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Der ganz normale Alltag am Fuße des Vulkans

Die römischen Städte Pompeji und Herculaneum stehen vor allem für den Untergang von Kunst und Handel unter der Asche des Vesuvs. Eine Ausstellung im British Museum zeigt nun aber auch das Alltagsleben der Menschen, das zumeist von Sklaven unterstützt und organisiert wurde.

von Hans Pietsch |
    Zwei Marmorstatuen, ein verkohlter Tisch, der Gipsabdruck eines sich windenden Hundes, eine Vitrine mit ein paar Alltagsgegenständen, daneben zwei Schrifttafeln. Auf der einen ist zu lesen: 'Leben', auf der anderen 'Tod'.

    So beginnt die Schau über Pompeji und Herculaneum. Das Neue an ihr ist, dass sie sich ganz auf das Alltagsleben dieser ganz normalen römischen Städte konzentriert - Pompeji als kommerzielles Zentrum am Golf von Neapel, das nahe gelegene Herculaneum als Badeort am Meer. Sie beginnt mit einem Gang durch Pompejis Hauptstraße. Läden auf beiden Seiten, eine Bäckerei, ein Fischgeschäft, dahinter der Wohnbereich der Ladenbesitzer. Und da es eine lebendige, ja raubeinige Stadt war, überall Kneipen und - Bordelle.

    Dann betreten wir das Haus eines reichen Pompejaners. Im Atrium mit seinem Springbrunnen und den Statuen empfing der Hausherr seine Gäste. Von dort geht es in die Privatgemächer. Hier ein hölzerner Beistelltisch, dort ein Hocker und ein von einer nackten Figur mit erigiertem Penis getragener Tisch aus Stein, auf dem kostbare Schalen und Vasen präsentiert wurden. In Vitrinen die Gegenstände, mit denen diese Menschen lebten - Geschirr, Brettspiele, Make-up Utensilien für die Dame, Kinderspielzeug. In der Küche ein Mosaik mit Obst und erlegten Tieren, allerlei Gerätschaften, unter anderem ein mit einem delikaten Muster versehenes metallenes Sieb, das den Namen seines Schöpfers trägt. Und immer wieder Fresken, mit Porträts und mythischen sowie Alltagsszenen. In eines von ihnen haben offenbar Kinder mit Nägeln primitive Jagdszenen geritzt. Dazwischen Ausstellungsstücke, die einem den Atem nehmen. Etwa eine verkohlte Wiege, die man auch heute noch schaukeln könnte. Das Kind, das in ihr lag, so sagt der Begleittext, verbrannte, in eine Decke gewickelt.

    Ein Leben also, dem unseren gar nicht so unähnlich. Mit zwei Unterschieden: Es war nur möglich mit einem Heer von Sklaven, die aus allen Ecken des Römischen Reiches stammten. Und die Einstellung zum Sex. Nicht nur in Privaträumen, sondern auch im öffentlichen Bereich wird Sex freimütig dargestellt - der erigierte Penis einer Gottheit dient als Öllampe, Pan und eine Ziege beim Geschlechtsakt als Gartenstatue, Fresken mit kopulierenden Paaren, ganz besonders schön eines, das offenbar eine neue Position ausprobiert, im Hintergrund eine Sklavin, die notfalls helfend einspringen kann.

    Am Ende haben wir sie alle kennengelernt, sie sind uns als Menschen nahegekommen: die reiche Eumachia, Priesterin und Mäzenin, die uns als weiße Marmorstatue am Eingang begrüßte; den Fischsoßen-Fabrikanten Umbricius Scaurus, dessen mit seinem Namen gestempelte Amphoren im gesamten Mittelmeerraum zu finden waren; den Bäcker Terentius Neo und seine Frau, ein gebildetes Paar, sie als gleichberechtigter Partner; den Bankier Lucius Cacilius Iucundus, dessen Bronzeporträt das Atrium seines opulenten Hauses schmückte; und den befreiten Sklaven Lucius Mammius Maximus, mit eleganter Toga und strengem Blick.

    Diese uns in der Ausstellung so vertraut gemachte Welt wird im Jahr 79 nach Christus mit einem Schlag zerstört. Knapp 24 Stunden dauert das Inferno, dann sind Pompeji und Herculaneum unter Vulkanasche und Bimsstein begraben. In Herculaneum verbrennt die enorme Hitze des pyroklastischen Materials die Menschen, Objekte dagegen verkohlen und bleiben so erhalten; in Pompeji ist die Hitze nicht so stark, die verwesten Körper hinterlassen in der hart gewordenen Asche Höhlungen, in die der Archäologe Giuseppe Fiorelli im 19. Jahrhundert Gips goss, und so die Gestorbenen zum Leben erweckte.

    Diese geisterhaften Körper beschließen die Schau, und obwohl uns schon am Anfang das Ende der Geschichte bekannt ist, und obwohl wir sie von Fotos her kennen, ist ihr Anblick doch ein Schock. Der sogenannte 'Maultiertreiber' kauert wie ein Bettler vor einer Kirchentür, die Arme verkrampft; und, besonders ergreifend, eine vierköpfige Familie, die unter einer Treppe Schutz suchte. Vater und Mutter fallen rückwärts, die Arme ausgestreckt, ein Kind versucht, den Schoß der Mutter zu verlassen, das Zweite liegt auf dem Boden, Hände und Füße erstarrt, der Gesichtsausdruck sagt: Ich weiß nicht, was mir geschieht.

    Weitere Informationen:
    Die Ausstellung ist noch bis zum 29. September 2013 im British Museum zu sehen.