Archiv

Der Fall Julian Assange
"Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats stark angeschlagen"

Im Umgang mit Julian Assange werde ein Präzendenzfall geschaffen, sagte der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, im Dlf. Immer mehr Staaten versuchten, Whistleblower hart zu bestrafen. Das könne großen Einfluss auf zukünftige Prozesse gegen Journalisten und ihre Informanten haben.

Nils Melzer im Gespräch mit Christoph Sterz |
Wikileaks-Gründer Julian Leaks kommt am 11. April 2019 von der Polizei eskortiert am Gericht Westminster Magistrates Court in London an, wo über einen Auslieferungsantrag gegen ihn verhandelt wird.
Der UN-Sonderbeautragte warnte im Dlf vor dem Umgang von Staaten mit Whistleblowern und investigativen Journalisten (picture alliance / ZEUS / Rob Pinney)
Julian Assange solle aus der Haft entlassen werden - das ist die Forderung von mehr als 130 Menschen, die am Donnerstag eine entsprechende Erklärung als große Anzeige in der "FAZ" veröffentlicht haben. Zudem gab es dazu eine Pressekonferenz in Berlin, unter anderem mit Ex-Außenminister Sigmar Gabriel und Enthüllungsjournalist Günter Wallraff.
Günter Wallraff im Februar 2020 bei der Vorstellung seiner Unterschriftenaktion für die Freilassung von Julian Assange. Nach einer etwaigen Abschiebung in die USA würden Assange bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen.
Petition für Julian Assanges Freilassung
Günter Wallraff und andere Prominente setzen sich mit einer Petition für die Freilassung von Julian Assange ein. Sie befürchten, der Wikileaks-Gründer könnte in die USA ausgeliefert werden.
Julian Assange war ja lange Jahre Chef von der Enthüllungsplattform Wikileaks, hat dort unter anderem geheime Dokumente über den Irakkrieg der US-Amerikaner veröffentlicht. Seit April sitzt er in London in Haft. Und ihm droht die Auslieferung in die USA und damit eine sehr lange Haftstrafe.
Aber das Verfahren gegen Assange verletze menschenrechtliche und rechtsstaatliche Grundprinzipien, meinen die Unterstützerinnen und Unterstützer von Julian Assange – und berufen sich dabei vor allem auf den Juristen und UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Nils Melzer.

Christoph Sterz: Warum haben Sie Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens?
Nils Melzer: Ja, also ich muss sagen, ich hatte ja ursprünglich selber gezögert, mich auf diesen Fall einzulassen. Wie die breite Öffentlichkeit war ich halt auch der Meinung, irgendwie fast intuitiv - ich kannte den Fall ja nicht - dass Julian Assange irgendwie schuldig ist. Dass er wahrscheinlich ein Vergewaltiger ist, ein Narzisst, ein Hacker und ein Spion. Und ich befürchtete, dass mein Mandat hier ein bisschen manipuliert werden könnte.
UN Sonderberichterstatter Nils Melzer auf dem Pariser Platz in Berlin.
UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer (imago images / Christian Spicker)
Also, ich brauchte ein bisschen Überwindung, mich auf den Fall einzulassen. Aber seine Anwälte haben mir dann ein paar Beweisstücke zukommen lassen, zuvor erst zum schwedischen Verfahren damals, und das hat dann schon mein Interesse geweckt. Also wenn man da ein bisschen an der Oberfläche kratzt, dann merkt man sofort, dass dieses öffentliche Narrativ eben nicht stimmt. Also die ganze Geschichte mit den Vergewaltigungsvorwürfen - da gibt es also große, große Widersprüche und Anzeichen, dass die Behörden hier einiges manipuliert haben.
"Behörden stehen auf dem Prüfstand"
Sterz: Die schwedische Justiz, die will sich zu diesem Fall nicht äußern. Die verweist darauf, dass das schwedisch Verfahren gegen Assange eingestellt wurde. Aber Sie bleiben trotzdem dabei: Die Belege, die Sie haben, die zeigen - das ist ein Verfahren, das nicht sauber abgelaufen ist?
Melzer: Ja, selbstverständlich. Ich meine, hier muss man sich aber schon vergegenwärtigen, dass die Behörden hier auf dem Prüfstand stehen. Als das Verfahren noch offen war, wollten die Schweden ja genau so wenig die Fragen beantworten. Ich hab das Mandat der Vereinten Nationen, in Fällen, wo es zu Folter gekommen sein könnte, Beweisstücke vorzulegen und den Regierungen Fragen zu stellen, damit wir die Angelegenheit klären können. Meine Erfahrung ist es, - und ich arbeite immerhin mit über 190 Staaten - dass, wenn Staaten ihr Verhalten erklären können und der Meinung sind, dass sie rechtmäßig gehandelt haben, dann antworten sie auch und geben detailliert und bereitwillig Antwort. Also Staaten, die sich von vorneherein weigern, Fragen zu beantworten - gerade Staaten wie Schweden oder Großbritannien - also das ist kein gutes Zeichen. Das deutet eher darauf hin, dass etwas zu verstecken ist.
Edward Snowden im Interview
2013 ging Edward Snowden mit geheimen Dokumenten an die Öffentlichkeit, die eine massenhafte Überwachung durch US-amerikanische Geheimdienste enthüllte. Im Dlf kritisierte er, dass es für Quellen investigativer Recherche immer schwieriger werde. Sein Leben im Exil zeige, welche Konsequenzen die Entscheidung mit sich bringe.
Anwälte haben kaum Zugang zu Assange
Sterz: Nun haben Sie sich ja nicht nur mit den Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden befasst, sondern auch mit den Haftbedingungen in Großbritannien, wo ja Julian Assange im Gefängnis sitzt. Und haben ihn auch persönlich im vergangenen Mai besucht. Was haben Sie dort festgestellt und was sind Ihre Eindrücke gewesen?
Melzer: Also ich habe ihn etwa vier Wochen nach seiner Festnahme besucht, und ich habe zwei Ärzte mitgenommen, die lange Jahre mit Folteropfern gearbeitet haben und das auch beurteilen können: ein Psychiater, ein forensischer Experte. Und beide kamen in einer vierstündigen Untersuchung zum Schluss, dass Julian Assange alle Anzeichen zeigte von lang dauernder psychologischer Folter. Das bezog sich natürlich damals vor allem auf die Stresssituation und den ständigen Druck und die ständige Willkür in der ecuadorianischen Botschaft. Das hat sich dann aber in der britischen Haft leider fortgesetzt. Da wurde er also weitgehend daran gehindert, seine fundamentalsten Rechte wahrzunehmen, also seine Verteidigung vorzubereiten, was man ja jedem Mörder zugesteht. Bis heute durfte er noch nie mit seinen amerikanischen Anwälten Kontakt aufnehmen.
Er ist jetzt neun Monate in Haft und er wird ja von den USA gesucht, er soll dort ausgeliefert werden, konnte mit seinen Anwälten dort aber nie sprechen. Auch die britischen Anwälte haben sehr beschränkten Zugang zu ihm, und er selber durfte bis im Oktober kein einziges rechtliches Dokument in der Zelle haben, also konnte die Anklage gegen ihn gar nicht lesen, bevor er dazu Stellung nehmen sollte. Das sind dann schon Umstände, die man sich nicht vorstellen kann in einem Rechtsstaat wie Großbritannien.
"Da bekommt man schon ein mulmiges Gefühl"
Sterz: Die britische Regierung hat dazu schon im November mitgeteilt, dass Ihre Foltervorwürfe unbegründet und absolut falsch seien und dass auch niemand über dem Gesetz stehe. Es bestehe außerdem Fluchtgefahr. Und dann kommt ja noch hinzu, dass Julian Assange im Krankenhausflügel sozusagen des Gefängnisses, in dem er ist, dass er sich dort befindet. Das bedeutet doch: Könnte es nicht vielleicht auch einfach sein, dass es gut wäre, jetzt dieses Verfahren, das ja am 24. Februar beginnt, dass man das einfach mal starten lässt und dann dem Rechtsstaat - in dem Fall dem britischen Rechtsstaat - einfach mal vertraut?
Melzer: Ja, ich würde das gerne so sehen. Es ist einfach so, dass, wenn seine Anwälte sich beklagen, beim Gericht sogar mit einer Klage gegen das Gefängnis drohen, weil sie keinen Zugang zu ihren Mandanten bekommen, und auf der anderen Seite im Verfahren steht die Weltmacht mit all ihren unbeschränkten Ressourcen - da bekommt man schon ein mulmiges Gefühl, nicht? Und das Argument, dass niemand über dem Recht steht, ich denke, ist hier völlig unangebracht. Oder vielleicht umgekehrt angebracht: Man müsste sich fragen, ob denn die britischen Behörden und die schwedischen Behörden und die amerikanischen Behörden über dem Recht stehen.
Man darf auch nicht vergessen, dass WikiLeaks ja schwerste Verbrechen, einschließlich Kriegsverbrechen, bewiesen hat mit seinen Veröffentlichungen und dass dafür niemand belangt worden ist bis heute - also, dass dort die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates schon sehr stark angeschlagen ist. Stattdessen wird jetzt der verfolgt, der diese Informationen veröffentlicht hat.
Glenn Greenwald unter ähnlichen Vorwürfen wie Assange verhaftet
Sterz: Ich habe es ja eben schon gesagt: Das Verfahren gegen Julian Assange, das startet so in gut zweieinhalb Wochen in London, in Großbritannien. Und Sie sagen jetzt, wenn Julian Assange tatsächlich dann verurteilt wird - ausgeliefert wird und dann verurteilt wird in den USA - dann ist das ein Todesurteil für die Pressefreiheit. Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?
Melzer: Ich glaube nicht. Und Sie können mich zurückverfolgen die letzten 20 Jahre in meinem Beruf: Ich habe keine Tendenz für reißerische Schlagzeilen. Aber ich denke, in diesem Fall kann man die Wichtigkeit dieser Konsequenzen nicht übertreiben. Es ist halt wirklich so, dass da ein Präzedenzfall geschaffen wird. Jetzt ist Glenn Greenwald verhaftet worden in Brasilien unter ähnlichen Vorwürfen wie Assange. Wir haben die ABC Headquarters in Australien, die ja durchsucht worden sind, genau wieder weil die Afghanistan Files dort Verbrechen der australischen Behörden ans Licht gezogen haben. Auch in Frankreich sehen wir Tendenzen, einfach dass diese Leaks unterbunden werden sollen. Wenn in den USA sich so ein Präzedenzfall etabliert, dann wird das überhand nehmen in der in der Praxis.
Sterz: Das meint Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter. Ich habe mit ihm gesprochen über den Fall Julian Assange.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.