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Der Fall Columbine High

Auch zehn Jahre nach dem Blutbad an der Columbine Highschool bleiben die Motive der beiden Amokläufer ungeklärt. Die beiden Schüler Eric Harris und Dylan Klebold planten ihr Vorgehen systematisch: Mit Schrotflinten, einer halbautomatische Pistole und selbstgebauten Bomben wollten sie für "die meisten Toten in der amerikanischen Geschichte" sorgen. Sie erschossen 13 Personen und töteten anschließend sich selbst.

Von Barbara Jentzsch |
    "We all know there has been a terrible shooting at a high school in Littleton, Colorado. I hope the American people will be praying for the students, the parents and the teachers…”"

    Beten für die Opfer von Columbine. Als Präsident Clinton sich am 20. April 1999 im Fernsehen an die amerikanische Nation wandte, war das ungeheure Ausmaß der Schießerei an der Columbine Highschool in Littleton/Colorado noch gar nicht entdeckt.

    Noch wusste niemand, dass die beiden Täter, der 17-jährige Eric Harris und der 18-jährige Dylan Klebold ein Blutbad angerichtet hatten, das in seiner Grausamkeit alle bisherigen übertraf.

    Überwachungskameras zeigen die beiden, wie sie um elf Uhr morgens die Schule betreten. Sie tragen lange, schwarze Trenchcoats - darunter verborgen zwei abgesägte Schrotflinten, eine halbautomatische Pistole, ein Neun-Millimeter-Gewehr und Rucksäcke mit 76 selbstgebauten Bomben.

    In 47 Minuten feuern die Täter 188 Patronen ab. Sie lachen dabei und verhöhnen ihre Opfer. Zwölf Schüler und ein Lehrer sterben in dem Kugelhagel, 25 Schüler werden schwer verletzt. Am Ende bringen Harris und Klebold sich selbst um. Der Lehrerin Patti Nielson gelingt es, von ihrem Versteck unter einem Tisch in der Bibliothek die Polizei anzurufen.

    Das Massaker war minutiös geplant. An jenem 20. April, Hitlers hundertzehntem Geburtstag, sollte eigentlich die gesamte Schule explodieren. Sprengstoff in der Schulküche und zwei in der Cafeteria platzierte Propangas-Bomben hätten tatsächlich Hunderte in den Tod gerissen, wenn die Zünder funktioniert hätten.

    Columbine war eine hervorragend ausgestattete Schule mit sechs Beratungslehrern und Dutzenden von Konflikt-Schlichtern. Eric Harris und Dylan Klebold waren intelligente Schüler aus intakten Mittelklasse-Familien. Die Eltern hatten die alarmierenden Tagebücher und Websites ihrer Söhne nie gesehen. "I hate the fucking world", begann Harris seine Aufzeichnungen. Später schrieb er:

    ""Die Nazis fanden die Endlösung für das Juden-Problem - die Massenvernichtung. Falls ihr's noch nicht gemerkt habt: ich sage 'rottet die Menschheit aus. Keiner soll überleben.'"

    Klebold kündigte "die meisten Toten in der amerikanischen Geschichte" an.

    Bis der offizielle Polizeibericht erschien, vergingen zwölf Monate. Die Littleton belagernden Medien verbreiteten die bei Schulschießereien üblichen Theorien: Sie prangerten Colorados lasche Waffengesetze an, gewaltverherrlichende Videos, Computer-Killerspiele, den Rockstar Marilyn Manson.

    Der Filmemacher Michael Moore bohrte tiefer. In seinem preisgekrönten Dokumentarfilm "Bowling for Columbine" konzentrierte er sich auf die Ursprünge der Gewalt: den eingefleischten Waffenfetischismus der Amerikaner und eine daran gekoppelte paranoide, spezifisch amerikanische Kultur der Angst.

    Nun hat der Autor David Cullen in seinem exzellent recherchierten Buch "Columbine" ins Kraut geschossene Mythen durch Fakten ersetzt:

    "Die Presse hat damals voreilig, häufig falsch und bruchstückhaft berichtet. Leider hat sich ihre Version der Wahrheit bis heute gehalten. Sie behauptete, Klebold und Harris seien zwei einsame, verstoßene 'Gruftis' gewesen, die ihre sportlichen Mitschüler zur Strecke bringen wollten, um der langen Fehde zwischen den 'Sportskanonen' und der sogenannten 'Trenchcoat- Mafia' ein Ende zu machen. Nach Jahren der Schikane seien die beiden ausgerastet und hätten sich mit Automatikwaffen und Rohrbomben gegen ihre Peiniger gewehrt. Sie hätten eine Abschussliste erstellt, auf der sich von ihnen verachtete Minderheiten befunden hätten."

    "Nichts davon stimmt", schreibt Cullen. Harris und Klebold sei es einzig auf den "body count" angekommen - auf die Zahl der Toten. Ständig gemobbte, unpopuläre Außenseiter, die sich endlich wehrten, seien die beiden keineswegs gewesen. Sie hätten enge Freunde und einen großen Bekanntenkreis gehabt.

    Bei der Frage nach den Motiven sind sich FBI-Ermittler und Amerikas angesehenste Psychologen heute nur in einem Punkt sicher: Sie sehen Eric Harris als die treibende Kraft. Harris sei ein kaltblütiger, menschenverachtender Psychopath mit einem messianischen Überlegenheitskomplex gewesen. Unkorrigierbar. Hätte er das Erwachsenenalter erreicht, wäre er zu noch diabolischeren Taten fähig gewesen.