Jahrelang hatte die Witwe von Alexander Litwinenko in London darum gekämpft, eine öffentliche Untersuchung über den Tod ihres Mannes auf den Weg zu bringen. Umso größer war die Genugtuung von Marina Litwinenko vergangene Woche, als die britische Regierung ihrer Forderung zustimmte:
"Ich tue das für die Gerechtigkeit und Wahrheit. Ich möchte den Menschen zeigen, dass es möglich ist, auch in schwierigen Situationen Gerechtigkeit zu bekommen. Wir werden wieder Monate und möglicherweise Jahre warten müssen, aber am Ende werden wir die Wahrheit herausbekommen, ich glaube daran."
Ein schwieriger Fall
Was ist die Wahrheit in diesem komplizierten Fall? Fest steht, dass Alexander Litwinenko, ein ehemaliger KGB-Offizier und Kreml-Kritiker, 2006 in einem Londoner Hotel vergiftet wurde. Mit einer Tasse Tee, die Polonium enthielt. Er starb einige Tage später.
Unter Verdacht gerieten damals Andrej Lugowoi und Dimitri Kowtun, zwei frühere KGB-Mitarbeiter. Sie streiten die Tat bis heute ab. Die britischen Behörden erhoben Anklage, doch Moskau weigerte sich, die nach Russland zurückgekehrten Beschuldigten zu überstellen. Was folgte, war eine diplomatische Krise zwischen London und Moskau. Lugowoi ist mittlerweile Duma-Abgeordneter. Der Vorwurf, der Kreml selbst habe den Mord angeordnet, blieb im Raum.
Marina Litwinenko teilt diesen Vorwurf. Sie erwartet allerdings mit Blick auf die Beschuldigten keinen Fortschritt, egal wie die öffentliche Untersuchung ausgeht:
"Herr Putin selbst hat gesagt, dass es der russischen Verfassung widerspricht, einen russischen Bürger auszuliefern, und ich glaube nicht, dass er seine Meinung ändert. Dazu müsste sich in Russland rund um Fragen der Auslieferung vieles gründlich ändern."
Vorteil einer neuen Untersuchung
Aber was soll diese öffentliche Untersuchung dann an Neuigkeiten bringen? Elena Tsirlina, Anwältin von Marina Litwinienko, bringt es auf den Punkt:
"Der Vorteil einer öffentlichen Untersuchung besteht darin, dass der Vorsitzende Richter nun Dokumente bekommt, die ihm während des ersten, internen Verfahrens nicht zur Verfügung gestellt wurden. Er kann das Material verwenden, auch wenn es nicht veröffentlicht wird."
Genau das ist der Kern der neuen Untersuchung. Denn bei diesen Dokumenten handelt es sich um Papiere des britischen Geheimdienstes. Richter Sir Robert Owen hatte sie im letzten Verfahren angefordert, um sich ein komplettes Bild zu machen. Denn Marina Litwinenko sagt, ihr Mann habe für den britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet.
Gezielte diplomatische Spitze gegen Moskau
Vor gut einem Jahr hatte das britische Innenministerium es noch abgelehnt, Papiere dazu zur Verfügung zu stellen. Ministerin Theresa May hatte das damals damit begründet, es spielten auch internationale Beziehungen eine Rolle. Marina Litwinenko wertete das als durchsichtigen, politischen Versuch, die britisch-russischen Beziehungen wieder zu verbessern. Sie klagte vor dem High Court und bekam im Februar recht für ihren Anspruch auf eine öffentliche Untersuchung mit allen Unterlagen. Doch die Regierung reagierte nicht.
Dass sie ausgerechnet jetzt, mitten in der Zuspitzung der Ukraine-Krise zustimmt und nach Angaben eines Sprechers dem Richter auch geheime Papiere zur Verfügung stellen will, werten viele Beobachter als gezielte diplomatische Spitze gegen Moskau.
In Russland wird dieses zeitliche Zusammentreffen jedenfalls nicht als Zufall gesehen, berichtet BBC-Russland-Experte Famil Ismailov in seinem Sender:
"Wenn sie in die sozialen Medien in Russland schauen, sehen sie viele Einträge, in denen argumentiert wird, der Westen suche nur nach einer neuen Verschwörung, um Russland und Präsident Putin zu diskreditieren."
Marina Litwinenko jedenfalls sagt, sie hoffe, die Untersuchung sorge dafür, dass die vielen Spekulationen um den Tod ihres Mannes endlich einmal endeten.