild, das man von einem Bundespräsidenten sich macht. Aber spätestens in dem Moment, wo diese Mailbox-Affäre dann an die Öffentlichkeit kam, wurde eigentlich deutlich, dass da auch andere Interessen mitspielen aufseiten der Medien. Die "Bild"-Zeitung hat diese Geschichte so lange liegen lassen, bis die Affäre drohte, im Sande zu verlaufen, und ihr damit noch mal neuen Schub gegeben, und dann alles, was sich im Januar abspielte bis hin zum Rücktritt, diente eigentlich aufseiten der Medien nur noch dem Ziel, diese Affäre immer weiter am Laufen zu halten, bei einem Teil der Medien ganz klar mit dem Ziel, den Mann aus dem Amt zu entfernen.
Dobovisek: Sie haben als Hörfunkkorrespondent im ARD-Hauptstadtstudio selbst über Christian Wulff, die Vorwürfe, den Rücktritt und dann später, auch den Prozess gegen ihn berichtet. Wie schwer ist es als Journalist, zwischen berechtigtem Interesse und Medienhatz zu unterscheiden?
Götschenberg: Das ist schwierig, und wenn so eine Skandalisierung erst mal wirklich ihre ganze Wucht entfaltet, dann passiert das, was wir eigentlich immer beobachten: Mit der Zeit rennen alle in eine Richtung, kaum einer mehr schwimmt gegen den Strom, das wird immer schwieriger, es bildet sich sozusagen eine einzelne Meinung heraus, die im Fall Wulff darin bestand, dass alle der Überzeugung waren, er muss gehen, und wenn er nicht gehen will, dann setzen wir ihn so lange unter Druck, bis er nicht mehr anders kann. Das ist das Problem bei diesen Skandalisierungsspiralen, die mit der Zeit jedes Maß verlieren. Da ist Wulff ein Extrembeispiel, aber bei weitem nicht das einzige. Es ist natürlich schwierig, sich dagegen zu stemmen, aber es ist trotzdem natürlich nicht die Aufgabe der Medien, über Sein oder nicht Sein einer Präsidentschaft zu entscheiden.
"Beeindruckendes Stehvermögen"
Dobovisek: Was hat Sie am stärksten beeindruckt, als Sie alles noch einmal zusammengetragen haben für Ihr Buch und noch weiter recherchiert haben?
Götschenberg: Was schon wirklich beeindruckend ist, ist das Stehvermögen dieses Mannes. Ich erinnere mich, wie ich ihn kurz vor seinem Rücktritt erlebt habe bei dieser letzten Reise nach Italien. Mal abgesehen von all den Peinlichkeiten aufseiten der Medien, aber auch seinerseits, die da eine Rolle gespielt haben, aber dass jemand, der so tief fällt, trotzdem noch wieder aufsteht und auch im Gerichtssaal dann quasi wieder seine Mitte gefunden hatte, das hat mich in gewisser Weise schon beeindruckt und das ist auch außergewöhnlich.
Dobovisek: Was können Politik und Medien aus der Causa Wulff lernen?
Götschenberg: Ich glaube, die Medien müssen ganz einfach erkennen, dass diese Skandalisierungsspiralen in dieser Weise einfach nicht gehen. Mal abgesehen davon, dass die Bevölkerung das auch nicht goutiert. Wir erinnern uns, dass relativ stabil zwischen 50 und 40 Prozent der Bevölkerung der Ansicht waren, dass die Medien überziehen in den Wochen der Affäre Wulff. Diese Zahlen gab es bis zum Rücktritt, das sagt uns etwas, auch über die Glaubwürdigkeit der Medien, die sehr gelitten hat meines Erachtens in den Wochen der Affäre Wulff. Aber auch über die Politik muss man reden, ganz klar. Sie hat versagt, ihre Rolle auszufüllen in dieser Präsidentenkrise. Das war zunächst ein politisches Problem, das die Politik bis zum Schluss nicht gelöst hat. Man hätte ihn entweder verteidigen müssen, dass er im Amt bleiben kann, oder man hätte seinen Rücktritt herbeiführen müssen. Die Politik hat sich da einen sehr schlanken Fuß gemacht und die Lösung des Problems am Ende den Medien überlassen.
Dobovisek: Michael Götschenberg ist Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio und Autor des Buches "Der böse Wulff? Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien". Vielen Dank für das Gespräch.
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