Nutzen Sie für Ihre Verteidigung jede erdenkliche Technik oder Waffe! In einer Situation auf Leben und Tod gibt es keine Regeln für einen fairen Kampf.
Wilhelm Boland: " Wenn man an einen Mammutbaum denkt, der wird ungefähr 5000 Jahre alt. Und in dieser Zeit muss er natürlich allen möglichen Finessen ausweichen können."
Pflanzen sind an einen Ort gebunden. Sie können nicht vor ihren Feinden fliehen. Dennoch sind sie ihnen nicht hilflos ausgeliefert. Wilhelm Boland erforscht am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena Abwehrstrategien von Pflanzen.
" In den 5000 Jahren der Existenz eines Mammutbaumes können Millionen von Generationen von Mikroorganismen entstehen. Die können alle möglichen Mutationen durchprobieren, in dieser Zeit, um dem Baum nachhaltig zu schaden. Sie schaffen es aber nicht".
Halten Sie den Täter auf Distanz! Vermeiden Sie Körperkontakt!
" Er hat natürlich eine Menge an direkten Strategien, das ist zum Beispiel eine ganz dichte Borke. Und die zu durchdringen für einen normalen Mikroorganismus ist fast unmöglich. Und so ein Prinzip wiederholt sich natürlich auf der Blattebene: Die Blätter sind in aller Regel mit Wachsschichten überzogen, und auch die zu durchdringen ist für einen Mikroorganismus ein Kunststück.
"
Zu den ältesten Feinden der Pflanzen gehören Mikroorganismen wie Pilze. Ihre winzigen Sporen sind allgegenwärtig: im Boden, im Wasser, in der Luft. Sobald eine Spore auf eine Pflanze trifft, keimt sie aus und versucht in die Pflanze hinein zu wachsen.
Auf einem Versuchsfeld am Stadtrand von Braunschweig werden Weizenpflanzen gezielt mit Pilzsporen der Gattung Fusarium infiziert. Hier überprüft die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft neu gezüchtete Weizensorten auf ihre Widerstandskraft gegenüber wichtigen Krankheitserregern.
Ein kleiner, offener Traktor mit einer Sprühanlage Marke Eigenbau fährt langsam über die nebeneinander liegenden Parzellen verschiedener Weizensorten. Bernd Rodemann vom Institut für Pflanzenschutz der Biologischen Bundesanstalt:
" Aus dem Spritzgestänge wird also diese Sporensuspension, diese Pilzlösung, herausgesprüht und durch die feinen Düsen gedrückt. Die Tropfen fallen von oben auf die Pflanzen herunter. Es wird dabei sehr langsam gefahren, damit die ganze Ähre von allen Seiten mit feinen Tropfen benetzt wird. "
Mit den Feldversuchen stellen die Forscher den landwirtschaftlichen Alltag nach. Um die Infektion genauer zu untersuchen, brauchen sie kontrollierte Wachstumsbedingungen.
Die haben sie im Gewächshaus. Hier ersetzt eine einfache Sprühflasche den Traktor mit Spritzanlage.
Bernd Rodemann: " Das ist wie ein feiner Nebel. Und man kann auf der Ähre sehen, dass das feine Tropfen sind, wo dann eben die Möglichkeit besteht, auszukeimen und die Pflanze zu infizieren."
Zwei Wochen nach der Pilzinfektion überprüfen die Wissenschaftler jede einzelne Pflanze - auf dem Versuchsfeld genau wie im Gewächshaus. Jede neu gezüchtete Nutzpflanze wird von der Biologischen Bundesanstalt auf ihre Widerstandskraft gegenüber den wichtigsten Krankheitserregern überprüft. Sie schauen sich an, ob der Pilz in die Ähre eingewachsen ist und wie stark die Schäden sind.
" Bei anfälligen Sorten kommt es zu einem starken Ausbleichen der Ähre. Mit einer leicht bräunlich werdenden Spelze: Bräunlich violett. Der Pilz ist eingewachsen. Durch Einwachsen in die Spindel kommt es zu weiterer Aufhellung: Wir sagen Ährenbleiche. Gleichzeitig führt dieses Wachstum in der Ähre dazu, dass keine Nährstoffe mehr von unten in die Ähre gelangen können . und man kann sehr schön sehen: eine hoch anfällige Sorte, die hoch ausgebleicht sind, wo überhaupt keine Körner sich mehr bilden. Das ist nur ein schrumpliges Kümmerkorn, wenn überhaupt. Ganz hell, ganz weiß, von Pilz überwachsen, eingefallen. Das hat höchstens ein Zwanzigstel des Gewichts eines normalen Korns."
Im gleichen Gewächshaus stehen eine Reihe weiter völlig gesunde Weizenpflanzen. Auch sie wurden mit Pilzsporen besprüht. Doch sie haben sich erfolgreich gewehrt. Die Züchter sagen: Sie sind resistent. Gerhard Bartels leitet das Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland der Biologischen Bundesanstalt.
" Resistenz bei Pflanzen ist eigentlich eine genetisch bedingte, natürliche Abwehrkraft, gegen Schaderreger in der Pflanze. Es gibt Gene, die dafür sorgen, dass Pilzinfektionen nicht gelingen können. Es gibt Abwehrreaktionen, wo der Pilz zwar eindringt, die Pflanze aber so reagiert, dass sie die Zelle, in die der Pilz eingedrungen ist, absterben lässt: Wir sprechen da von Nekrotisierung, so dass der Pilz sich da nicht weiter entwickeln kann."
Zögern Sie nicht! Entscheiden Sie sich bewusst zur Selbstverteidigung, sobald der Täter angreift! Je länger Sie widerstandslos in seiner Gewalt sind, umso geringer sind Ihre Chancen, heil davonzukommen. Paul Schulze-Lefert erforscht am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln, wie sich Pflanzen gegen Pilze und Bakterien wehren.
" Das, worum es im Kern geht ist die Fähigkeit zu unterscheiden, was ist selbst und was ist nicht selbst. Das heißt ich muss unterscheiden können auf molekularer Ebene, was gehört zu mir und was ist ne Struktur, die zu mir selbst gehört, und was ist ne Struktur, die fremd ist; also die Fähigkeit zu unterscheiden, was ist selbst und was ist nicht selbst. "
Lange Zeit war es in der Pflanzenforschung verpönt, von einem Immunsystem zu sprechen. Ein Immunsystem, wie es bei Tier und Mensch bekannt ist, erkennt jeden Eindringling und kann ihn gezielt abwehren. Eine solche Komplexität traute man Pflanzen nicht zu.
" Erst in den letzten 5-10 Jahren hat sich jetzt herauskristallisiert, dass auch auf molekularer Ebene Pflanzen ganz ähnliche molekulare Bausteine besitzen wie auch das tierische Immunsystem. Man kann jetzt so weit gehen, dass Pflanzen richtige Immunrezeptoren haben, und man kann sogar noch weiter gehen und kann sagen, dass Pflanzen, wenn man das bildlich ausdrücken will, zwei Radarschirme entwickelt haben, um genau Nicht-Selbst zu erkennen."
Pflanzen müssen unterscheiden, was zu ihnen gehört und was nicht. Der erste Radarschirm der pflanzlichen Abwehr hält Ausschau nach möglichen Eindringlingen. In der Außenhülle der Pflanzenzellen sitzen Eiweiß-Moleküle. Diese so genannten Oberflächen-Rezeptoren erkennen Strukturen, die typisch sind für verschiedene Mikroorganismen. Dadurch wissen sie: Etwas Fremdes versucht hineinzukommen. Als Abwehrreaktion bildet die Pflanzenzelle zum Beispiel Giftstoffe, verpackt sie in Bläschen und transportiert sie in Richtung Erreger. Ein fensterloser Kellerraum im Kölner Max-Planck-Institut. Hier arbeitet Riyaz Bhat:
" Was wir auf dem Feld sehen, ist das Krankheitsbild der ganzen Pflanze. Hier im Labor wollen wir herausfinden: Was passiert, wenn der Pilz kommt? Was macht die Zelle?"
Das wichtigste Gerät im Raum ist ein großes, konfokales Laserscan-Mikroskop. Damit kann Riyaz Bhat einzelne Proteine im Innern einer Pflanzenzelle sichtbar machen.
" Sie sehen hier eine Zelle mit blauen Punkten in der Mitte. Das ist eine Gerstenzelle. Und die Punkte in der Mitte sind gefärbte Proteine. Sobald die Zelle von einem Pilz angegriffen wird, wandern diese Proteine zu der Infektionsstelle. Sie wissen genau, was sie zu tun haben."
Besonders stolz ist der Wissenschaftler auf ein Foto, das einen Pilz an der Außenhülle einer Zelle zeigt.
" So ein Biest! Es versucht in die Zelle einzuwachsen. Und dort sieht man auch das Protein. Es hat gemerkt: Da kommt jemand, oh mein Gott! "
Das Foto zeigt, wie Proteine dem Eindringling entgegenstürmen, und bestätigt: Die Pflanzenzelle wehrt sich. Ein gelungener Schnappschuss. Ein Glückstag für Riyaz Bhat.
Bleiben Sie wachsam! Halten Sie die Augen auf! Jemand könnte sich heimlich an Sie heranschleichen.
Mit Hilfe des ersten Immun-Radarschirms gelingt es der Pflanze, 99,9 Prozent der Mikroorganismen abzuwehren. Aber, so Paul Schulze-Lefert, eben nicht alle:
" Es hat sich herausgestellt, dass eine Reihe von Pathogenen diesen ersten Radarschirm, der eigentlich sehr effizient ist, unterlaufen können, dass die molekulare Strategien entwickelt haben, den auszuschalten oder zu unterdrücken. Wenn dieser erste Radarschirm ausgeschaltet wird, dann wär sie eigentlich abwehrlos und sie könnte eigentlich nicht mehr dem Angriff standhalten. Aus diesem Grunde gibt es denk ich dieses zweite nachgeschaltete Immunsystem, was dann noch mal in der Lage ist, und dann eine sehr effektive Abwehrreaktion einzuleiten."
Der erste Stufe der pflanzlichen Abwehr wirkt ähnlich wie das Immunsystem bei Menschen und Tieren. Rezeptoren erkennen fremde Strukturen und setzen die Abwehrreaktion in Gang.
Die zweite Stufe, das nachgeschaltete Immunsystem, funktioniert ebenfalls mit Rezeptoren. Doch die befinden sich innerhalb der Zelle und arbeiten ganz anders. Das Prinzip haben die Forscher erst vor Kurzem verstanden.
Schulze-Lefert: " Die große Überraschung ist, dass die gar nicht direkt, sondern indirekt die Erkennung vermitteln. Diese Rezeptoren überwachen die Aktivität von anderen Pflanzenproteinen, die selbst auch in der Pflanze vorliegen."
Statt nach den unzähligen verschiedenen Fremdstrukturen möglicher Feinde Ausschau zu halten, überwachen die Rezeptoren eigene Strukturen im Zellinnern, zum Beispiel Proteine. Die molekularen Wächter merken sofort, wenn sich etwas ändert - etwa, wenn das bewachte Protein abgebaut oder umgebaut wird. Daran erkennen sie, dass etwas Fremdes in die Zelle eingedrungen ist; obwohl sie den Eindringling selbst gar nicht wahrgenommen haben.
Krankheitserreger greifen in der Regel immer die gleichen Strukturen in der Zelle an. Deren Zahl ist überschaubar. Deshalb reichen wenige Rezeptoren aus, um diese Strukturen zu überwachen und gleichzeitig viele verschiedene Eindringlinge abzuwehren. Sie schlagen Alarm und die Abwehrreaktion beginnt.
" Wenn der erste Schirm unterlaufen oder unterbrochen ist und der zweite eingreifen muss, dann greift man sozusagen zum letzten Mittel, man opfert sich in dem Fall, und es kommt zum Selbstmord."
Die Zelle opfert sich und stirbt ab. Der Eindringling erhält keine Nahrung mehr und kann sich nicht weiter ausbreiten. Durch den Tod einzelner Zellen ist der Rest der Pflanze geschützt.
Überlegen Sie: Wer kann Ihnen gefährlich werden? Unterschiedliche Angreifer erfordern verschiedene Gegenmaßnahmen.
Das Immunsystem der Pflanzen schützt sie effizient vor Mikroorganismen. Größere Feinde, zum Beispiel Insekten, hält es nicht ab. Sie fressen die Pflanzenzellen einfach auf. Die Pflanzen müssen also andere Maßnahmen ergreifen. Diese Strategien erforscht Wilhelm Boland vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena:
" Wenn eine Raupe an einem Blatt frisst, haben wir zunächst das Phänomen, dass sie ganz einfach ein Loch ins Blatt macht. Diesen mechanischen Schaden, das ist das erste das die Pflanze erfährt, und man muss natürlich sofort berücksichtigen, damit wird das System Blatt geöffnet. Und es würde Wasserverlust eintreten. Die Pflanze ist also darauf angewiesen, dieses Leck zu erkennen und sofort Maßnahmen zu ergreifen."
Wie eine Pflanze erkennt, dass sie von einer Raupe angegriffen wird, untersuchen die Jenaer Forscher mit einer neuartigen Technik. Sie haben eine mechanische Raupe entwickelt. Genannt: MecWorm.
An der Tür hängt eine Kopie aus einem Bilderbuch: Die Kleine Raupe Nimmersatt. Im Innern des Labors klebt das Abbild einer weiteren Raupe an der Fensterscheibe. Von einer mechanischen Raupe jedoch keine Spur! Die Biologin Maritta Kunert beugt sich über einen schuhkartongroßen Kasten aus Plexiglas. Im Innern hängt eine Metallstanze, so groß wie eine elektrische Zahnbürste, über einem Probentischchen. Darauf befestigt: das Blatt einer Limabohne.
Maritta Kunert drückt auf einen Knopf. Die Metallstanze setzt sich in Bewegung und stanzt von oben kleine Löcher in das Blatt. Das ist MecWorm.
" Man kann mit dieser mechanischen Raupe schneller oder langsamer fressen. Wenn eine Raupe richtig los frisst, ist sie sehr schnell. Dann wären 2 Sek. für eine große hungrige Raupe, die Raupe Nimmersatt sehr realistisch.
Maritta Kunert will wissen, wie Pflanzen auf Verletzungen durch Raupenfraß reagieren. Die Untersuchungen mit MecWorm haben gezeigt: Allein die mechanische Zerstörung der Blätter löst bei Pflanzen eine Abwehrreaktion aus. Wenn lebendige Raupen an Pflanzen fressen, gelangt außerdem Speichel in die verletzten Blattteile. Welche Rolle chemische Substanzen des Raupenspeichels spielen, werden die Wissenschaftler im nächsten Schritt untersuchen. Dafür wollen sie verletzte Pflanzenteile mit Raupenspeichel in Kontakt bringen. Einige Raupen mussten bereits Speichelproben abgeben.
Maritta Kunert: " Mit sehr kleinen Kapillaren können Sie die Raupen berühren. Oder ein bisschen kitzeln. Dann gibt die Raupe ihren Speichel ab. Das ist so eine Art Spucken. Und das können Sie mit einer Kapillaren abfangen."
Die Reaktion der Pflanze auf die mechanische Verletzung durch MecWorm misst ein empfindliches Analysegerät. Pflanzen, die attackiert werden, beginnen zu duften. Die Duftstoffe werden aus der Plexiglaskammer gesaugt und zum Analysegerät, der so genannten elektronische Nase, hingeleitet.
" Die elektronische Nase kann ungefähr nach zehn Minuten die ersten Duftstoffe riechen. Das sind Duftstoffe, die einzig und allein durch die Verletzung des Blattes entstehen. Wenn Sie zum Beispiel zu Hause Gras schneiden, dann riechen Sie schnell einen Geruch, der durch das Mähen des Grases entsteht. Diese Duftstoffe haben wir gleich am Anfang durch das Zerstören des Blattes. Etwa nach zwei bis drei Stunden beginnen dann die Duftstoffe, die wir als induzierte Duftstoffe bezeichnen, die also eine Reaktion des Blattes auf die kontinuierliche mechanische Zerstörung sind, die im Blatt erst hergestellt werden müssen."
Warnen Sie andere! Informieren Sie sie über mögliche Bedrohungen! Wenn Sie schweigen, setzen Sie andere unnötigen Gefahren aus. Die Duftstoffe, die die Pflanzen erst einige Stunden nach der Attacke aussenden, wirken vor allem als Alarmsignal. Sie warnen noch nicht befallene Pflanzenteile. Pflanzen haben kein System zum Weiterleiten von Reizen innerhalb ihres Organismus wie die Tiere. Duftstoffe ersetzen das nicht vorhandene Nervensystem:
Die Zellen eines verletzten Blattes geben flüchtige, organische Substanzen ab. Diese wandern durch die Luft hin zu anderen Blättern. Die sind dadurch gewarnt und können sich auf einen bevorstehenden Angriff vorbereiten. Genauso wie Nachbarpflanzen. Wilhelm Boland.
" Wir wissen heute , dass die Nachbarpflanze ja dem Duft der befallenen Pflanze ausgesetzt ist, und es bleibt nicht ohne Folgen. Wenn man sich auf der genetischen Ebene anguckt, wie die genetischen Aktivitäten der Pflanze sind, dann kann man in so genannten bedufteten Pflanzen schon feststellen, dass da frühe Verteidigungsmechanismen schon anlaufen, dass dort Proteine gebildet werden, die beispielsweise die Verdauung des Insekts behindern können; oder auch schon Giftstoffe hochgefahren werden, kurzum: Die Nachbarpflanze wird mit alarmiert. und man kann nicht ausschließen, dass in Einzelfällen eine solche alarmierte Pflanze vielleicht auch schon Duft macht."
Die Duftstoffmischungen setzen sich aus vielen verschiedenen Substanzen zusammen; darunter auch Pflanzenhormone, die den Stoffwechsel beeinflussen - etwa Jasmonsäure oder Ethylen. Sie wirken wie eine Alarmanlage. Wer geschickt ist, kann sie aber austricksen.
" Es gibt die Beobachtung dass in Savannen die Giraffen gegen den Wind an den Akazien fressen. Und das wird dahingehend interpretiert, dass mit dem Wind das freigesetzte Ethylen die Nachbarpflanzen erreicht und dass diese dann bereits Substanzen induzieren, die den Verdauungsprozess der Säuger behindern. Und die Giraffen sind natürlich raffiniert, die haben das irgendwann entwicklungsgeschichtlich gemerkt und fressen gegen den Wind."
Machen Sie auf sich aufmerksam! Sprechen Sie gezielt und direkt mögliche Helfer an! Nicht immer ist die Situation für andere einschätzbar. Die Duftstoffsignale erreichen nicht nur andere Pflanzen. Auch Tiere nehmen sie wahr.
Insbesondere Insekten können schon wenige Duftmoleküle über weite Entfernungen riechen. Unter den Insekten sind auch viele Feinde der Pflanzenschädlinge - zum Beispiel Raubmilben und Raubwanzen. Sie haben gelernt, den Duft zu deuten. Sie fliegen zum Ursprung der Duftfahne, fressen die Schädlinge und helfen so der Pflanze.
Andere Helfer sind Schlupfwespen: Sie legen ihre Eier in Raupen. Aus den Eiern schlüpfen Wespenlarven, die die Raupen von innen auffressen. Auch sie nützen also der Pflanze.
Boland: " Die Pflanze macht so etwas wie einen Hilferuf für Bodyguards, und das ist eben ein ganz allgemeines Prinzip: Fast alle Pflanzen können Duft induzieren, und für fast alle Pflanzen und ihre Schädiger gibt es solche zugeordneten Parasiten. Und deshalb ist dieser Hilferuf ein ziemlich allgemeines Prinzip das so ziemlich überall funktioniert."
Die Duftstoffe locken nicht beliebig irgendwelche Helfer an. Unterschiedliche Duftstoffbouquets sprechen verschiedene Insekten an.
Boland: " Pflanzen können offensichtlich relativ genau erkennen, welches Insekt daran frisst, denn die (Summe der) Speichelsekrete schlagen sich z. T. nieder in den Duftmustern, die später ausgesandt werden. Und das wieder ist der Schlüssel für die Parasiten, zu erkennen, wer sitzt denn auf der Pflanze drauf. Ist das der geeignete Wirt, wo ich meine Eier drin ablegen will oder ist das der geeignete Pflanzenschädling den ich als Futter ansehen will. Die Pflanze hat ein ganzes Repertoire an Abwehrmaßnahmen und gemäß dem was sie als Schädling erkannt hat, mischt sie gewissermaßen passend einzelnen Aspekte dieser Gesamtverteidigungsmaschinerie zusammen."
Stellen Sie Bodyguards an, wenn Sie über die entsprechenden Mittel verfügen! Bodyguards sind ausgebildete Profis, effektiv in der Abwehr vieler Gefahren.
Einige Pflanzen müssen die tierischen Helfer gar nicht erst rufen. Sie leben ständig mit ihnen zusammen. Der Biologe Christian Kost erforscht das Zusammenleben von Akazien und Ameisen - zum Teil vor Ort in Mexiko, zum Teil in den Gewächshäusern des Max-Planck-Institutes in Jena.
" Das ist die Gewächshauskammer, in der unsere Ameisenpflanzen stehen. Wenn man hier oben mal schaut, sieht man ganz kleine Ameisen. Die sind sehr klein, aber man darf sich nicht täuschen lassen, die sind unglaublich aggressiv. Wenn man im Feld mit den Pflanzen arbeitet, dann merkt man das schnell, wie aggressiv die Ameisen sein können. Das funktioniert über deren große Zahl. Die stechen und beißen auch. Das tut dermaßen weh! Bei der Akazie kenne ich das vor allem. Das tut viel mehr weh als ein Wespenstich. Das vergisst man nie mehr, wenn man das einmal erlebt hat!"
Auf den Akazien im Gewächshaus glitzern überall klebrige, kleine Tröpfchen. Das ist Nektar - der Lohn für die Ameisen. Normalerweise haben Pflanzen nur in der Blüte Nektardrüsen. Bei den Akazien sind diese Nektarien über die gesamte Pflanze verteilt. Die Produktion großer Mengen Zuckerwasser kostet die Pflanze viel Energie. Aber der effektive Schutz vor Schädlingen durch die Ameisen ist es ihr wert.
Christian Kost: " Die Symbiose ist so eng. Die Pflanze produziert hohle Stämme. Und die Ameise lebt in der Pflanze verteilt. Man sieht hier kleine Löcher hier in diesem Stamm, wo man auch manchmal Ameisen rauskommen sieht. Hier oder hier. Die Ameise kommt halt heraus, ernährt sich ausschließlich von der Pflanze. Wenn man zum Beispiel Thunfisch auf die Pflanze gibt, was für normale Ameisen sehr attraktiv ist, dann nimmt die Ameise den Thunfisch und wirft den runter. Sie akzeptiert also nur Nahrungsmittel von der Pflanze."
Die Pflanze stellt den Ameisen ein reichhaltiges Mahl zusammen, genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt. Manche Akazien-Arten liefern ihren Bodyguards sogar vorverdaute Nahrung, indem sie ihrem Nektar ein Verdauungsenzym beimischen. Andere liefern zusätzlich Eiweiße und Fette in Form kleiner gelblicher Körnchen, die auf der Blattoberfläche festsitzen. Mit diesem Futterangebot können Akazien ganze Armeen von Ameisen ernähren. Egal was für ein Eindringling sich nähert, die Ameisen greifen ihn an und halten ihn auf Abstand.
" Wenn man jetzt die Ameise entfernt, dann kann die Pflanze nicht überleben, . weil sie zum einen von Fraßfeinden angefallen wird und keinen Schutz mehr hat, den vorher die Ameise dargestellt hat, und zum zweiten: Die Ameise verlässt sogar diese Pflanze und schneidet benachbarte Pflanzen ab, um zu verhindern, dass benachbarten Pflanzen über ihre Mutterpflanzen drüber wachsen, um zu verhindern, dass andere Ameisen oder Fraßfeinde auf die Pflanze kommen können."
Wer nicht dauerhaft Beschützer versorgen will, kann sie bei Bedarf herbeirufen. Zahlreiche Akazienarten haben Nektarien, die Zuckerwasser nur im Falle einer Schädlingsattacke produzieren. Wilhelm Boland.
" Es kommt ein Pflanzenfresser, macht ein Loch in die Pflanze, das wird von der Pflanze erkannt und es geht ein Signal an die Nektarien, nun lass mal Zuckerwasser fließen. Und das hat zur Folge, dass Ameisen, die eigentlich permanent in der Gegend patrouillieren, sich auch miteinander mitteilen, wo es Zuckerwasser zu holen gibt, plötzlich massiert diese befallene Pflanzen aufsuchen werden und dann tun sie nichts weiter als das naheliegendste, nämlich ihr Zuckerreservoir zu verteidigen. Und das bedeutet: Sie vertreiben den Angreifer der Pflanze."
Tun Sie etwas Unerwartetes! Mit opferuntypischem Verhalten bringen Sie den Täter aus dem Konzept.
Im Laufe der Evolution sind die Abwehrstrategien der Pflanzen immer komplexer geworden. Doch sie konnten die Schädlinge nie ganz bezwingen. Immer wenn die Pflanzen eine neue Strategie hervorbrachten, reagierten die Schädlinge und entwickelten eine Gegenstrategie. Einzelne kranke Pflanzen gehören in der Natur also dazu. Dass Pflanzen großflächig von Schädlingen befallen werden und sich nicht mehr aus eigener Kraft wehren können, hat erst der Mensch möglich gemacht: durch die Landwirtschaft.
Paul Schulze-Lefert vom Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln sieht die genetische Verarmung als Ursache:
" Sie wissen alle, die Nutzpflanzen, die wir draußen auf dem Feld haben, sind Nutzpflanzen, die darauf selektioniert sind, dass die Pflanze an der einen Ecke des Feldes genauso aussieht wie die Pflanze an der gegenüberliegenden Ecke des Feldes. Und das gerade auch eines der Zuchtziele ist, dass man möglichst Pflanzen hat, die genetisch gleichförmig sind und die gleich aussehen. Der zweite Grund ist, dass Sie durch die Landwirtschaft eine ungeheure Anzahl von Individuen auf einer kleinen Fläche exponieren, und es damit eigentlich gerade einem Pathogenen sehr viel einfacher machen, wenn er es einmal geschafft hat das Immunsystem einer Pflanze zu überkommen, und es trifft sozusagen auf der Nachbarpflanze auf eine genetisch ähnliche oder identische Pflanze, dass dann natürlich Krankheiten sich explosiv ausbreiten können, und schlagartig dann zu regelrechten Epidemien führen können."
Wenn alle Pflanzen ständig die gleichen Abwehrmaßnahmen nutzen, können sich die Schädlinge schnell darauf einstellen. Der Kartoffelkäfer richtet deshalb so großen Ernteschäden an, weil er gegen das Gift, das die Kartoffelpflanzen herstellen, resistent geworden ist. Das Gift konnte ihm nichts mehr anhaben. Wilhelm Boland.
" Wenn ich aber Abwehrmaßnahmen nur zeitweilig mache, , mit vielen anderen Komponenten mische, dann erhöhe ich auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Resistenzbarriere nicht durchbrochen werden kann.
Das Geheimrezept der pflanzlichen Selbstverteidigung ist also die Vielfalt: Wenn eine Strategie versagt, nutzt sie eben eine andere.
Machen Sie sich nicht verrückt! Vertrauen Sie auf Ihre Fähigkeit, sich im Ernstfall verteidigen zu können! Permanente Anspannung geht auf Kosten der Lebensqualität.
Wilhelm Boland: " Wenn man an einen Mammutbaum denkt, der wird ungefähr 5000 Jahre alt. Und in dieser Zeit muss er natürlich allen möglichen Finessen ausweichen können."
Pflanzen sind an einen Ort gebunden. Sie können nicht vor ihren Feinden fliehen. Dennoch sind sie ihnen nicht hilflos ausgeliefert. Wilhelm Boland erforscht am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena Abwehrstrategien von Pflanzen.
" In den 5000 Jahren der Existenz eines Mammutbaumes können Millionen von Generationen von Mikroorganismen entstehen. Die können alle möglichen Mutationen durchprobieren, in dieser Zeit, um dem Baum nachhaltig zu schaden. Sie schaffen es aber nicht".
Halten Sie den Täter auf Distanz! Vermeiden Sie Körperkontakt!
" Er hat natürlich eine Menge an direkten Strategien, das ist zum Beispiel eine ganz dichte Borke. Und die zu durchdringen für einen normalen Mikroorganismus ist fast unmöglich. Und so ein Prinzip wiederholt sich natürlich auf der Blattebene: Die Blätter sind in aller Regel mit Wachsschichten überzogen, und auch die zu durchdringen ist für einen Mikroorganismus ein Kunststück.
"
Zu den ältesten Feinden der Pflanzen gehören Mikroorganismen wie Pilze. Ihre winzigen Sporen sind allgegenwärtig: im Boden, im Wasser, in der Luft. Sobald eine Spore auf eine Pflanze trifft, keimt sie aus und versucht in die Pflanze hinein zu wachsen.
Auf einem Versuchsfeld am Stadtrand von Braunschweig werden Weizenpflanzen gezielt mit Pilzsporen der Gattung Fusarium infiziert. Hier überprüft die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft neu gezüchtete Weizensorten auf ihre Widerstandskraft gegenüber wichtigen Krankheitserregern.
Ein kleiner, offener Traktor mit einer Sprühanlage Marke Eigenbau fährt langsam über die nebeneinander liegenden Parzellen verschiedener Weizensorten. Bernd Rodemann vom Institut für Pflanzenschutz der Biologischen Bundesanstalt:
" Aus dem Spritzgestänge wird also diese Sporensuspension, diese Pilzlösung, herausgesprüht und durch die feinen Düsen gedrückt. Die Tropfen fallen von oben auf die Pflanzen herunter. Es wird dabei sehr langsam gefahren, damit die ganze Ähre von allen Seiten mit feinen Tropfen benetzt wird. "
Mit den Feldversuchen stellen die Forscher den landwirtschaftlichen Alltag nach. Um die Infektion genauer zu untersuchen, brauchen sie kontrollierte Wachstumsbedingungen.
Die haben sie im Gewächshaus. Hier ersetzt eine einfache Sprühflasche den Traktor mit Spritzanlage.
Bernd Rodemann: " Das ist wie ein feiner Nebel. Und man kann auf der Ähre sehen, dass das feine Tropfen sind, wo dann eben die Möglichkeit besteht, auszukeimen und die Pflanze zu infizieren."
Zwei Wochen nach der Pilzinfektion überprüfen die Wissenschaftler jede einzelne Pflanze - auf dem Versuchsfeld genau wie im Gewächshaus. Jede neu gezüchtete Nutzpflanze wird von der Biologischen Bundesanstalt auf ihre Widerstandskraft gegenüber den wichtigsten Krankheitserregern überprüft. Sie schauen sich an, ob der Pilz in die Ähre eingewachsen ist und wie stark die Schäden sind.
" Bei anfälligen Sorten kommt es zu einem starken Ausbleichen der Ähre. Mit einer leicht bräunlich werdenden Spelze: Bräunlich violett. Der Pilz ist eingewachsen. Durch Einwachsen in die Spindel kommt es zu weiterer Aufhellung: Wir sagen Ährenbleiche. Gleichzeitig führt dieses Wachstum in der Ähre dazu, dass keine Nährstoffe mehr von unten in die Ähre gelangen können . und man kann sehr schön sehen: eine hoch anfällige Sorte, die hoch ausgebleicht sind, wo überhaupt keine Körner sich mehr bilden. Das ist nur ein schrumpliges Kümmerkorn, wenn überhaupt. Ganz hell, ganz weiß, von Pilz überwachsen, eingefallen. Das hat höchstens ein Zwanzigstel des Gewichts eines normalen Korns."
Im gleichen Gewächshaus stehen eine Reihe weiter völlig gesunde Weizenpflanzen. Auch sie wurden mit Pilzsporen besprüht. Doch sie haben sich erfolgreich gewehrt. Die Züchter sagen: Sie sind resistent. Gerhard Bartels leitet das Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland der Biologischen Bundesanstalt.
" Resistenz bei Pflanzen ist eigentlich eine genetisch bedingte, natürliche Abwehrkraft, gegen Schaderreger in der Pflanze. Es gibt Gene, die dafür sorgen, dass Pilzinfektionen nicht gelingen können. Es gibt Abwehrreaktionen, wo der Pilz zwar eindringt, die Pflanze aber so reagiert, dass sie die Zelle, in die der Pilz eingedrungen ist, absterben lässt: Wir sprechen da von Nekrotisierung, so dass der Pilz sich da nicht weiter entwickeln kann."
Zögern Sie nicht! Entscheiden Sie sich bewusst zur Selbstverteidigung, sobald der Täter angreift! Je länger Sie widerstandslos in seiner Gewalt sind, umso geringer sind Ihre Chancen, heil davonzukommen. Paul Schulze-Lefert erforscht am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln, wie sich Pflanzen gegen Pilze und Bakterien wehren.
" Das, worum es im Kern geht ist die Fähigkeit zu unterscheiden, was ist selbst und was ist nicht selbst. Das heißt ich muss unterscheiden können auf molekularer Ebene, was gehört zu mir und was ist ne Struktur, die zu mir selbst gehört, und was ist ne Struktur, die fremd ist; also die Fähigkeit zu unterscheiden, was ist selbst und was ist nicht selbst. "
Lange Zeit war es in der Pflanzenforschung verpönt, von einem Immunsystem zu sprechen. Ein Immunsystem, wie es bei Tier und Mensch bekannt ist, erkennt jeden Eindringling und kann ihn gezielt abwehren. Eine solche Komplexität traute man Pflanzen nicht zu.
" Erst in den letzten 5-10 Jahren hat sich jetzt herauskristallisiert, dass auch auf molekularer Ebene Pflanzen ganz ähnliche molekulare Bausteine besitzen wie auch das tierische Immunsystem. Man kann jetzt so weit gehen, dass Pflanzen richtige Immunrezeptoren haben, und man kann sogar noch weiter gehen und kann sagen, dass Pflanzen, wenn man das bildlich ausdrücken will, zwei Radarschirme entwickelt haben, um genau Nicht-Selbst zu erkennen."
Pflanzen müssen unterscheiden, was zu ihnen gehört und was nicht. Der erste Radarschirm der pflanzlichen Abwehr hält Ausschau nach möglichen Eindringlingen. In der Außenhülle der Pflanzenzellen sitzen Eiweiß-Moleküle. Diese so genannten Oberflächen-Rezeptoren erkennen Strukturen, die typisch sind für verschiedene Mikroorganismen. Dadurch wissen sie: Etwas Fremdes versucht hineinzukommen. Als Abwehrreaktion bildet die Pflanzenzelle zum Beispiel Giftstoffe, verpackt sie in Bläschen und transportiert sie in Richtung Erreger. Ein fensterloser Kellerraum im Kölner Max-Planck-Institut. Hier arbeitet Riyaz Bhat:
" Was wir auf dem Feld sehen, ist das Krankheitsbild der ganzen Pflanze. Hier im Labor wollen wir herausfinden: Was passiert, wenn der Pilz kommt? Was macht die Zelle?"
Das wichtigste Gerät im Raum ist ein großes, konfokales Laserscan-Mikroskop. Damit kann Riyaz Bhat einzelne Proteine im Innern einer Pflanzenzelle sichtbar machen.
" Sie sehen hier eine Zelle mit blauen Punkten in der Mitte. Das ist eine Gerstenzelle. Und die Punkte in der Mitte sind gefärbte Proteine. Sobald die Zelle von einem Pilz angegriffen wird, wandern diese Proteine zu der Infektionsstelle. Sie wissen genau, was sie zu tun haben."
Besonders stolz ist der Wissenschaftler auf ein Foto, das einen Pilz an der Außenhülle einer Zelle zeigt.
" So ein Biest! Es versucht in die Zelle einzuwachsen. Und dort sieht man auch das Protein. Es hat gemerkt: Da kommt jemand, oh mein Gott! "
Das Foto zeigt, wie Proteine dem Eindringling entgegenstürmen, und bestätigt: Die Pflanzenzelle wehrt sich. Ein gelungener Schnappschuss. Ein Glückstag für Riyaz Bhat.
Bleiben Sie wachsam! Halten Sie die Augen auf! Jemand könnte sich heimlich an Sie heranschleichen.
Mit Hilfe des ersten Immun-Radarschirms gelingt es der Pflanze, 99,9 Prozent der Mikroorganismen abzuwehren. Aber, so Paul Schulze-Lefert, eben nicht alle:
" Es hat sich herausgestellt, dass eine Reihe von Pathogenen diesen ersten Radarschirm, der eigentlich sehr effizient ist, unterlaufen können, dass die molekulare Strategien entwickelt haben, den auszuschalten oder zu unterdrücken. Wenn dieser erste Radarschirm ausgeschaltet wird, dann wär sie eigentlich abwehrlos und sie könnte eigentlich nicht mehr dem Angriff standhalten. Aus diesem Grunde gibt es denk ich dieses zweite nachgeschaltete Immunsystem, was dann noch mal in der Lage ist, und dann eine sehr effektive Abwehrreaktion einzuleiten."
Der erste Stufe der pflanzlichen Abwehr wirkt ähnlich wie das Immunsystem bei Menschen und Tieren. Rezeptoren erkennen fremde Strukturen und setzen die Abwehrreaktion in Gang.
Die zweite Stufe, das nachgeschaltete Immunsystem, funktioniert ebenfalls mit Rezeptoren. Doch die befinden sich innerhalb der Zelle und arbeiten ganz anders. Das Prinzip haben die Forscher erst vor Kurzem verstanden.
Schulze-Lefert: " Die große Überraschung ist, dass die gar nicht direkt, sondern indirekt die Erkennung vermitteln. Diese Rezeptoren überwachen die Aktivität von anderen Pflanzenproteinen, die selbst auch in der Pflanze vorliegen."
Statt nach den unzähligen verschiedenen Fremdstrukturen möglicher Feinde Ausschau zu halten, überwachen die Rezeptoren eigene Strukturen im Zellinnern, zum Beispiel Proteine. Die molekularen Wächter merken sofort, wenn sich etwas ändert - etwa, wenn das bewachte Protein abgebaut oder umgebaut wird. Daran erkennen sie, dass etwas Fremdes in die Zelle eingedrungen ist; obwohl sie den Eindringling selbst gar nicht wahrgenommen haben.
Krankheitserreger greifen in der Regel immer die gleichen Strukturen in der Zelle an. Deren Zahl ist überschaubar. Deshalb reichen wenige Rezeptoren aus, um diese Strukturen zu überwachen und gleichzeitig viele verschiedene Eindringlinge abzuwehren. Sie schlagen Alarm und die Abwehrreaktion beginnt.
" Wenn der erste Schirm unterlaufen oder unterbrochen ist und der zweite eingreifen muss, dann greift man sozusagen zum letzten Mittel, man opfert sich in dem Fall, und es kommt zum Selbstmord."
Die Zelle opfert sich und stirbt ab. Der Eindringling erhält keine Nahrung mehr und kann sich nicht weiter ausbreiten. Durch den Tod einzelner Zellen ist der Rest der Pflanze geschützt.
Überlegen Sie: Wer kann Ihnen gefährlich werden? Unterschiedliche Angreifer erfordern verschiedene Gegenmaßnahmen.
Das Immunsystem der Pflanzen schützt sie effizient vor Mikroorganismen. Größere Feinde, zum Beispiel Insekten, hält es nicht ab. Sie fressen die Pflanzenzellen einfach auf. Die Pflanzen müssen also andere Maßnahmen ergreifen. Diese Strategien erforscht Wilhelm Boland vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena:
" Wenn eine Raupe an einem Blatt frisst, haben wir zunächst das Phänomen, dass sie ganz einfach ein Loch ins Blatt macht. Diesen mechanischen Schaden, das ist das erste das die Pflanze erfährt, und man muss natürlich sofort berücksichtigen, damit wird das System Blatt geöffnet. Und es würde Wasserverlust eintreten. Die Pflanze ist also darauf angewiesen, dieses Leck zu erkennen und sofort Maßnahmen zu ergreifen."
Wie eine Pflanze erkennt, dass sie von einer Raupe angegriffen wird, untersuchen die Jenaer Forscher mit einer neuartigen Technik. Sie haben eine mechanische Raupe entwickelt. Genannt: MecWorm.
An der Tür hängt eine Kopie aus einem Bilderbuch: Die Kleine Raupe Nimmersatt. Im Innern des Labors klebt das Abbild einer weiteren Raupe an der Fensterscheibe. Von einer mechanischen Raupe jedoch keine Spur! Die Biologin Maritta Kunert beugt sich über einen schuhkartongroßen Kasten aus Plexiglas. Im Innern hängt eine Metallstanze, so groß wie eine elektrische Zahnbürste, über einem Probentischchen. Darauf befestigt: das Blatt einer Limabohne.
Maritta Kunert drückt auf einen Knopf. Die Metallstanze setzt sich in Bewegung und stanzt von oben kleine Löcher in das Blatt. Das ist MecWorm.
" Man kann mit dieser mechanischen Raupe schneller oder langsamer fressen. Wenn eine Raupe richtig los frisst, ist sie sehr schnell. Dann wären 2 Sek. für eine große hungrige Raupe, die Raupe Nimmersatt sehr realistisch.
Maritta Kunert will wissen, wie Pflanzen auf Verletzungen durch Raupenfraß reagieren. Die Untersuchungen mit MecWorm haben gezeigt: Allein die mechanische Zerstörung der Blätter löst bei Pflanzen eine Abwehrreaktion aus. Wenn lebendige Raupen an Pflanzen fressen, gelangt außerdem Speichel in die verletzten Blattteile. Welche Rolle chemische Substanzen des Raupenspeichels spielen, werden die Wissenschaftler im nächsten Schritt untersuchen. Dafür wollen sie verletzte Pflanzenteile mit Raupenspeichel in Kontakt bringen. Einige Raupen mussten bereits Speichelproben abgeben.
Maritta Kunert: " Mit sehr kleinen Kapillaren können Sie die Raupen berühren. Oder ein bisschen kitzeln. Dann gibt die Raupe ihren Speichel ab. Das ist so eine Art Spucken. Und das können Sie mit einer Kapillaren abfangen."
Die Reaktion der Pflanze auf die mechanische Verletzung durch MecWorm misst ein empfindliches Analysegerät. Pflanzen, die attackiert werden, beginnen zu duften. Die Duftstoffe werden aus der Plexiglaskammer gesaugt und zum Analysegerät, der so genannten elektronische Nase, hingeleitet.
" Die elektronische Nase kann ungefähr nach zehn Minuten die ersten Duftstoffe riechen. Das sind Duftstoffe, die einzig und allein durch die Verletzung des Blattes entstehen. Wenn Sie zum Beispiel zu Hause Gras schneiden, dann riechen Sie schnell einen Geruch, der durch das Mähen des Grases entsteht. Diese Duftstoffe haben wir gleich am Anfang durch das Zerstören des Blattes. Etwa nach zwei bis drei Stunden beginnen dann die Duftstoffe, die wir als induzierte Duftstoffe bezeichnen, die also eine Reaktion des Blattes auf die kontinuierliche mechanische Zerstörung sind, die im Blatt erst hergestellt werden müssen."
Warnen Sie andere! Informieren Sie sie über mögliche Bedrohungen! Wenn Sie schweigen, setzen Sie andere unnötigen Gefahren aus. Die Duftstoffe, die die Pflanzen erst einige Stunden nach der Attacke aussenden, wirken vor allem als Alarmsignal. Sie warnen noch nicht befallene Pflanzenteile. Pflanzen haben kein System zum Weiterleiten von Reizen innerhalb ihres Organismus wie die Tiere. Duftstoffe ersetzen das nicht vorhandene Nervensystem:
Die Zellen eines verletzten Blattes geben flüchtige, organische Substanzen ab. Diese wandern durch die Luft hin zu anderen Blättern. Die sind dadurch gewarnt und können sich auf einen bevorstehenden Angriff vorbereiten. Genauso wie Nachbarpflanzen. Wilhelm Boland.
" Wir wissen heute , dass die Nachbarpflanze ja dem Duft der befallenen Pflanze ausgesetzt ist, und es bleibt nicht ohne Folgen. Wenn man sich auf der genetischen Ebene anguckt, wie die genetischen Aktivitäten der Pflanze sind, dann kann man in so genannten bedufteten Pflanzen schon feststellen, dass da frühe Verteidigungsmechanismen schon anlaufen, dass dort Proteine gebildet werden, die beispielsweise die Verdauung des Insekts behindern können; oder auch schon Giftstoffe hochgefahren werden, kurzum: Die Nachbarpflanze wird mit alarmiert. und man kann nicht ausschließen, dass in Einzelfällen eine solche alarmierte Pflanze vielleicht auch schon Duft macht."
Die Duftstoffmischungen setzen sich aus vielen verschiedenen Substanzen zusammen; darunter auch Pflanzenhormone, die den Stoffwechsel beeinflussen - etwa Jasmonsäure oder Ethylen. Sie wirken wie eine Alarmanlage. Wer geschickt ist, kann sie aber austricksen.
" Es gibt die Beobachtung dass in Savannen die Giraffen gegen den Wind an den Akazien fressen. Und das wird dahingehend interpretiert, dass mit dem Wind das freigesetzte Ethylen die Nachbarpflanzen erreicht und dass diese dann bereits Substanzen induzieren, die den Verdauungsprozess der Säuger behindern. Und die Giraffen sind natürlich raffiniert, die haben das irgendwann entwicklungsgeschichtlich gemerkt und fressen gegen den Wind."
Machen Sie auf sich aufmerksam! Sprechen Sie gezielt und direkt mögliche Helfer an! Nicht immer ist die Situation für andere einschätzbar. Die Duftstoffsignale erreichen nicht nur andere Pflanzen. Auch Tiere nehmen sie wahr.
Insbesondere Insekten können schon wenige Duftmoleküle über weite Entfernungen riechen. Unter den Insekten sind auch viele Feinde der Pflanzenschädlinge - zum Beispiel Raubmilben und Raubwanzen. Sie haben gelernt, den Duft zu deuten. Sie fliegen zum Ursprung der Duftfahne, fressen die Schädlinge und helfen so der Pflanze.
Andere Helfer sind Schlupfwespen: Sie legen ihre Eier in Raupen. Aus den Eiern schlüpfen Wespenlarven, die die Raupen von innen auffressen. Auch sie nützen also der Pflanze.
Boland: " Die Pflanze macht so etwas wie einen Hilferuf für Bodyguards, und das ist eben ein ganz allgemeines Prinzip: Fast alle Pflanzen können Duft induzieren, und für fast alle Pflanzen und ihre Schädiger gibt es solche zugeordneten Parasiten. Und deshalb ist dieser Hilferuf ein ziemlich allgemeines Prinzip das so ziemlich überall funktioniert."
Die Duftstoffe locken nicht beliebig irgendwelche Helfer an. Unterschiedliche Duftstoffbouquets sprechen verschiedene Insekten an.
Boland: " Pflanzen können offensichtlich relativ genau erkennen, welches Insekt daran frisst, denn die (Summe der) Speichelsekrete schlagen sich z. T. nieder in den Duftmustern, die später ausgesandt werden. Und das wieder ist der Schlüssel für die Parasiten, zu erkennen, wer sitzt denn auf der Pflanze drauf. Ist das der geeignete Wirt, wo ich meine Eier drin ablegen will oder ist das der geeignete Pflanzenschädling den ich als Futter ansehen will. Die Pflanze hat ein ganzes Repertoire an Abwehrmaßnahmen und gemäß dem was sie als Schädling erkannt hat, mischt sie gewissermaßen passend einzelnen Aspekte dieser Gesamtverteidigungsmaschinerie zusammen."
Stellen Sie Bodyguards an, wenn Sie über die entsprechenden Mittel verfügen! Bodyguards sind ausgebildete Profis, effektiv in der Abwehr vieler Gefahren.
Einige Pflanzen müssen die tierischen Helfer gar nicht erst rufen. Sie leben ständig mit ihnen zusammen. Der Biologe Christian Kost erforscht das Zusammenleben von Akazien und Ameisen - zum Teil vor Ort in Mexiko, zum Teil in den Gewächshäusern des Max-Planck-Institutes in Jena.
" Das ist die Gewächshauskammer, in der unsere Ameisenpflanzen stehen. Wenn man hier oben mal schaut, sieht man ganz kleine Ameisen. Die sind sehr klein, aber man darf sich nicht täuschen lassen, die sind unglaublich aggressiv. Wenn man im Feld mit den Pflanzen arbeitet, dann merkt man das schnell, wie aggressiv die Ameisen sein können. Das funktioniert über deren große Zahl. Die stechen und beißen auch. Das tut dermaßen weh! Bei der Akazie kenne ich das vor allem. Das tut viel mehr weh als ein Wespenstich. Das vergisst man nie mehr, wenn man das einmal erlebt hat!"
Auf den Akazien im Gewächshaus glitzern überall klebrige, kleine Tröpfchen. Das ist Nektar - der Lohn für die Ameisen. Normalerweise haben Pflanzen nur in der Blüte Nektardrüsen. Bei den Akazien sind diese Nektarien über die gesamte Pflanze verteilt. Die Produktion großer Mengen Zuckerwasser kostet die Pflanze viel Energie. Aber der effektive Schutz vor Schädlingen durch die Ameisen ist es ihr wert.
Christian Kost: " Die Symbiose ist so eng. Die Pflanze produziert hohle Stämme. Und die Ameise lebt in der Pflanze verteilt. Man sieht hier kleine Löcher hier in diesem Stamm, wo man auch manchmal Ameisen rauskommen sieht. Hier oder hier. Die Ameise kommt halt heraus, ernährt sich ausschließlich von der Pflanze. Wenn man zum Beispiel Thunfisch auf die Pflanze gibt, was für normale Ameisen sehr attraktiv ist, dann nimmt die Ameise den Thunfisch und wirft den runter. Sie akzeptiert also nur Nahrungsmittel von der Pflanze."
Die Pflanze stellt den Ameisen ein reichhaltiges Mahl zusammen, genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt. Manche Akazien-Arten liefern ihren Bodyguards sogar vorverdaute Nahrung, indem sie ihrem Nektar ein Verdauungsenzym beimischen. Andere liefern zusätzlich Eiweiße und Fette in Form kleiner gelblicher Körnchen, die auf der Blattoberfläche festsitzen. Mit diesem Futterangebot können Akazien ganze Armeen von Ameisen ernähren. Egal was für ein Eindringling sich nähert, die Ameisen greifen ihn an und halten ihn auf Abstand.
" Wenn man jetzt die Ameise entfernt, dann kann die Pflanze nicht überleben, . weil sie zum einen von Fraßfeinden angefallen wird und keinen Schutz mehr hat, den vorher die Ameise dargestellt hat, und zum zweiten: Die Ameise verlässt sogar diese Pflanze und schneidet benachbarte Pflanzen ab, um zu verhindern, dass benachbarten Pflanzen über ihre Mutterpflanzen drüber wachsen, um zu verhindern, dass andere Ameisen oder Fraßfeinde auf die Pflanze kommen können."
Wer nicht dauerhaft Beschützer versorgen will, kann sie bei Bedarf herbeirufen. Zahlreiche Akazienarten haben Nektarien, die Zuckerwasser nur im Falle einer Schädlingsattacke produzieren. Wilhelm Boland.
" Es kommt ein Pflanzenfresser, macht ein Loch in die Pflanze, das wird von der Pflanze erkannt und es geht ein Signal an die Nektarien, nun lass mal Zuckerwasser fließen. Und das hat zur Folge, dass Ameisen, die eigentlich permanent in der Gegend patrouillieren, sich auch miteinander mitteilen, wo es Zuckerwasser zu holen gibt, plötzlich massiert diese befallene Pflanzen aufsuchen werden und dann tun sie nichts weiter als das naheliegendste, nämlich ihr Zuckerreservoir zu verteidigen. Und das bedeutet: Sie vertreiben den Angreifer der Pflanze."
Tun Sie etwas Unerwartetes! Mit opferuntypischem Verhalten bringen Sie den Täter aus dem Konzept.
Im Laufe der Evolution sind die Abwehrstrategien der Pflanzen immer komplexer geworden. Doch sie konnten die Schädlinge nie ganz bezwingen. Immer wenn die Pflanzen eine neue Strategie hervorbrachten, reagierten die Schädlinge und entwickelten eine Gegenstrategie. Einzelne kranke Pflanzen gehören in der Natur also dazu. Dass Pflanzen großflächig von Schädlingen befallen werden und sich nicht mehr aus eigener Kraft wehren können, hat erst der Mensch möglich gemacht: durch die Landwirtschaft.
Paul Schulze-Lefert vom Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln sieht die genetische Verarmung als Ursache:
" Sie wissen alle, die Nutzpflanzen, die wir draußen auf dem Feld haben, sind Nutzpflanzen, die darauf selektioniert sind, dass die Pflanze an der einen Ecke des Feldes genauso aussieht wie die Pflanze an der gegenüberliegenden Ecke des Feldes. Und das gerade auch eines der Zuchtziele ist, dass man möglichst Pflanzen hat, die genetisch gleichförmig sind und die gleich aussehen. Der zweite Grund ist, dass Sie durch die Landwirtschaft eine ungeheure Anzahl von Individuen auf einer kleinen Fläche exponieren, und es damit eigentlich gerade einem Pathogenen sehr viel einfacher machen, wenn er es einmal geschafft hat das Immunsystem einer Pflanze zu überkommen, und es trifft sozusagen auf der Nachbarpflanze auf eine genetisch ähnliche oder identische Pflanze, dass dann natürlich Krankheiten sich explosiv ausbreiten können, und schlagartig dann zu regelrechten Epidemien führen können."
Wenn alle Pflanzen ständig die gleichen Abwehrmaßnahmen nutzen, können sich die Schädlinge schnell darauf einstellen. Der Kartoffelkäfer richtet deshalb so großen Ernteschäden an, weil er gegen das Gift, das die Kartoffelpflanzen herstellen, resistent geworden ist. Das Gift konnte ihm nichts mehr anhaben. Wilhelm Boland.
" Wenn ich aber Abwehrmaßnahmen nur zeitweilig mache, , mit vielen anderen Komponenten mische, dann erhöhe ich auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Resistenzbarriere nicht durchbrochen werden kann.
Das Geheimrezept der pflanzlichen Selbstverteidigung ist also die Vielfalt: Wenn eine Strategie versagt, nutzt sie eben eine andere.
Machen Sie sich nicht verrückt! Vertrauen Sie auf Ihre Fähigkeit, sich im Ernstfall verteidigen zu können! Permanente Anspannung geht auf Kosten der Lebensqualität.