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Der Fall George Pell
Missbrauchsvorwurf in der katholischen Kirche Australiens

Dem heutigen Finanzchef des Vatikans George Kardinal Pell wird vorgeworfen, mehrere Jungen während seiner Amtszeit in Australien sexuell belästigt zu haben. Diesen Vorwürfen hat er sich lange nicht gestellt. Nun muss er sich in Melbourn persönlich vor Gericht verantworten.

Von Andreas Stummer |
    Der australische Kardinal George Pell bei einer Pressekonferenz im Vatikan am 29. Juni 2017 (Bild: AFP / Alberto Pizzoli)
    Der australische Kardinal George Pell und heutige Finanzchef des Vatikans bestreitet die Vorwürfe (AFP / Alberto Pizzoli)
    Ein nasskalter Abend in Ballarat, eineinhalb Autostunden westlich von Melbourne. Der Spätgottesdienst in der St. Alipius-Kirche ist zu Ende, die Mantelkrägen hochgeschlagen kommen die Gläubigen in kleinen Gruppen aus der Messe. Der unscheinbare Ziegelbau ist Lichtjahre vom Prunk des Vatikans entfernt, hier hat Kurienkardinal Georg Pell, Australiens ranghöchster Geistlicher, seine ersten Predigten gehalten.
    Heute ist der 76-Jährige als Finanzchef des Vatikans die rechte Hand des Papstes, doch kommenden Montag muss er sich persönlich in Melbourne vor Gericht wegen angeblicher Sexualstraftaten verantworten. Pell wird vorgeworfen in den 1970er- und 1980er-Jahren in Ballarat Kinder missbraucht und sich vor ihnen entblößt zu haben.
    Australiens ranghöchster Kirchenvertreter vor Gericht
    "George Pell ist einer der berühmtesten Söhne der Stadt", sagt Andrew Collins, der den Werdegang des Kurienkardinals über die Jahre mit Stolz verfolgt hat, "es ist ernüchternd, dass ein Mann wie er und ganz Ballarat mit diesen Vorwürfen konfrontiert werden. Die meisten hier in der Gemeinde glauben an seine Unschuld. Dieses Verfahren ist eine Prüfung für die katholische Kirche in Australien und nicht gerade ein freudiges Ereignis."
    In der Vergangenheit gab es immer wieder Berichte über angebliche Fälle von Kindesmissbrauch während Pells Zeit als junger Priester in Ballarat und später als Erzbischof von Melbourne. Seit Jahren wird dem Kardinal vorgeworfen weitverbreiteten, sexuellen Missbrauch in der australischen, katholischen Kirche verschwiegen und vertuscht zu haben. Tausende Opfer wären mit Schadensersatz zum Schweigen gebracht, die Täter beschützt und einfach versetzt worden. Anschuldigungen, die George Pell, genauso wie die persönlichen Vorwürfe Kinder missbraucht zu haben, immer bestritten hat. Jetzt aber muss er sich dafür vor Gericht verantworten.
    "Die rechtlichen Schritte gegen George Pell sind vor allem für Missbrauchsopfer der Kirche und ihre Familien von großer Bedeutung", sagt Anwältin Judy Courtin, die mehrere Leidtragende angeblicher sexueller Straftaten von Priestern vertreten hat. "Es zeigt den Opfern und uns allen, dass unser Rechtssystem funktioniert und das war bei Vorwürfen gegen die Kirche nicht immer der Fall."
    Kirche erkaufte sich das Schweigen vieler Opfer
    Wayne Chamley hat die Macht der Kirche am eigenen Leib erfahren – und die Ohnmacht ihr Opfer zu sein. Als Chorknabe über Jahre von einem Priester in einer Melbourner Diözese missbraucht, wollte ihm erst niemand glauben, dann – für ein paar Tausend Dollar – erkaufte sich die Kirche sein Schweigen, der verantwortliche Geistliche blieb im Amt. Der Bischof von Melbourne damals war George Pell. Wayne Chamley will keine Rache, sondern Antworten.
    "Es gab immer diesen schweren, unverrückbaren Vorhang der Verschwiegenheit der Kirche, der mit Mystik und mit protzigem Klunker behangen war. Dieser Vorhang wird jetzt gehoben und jeder kann sehen, dass niemand über dem Gesetz steht – nicht einmal ein Kirchenfürst."
    Pell - der erzkonservative Hardliner
    George Pell ist Australiens bekanntester und umstrittenster Geistlicher, ein erzkonservativer Hardliner. 1971 wurde er Priester, dann Erzbischof von Melbourne, später von Sydney, 2002 wurde er dort zum Kardinal ernannt.
    Der australische Kurienkardinal George Pell bei einer Thanksgiving-Messe in Sydney. 
    Der australische Kurienkardinal George Pell bei einer Thanksgiving-Messe in Sydney.  (dpa)
    Reformen oder eine progressive katholische Kirche lehnte Pell stets ab: Er ist gegen Abtreibung, Scheidung und Frauen als Priester, homosexuellen Gemeindemitgliedern verweigerte er die heilige Kommunion. Während in Australien Missbrauchsopfer seinen Rücktritt verlangten wurde Pell 2014 in den Vatikan an die Seite des Papstes abberufen.
    "Ihn jetzt wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht zu sehen", meint der Religionsjournalist Noel Debien sei das letzte, das die katholische Kirche in Australien gebrauchen könne."
    "Man darf nicht unterschätzen, wie sehr diese Affäre das Vertrauen der Gläubigen hierzulande in die katholische Kirche erschüttert. Viele gehen deshalb nicht mehr zur Messe, noch nie gab es so viele Kirchenaustritte. Der Schaden ist enorm, aber wir müssen erst alle Seiten hören. Denn Kardinal Pell will seinen Namen mit allen Mitteln verteidigen."
    Anhörungen dauern vier Wochen
    Ein Untersuchungsrichter muss jetzt entscheiden ob die Vorwürfe gegen Pell für einen Prozess ausreichen. Die Anhörungen sollen vier Wochen dauern, rund 50 Zeugen sind geladen. Wer die Kläger sind und was genau sie George Pell vorwerfen dazu ist bisher nichts bekannt. Shane Patton, der stellvertretende Polizeichef im Bundesstaat Victoria war da eindeutig: "Eine Vorverurteilung durch die Medien", betonte er, "werden wir nicht zulassen." Kardinal Pell bekäme einen fairen Prozess. Das sei so sicher wie das Amen in der Kirche.