Mario Dobovisek: Was war er doch am Ende für eine Posse, der Streit um Hans-Georg Maaßen als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ich versuche mal eine Zusammenfassung: Maaßen fällt auf mit, sagen wir, sehr konservativen Positionen, als entschiedener Gegner der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zum Beispiel. Dann äußert er sich zum Geschehen in Chemnitz, wo erst ein Mensch getötet wird, vermutlich von einem Asylbewerber, und dann rechte Proteste eskalieren. Politiker und Medien sprechen über Hetzjagden auf Ausländer; Maaßen sagt der "Bild"-Zeitung, solche Hetzjagden hätte es nie gegeben, das seien gezielte Falschinformationen. Daran zerbrach beinahe die Große Koalition. "Maaßen muss weg", forderte die SPD vehement.
Dann wollte Innenminister Horst Seehofer ihn zum Staatssekretär befördern, nach heftiger Kritik nur noch zum Sonderberater. Doch auch daraus wird nichts; Grund ist der Text von Maaßens Abschiedsrede vor europäischen Kollegen, über die wir seit gestern berichten. Weiter sieht er sich als Opfer und greift heftig SPD-Politiker und Medien an. Das Vertrauen des Innenministers jedenfalls hat er damit verloren und wird in den einstweiligen Ruhestand versetzt. – Darüber möchte ich an diesem Morgen sprechen mit Patrick Sensburg, CDU-Innenpolitiker und Mitglied des für die Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag. Guten Morgen, Herr Sensburg.
Patrick Sensburg: Schönen guten Morgen! Ich grüße Sie.
"Maaßen hat ein wirklich gute Arbeit in den letzten Jahren gemacht"
Dobovisek: SPD-Vizekanzler Olaf Scholz kommentierte gestern: "Die richtige Entscheidung, aber viel zu spät." – Teilen Sie diese Auffassung?
Sensburg: Nein. Ich glaube einmal – und das müssen wir festhalten -, dass Hans-Georg Maaßen als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine wirklich gute Arbeit in den letzten Jahren gemacht hat. Es sind mehrere Anschläge durch den Verfassungsschutz verhindert worden, erst vor einigen Monaten der Anschlag, der mit Rizin durchgeführt werden sollte. Da muss man zum einen konstatieren, Maaßen hat eine gute Arbeit in der Sache gemacht.
Das Interview, über das wir alle geredet haben, in der "Bild"-Zeitung war mehr als unglücklich. Das hat Maaßen auch betont. Damit hätte die Geschichte eigentlich beendet sein müssen. Das hätte gar nicht so einen Aufschrei geben müssen, schon gar nicht eine Koalitionskrise.
Dass er jetzt an den Äußerungen festgehalten hat und auch unglücklich formuliert hat, linksradikale Kräfte in der SPD hätten …
Dobovisek: Unglücklich formuliert ist schön ausgedrückt. Das ist ja doch ein bisschen härter, als Sie jetzt den Anschein erwecken lassen.
Sensburg: Ja! Ich sage unglücklich, weil man, glaube ich, nicht von linksradikalen Kräften in der SPD reden kann. Dass er verärgert war, dass ihm sehr viel unterstellt worden ist, was sich nachträglich als nicht wahr erwiesen hat, das kann ich wiederum verstehen. Ihm ist vorgeworfen worden, er hätte nicht erzählt, dass es V-Leute im Umfeld von Anis Amri gegeben hat. Die hat es auch nicht gegeben.
Ihm ist vorgeworfen worden, er hätte sich mit AfD-Politikern getroffen. Er hat sich mit allen getroffen, viel mehr mit Politikern der Linken, der SPD, der CDU/CSU, der Grünen als mit der AfD. Viele Sachen, die dann unterstellt worden sind, die sich als nicht wahr erwiesen haben. Dass er verärgert war, kann ich verstehen, aber so eine Formulierung gehört sich nicht.
Dobovisek: Nun ist ja dieser Redetext ein Beweis dafür, wie Maaßen ganz offensichtlich tickt und getickt hat. Die SPD hatte schneller das Vertrauen in Maaßen verloren als der Innenminister oder auch Sie, Herr Sensburg. Warum haben Sie nicht gesehen, was die SPD schon früher erkannt hatte?
Sensburg: Ich glaube, die SPD hat auch ihr eigenes Erklärungsmuster. Sie war ja selbst in der Sitzung des Innenausschusses, wo Maaßen sich erklärt hat, nicht für einen Rücktritt. Die Redner, die sich vor die Mikrophone gestellt haben, haben es bedauert, wie Maaßen sich geäußert hat, aber von Rücktritt war keine Rede.
Dann in der Nacht hat sich das Meinungsbild in der SPD total geändert und man hat den Rücktritt gefordert. Ich glaube, das war eher ein eigenes Zeichen der Stärke, dass man jetzt in der Koalition was durchsetzen möchte. Das macht man aber nicht auf dem Rücken von Beamten.
Dobovisek: Ist es am Ende vor allem Horst Seehofer, der für die Misere verantwortlich ist?
Sensburg: Ob Horst Seehofer da glücklich agiert hat, kann ich nicht beurteilen, weil ich die Interna natürlich nicht kenne, die im Innenministerium vorliegen.
"Hin und Her hat Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Politik zerstört"
Dobovisek: Aber Sie kennen ja das, was öffentlich ist.
Sensburg: Auf jeden Fall war es ein Hin und Her in den letzten Wochen und das hat sicherlich Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Politik zerstört. Deswegen gehe ich davon aus, dass es jetzt klare Entscheidungen geben muss, wer der Nachfolger von Hans-Georg Maaßen wird. Das muss eine gute Entscheidung werden, denn wir brauchen Ruhe im Bundesamt für Verfassungsschutz, denn wir brauchen dessen Tätigkeit.
Dobovisek: Wir müssen ja an diesem Morgen wieder über diese Personalie reden, weil sie nicht, wie in funktionierenden Koalitionen üblich, geräuschlos gelöst wurde, sondern ein ohrenbetäubendes Politgetöse mit sich brachte. Viele Politikwissenschaftler sehen deshalb einen immensen Schaden, den die Politik damit insgesamt genommen hat. Wie groß ist der Schaden Ihrer Meinung nach für Seehofer, für die Große Koalition, für die Politik insgesamt?
Sensburg: Dass sich die Spitzen der drei Parteien, CDU/CSU und SPD, bezüglich einer Personalie treffen müssen, mehrmals treffen müssen, und so etwas über Wochen geht, ist mehr als unglücklich, und das hat sicherlich auch in den vergangenen Landtagswahlen eine Rolle gespielt. Welche Darstellungsform hat die Große Koalition? Das war nicht gut. Deswegen ist ganz entscheidend, dass dies jetzt ein Ende hat, dass es klare Personalentscheidungen gibt in den entsprechenden Ministerien, und dass unsere Ämter, unsere Behörden auch ihre Arbeit machen können, denn das müssen sie.
Dobovisek: Hans-Georg Maaßen sieht Verschwörer, linke Politiker, Medien, Medienmanipulation. Angela Merkels Flüchtlingspolitik nennt er idealistisch, naiv und links, und bezeichnet, wie Sie selber schon zitiert haben, Teile der SPD als linksradikal. Ist Maaßen demnach für Sie rechtsradikal?
Sensburg: Nein. Maaßen hat über seinen ganzen Werdegang hinweg, auch über die Führung des Bundesamtes für Verfassungsschutz immer wieder bewiesen, dass er auf dem Boden der Demokratie steht, dass er die freiheitlich-demokratische Grundordnung schützt.
"Maaßen war weder auf dem linken, noch auf dem rechten Auge blind"
Dobovisek: Das sagen Rechtsradikale von sich auch, dass sie auf dem Boden der Demokratie stehen.
Sensburg: Ja! Da ist aber ein Unterschied festzustellen in dem, was sie sagen und was sie tun. Maaßen hat vor einer starken Migration gewarnt. Die Situation haben wir jetzt. Maaßen hat aber immer wieder auch Lösungsvorschläge aufgezeigt. Er hat vor Rechtsradikalisierung der Gesellschaft gewarnt. Er ist weder auf dem linken, noch auf dem rechten Auge blind gewesen, hat dort auch immer wieder …
Dobovisek: Was macht Sie da so sicher?
Sensburg: Dass ich viel erlebt habe im Parlamentarischen Kontrollgremium, im Innenausschuss, wo er immer wieder gesagt hat, zum Beispiel, wir prüfen ob ein Verfahren gegen die AfD eingeleitet werden kann, dass man die AfD überwacht. Da hat er die Landesverfassungsschutzämter gebeten, ihm zuzuliefern. Das ist jetzt auch geschehen. Ich denke, in diesem Monat wird eine Entscheidung getroffen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Da hat er Dinge angestoßen, die er nicht gemacht hätte, würde man ihm so etwas vorwerfen können.
Dobovisek: Na ja. Sie selbst halten ja eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz für notwendig, habe ich nachgelesen.
Sensburg: Richtig.
Dobovisek: Bisher ist das jedoch nicht geschehen. Auch weil jemand an der Spitze des Bundesamtes saß, der, nun ja, mit vielen Ideen der AfD sympathisiert?
Sensburg: Das muss ich deutlich bestreiten.
"Er hat auch Taten aufgedeckt, die zu Anschlägen geführt hätten"
Dobovisek: Warum?
Sensburg: Er hat frühzeitig, Anfang des Jahres, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Konferenz der Landesverfassungsschutzämter die Landesverfassungsschutzämter gebeten zuzuliefern. Das ist notwendig, das kann nicht das Bundesamt zentral machen. Die Länder haben teilweise nicht zugeliefert, auch da, wo SPD-Innenminister in den Ländern im Amt sind.
Von daher: Da hätte man sich auch eine schnellere Zulieferung aus den Bundesländern gewünscht. Das ist aber jetzt geschehen, im Herbst diesen Jahres, und ich denke, dass in diesem Monat dann auch ein abschließender Bericht kommen wird. Der wäre auch mit Hans-Georg Maaßen gekommen, denn er hat das angestoßen. Von daher kann ich nicht sagen, er hätte das verhindert. Ganz im Gegenteil: Er hat es ja angestoßen.
Dobovisek: Wenn Sie Hans-Georg Maaßen insgesamt für seine Arbeit so loben, ist es dann ein Verlust, dass er geht?
Sensburg: Ich glaube, er hat, was die fachliche Arbeit betrifft, wirklich eine exzellente Arbeit geleistet. Der Verfassungsschutz macht seine Arbeit. Er hat auch Taten aufgedeckt, die zu Anschlägen geführt hätten. Aber er war in der Formulierung, in der Kommunikation doch bei dem einen oder anderen Punkt mehr als unglücklich. Das würde ich mir von einem Spitzenbeamten wünschen, dass er mehr Zurückhaltung übt. Das können Politiker machen, die können sich zu jedem Thema gerne äußern. Aber von unseren Spitzenbeamten erwarte ich doch etwas Zurückhaltung.
Dobovisek: Vielleicht wird er ja Politiker, vielleicht in der AfD. Das liegt ja offenbar sehr nahe beieinander, und AfD-Chef Meuthen lädt ihn ja schon indirekt ein. Wie sehen Sie das?
Sensburg: Das liegt nach meiner Meinung gar nicht nah beieinander, und ich bin mir sehr sicher, dass sich Hans-Georg Maaßen ganz bestimmt nicht dazu hinreißen lässt, für die AfD zu kandidieren oder dort mitzumachen. Sonst würde ich mich sehr täuschen.
Dobovisek: Es wird der bisherige Vize beim Verfassungsschutz die Arbeit übernehmen. Thomas Haldenwang heißt er. Was halten Sie von ihm und seiner Arbeit? Wird sich damit etwas ändern an der Arbeit des Verfassungsschutzes?
Sensburg: Thomas Haldenwang hat nach meiner Meinung schon bisher als Vizepräsident eine exzellente Arbeit gemacht. Jetzt in der sogenannten Interimsphase hat er das auch. Er arbeitet sowohl mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium als auch mit dem Innenausschuss sehr gut zusammen. Das sagen mir eigentlich alle Kollegen, alle Kollegen unterschiedlicher Fraktionen. Von daher könnte ich mir sogar vorstellen, dass Thomas Haldenwang dann auch der neue Präsident des Verfassungsschutzes wird. Aber das ist natürlich eine Entscheidung, die erst der Innenminister treffen muss. Dann muss er sie ins Kabinett einbringen. Ich hoffe, dass er diese Entscheidung zeitnah treffen wird.
Dobovisek: Und wird der Innenminister dann noch Horst Seehofer heißen?
Sensburg: Da gehe ich erst mal von aus. Aber das ist eine Entscheidung, die in der CSU getroffen werden muss, die Horst Seehofer treffen muss, welche Stärke hat er in der Koalition. Da, glaube ich, braucht er keinen Ratschlag eines CDU-Abgeordneten.
Dobovisek: Patrick Sensburg, für die CDU im Bundestag und dort Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.