Vercors:
"Der Waffenstillstand vereitelte meine Absicht, mit meinen Leuten die Höhen des Vercors zu erreichen, um dort unsere Freiheit zu verteidigen."
"Der Waffenstillstand vereitelte meine Absicht, mit meinen Leuten die Höhen des Vercors zu erreichen, um dort unsere Freiheit zu verteidigen."
Der sich da an Frankreichs schwärzeste Stunde im Zweiten Weltkrieg erinnert, konnte von Glück sagen, dass ihm der am 22. Juni 1940 mit Nazi-Deutschland geschlossene Waffenstillstand einen Strich durch die Rechnung machte. Hätte er tatsächlich im Vercors, dem schwer zugänglichen Kalksteinmassiv der Voralpen unweit Grenoble weitergekämpft, wie es später die Résistance der Region tat, wäre er wohl kaum unter den Überlebenden des Krieges geblieben. Im Sommer 1944 zerschlugen deutsche Truppen in einem Großeinsatz nicht nur das Widerstandsnest, sondern vernichteten auch die umliegenden Dörfer bis zum letzten Säugling. Das Vercors wurde wie Oradour-sur-Glane zum Mahnmal deutscher Kriegsgräuel. Aber ehe es das wurde, diente es dem Schriftsteller, von dem hier die Rede ist, als Deckname.
" … ich änderte meinen Namen und nannte mich von nun an Vercors."
Erstling bleibt größter Erfolg Vercors
Der 1902 in Paris Geborene hieß ursprünglich Jean Bruller, war vor dem Krieg ein namhafter Karikaturist und Buchillustrator und engagierte sich nun - nach dem Zusammenbruch Frankreichs - im Widerstand hauptsächlich mit der Feder. Unter dem Pseudonym "Vercors" schrieb er 1941 seine erste Erzählung: "Das Schweigen des Meeres". Sie wurde sein größter Erfolg, erfuhr 72 Auflagen und Übersetzungen in 40 Sprachen. Obwohl er bis zu seinem Tod am 10. Juni 1991 noch eine Vielzahl literarischer Texte folgen ließ, blieb sein Name doch vor allem mit diesem Erstling verbunden. Stephan Hermlin:
"Der Erzähler, der allein mit seiner Nichte lebt, erhält einen unerwünschten Quartiergast, einen deutschen Offizier, der sich schnell als ein Bewunderer Frankreichs und seiner Kultur zu erkennen gibt. Er ist gebildet, diskret, wohlerzogen. Sein Lieblingsthema ist die deutsch-französische Freundschaft. Seinen abendlichen Exkursen setzen die beiden anderen Hausbewohner ein höfliches und unüberwindliches Schweigen entgegen. Dieses Schweigen dauert auch an, als in der Panegyrik des Offiziers ein neues, tieferes Gefühl für die junge Französin sich offenbart, ein Gefühl, das diese vielleicht erwidert. Es dauert auch an, als der Offizier verzweifelt offenbart, dass er begriffen hat, ein Opfer der offiziellen Propaganda geworden zu sein. Und auch die Konsequenz, die er zieht, die Versetzung an die Ostfront, eine Art von getarntem Selbstmord, auch diese Konsequenz wird das Schweigen nicht brechen."
In einem Rundfunk-Essay fasste der Schriftsteller Stephan Hermlin den Inhalt von Vercors’ Meistererzählung zusammen. Das Schweigen als Waffe im Kampf gegen den übermächtigen Feind und Besatzer kennzeichnete die erste Phase der französischen Widerstandsliteratur im Zweiten Weltkrieg, den Augenblick der Schockstarre, in den der überraschende deutsche Blitzsieg den zur Résistance bereiten Teil der Franzosen zunächst versetzt, ehe er sich zum aktiven Widerstand entschließt. Vercors sagt das so: "Ich schrieb 'Das Schweigen des Meeres', weil es nötig war, allen zu zeigen, dass Frankreich mitten im Krieg fortfuhr, seiner geistigen Berufung zu folgen."
Kritik an Vichy-Regierung in seinen Werken
Noch mehrmals griff der Autor "mitten im Krieg" Widerstandsthemen auf. In der Novelle "Der Stern der Verheißung" prangerte er die Verbrechen der mit Nazi-Deutschland kollaborierenden Vichy-Regierung an. In der Erzählung "Der Traum" kleidete er die Hölle der Konzentrationslager in eine auf einen Opferbericht gestützte höchst realistische Schreckensvision. Alle diese Titel erschienen in einem Geheimverlag. Vercors:
"Wir nannten ihn 'Éditions de Minuit'".
Den "Mitternachtsverlag" gründete Vercors 1941 zusammen mit Pierre de Lescure. In ihm erschien bis zur Befreiung Frankreichs im Spätsommer 1944 nur Widerstandsliteratur, insgesamt 25 Titel aus den unterschiedlichen Lagern der Résistance. Dass die "Éditions de Minuit" und mit ihnen ihr Verleger die deutsche Besatzungszeit überlebten, ist nur dessen extremer Vorsicht zu verdanken. Nicht einmal Vercors Frau wusste, wer sich unter dem Decknamen Vercors verbarg.