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Der frühe Vogel fängt den Wurm später

Verhaltensforschung. - Meisen im Winter müssen so viel fressen, dass sie kalte Nächte überstehen, aber nicht so viel, dass sie dafür von Räubern gefressen werden. Britische Forscher haben bei Meisen ein besonderes Verhalten beobachtet, mit dem sie in diesem Dilemma die größten Überlebenschancen erzielen.

Von Lucian Haas |
    Der Winter ist für heimische Gartenvögel wie Kohl- und Blaumeisen eine harte Zeit. Die Tage sind kurz, und die Nächte lang und kalt. Der Energiebedarf ist entsprechend hoch. Damien Farine, Biologe an der Oxford University in Großbritannien.

    "Die Vögel verbrennen viel von ihrem Körperfett in nur einer einzelnen Nacht. Bis zum nächsten Morgen können sie bis zu zehn oder 20 Prozent ihres Körpergewichts verlieren. Deshalb können sie es sich nicht wirklich leisten, am Tag länger nichts zu fressen."

    Am besten wäre es, sie würden den ganzen Tag fressen und sich eine richtig dicke Speckschicht anfuttern. Aber das birgt eine andere Gefahr: Fette Vögel werden träge. Farine:

    "Sperber sind die größten Feinde der Meisen. Frühere Studien haben gezeigt, dass Blau- oder Kohlmeisen, die fetter sind, eher von Sperbern gefangen werden."

    Damien Farine fragte sich, wie die Meisen wohl am besten mit diesem Dilemma umgehen könnten. Er entwickelte eine Theorie: Die Vögel haben die größten Chancen zu überleben, wenn sie hauptsächlich am Nachmittag das nötige Fett für die Nacht anfressen. Den Vormittag könnten sie nutzen, um flink die besten Futterstellen ausfindig zu machen – wenn sie noch leicht genug sind, um den Sperbern sicher zu entkommen. Und tatsächlich: Bei Feldstudien in einem Waldgebiet bei Oxford beobachtete der Biologe genau dieses Verhalten.

    "Die Vögel suchen bis zum Mittag nach Futterplätzen. Und am Nachmittag fangen sie dann an zu fressen. Anfangs fressen sie nur wenig, aber dann legen sie sehr deutlich zu."

    Im Rahmen der Studie untersuchte Damien Farine Blaumeisen, Kohlmeisen, Sumpfmeisen, Tannenmeisen und Kleiber. Mehr als 2000 dieser Vögel stattete er gemeinsam mit Kollegen mit kleinen, individuellen Funkchips an den Beinen aus. Zudem verteilten die Forscher im untersuchten Waldstück mobile Futterstellen, die mit passenden Empfängern ausgerüstet waren, und zwar jeden Tag neu und nach anderen Mustern. Die Hälfte der Vogelhäuschen stellten sie jeweils morgens, die andere Hälfte am Nachmittag auf. So konnten sie genau verfolgen, ob und wann die einzelnen Vögel die jeweiligen Futterplätze entdeckten und auch nutzten. Die Daten zeigen deutlich, dass vor allem die früh aufgestellten Futterstellen schnell von vielen Vögeln gefunden wurden, während sie sich dann hauptsächlich am Nachmittag dort in Scharen versammelten, um zu fressen.

    "Ich erforsche gemischte Vogelschwärme, und wie sich verschiedene Arten darin verhalten. Dass in diesem Fall alle fünf untersuchten Arten das gleiche allgemeine Verhaltensmuster zeigen, hat mich schon sehr überrascht."

    Damien Farine vermutet, dass die Meisenvögel über Artengrenzen hinweg voneinander lernen können, und jene Tiere, die dazu nicht bereit oder fähig sind, am ehesten gefressen werden. So können sich die Vögel schnell an wechselnde Umweltbedingungen anpassen. Interessant wäre natürlich zu wissen, inwieweit auch die Sperber sich auf das Verhalten ihrer potentiellen Jagdopfer einstellen. Farine:

    "Das ist das Puzzleteil, das uns noch fehlt. Wir wissen bisher sehr wenig darüber, was die Raubvögel machen. Es wäre toll, wenn wir auch sie per Funk überwachen und die Daten mit denen der Meisen vergleichen könnten. Aber das haben wir bisher nicht geschafft."

    Für Vogelfreunde mit eigenem Garten hat Damien Farine einen Tipp auf Basis seiner Forschungen: Wer am Nachmittag gerne viele Vögel rund um sein Vogelhäuschen flattern sehen möchte, sollte am besten schon früh morgens für Futternachschub sorgen.