"Ich zählte täglich des Morgens und Abends in der Kühle, und des Nachmittags in der größten Hitze meine … Schritte während einer halben Stunde, die ich bey der Karawane zu Fuße ging, und fand gemeiniglich, dass ich in der Hitze … 1580, in der Kühle aber 1620 doppelte Schritte machte. Ich nahm das Mittel, nämlich 1600 doppelte Schritte für eine halbe Stunde an. … Nun brauchte ich weiter nichts als die Direktion des Weges und die Zeit zu bemerken, welche wir nach einer jeden Gegend reisten. Hiernach berechnete ich die Länge des Weges in Schritten, nämlich 1180 von meinen Schritten auf eine viertel Meile."
Mit seinen Berechnungen schuf der norddeutsche Mathematiker Carsten Niebuhr verlässliches und bis dahin in Europa nicht vorhandenes Kartenmaterial. Als Kartograf mit Arabischkenntnissen war er von seinem Professor, dem renommierten Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis, berufen worden, an einer Expedition teilzunehmen. Sechs Jahre, von 1761 bis 67, dauerte diese Reise, finanziert vom dänischen König Frederik V.: Von Kopenhagen über Konstantinopel und Kairo in den Jemen, weiter nach Bombay, dann nach Jerusalem und Damaskus. Michaelis hatte der sechsköpfigen, interdisziplinären Forschergruppe einen umfangreichen Fragenkatalog mitgegeben. Der Nordeuropahistoriker Michael Engelbrecht:
"Da man das Grundverständnis hatte, dass Arabien sich seit den biblischen Zeiten nicht sehr verändert hatte, wollte man Beweise sammeln, um zu zeigen, wie die biblische Welt war, und wie sie auch immer sich noch in Arabien zeigen würde. "
Reise für gescheitert erklärt
Präzise Beschreibungen von Tieren und Landschaften, die im 5. Buch Mose erwähnt waren und Auskünfte zu Nahrungsmitteln und Krankheiten sollten helfen, die Bibel exakter zu deuten. Aber Niebuhr brachte nicht die erhofften Antworten. Auf die Frage zum Beispiel, ob die Araber ihre Rinder genauso abrichteten wie die Hottentotten im Buch Hiobs, schrieb Niebuhr:
"Wenn es wahr ist, dass die Ochsen der Hottentotten sich gewöhnen lassen, sich des Nachts in einer Reihe dicht an dicht an einander zu stellen, um den ankommenden wilden Thieren eine ganze Linie von Hörnern entgegen zu setzen, so müssen die arabischen Ochsen wohl dümmer sein, denn der gleichen Tugenden habe ich niemals von ihnen gehört."
Da bis auf Niebuhr alle Expeditionsteilnehmer unterwegs an Malaria gestorben waren, musste sich Michaelis schließlich mit dessen Ergebnissen begnügen. Der Orientalistikprofessor war verbittert, dass die Wirklichkeit nicht seinen Vorstellungen entsprach. Er bezeichnete in seinen Memoiren die Mission als gescheitert. Völlig zu Unrecht, findet Michael Engelbrecht.
Alleine lieber inkognito unterwegs
"Was natürlich viel mehr wert … ist, die Art und Weise wie er reiste, … dass er die Kultur des Gastlandes übernahm, sich arabisch kleidete, sich arabisch benahm und dadurch natürlich in die Kultur eintauchte, wie das für einen Europäer nie möglich gewesen wäre."
Die Forscher waren als offizielle Delegation des dänischen Königshauses gereist, doch alleine war Niebuhr lieber inkognito unterwegs - als armer Orientale namens Abdallah, was so viel heißt wie Diener Gottes. Er zeichnete Stadtpläne und kopierte die persische Keilschrift, besuchte Pilgerstätten, die er sich genau einprägte und dann beschrieb. Er sammelte alle zugänglichen Informationen über die medizinische Versorgung, städtische Verwaltungssysteme, Handel und Geschichte Arabiens. So lieferte er bis dahin völlig unbekannte Skizzen und Beschreibungen des Orients.
Wieder in Deutschland arbeitete Niebuhr an der Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse und der seiner verstorbenen Weggefährten. 1772 erschien der erste Reisebericht, dem weitere Bände folgten. Seine Berechnungen der Koordinaten des biblischen Babylons lieferten den Anstoß zur wissenschaftlichen Erforschung der antiken Stadt. Nachdem Niebuhrs Karten vom Roten Meer erschienen waren, änderte die britische Post ihre Route nach Indien und beförderte ihre Briefe über Suez und nicht mehr auf dem Seeweg um Afrika herum.
Carsten Niebuhr selbst ging nicht mehr auf Reisen. Er verbrachte den Rest seines Lebens im schleswig-holsteinischen Meldorf als dänischer Verwaltungsbeamter. Er starb am
26. April 1815 mit 82 Jahren.
26. April 1815 mit 82 Jahren.