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Der Fluch des Schwarzen Goldes
Saudi-Arabien steht vor umfassenden Wirtschaftsreformen

Der niedrige Ölpreis hat Saudi-Arabien in eine Krise gestürzt und deutlich gemacht, wie abhängig der Wohlstand des Landes vom Öl ist. Der gerade einmal 30 Jahre alte Vize-Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud will das ändern und hat mit der Rückendeckung seines Vaters, König Salman, umfassende Reformen angekündigt. Das Land steht vor einer Zeit beispielloser Umbrüche.

Von Carsten Kühntopp |
    Der saudi-arabische Königssohn und Verteidigungsgminister Mohammed bin Salman (15.05.2015).
    Der saudi-arabische Königssohn und Verteidigungsgminister Mohammed bin Salman. (dpa / picture-alliance / Olivier Douliery)
    Es ist unerhört: Über Jahrzehnte waren es gebrechliche, greise Männer, die Saudi-Arabien regierten - jetzt will ein junger Prinz alles umkrempeln. Und was er vorhat, erklärt er in einem langen Fernsehinterview - auch das außergewöhnlich in einem Land, in dem es keine öffentliche Debatte über Politik gibt:
    "Heute beruht unsere Verfassung auf dem heiligen Buch und auf dem Erdöl. Das ist sehr gefährlich. Im Königreich haben wir eine Art Sucht nach dem Öl. Das verhinderte die Entwicklung anderer Wirtschaftsbereiche in den vergangenen Jahren."
    Mohammed bin Salman al-Saud, Vize-Kronprinz, erst 30 Jahre alt; überlegt und in wohlgesetzten Worten spricht der etwas dicke junge Mann, der Vollbart ist sorgfältig gestutzt. Sein Plan heißt "Vision 2030", sein Vater - also der König -, und das Kabinett haben ihn soeben gebilligt. Etwa 90 Prozent der Staatseinnahmen kommen direkt oder indirekt aus der Ölproduktion - das soll sich ändern. Weil die Preise niedrig bleiben, ist der Reformdruck hoch. - Einzelheiten sind noch nicht bekannt. Nur dies ist schon klar: Der staatliche Ölkonzern Saudi Aramco wird teilprivatisiert, der Erlös fließt in einen Staatsfonds, und was dessen weltweite Investitionen bringen, kann die Regierung zuhause ausgeben. Außerdem werden die großzügigen Subventionen auf Wasser, Strom und Benzin, die die Saudis bisher genossen, weiter gesenkt - aber nur für einen Teil der Bevölkerung, erklärt Mohammed bin Salman:
    "Wenn wir uns die Staatsregister anschauen, finden wir heraus, dass die Reichen 70 Prozent der Subventionen im vergangenen Jahr bezogen haben - obwohl sie diese Unterstützung gar nicht brauchen! Und das darf doch nicht sein! Nur die Mittelschicht und die unteren Schichten der Gesellschaft bedürfen dieser Subventionen."
    Eine Kampfansage auch an die vielen Tausend Prinzen. Der opulente Lebensstil der weitverzweigten Familie Al-Saud verschlingt bisher Unsummen.
    Kometenhafter Aufstieg
    Mohammed bin Salman hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Als sein Vater vor gut einem Jahr König wurde, kannten ihn nur wenige - doch jetzt ist er die Nummer Drei an der Spitze, leitet als Verteidigungsminister unter anderem den Militäreinsatz gegen die Rebellen im Jemen - und er führt Saudi Aramco, das wahrscheinlich größte Unternehmen der Welt, denn sein Vater betraute ihn auch mit einer Art Oberaufsicht über die Wirtschaft. So viel Macht in einer Hand zu konzentrieren, geht gegen die saudische Tradition. Bisher wurden Zuständigkeiten sorgfältig verteilt, damit sich kein Zweig der Familie benachteiligt fühlt.
    Wie sich Mohammed bin Salman sein Land in 15 Jahren vorstellt - ob es beispielsweise wie das heutige Dubai ist, nur etwas frommer - das weiß niemand. Doch der Prinz scheint das Königreich tatsächlich öffnen zu wollen. Das wird deutlich, wenn er über seine Pläne für die Kultur und den Tourismus spricht:
    "Während wir die islamische Geschichte ohne Zweifel als sehr wichtig betrachten, haben wir aber auch eine viele hundert Jahre alte Geschichte der Araber. Dazu kommt, dass wir einen Teil der europäischen Kultur und deren Kulturstätten in Saudi-Arabien haben. Und wir haben Ruinen untergegangener Kulturen, tausende Jahre alt, viel älter als vieles andere. Das ist nur ein Teil unseres Kulturguts."
    So viel Respekt für die vorislamische Kulturgeschichte hat vor ihm wohl noch kein ranghohes Mitglied des Königshauses öffentlich geäußert. Etwa 70 Prozent der Saudis sind so alt wie Mohammed oder jünger. Bei vielen von ihnen kommt er gut an - zum Beispiel bei dieser Berufstätigen in Riad: "Seine Ankündigung, dass Frauen ein Teil der 'Vision 2030' sind - darüber freuen wir uns, wie auch darauf, dass die saudischen Frauen zur Transformation der Wirtschaft beitragen. Dies wird ihnen Möglichkeiten eröffnen, und ganz gewiss werden künftig mehr Frauen in Saudi-Arabien arbeiten gehen."
    Widerstände sind vorprogrammiert
    Die Ausbildung des Vize-Kronprinzen war untypisch mittelmäßig: Mohammed studierte nicht im Ausland und hat nur einen Bachelor in Rechtswissenschaften. Dann soll es seine Mutter gewesen sein, die ihn zur Übernahme von Regierungsverantwortung drängte. Man weiß, dass Mohammed vier Kinder hat und gerne Wasserski fährt, dass er alle Produkte von Apple liebt und dass sein Lieblingsland Japan ist. Er gilt als sehr ambitioniert und energieladen, als der eigentliche Macher hinter dem König - aber auch als ein wenig impulsiv.
    Wenn Mohammed bin Salman seine "Vision 2030" nun umsetzen will, dürfte er auf entschiedenen Widerstand stoßen. Da ist die Regierungsbürokratie, die meistens ineffizient ist oder gar nicht funktioniert. Da ist eine Gesellschaft, die teilweise sehr konservativ ist. Und da ist vor allem die islamische Geistlichkeit, die befürchtet, dass jede Öffnung des Landes den Einfall westlicher Unmoral und Sünde bedeutet. Mohammed dürfte wissen, worauf er sich eingelassen hat. Sollte er seine "Vision 2030" ernst meinen, dürfte Saudi-Arabien vor einer Zeit beispielloser Umbrüche stehen.