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Der Fall Khashoggi
Lage in Saudi-Arabien für Journalisten katastrophal

Den Mord an Jamal Khashoggi soll laut UNO-Bericht der saudische Kronprinz verantwortet haben. Mit einem Sonderbeauftragten gegen Straflosigkeit gegen Gewalt an Journalisten hätte die UNO schneller Ergebnisse liefern können, sagte Christoph Dreyer, Pressesprecher von Reporter ohne Grenzen, im Dlf.

Christoph Dreyer im Gespräch mit Bettina Köster |
Die UNO-Berichterstatterin Agnes Callamard.
Der UNO-Berichterstatterin Agnes Callamard zufolge gibt es glaubwürdige Hinweise auf eine mögliche persönliche Verantwortung von Kronprinz Mohammed bin Salman für den Mordfall Khashoggi (MARVIN RECINOS / AFP)
Bettina Köster: Der Fall Khashoggi begleitet uns ja schon seit Herbst vergangenen Jahres. Sie erinnern sich sicher, das war der saudische Journalist, der von einem saudischen Spezialkommando in Istanbul ermordet wurde. Gestern nun hat die UNO-Menschenrechtsexpertin Callamard einen 101 Seiten langen Bericht vorgelegt, in dem sie eine mögliche persönliche Verantwortung des saudischen Prinzen bin Salman vermutet und fordert weitere Untersuchungen. Gleichzeitig läuft in Saudi-Arabien seit Anfang des Jahres ein Prozess gegen elf Verdächtige im Fall Khashoggi. Und die Regierung in Riad wies den Bericht der UNO-Berichterstatterin als unglaubwürdig zurück. Wir haben also eine Pattsituation. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen beschäftigt sich natürlich auch mit dem Mord an dem Journalisten Khashoggi und mit der mangelnden Pressefreiheit in Saudi-Arabien. Und mit dem Pressesprecher Christoph Dreyer bin ich jetzt in Berlin verbunden. Herr Dreyer, was passiert denn jetzt mit dieser Empfehlung der UNO-Menschenrechtsexpertin Callamard, Untersuchungen gegen den Kronprinzen einzuleiten?
Christoph Dreyer: Ja, guten Tag. Zunächst mal liegt das natürlich an den Staaten, an den UNO-Mitgliedsstaaten, was sie mit diesen Empfehlungen machen. Die Sonderberichterstatterin hat ja an den UNO-Menschenrechtsrat berichtet, also werden dort vielleicht auch Beschlüsse gefasst. Aber letztlich liegt es an den Staaten auch Konsequenzen daraus zu ziehen und sich zu überlegen, wie sie politisch damit umgehen.
"Die politische Verantwortung liegt klar bei Saudi-Arabien"
Köster: Gibt es denn tatsächlich die Möglichkeit, so konkret auch gegen den Kronprinzen vorzugehen?
Dreyer: Also im Moment sicher nicht. Also die Schlussfolgerung ist ja zunächst mal, dass sie die Verantwortung, die politische Verantwortung, klar bei Saudi-Arabien sieht, und es auch für gerechtfertigt hält, da jetzt nach der individuellen Verantwortung zu fragen. Allerdings deutet sie auch an, dass man das vielleicht gar nicht so letztgültig klären kann, wer jetzt da den definitiven Befehl gegeben hat, sondern dass es auch um die politische Verantwortung geht. Und die liegt klar bei Saudi-Arabien. Daraus, denke ich, muss man auf jeden Fall Konsequenzen ziehen. Wie die aussehen können, das ist allerdings noch ziemlich unklar.
Köster: Weil die weisen ja alles zurück, wie ich eben auch gesagt habe.
Dreyer: Ja, gut. Dass Saudi-Arabien da einen anderen Standpunkt vertritt, ist nicht so erstaunlich. Saudi-Arabien sagt natürlich, ja, wir haben ja Verdächtige, wir führen einen Prozess gegen die. Allerdings ist das eigentlich eher Teil des Problems als der Lösung, denn das ist vollkommen intransparent. Man weiß im Grunde nichts über den Prozess. Man weiß zum Teil nicht einmal, wer die Leute sind. Denen droht die Todesstrafe Das ist aus menschenrechtlicher Sicht jetzt kein so richtiger Gewinn, wenn da unter völlig obskuren Umständen Leute zum Tode verurteilt werden. Damit würde eigentlich die Frage nach der politischen Verantwortung eher unter den Teppich gekehrt.
"Die Lage in Saudi-Arabien ist katastrophal"
Köster: Callamard geht es ja nicht nur um den besonders viel Aufsehen erregenden Fall Khashoggi, sondern auch generell um die Situation, die prekäre Situation, für kritische Journalisten in Saudi-Arabien. Wird der Bericht Auswirkungen auf den Umgang mit kritischen Journalisten haben? Wie ist Ihre Einschätzung?
Dreyer: Ob der Bericht in Saudi-Arabien Auswirkungen hat – also, ich hoffe nicht, dass er zu neuen Repressalien führt. Aber die Lage in Saudi-Arabien ist natürlich katastrophal. Es sind dort 30 Journalistinnen und Journalisten und Bloggerinnen und Blogger im Gefängnis zur Zeit, nach unserer Zählung. Wegen ihrer journalistischen Arbeit, zum Teil unter sehr, sehr schlechten Bedingungen. Da ist von Folter die Rede; in einem Fall glauben wir, dass derjenige wahrscheinlich sogar schon tot ist. Einem droht die Todesstrafe. Also die Bedingungen sind wirklich katastrophal. Und wenn dieser Bericht etwas erreichen kann, dann hoffentlich dass man da hinschaut und das zum Beispiel nächste Woche beim G20-Gipfel Saudi-Arabien vielleicht wieder ähnlich isoliert dasteht wie beim letzten G20-Gipfel im vergangenen Herbst. Ich glaube, über längere Zeit produziert so etwas schon eine Wirkung und merkt eine Regierung dann, dass sie da etwas tun muss.
Köster: Das heißt, der Bericht kam in gewisser Weise zur rechten Zeit?
Dreyer: Ja, er ist bestimmt nicht verkehrt. Ja, auch deshalb, weil natürlich die ganz große öffentliche Aufregung um den Mord an Jamal Khashoggi schon wieder abklingt. Und es ist wichtig, das im Gespräch zu halten, denn sonst geht man im Laufe der Zeit dann doch irgendwie zur Tagesordnung über, diskutiert zwar noch hier und dort, in Deutschland vielleicht, in Großbritannien, darüber, ob man jetzt eigentlich dann doch wieder Waffen ganz normal exportieren sollte nach Saudi-Arabien. Aber natürlich besteht die Gefahr, dass sich das dann irgendwann abschleift und das Ganze letztlich doch in Vergessenheit gerät. Und das nicht zu tun, ist schon mal ein sehr wichtiger Schritt, und einfach zu signalisieren: Nein, dieses Thema ist auf dem Tisch – tut was!
"Ein UNO-Sonderbeauftragter wäre ein Versuch, die vielen hehren Beschlüsse in die Praxis umzusetzen"
Köster: Sie fordern ja als Journalistenorganisation einen Sonderbeauftragten bei der UNO. Was soll der leisten?
Dreyer: Ja, das ist eine Forderung, die wir schon seit einigen Jahren inzwischen erheben und eine diplomatische Dauerkampagne betreiben und auch Unterstützung sammeln so nach und nach. Ein Sonderbeauftragter gegen Straflosigkeit für Gewalt an Journalisten hätte den Vorzug zum Beispiel gegenüber einen Sonderberichterstatterin, wie wir sie jetzt gerade hier in Aktion sehen, dass er schneller, permanenter, also schneller agieren könnte, permanent, nach Möglichkeit sehr nah am Machtzentrum der Vereinten Nationen beim Generalsekretär eingebunden wäre – das ist zumindest unsere Forderung – und dort sehr schnell Alarm schlagen könnte, zum Beispiel dann, wenn Journalistinnen und Journalisten akut bedroht sind. Nach Möglichkeit nicht erst dann, wenn sie schon ermordet sind. Und dass er zum Beispiel auch selbstständig ermitteln könnte, nicht erst, wie das jetzt bei diesen Sonderbericherstattern meist der Fall ist, warten muss, bis ihn eine Regierung einlädt und das dauert dann Monate und dann ist es im Grunde schon zu spät. Also das wäre ein Versuch, die vielen hehren Beschlüsse, die es da gibt, mehr in die Praxis umzusetzen und mit etwas politischem Zug zu verleihen
Köster: Danke für diese Hintergrundinformationen. Christoph Dreyer war das, Pressesprecher der internationalen Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen in Berlin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.