Lebenslange Haftstrafe
Der Fall Osman Kavala

Im Streit um den Kulturmäzen Osman Kavala, der seit mehr als vier Jahren in Haft sitzt, gibt es ein Urteil. Ein türkisches Gericht hat ihn wegen Unterstützung der Massenproteste im Jahr 2013 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Bundesregierung fordert seine sofortige Freilassung.

    Demonstranten bei einem Unterstützungsmarsch für den Kulturförderer Osman Kavala. Er war am Montag (25.4.2022) wegen des Vorwurfs des versuchten Umsturzes der Regierung von einem Gericht in Istanbul zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
    Demonstranten bei einem Unterstützungsmarsch für den Kulturförderer Osman Kavala. Er war am Montag (25.4.2022) wegen des Vorwurfs des versuchten Umsturzes der Regierung von einem Gericht in Istanbul zu lebenslanger Haft verurteilt worden. (AFP / Yasin Akgul)
    Der türkische Menschenrechtsaktivist und Kulturmäzen Osman Kavala saß über vier Jahre ohne Urteil im Gefängnis. Der Vorwurf: Unterstützung der Gezi-Massenproteste im Jahr 2013. Am 25.4.2022 wurde er wegen des Vorwurfs des versuchten Umsturzes der Regierung zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht in Istanbul schloss die Möglichkeit einer Entlassung des 64-Jährigen auf Bewährung aus. 

    Der Fall Osman Kavala


    Wer ist Osman Kavala?

    Osman Kavala ist ein türkischer Unternehmer, Kunstmäzen und Menschenrechtsaktivist. Mit seiner Stiftung Anadolu Kültür in der Türkei hatte er es sich zum Ziel gesetzt, Kunst und Kultur zu fördern. Er finanziert auch Gruppen, die sich Tabuthemen und kritischen Fragen nähern und sich unter anderem mit armenischer Kultur und Geschichte beschäftigen. Die Stiftung unterhält auch ein Büro im kurdischen Diyarbakir und hat auch mit dem deutschen Goethe-Institut zusammengearbeitet. Er gehörte zudem zu den Gründern des türkischen Zweigs der Open Society Foundation des US-Philanthropen George Soros, dem Feindbild vieler Populisten.
    Der türkische Kunstmäzen und Menschenrechtsaktivist Osman Kavala
    Der türkische Kunstmäzen und Menschenrechtsaktivist Osman Kavala (AFP/ Anadolu Culture Center )

    Was wird Osman Kavala vorgeworfen?

    Osman Kavala wurde im Oktober 2017 verhaftet. Er saß seither im Hochsicherheitsgefängnis Silivri in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe im Verfahren lauteten gemäß der Anklageschrift Umsturzversuch im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013. Die Proteste im Gezi-Park hatten sich an Bebauungsplänen für den Park in Istanbul entzündet und zu monatelangen regierungskritischen Demonstrationen im ganzen Land ausgeweitet. Der heutige türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war damals Ministerpräsident.
    Kavala hatte immer wieder seine Unschuld beteuert. Anfang 2020 war auch ein türkisches Gericht zu diesem Schluss gekommen und hatte Kavala von allen Vorwürfen freigesprochen. Noch am selben Tag wurde aber ein neues Verfahren gegen ihn eröffnet - angeblich sei er in die Putschversuche von 2016 verwickelt gewesen. Daraufhin musste der Kulturmäzen in Haft bleiben.
    Das Verfahren wurde neu aufgerollt und es kam der Anklagepunkt der Spionage hinzu. Von dem Spionage-Vorwurf wurde Kavala freigesprochen. Er hatte alle Vorwürfe stets als "Verschwörungstheorien" bezeichnet und sich als Opfer politischer Instrumentalisierung von Seiten der Regierung gesehen.
    Schließlich verurteilte ein Gericht ihn am 25.04.2022 zu einer lebenslangen Haftstrafe unter erschwerten Bedingungen. Eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung ist dadurch unmöglich. Angeklagte, die gleichzeitig mit Osman Kavala vor Gericht erschienen, wurden zu 18 Jahren Haft verurteilt. Ihnen wurde Beihilfe zum Putschversuch vorgeworfen. 
    Trösten könne ihn nur, "wenn das, was ich durchgemacht habe, dazu beitragen würde, schweren Justizfehlern ein Ende zu setzen", sagte der 64-Jährige Kavala in seiner Abschlusserklärung vor der Urteilsverkündung.
    Bei den Protesten im Gezi-Park ging es ursprünglich um die geplante Abholzung von Bäumen und den Bau eines Einkaufszentrums. Die Proteste weiteten sich damals zu landesweiten Demonstrationen gegen die Politik der türkischen Regierung aus. Diese ließ die Proteste brutal niederschlagen.

    Wie lautet die Kritik am Urteil?

    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte die sofortige Freilassung Kavalas. Das Gerichtsurteil stehe in krassem Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Standards und internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die Türkei als Mitglied des Europarats und als EU-Beitrittskandidat bekenne, sagte Baerbock.
    Auch die Vereinigten Staaten zeigten sich – so wörtlich – zutiefst beunruhigt über die Verurteilung des Menschenrechtlers. Das Urteil sei ungerecht und unvereinbar mit der Achtung der Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit. Zudem kritisierten die deutsche Autorenvereinigung PEN und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International den Prozess gegen Kavala scharf. Der PEN-Präsident und Journalist Deniz Yücel nannte im Deutschlandfunk das Verfahren "eine reine Farce".
    Kulturstaatsministerin Claudia Roth sprach von einem „kafkaesken Verfahren“. Die Verurteilung Kavalas sei ein Schlag gegen die Zivilgesellschaft und die Demokratie in der Türkei, sagte die Grünen-Politikerin im Deutschlandfunk und forderte klare und harte Reaktionen von europäischer und deutscher Seite - aus Politik, Wirtschaft und etwa von Partnerstädten.

    Welche Strafen könnten der Türkei drohen?

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte bereits 2019 Kavalas Freilassung gefordert und sprach von einem politisch motivierten Verfahren. Das Urteil wurde 2020 rechtskräftig. Im September 2020 hat der Europarat der Türkei unter Verweis auf das Urteil mit Disziplinarmaßnahmen gedroht, falls sie Osman Kavala nicht bis Ende November freilässt. Dem ist die Türkei nicht nachgekommen. Schließlich leitete der Europarat im Dezember 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Davon ließ sich die Regierung nicht beeindrucken. Kavala sei ja im Februar 2020 freigesprochen worden, aber es habe eben neue Anklagepunkt gegeben, hieß es aus Ankara.
    Am Ende des Vertragsverletzungsverfahren kann die Suspension oder sogar der Ausschluss aus der Organisation stehen. Als Mitgliedsstaat ist die Türkei an Beschlüsse des Europarats gebunden.

    Warum geht Erdogan auf Konfrontationskurs?

    Zu einem regelrechten Eklat kam es im Oktober vergangenen Jahres. Am 23. Oktober 2021 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zehn ausländische Botschafter zu "unerwünschten Personen" erklärt, weil diese in einem Brief Kavalas Freilassung gefordert hatten. Unter ihnen waren Vertreter Deutschlands, Frankreichs und der USA – also Bündnispartner der Türkei in der NATO. Es ist ein Schritt, auf den üblicherweise die Ausweisung erfolgt. Von der angedrohten Ausweisung der westlichen Diplomaten rückte Erdogan zwei Tage später jedoch wieder ab.
    Dass Erdogan im Fall Kavala so auf Konfrontation ging, wurde in Berlin damit erklärt, dass der Präsident angesichts der wirtschaftlichen Krise seines Landes und der enormen Verschuldung zunehmend unter Druck gerät. "Erdogan steht mit dem Rücken zur Wand", sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt am 27.10. 2021 damals im Deutschlandfunk.
    Tatsächlich wurde das Vorgehen der Botschafter auch im Westen durchaus als ungewöhnliches Zeichen gewertet. Zum Teil gibt es Kritik, der offene Brief sei undiplomatisch und Erdogans Reaktion absehbar gewesen.
    Quellen: Frank Capellan, Karin Senz, Diana Hodali