Gary Lineker habe gegen die Neutralitätsregen verstoßen, so begründete die BBC zunächst ihr Vorgehen gegen den früheren Fußballer. Lineker, der als freier Moderator für die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt arbeitet, hatte auf seinem privaten Twitter-Profil die
Asylpolitik der Regierung
als „grausam“ kritisiert.
„Im Streit mit den Rechten fängt er sich seine erste Gelbe Karte ein“, kommentierte der Schweizer „Tagesanzeiger“ daraufhin die Strafe gegen Lineker. Und bezog sich dabei auf ein bemerkenswertes Detail aus der Karriere des früheren Fußballers: In seinen insgesamt 461 Liga-Spielen hatte Lineker weder eine gelbe noch eine rote Karte erhalten.
Nach einer Welle des Protests gegen die BBC-Entscheidung und der Solidarität mit dem 62-Jährigen, scheint die Auseinandersetzung nun beendet zu sein. Man arbeite daran, dass Lineker zurückkehre, erklärte BBC-Generaldirektor, Tim Davie, bereits am Wochenende, dieser sei „der beste Sport-Moderator der Welt“. Um dann am Montag in einer Stellungnahme nachzulegen: „Ich freue mich darauf, dass er am kommenden Wochenende unsere Berichterstattung präsentiert.“
Medienforscherin: Geschäftsgrundlage der BBC ist bedroht
Der aktuelle Fall zeige grundsätzliche Probleme auf, findet Alexandra Borchardt. „Die gegenwärtige Regierung bedroht die Geschäftsgrundlage der BBC und damit die Existenz des Senders, wie man ihn heute kennt“, sagte die Medienforscherin, die unter anderem mit dem „Reuters Institute for the Study of Journalism“ in Oxford zusammenarbeitet, gegenüber dem Deutschlandfunk.
Noch wird die BBC über Rundfunkgebühren finanziert. Doch das könnte sich bald ändern. Von 2027 an soll es ein neues Finanzierungsmodell geben, möglicherweise eines über freiwillige kostenpflichtige Abonnements wie bei Netflix und Co. Das kündigte die konservative Tory-Regierung 2022 an, damals noch unter Premierminister Boris Johnson.
Bericht über Einfluss auf Attenborough-Doku
Im vergangenen Jahr feierte die BBC auch ihr 100-jähriges Jubiläum. Seit seiner Gründung sei der Sender mit seiner öffentlichen Finanzierung zu einem „Erfolgsmodel“ geworden,
erklärte damals Medienhistoriker Hans-Ulrich Wagner in Deutschlandfunk Kultur
, und ergänzte: „mit Modelcharakter für Deutschland und ganz Europa“. In seiner Geschichte habe die Rundfunkanstalt stets ausgezeichnet, möglichst staatsfern zu agieren. Und über viele Jahre sei das auch gut gelungen. Doch zuletzt habe die BBC „massiv unter politischem Druck“ gestanden.
Über ein weiteres mögliches Beispiel für diesen Druck berichtete fast zeitgleich zum Lineker-Streit der "Guardian": Die BBC habe beschlossen, eine Folge von David Attenboroughs neuer hochgelobten Serie über die britische Tierwelt nicht auszustrahlen, hieß es in der Tageszeitung. Denn die BBC befürchte, dass die darin enthaltenen Themen über die Zerstörung der Natur "einen Gegenschlag von Tory-Politikern und der rechten Presse riskieren würden".
Die BBC wies diese Darstellung allerdings zurück: Man habe niemals vorgehabt, diese eine Folge, von insgesamt sechs, im TV auszustrahlen. Darauf weist auch der britische Medienjournalist Jake Kanter auf Twitter hin.
Die Mitarbeitenden der BBC stünden unter starkem Druck der konservativen Regierung, sagte London-Korrespondentin Christine Heuer im Deutschlandfunk, „und mein Eindruck ist, dass sie zunehmend darauf reagieren“. Das sehe man auch daran, dass jüngst immer mehr den Sender verlassen hätten.
Medienhistoriker: Politik wollte schon immer Einfluss nehmen
Neu seien Versuche politischer Einflussnahme zwar nicht, betonte Hans-Ulrich Wagner schon 2022. Der Versuch der Politik, „das Massenmedium Rundfunk immer mehr unter die jeweilige Kontrolle zu bringen“, ziehe sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der BBC. Und auch die Finanzierung über einen Rundfunkbeitrag sei schon immer umstritten gewesen.
Zurzeit geschehe all das aber eben vor dem Hintergrund eines „gigantischen Medienwandels“, erklärte der Wissenschaftler vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg.
„Die BBC ist quasi ein Nationalheiligtum für die Briten“
Vor dem Hintergrund dieser bis heute anhaltenden Entwicklung könne sie sich gut vorstellen, so Medienforscherin Alexandra Borchardt, „dass da möglicherweise schon die Schere im Kopf vorherrscht, bestimmte Themen betreffend, die vielleicht bei den Tories auf Widerstand stoßen könnten“. Andererseits betont sie, dass sie BBC auch „niemals abqualifizieren“ würde.
Die Kultur der öffentlichen Debatte innerhalb der BBC und darüber hinaus in Großbritannien sei stark ausgeprägt. „Die BBC ist quasi ein Nationalheiligtum für die Briten, deshalb ist es wichtig, dass solche Konflikte nach außen getragen werden“, so Borchardt. „Es hat immer wieder Druck gegeben, zum Beispiel auch bei zweifelhaften Entscheidungen zu den Themen Diversität oder Klimaberichterstattung. Durch die entsprechenden Debatten haben sich die Kultur und das Regelwerk stets weiterentwickelt.“ Darauf vertraue sie auch dieses Mal.
Lineker: Am Ende Dank an den BBC-Generaldirektor
Die BBC habe eine Untersuchung der eigenen Unabhängigkeitsregeln angekündigt, berichtet Deutschlandfunk-Korrespondentin Christine Heuer. Hierbei gehe es auch um die Frage, wie sich Mitarbeitende in Sozialen Netzwerken äußern dürfen. Heute habe Gary Lineker erst einmal "einen Sieg eingefahren", so Heuer.
Er sei „stolz darauf, für die beste und fairste Rundfunkanstalt der Welt zu arbeiten“, kommentierte indes Lineker selbst seine angekündigte TV-Rückkehr auf Twitter, wo ihm fast neun Millionen Menschen folgen.
So schwierig die letzten Tage auch gewesen seien, „es ist nichts im Vergleich dazu, wenn man vor Verfolgung oder Krieg aus seiner Heimat fliehen und in einem fernen Land Zuflucht suchen muss“, schreibt Lineker weiter – und bezieht sich dabei auf seine ursprüngliche Kritik an der Asyl- und Migrationspolitik der Tory-Regierung, die zu der gesamten Kontroverse geführt hatte. Großbritannien bleibe ein Land „mit überwiegend toleranten, gastfreundlichen und großzügigen Menschen“.
Außerdem wolle er BBC-Generaldirektor Tim Davie für sein Verständnis in dieser schwierigen Zeit danken. Dieser habe eine fast unmögliche Aufgabe, alle bei Laune zu halten, insbesondere im Bereich der Unparteilichkeit. „Ich freue mich, dass wir den guten Kampf weiterhin gemeinsam führen werden“, so der Sportmoderator und frühere Fußball-Nationalspieler.