Noch drei Stunden bleiben bis zum Finale. Nervös rutscht Tommi Soidinmäki auf der Couch seines Hotelzimmers herum und versucht einen möglichst professionellen Eindruck zu machen. In Wirklichkeit muss er aufpassen, dass ihm der Kaffee nicht aus der zitternden Tasse schwappt. Sein Wettbewerbsbeitrag "Soittakaa lujempaa”, gesungen von einem ehemaligen Tangokönig, läuft auf Dauerschleife.
"Wenn ich als Sänger Karriere machen will muss ich viele künstlerische Herausforderungen bestehen. Das ist eine davon."
Tommi setzt sich immer wieder in Pose zurecht und gibt sich ganz erwachsen. Letztlich sei alles nur eine Frage der guten Vorbereitung, versichert er. Er persönlich habe immer schon viel Sport getrieben. Vor allem Elchrennen.
"Das ist eine ziemlich neue finnische Sportart, die perfekt geeignet ist, um die Nerven zu trainieren. Man tritt in Mannschaften gegeneinander an. Zuerst schießt man aus 100m Entfernung mit dem Gewehr auf Elchköpfe aus Pappe, das trainiert die Konzentration und die Nerven... Und dann läuft man vier Kilometer, für die Kondition."
Worum es geht beim großen Tangokönigswettbewerb? Tommi, im "normalen Leben" Gesangsstudent, tut sich schwer mit der Antwort - und das, obwohl er diesem Titel seit Monaten hinterherjagt.
"Hm, das ist eine schwierige Frage. Dieser Tangokönigstitel hat eine Bedeutung, die weit über die Sache an sich hinausgeht. Es ist einfach der beste Weg, um sich in Finnland einen Namen zu machen. Es ist der größte Gesangswettbewerb, den wir haben. Es ist also kein langehegter Kindheitstraum nach dem Motto "Oh wenn ich doch nur einmal Tangokönig sein könnte"."
"Wenn ich gewinnen würde, müsste ich erstmal zwei Freisemester nehmen. Im kommenden Jahr sind drei Tourneen geplant, und ein Plattenvertrag hängt auch mit dran. Ich wäre also ein volles Jahr damit beschäftigt, selbst wenn ich es nur unter die ersten drei schaffe."
"Einen Joker scheint der smarte Tommi jedenfalls tatsächlich in der Tasche zu haben: Prominenz liegt ihm quasi genauso im Blut wie der Hang zur Selbstdarstellung. Eine verwandtschaftliche Verbindung mütterlicherseits führt nämlich geradewegs in die USA, zum Busenwunder Pamela Anderson. Deren Großeltern kamen offenbar aus Finnland."
Während Tommi nervös in seinem Hotelzimmer Tangotexte aufsagt, sind Scharen von Wohnmobilen aus dem ganzen Land in der Kleinstadt Seinäjoki eingefallen. Jede Verkehrsinsel, jeder Schulhof ist besetzt. Nur wer heute Morgen früh genug losgefahren ist und sein Lager schon aufgeschlagen hat, kann jetzt schon dabei sein: Beim gemeinsamen Singen am Ufer des Flusses Seinäjoki, der der Stadt ihren Namen gibt. T-Shirts von etlichen vergangenen Tangomärkten weisen diejenigen Besucher aus, die immer wieder kommen. Arm in Arm auf der Wiese kauernd, den Blick in die Ferne gerichtet, versinken sie in eine andere Welt. Hier am Seinäjoki stimmen sie sich ein für die kommende Nacht, die kommende Woche und den Tango, den Tanz der Tänze. Einige hundert Meter weiter ist von dieser Beschaulichkeit kaum noch etwas zu spüren. Dort, vor der Seinäjoki Areena, haben sich die Tore für den großen Gesangswettbewerb gerade geöffnet. Ein schnauzbärtiger Alleinunterhalter hat vor der Halle seine Karaokebude aufgebaut. Darin ringt auf einer kleinen provisorischen Bühne ein ehemaliger Königsanwärter verzweifelt um Aufmerksamkeit.
Ungeduldig strömen die Menschenmassen vorbei in die Areena, um bei der großen Show dabei zu sein. Der neue Tangokönig wird gewählt. Doch das Karaokepublikum lässt sich davon nicht anstecken. Gelassen vertraut es auf die Unterhaltungskünstler aus den eigenen Reihen. Ensti, der Betreiber des zusammengeflickten Karaokezeltes, hat eine Erklärung.
"Es fällt mir nicht ganz leicht das zu sagen, schließlich komme ich ja aus Seinäjoki und sollte entsprechend begeistert sein. Aber es ist einfach zu absurd, wenn diese jungen Kerle von der Frau ihres Lebens singen. Das ist doch völlig unglaubwürdig! Um Tangos zu singen muss man schon ein bisschen gelebt haben...So scheint es eher, als würden Kinder für die Unterhaltungsindustrie der Erwachsenen posieren und deren Erinnerungen von vor über 50 Jahren nochmal aufwärmen....Aber nett sind sie ja, die Tangohoheiten. Ich lerne sie ja alle früher oder später kennen, weil ich jedes Jahr hier meine kleine Bude habe."
Die Stimmung in der Seinäjoki Areena kocht inzwischen. Gut fünftausend Zuschauer verfolgen das gigantische Fernsehspektakel live. Alle sechs Kandidaten haben ihren Auftritt bereits hinter sich. Spannungsvoll erwartet das Publikum das Juryurteil, das nun feierlich von verschiedenen Größen der Unterhaltungsindustrie verlesen wird. Tommi kommt als Letzer dran.
Der strahlende Tommi hat es also geschafft. Und während sich die Fotografen auf den frischgebackenen Tangokönig stürzen und die Mädchen in Hysterie ausbrechen, dringt von draußen die alkoholgeschwängerte Luft des Sommerabends durch die geöffneten Hallentore. Die Hauptstraße von Seinäjoki ist komplett gesperrt; sie wurde zur ”Tangostraße” erklärt. Trauben von Menschen in Campingkleidung scharen sich tanzend um die verschiedenen kleinen Bühnen, auf denen die Tanzorchester aufspielen. Die Menge wogt und wabert, ohne Richtung und Ziel. Alkohol- und Glückseligkeit sind kaum mehr voneinander zu scheiden. Schwer zu sagen wer hier wen noch auf den Beinen hält. Aber so lange die noch tragen, geht es weiter beim großen Woodstock des Nordens.
Trotz der späten Stunde weigert sich der Himmel hartnäckig, dunkler als hellblau zu werden. Die charakteristischen Nebel der Tiefebene von Pohjanmaa ziehen allmählich herauf. Die tanzende Menge auf der Tangostraße verschmilzt immer mehr zu einem einzigen großen wankenden Schiff dass auf Wogen von Musik in den Morgen gleitet. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht Außerhalb des bunten Treibens hat sich eine Gruppe feuchtfröhlicher Damen bereits vor ihren Wohnmobilen am Straßenrand eingefunden und singt zum Ausklang des Tages ein Lied, das nur eine Strophe hat. Es handelt von den "Acht Mädchen auf dem Tangomarkt".
"Wenn ich als Sänger Karriere machen will muss ich viele künstlerische Herausforderungen bestehen. Das ist eine davon."
Tommi setzt sich immer wieder in Pose zurecht und gibt sich ganz erwachsen. Letztlich sei alles nur eine Frage der guten Vorbereitung, versichert er. Er persönlich habe immer schon viel Sport getrieben. Vor allem Elchrennen.
"Das ist eine ziemlich neue finnische Sportart, die perfekt geeignet ist, um die Nerven zu trainieren. Man tritt in Mannschaften gegeneinander an. Zuerst schießt man aus 100m Entfernung mit dem Gewehr auf Elchköpfe aus Pappe, das trainiert die Konzentration und die Nerven... Und dann läuft man vier Kilometer, für die Kondition."
Worum es geht beim großen Tangokönigswettbewerb? Tommi, im "normalen Leben" Gesangsstudent, tut sich schwer mit der Antwort - und das, obwohl er diesem Titel seit Monaten hinterherjagt.
"Hm, das ist eine schwierige Frage. Dieser Tangokönigstitel hat eine Bedeutung, die weit über die Sache an sich hinausgeht. Es ist einfach der beste Weg, um sich in Finnland einen Namen zu machen. Es ist der größte Gesangswettbewerb, den wir haben. Es ist also kein langehegter Kindheitstraum nach dem Motto "Oh wenn ich doch nur einmal Tangokönig sein könnte"."
"Wenn ich gewinnen würde, müsste ich erstmal zwei Freisemester nehmen. Im kommenden Jahr sind drei Tourneen geplant, und ein Plattenvertrag hängt auch mit dran. Ich wäre also ein volles Jahr damit beschäftigt, selbst wenn ich es nur unter die ersten drei schaffe."
"Einen Joker scheint der smarte Tommi jedenfalls tatsächlich in der Tasche zu haben: Prominenz liegt ihm quasi genauso im Blut wie der Hang zur Selbstdarstellung. Eine verwandtschaftliche Verbindung mütterlicherseits führt nämlich geradewegs in die USA, zum Busenwunder Pamela Anderson. Deren Großeltern kamen offenbar aus Finnland."
Während Tommi nervös in seinem Hotelzimmer Tangotexte aufsagt, sind Scharen von Wohnmobilen aus dem ganzen Land in der Kleinstadt Seinäjoki eingefallen. Jede Verkehrsinsel, jeder Schulhof ist besetzt. Nur wer heute Morgen früh genug losgefahren ist und sein Lager schon aufgeschlagen hat, kann jetzt schon dabei sein: Beim gemeinsamen Singen am Ufer des Flusses Seinäjoki, der der Stadt ihren Namen gibt. T-Shirts von etlichen vergangenen Tangomärkten weisen diejenigen Besucher aus, die immer wieder kommen. Arm in Arm auf der Wiese kauernd, den Blick in die Ferne gerichtet, versinken sie in eine andere Welt. Hier am Seinäjoki stimmen sie sich ein für die kommende Nacht, die kommende Woche und den Tango, den Tanz der Tänze. Einige hundert Meter weiter ist von dieser Beschaulichkeit kaum noch etwas zu spüren. Dort, vor der Seinäjoki Areena, haben sich die Tore für den großen Gesangswettbewerb gerade geöffnet. Ein schnauzbärtiger Alleinunterhalter hat vor der Halle seine Karaokebude aufgebaut. Darin ringt auf einer kleinen provisorischen Bühne ein ehemaliger Königsanwärter verzweifelt um Aufmerksamkeit.
Ungeduldig strömen die Menschenmassen vorbei in die Areena, um bei der großen Show dabei zu sein. Der neue Tangokönig wird gewählt. Doch das Karaokepublikum lässt sich davon nicht anstecken. Gelassen vertraut es auf die Unterhaltungskünstler aus den eigenen Reihen. Ensti, der Betreiber des zusammengeflickten Karaokezeltes, hat eine Erklärung.
"Es fällt mir nicht ganz leicht das zu sagen, schließlich komme ich ja aus Seinäjoki und sollte entsprechend begeistert sein. Aber es ist einfach zu absurd, wenn diese jungen Kerle von der Frau ihres Lebens singen. Das ist doch völlig unglaubwürdig! Um Tangos zu singen muss man schon ein bisschen gelebt haben...So scheint es eher, als würden Kinder für die Unterhaltungsindustrie der Erwachsenen posieren und deren Erinnerungen von vor über 50 Jahren nochmal aufwärmen....Aber nett sind sie ja, die Tangohoheiten. Ich lerne sie ja alle früher oder später kennen, weil ich jedes Jahr hier meine kleine Bude habe."
Die Stimmung in der Seinäjoki Areena kocht inzwischen. Gut fünftausend Zuschauer verfolgen das gigantische Fernsehspektakel live. Alle sechs Kandidaten haben ihren Auftritt bereits hinter sich. Spannungsvoll erwartet das Publikum das Juryurteil, das nun feierlich von verschiedenen Größen der Unterhaltungsindustrie verlesen wird. Tommi kommt als Letzer dran.
Der strahlende Tommi hat es also geschafft. Und während sich die Fotografen auf den frischgebackenen Tangokönig stürzen und die Mädchen in Hysterie ausbrechen, dringt von draußen die alkoholgeschwängerte Luft des Sommerabends durch die geöffneten Hallentore. Die Hauptstraße von Seinäjoki ist komplett gesperrt; sie wurde zur ”Tangostraße” erklärt. Trauben von Menschen in Campingkleidung scharen sich tanzend um die verschiedenen kleinen Bühnen, auf denen die Tanzorchester aufspielen. Die Menge wogt und wabert, ohne Richtung und Ziel. Alkohol- und Glückseligkeit sind kaum mehr voneinander zu scheiden. Schwer zu sagen wer hier wen noch auf den Beinen hält. Aber so lange die noch tragen, geht es weiter beim großen Woodstock des Nordens.
Trotz der späten Stunde weigert sich der Himmel hartnäckig, dunkler als hellblau zu werden. Die charakteristischen Nebel der Tiefebene von Pohjanmaa ziehen allmählich herauf. Die tanzende Menge auf der Tangostraße verschmilzt immer mehr zu einem einzigen großen wankenden Schiff dass auf Wogen von Musik in den Morgen gleitet. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht Außerhalb des bunten Treibens hat sich eine Gruppe feuchtfröhlicher Damen bereits vor ihren Wohnmobilen am Straßenrand eingefunden und singt zum Ausklang des Tages ein Lied, das nur eine Strophe hat. Es handelt von den "Acht Mädchen auf dem Tangomarkt".