Archiv

Der Fall Skripal
"Wir werden ganz offen mit Lügen aus Russland konfrontiert"

Der Anschlag auf den russischen Ex-Spion Skripal in Großbritannien sei kein Einzelfall, meint die Grünen-Politikerin Marieluise Beck. Im Dlf verwies die auf "eine größere Anzahl von Ermordeten auch in unseren westlichen Ländern". Von russischer Seite werde bei der Aufklärung nie konstruktiv mitgearbeitet.

Marieluise Beck im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Die Politikerin Marieluise Beck saß bis 2017 für die Grünen im Bundestag, war Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei und hat dann die Berliner Denkfabrik Zentrum für Liberale Moderne mitgegründet.
    Die Politikerin Marieluise Beck saß bis 2017 für die Grünen im Bundestag, war Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei und hat dann die Berliner Denkfabrik Zentrum für Liberale Moderne mitgegründet. (picture alliance / Revierfoto/dpa)
    Sarah Zerback: Die EU bereitet sich darauf vor, sich geschlossen zu dem Giftanschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergei Skripal zu positionieren und damit auch gegen Russland, das London und seine NATO-Partner dahinter vermuten. In Moskau fühlt man sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Ein Thema, das so kurz vor den Präsidentschaftswahlen auch im Wahlkampf eine große Rolle gespielt hat, wie Markus Sambale berichtet.
    Markus Sambale berichtete über Präsident Putin, der zumindest im eigenen Land alternativlos ist und sich dort um seine Beliebtheit keine Sorgen machen muss. Ganz anders der Blick aus dem Ausland. Krim-Krise und der diplomatische Clinch mit London und seinen europäischen Partnern, der NATO auch, handeln ihm da mächtig Kritik ein. Im Mittelpunkt der Giftgasanschlag auf einen ehemaligen Agenten in England. Und am Telefon begrüße ich jetzt Marieluise Beck. Sie saß bis 2017 für die Grünen im Bundestag, war Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei und hat dann die Berliner Denkfabrik Zentrum für Liberale Moderne mitgegründet. Guten Morgen, Frau Beck!
    Marieluise Beck: Guten Morgen, Frau Zerback!
    "Eine erdrückende Indizienkette und eine hohe Plausibilität"
    Zerback: Für London war ja sehr schnell klar, Russland hat es entwickelt, Russland hat es schon mal eingesetzt, Russland muss dafür büßen. Schießt Theresa May da nicht meilenweit übers Ziel hinaus?
    Beck: Es gibt in der Tat keine Beweise. Wir hatten sie aber auch nie bei ähnlichen Fällen. Aber eine erdrückende Indizienkette und eine hohe Plausibilität. Ich sehe diesen versuchten Mord im Zusammenhang mit dem Fall Litwinenko. In diesem Fall führten alle Spuren des Poloniums bis hin zum Flugticket und den Kreditkarten zu dem Mann Lugowoj. Der hatte sich aber inzwischen bereits nach Russland wieder abgesetzt und sitzt jetzt, und das geschieht nicht ohne Zutun von Präsident Putin, in der Duma als Abgeordneter. Insofern also gibt es doch sehr viele Parallelitäten. Es geht immer um Geheimdienstleute, die sich abgesetzt haben und damit ihren eigenen Laden verraten. Das geschieht unter Geheimdienstlern und insbesondere im Auslandsgeheimdienst Russlands nicht ohne Konsequenzen.
    Zerback: Und doch sprechen auch Sie jetzt von Indizien. Unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist, gilt das für Russland nicht?
    Beck: Augenblick bitte. Ich finde, wir sollten einerseits über Rechtsstaatlichkeit sprechen. Im Fall Litwinenko waren tatsächlich rechtsstaatliche Verfahren abgehalten worden. Die dauerten allerdings lange. Und wir müssen über politische Wertungen sprechen, wenn es um Plausibilität geht. Und in diesem Fall ist die Plausibilität sehr hoch. Zumindest müsste Russland ja beantworten, wo dieses Giftgas, das in russischen Laboratorien hergestellt worden war, wie es denn kommen kann, dass das in London auftaucht.
    "Die Beweise werden schlichtweg mit den Menschen vernichtet"
    Zerback: Also allein schon bei diesem Punkt würde Ihnen jetzt zum Beispiel der Biowaffenexperte von der Linken, Jan van Aken, widersprechen. Der sagt, das Gift Nowitschok, das ist nicht schwierig herzustellen, und das können nicht nur die Russen gemacht haben.
    Beck: Wir haben immer in solchen Fällen unendlich viele Verschwörungstheorien von denen, die es einfach nicht glauben wollen, und das ist, glaube ich, das Hauptproblem. Wenn Sie sich näher mit Russland beschäftigen, sehen Sie eine Kette von Auftragsmorden, die immer in solchen unsichtbaren und letztlich schwer verfolgbaren Beweisketten lagen, oder wo die Beweise schlichtweg mit den Menschen vernichtet worden sind. Das ist übrigens auch im Fall Litwinenko so, wo es eine russische eigenständige Kommission gab. Und ein größerer Teil der Mitglieder ist dann auf unerfindliche Weise ums Leben gekommen.
    "Nie arbeitet Russland konstruktiv mit"
    Zerback: Gut, aber Frau Beck, lassen Sie uns doch vielleicht noch mal bei dem aktuellen Fall bleiben. Also, Verschwörungstheorien, die funktionieren ja leider nicht nur in eine Richtung, und die gibt es auch nicht nur aus Russland. Aber das normale Procedere in einem solchen Fall wäre doch, dass die Organisation zum Verbot von Chemiewaffen eingeschaltet wird und der beschuldigte Staat, der hat dann zehn Tage Zeit zu reagieren. Und stattdessen gab es jetzt dieses 24-Stunden-Ultimatum aus London. War das nicht klar, dass man damit Moskau provoziert?
    Beck: Ich sehe nicht, dass der Kreml so zart besaitet ist, dass er sich provoziert fühlt, sondern ich sehe, dass wir diese Erfahrungen vor dem Hintergrund machen, dass wir ganz offen mit Lügen konfrontiert werden aus Russland. Ich erinnere an die Krim, wo der Präsident persönlich und der Außenminister sagten, kein einziger russischer Soldat ist beteiligt gewesen an der Übernahme der Krim, und wenige Wochen später brüstet sich sogar der russische Präsident, wie klug und erfolgreich die russischen Soldaten auf der Krim vorgegangen sind. Das ist das Hauptproblem. Auch bei MH17 – alle Spuren führen nach Russland. Es ist faktisch belegt, dass es sich um einen russischen Raketenwerfer gehandelt hat, der dieses Flugzeug mit 299 Zivilisten vom Himmel geholt hat. Nie arbeitet Russland konstruktiv mit, sondern es gibt immer die Vorwärtsverteidigung.
    Zerback: Okay, Frau Beck, Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche, aber wenn man da Ihrer Argumentation einfach mal folgen will, dann frage ich mich trotzdem, warum man damit jetzt sich so angreifbar macht? Wenn man eigentlich sich doch auf der Seite des Rechts sieht, dann verstehe ich nicht, warum Theresa May sich da so angreifbar macht, mit ihr auch alle NATO-Staaten, die ihr sofort beigesprungen sind, ganz vorn mit dabei auch Deutschland, warum man da nicht einfach gesagt hat, wir warten jetzt die Ergebnisse einfach mal die paar Tage ab? Das wäre doch dann sauber gewesen.
    Beck: Ich kann Ihnen da nicht widersprechen. Dieses Verfahren einzuleiten, halte ich für vernünftig, das kann auch jetzt noch getan werden.
    "Der Beteiligte wird geschützt, indem man ihn in die Duma setzt"
    Zerback: Die OPCW ist jetzt eingeschaltet, das ist jetzt heute Nacht bestätigt worden.
    Beck: Genau, sehen Sie. Trotzdem meine ich, dass wenn wir bereit sind hinzuschauen, dass von russischer Seite und vom Kreml nie aktiv und konstruktiv mitgearbeitet wird bei der Aufklärung von solchen Fällen. Und ich sage noch einmal, bei Litwinenko hat es ein sehr lang währendes, sauberes staatsanwaltliches Rechercheverfahren gegeben in London, und dieser Beteiligte, auf den alle Indizien zeigen, wird geschützt, indem man ihn in die Duma setzt als Abgeordneten. Das sind schon Zeichen, die das Vertrauen in den Kreml, dass er bereit ist, an solchen Fragen mitzuarbeiten, doch sehr schwächen.
    Zerback: Stellt sich ja aber trotzdem weiterhin die Frage nach dem Motiv. Welches Interesse sollte Russland denn haben, so kurz vor der Wahl, so kurz vor der WM auch im eigenen Land, so was zu inszenieren?
    Beck: Ich sage nicht, dass Russland das Interesse hat. Ich würde im Augenblick zunächst einmal von Geheimdiensten sprechen. Es gibt, insbesondere im Auslandsgeheimdienst GRU, eine ungeschriebene Regel, dass, wer sich gegen die eigene Institution stellt, das nicht ohne Konsequenzen tut. Das war der Fall Litwinenko, und das würde auch, obwohl viele Jahre vergangen sind, auf den Fall Skripal zutreffen. Insofern gibt es durchaus erkennbare Motive für diese Vergiftung, mit der wir es jetzt zu tun haben.
    "Es gibt eine größere Anzahl von Ermordeten auch in unseren Ländern"
    Zerback: Gestern Abend hat sich ja die Bundeskanzlerin mit dem französischen Präsidenten getroffen. Da war Russland auch ein wichtiges Thema, und es hieß, man habe eine gemeinsame Antwort auf die Attacke diskutiert. Wie sollte die denn Ihrer Meinung nach aussehen? Wie sollte die Bundesregierung reagieren?
    Beck: Zumindest ist es wichtig, dass wir nicht einfach hinweggehen über dieses Ereignis. Wie gesagt, es ist nicht der erste Fall, sondern es gibt eine größere Anzahl von Ermordeten auch in unseren westlichen Ländern, und darüber muss natürlich gesprochen werden. Wie kann es sein, dass Staatsbürger in unseren souveränen Ländern nicht mehr geschützt werden. Ich glaube, dass London –
    Zerback: Also die Mittel der Diplomatie, also Gespräche?
    Beck: Das ist natürlich das Mittel der Diplomatie, und das ist vor allen Dingen die Entschiedenheit, wirklich hinzuschauen und nicht Gras drüber wachsen zu lassen über die Angelegenheiten.
    Zerback: Also im Umkehrschluss auch keine Sanktionen?
    Beck: Das ist jetzt im Augenblick nicht zu diskutieren. Die Ausweisung dieser britischen Diplomaten in Anführungszeichen ist ja in der Regel eine Ausweisung von Geheimdienstleuten, übrigens auch bei uns in der russischen Botschaft Unter den Linden gehen die deutschen Dienste davon aus, dass etwa ein Drittel der dort eingetragenen Diplomaten eigentlich geheimdienstlichen Tätigkeiten nachgehen.
    Zerback: Klar ist ja auf jeden Fall, im eigenen Land schadet Putin auch dieser außenpolitische Konflikt nicht. Populär ist er, gewählt wird er wohl auch wieder. Irgendwas scheint er ja richtig zu machen?
    "Das ist keine Wahl, sondern das ist eine Akklamationsveranstaltung"
    Beck: Ich bin immer erstaunt, dass wir im Westen von Wahlen sprechen, obwohl es keine Kandidaten gibt, die nicht von Putin zugelassen worden sind. Beide Kandidaten, die eine echte Chance gehabt hätten, zumindest ein Nichteinverstandensein oder andere Wünsche zu dokumentieren, können nicht antreten. Boris Nemzow ist erschossen worden, und Navalny darf nicht antreten. Das ist keine Wahl mehr, wenn alle möglichen Kandidaten nicht antreten dürfen. Wenn es keine Kampagne gibt, wenn es keine freie Presse gibt, wenn es keine Zugangsmöglichkeiten für Kandidaten gibt für eine faire Wahlkampagne – das ist keine Wahl, sondern das ist eine Akklamationsveranstaltung, die am Sonntag stattfindet.
    Zerback: Und zusätzlich droht jetzt kurz vor der Wahl auch noch neuer Ärger um die Krim. Die Ukraine will Auslandsrussen davon abhalten, zu wählen. Das soll ja dort zum ersten Mal passieren, als Reaktion eben auf die Annexion dieser Protest jetzt. Wird die Ukraine damit durchkommen?
    Beck: Das wird letztlich eine Entscheidung sein, die sich in den Grenzen der Ukraine abspielt. Es ist eine Antwort auf die Tatsache, dass auf der Krim gewählt wird, obwohl nach allem internationalen Recht die Bewohner der Krim zum großen Teil ukrainische Staatsbürgerschaft haben und das Ganze sich abspielt auf einem völkerrechtswidrig annektierten Boden.
    Zerback: Und sind damit die Hoffnungen der Kanzlerin jetzt auch Geschichte, dass es nach den Wahlen da einen neuen Anlauf geben könnte, also Blauhelmsoldaten auf der Krim zu stationieren. Das hatte Putin ja unlängst gar nicht mehr ausgeschlossen.
    Beck: Niemand weiß, wie die Politik des Kreml sich nach diesen Wahlen entwickeln wird, ob sie sich vielleicht sogar verschärfen wird in der Repression, weil die Unruhe in den Clans hinter Putin größer sein wird. Wer wird die Nachfolge antreten und dabei dieses System aus KGB, aus Geld, aus Oligarchie und Staatsunternehmen und Politik dieses System so austariert zu halten, wie Putin das gelungen ist? Und es kann sein, dass das zu mehr Repressionen führt sogar. Es kann zu Unruhen führen. Es kann aber auch sein, es gibt einfach ein Weiter-so. Niemand kann das vorhersagen.
    Zerback: Das sagt Marieluise Beck von der Berliner Denkfabrik, dem Politikinstitut Zentrum für liberale Moderne. Herzlichen Dank für das Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk!
    Beck: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.