Der Frühling ist ein blauer Schmetterling. Und er erobert Berlin: Er klebt an Bushaltestellen und auf Bauzäunen, auf Plakatwänden und in U-Bahnhöfen. Er ist exotisch, schillernd und traumhaft schön. Und er wirbt für den Animismus - oder besser: für die Ausstellung zum Thema im Haus der Kulturen der Welt. Wird Berlin jetzt bekehrt? Soll die Hauptstadt an Geister glauben? Und: Was genau ist eigentlich Animismus?
"Animismus ist eine Bezeichnung für - in der Regel sagt man religiöse Praktiken, aber es ist besser zu sagen Kosmografien, also Weltbilder, die sich zuallererst einmal durch eine Sache auszeichnen: nämlich dass sie die Natur oder die Objekte nicht objektivieren, sondern subjektivieren, das heißt quasi wie Subjekte wahrnehmen und behandeln."
Sagt Anselm Franke, Kurator der Ausstellung. Für Animisten sind auch Dinge und Tiere Personen, man kann mit ihnen sprechen, sie verehren, zu ihnen beten. Und manchmal antworten sie auch. Es geht also um Religion, und zwar in einem sehr elementaren Sinn. Oder doch nicht? Die Literaturwissenschaftlerin Irene Albers hat mit Anselm Franke die Schau und das Begleitprogramm entworfen. Sie weiß,
" ... dass der Animismusbegriff wie der Fetischismus eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist, also auch einen ganz bestimmten historischen Ort hat und im Wesentlichen zurückgeht auf den englischen Ethnologen Tylor, der 1871 ein Buch geschrieben hat mit dem Titel 'Primitive Culture', in dem er Animismus definiert als eine Art ursprüngliche religiöse Praxis oder Religion, die darin besteht, dass man an geistige Wesen glaubt und dass man Dingen eine Seele zuschreibt, eine Geisterseele oder Geistseele, wie Tylor sagt."
Mit dem Animismus entwarf Edward B. Tylor ein für den Kolonialismus ideales Kultur- und Religionsmodell. Unten stand der Primitive, der Eingeborene mit seinem Geisterglauben, ganz oben thronte der weiße Europäer: der Monotheist, die Krone der Schöpfung. Doch der Animismus ist nicht tot. Auch der rationale, aufgeklärte Mensch der Moderne spürt, dass die Dinge ein Eigenleben haben - und womöglich einen Geist. Das kommt ihm unheimlich vor, das Tote hat tot zu sein, das Lebendige soll leben. Alles andere macht Angst und bringt die Ordnung von Subjekt und Objekt in Gefahr. Dass diese Ordnung brüchig ist, lässt sich in Berlin wunderbar entdecken.
Zum Beispiel an einer Installation des Amerikaners Jimmie Durham: Ein paar Steine auf dem Boden, dazu Messer, ein Holzbrett: Durhams ironisch-melancholisches "Museum of Stones" spielt mit unseren Erwartungen an ein Museum. Jeder Stein ist das Ergebnis einer langsamen Formung durch die Natur. Steine sind entstanden, Steine werden vergehen. Müssen wir sie auch als gewachsene sehen, als Wesen, deren Sprache wir nicht verstehen, weil wir zu schnell leben?
Filme, Videos, Skulpturen, Bücher: Die Berliner Ausstellung sucht nach den Grenzen zwischen dem rational Sicheren und dem Unwägbaren. Eines wird schnell klar: Je technischer wir unsere Welt zurichten, desto stärker wächst unsere Sehnsucht danach, sie zu beleben, sie zu animieren. Das ist mehr als ein Wortspiel, Animismus und Animation gehören zusammen. Anselm Franke:
"Vielleicht ist die Wichtigkeit der technischen Medien in der Moderne, also dieses Verlangen, die Bilder zu reproduzieren und zum Bewegen zu bringen, die dann so etwas wie das Kino erst hervorbringt oder den Trickfilm, vielleicht hängt die zusammen damit, dass wir auf der einen Seite ein mechanistisches, materialistisches, objektivierendes Weltbild haben und auf der anderen Seite ein Begehren, diese Sachen zu kompensieren. Und das findet dann im Bereich der Medien statt und der reinen, was wir als reine Fiktion gelernt haben wahrzunehmen."
1927 drehte der Berliner Maler und Filmemacher Hans Richter seinen Streifen "Vormittagsspuk". Da fliegen Hüte über Männern, da tun sich Spalten im Wirklichen auf, da verschwinden Bärte, und Schusswaffen gruppieren sich zu Ornamenten: Die dadaistische Avantgarde sah die Anarchie der Dinge als politisch-poetischen Kommentar zu dem, was man Realität nennt.
Wie lustig es beim Beseelen und Beleben zugehen kann, zeigt Walt Disneys Totentanz-Film "Dance of the Skeletons", der "Tanz der Gerippe" von 1931. Vier Skelette verlassen ihre Gräber und führen auf dem Friedhof einen "danse macabre" auf: sportlich, rhythmisch und allerbester Laune. Die gezeichneten Tänzer haben viel Spaß bei ihrem Knochenballett. Am irrsten ist wohl die Szene, in der eines der Knochengerüste ein anderes als Xylophon missbraucht. Der Tote animiert den Toten, und jeder Wirbel gibt einen Ton:
"Animismus" ist eher eine politische Ausstellung als eine ethnologische. Wer Tieren und Dingen eine Seele zusprach, galt früher als minderwertig. Heute weiß man: Wenn die Natur zum Rohstofflager wird, wenn Tiere Sachen statt Geschöpfe sind, wird die Umwelt zum Dämon. Deshalb haben die Ecuadorianer die Rechte der Natur in ihre Verfassung aufgenommen. Ein Film des brasilianischen Architekten Paulo Tavares zeigt, welche juristischen und politischen Folgen das hat. Auch wenn es den Animismus gar nicht gibt - er könnte helfen, der gewaltsamen Entseelung der Welt etwas entgegenzusetzen. Geht es also doch um Religion? Soll in Berlin der Animismus gerettet werden? Irene Albers:
"Wir wollen den Animismus nicht als religiöse Praxis verstehen, sondern als etwas, was viel weiter ausgreift, was man heute auch über den Bereich der Religion hinaus als Praxis beobachten kann."
Und Anselm Franke meint:
"Wenn wir von Religion sprechen, von einer modernen Warte aus, dann ist Religion untrennbar von der Idee, dass es sich hier um Glaube handelt. Und Glaube wird sofort in einen Gegensatz gesetzt zu Wissen. Und diesen Gegensatz zu vermeiden gilt es."
Und der Schmetterling? Das blaue Emblem der Ausstellung zeigt, dass es nicht so einfach ist, den Animismus ins Museum zu bringen, ohne ihm das Leben zu nehmen. Wer genau hinschaut sieht: Der hübsche Blaue steckt auf einer Nadel, die daran erinnert, dass nur das Tote ins Museum kommt. Skelette, Mumien und andere Leichen bevölkern das Haus des Wissens; beim Animismus erwachen sie zu einem neuen Leben.
Wer die Ausstellung gesehen hat, zweifelt - an sich, an der Vernunft, an dem Gedankengebäude, das wir Religion nennen. Und die Moderne entpuppt sich als der Versuch, den Dingen und den Wesen ihre Seele auszutreiben, aus Angst vor dem Unheimlichen. Am unheimlichsten wäre es aber, wenn ihr das eines Tages gelänge. Bis es soweit ist, schläft ein Gott in allen Dingen.
"Animismus ist eine Bezeichnung für - in der Regel sagt man religiöse Praktiken, aber es ist besser zu sagen Kosmografien, also Weltbilder, die sich zuallererst einmal durch eine Sache auszeichnen: nämlich dass sie die Natur oder die Objekte nicht objektivieren, sondern subjektivieren, das heißt quasi wie Subjekte wahrnehmen und behandeln."
Sagt Anselm Franke, Kurator der Ausstellung. Für Animisten sind auch Dinge und Tiere Personen, man kann mit ihnen sprechen, sie verehren, zu ihnen beten. Und manchmal antworten sie auch. Es geht also um Religion, und zwar in einem sehr elementaren Sinn. Oder doch nicht? Die Literaturwissenschaftlerin Irene Albers hat mit Anselm Franke die Schau und das Begleitprogramm entworfen. Sie weiß,
" ... dass der Animismusbegriff wie der Fetischismus eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist, also auch einen ganz bestimmten historischen Ort hat und im Wesentlichen zurückgeht auf den englischen Ethnologen Tylor, der 1871 ein Buch geschrieben hat mit dem Titel 'Primitive Culture', in dem er Animismus definiert als eine Art ursprüngliche religiöse Praxis oder Religion, die darin besteht, dass man an geistige Wesen glaubt und dass man Dingen eine Seele zuschreibt, eine Geisterseele oder Geistseele, wie Tylor sagt."
Mit dem Animismus entwarf Edward B. Tylor ein für den Kolonialismus ideales Kultur- und Religionsmodell. Unten stand der Primitive, der Eingeborene mit seinem Geisterglauben, ganz oben thronte der weiße Europäer: der Monotheist, die Krone der Schöpfung. Doch der Animismus ist nicht tot. Auch der rationale, aufgeklärte Mensch der Moderne spürt, dass die Dinge ein Eigenleben haben - und womöglich einen Geist. Das kommt ihm unheimlich vor, das Tote hat tot zu sein, das Lebendige soll leben. Alles andere macht Angst und bringt die Ordnung von Subjekt und Objekt in Gefahr. Dass diese Ordnung brüchig ist, lässt sich in Berlin wunderbar entdecken.
Zum Beispiel an einer Installation des Amerikaners Jimmie Durham: Ein paar Steine auf dem Boden, dazu Messer, ein Holzbrett: Durhams ironisch-melancholisches "Museum of Stones" spielt mit unseren Erwartungen an ein Museum. Jeder Stein ist das Ergebnis einer langsamen Formung durch die Natur. Steine sind entstanden, Steine werden vergehen. Müssen wir sie auch als gewachsene sehen, als Wesen, deren Sprache wir nicht verstehen, weil wir zu schnell leben?
Filme, Videos, Skulpturen, Bücher: Die Berliner Ausstellung sucht nach den Grenzen zwischen dem rational Sicheren und dem Unwägbaren. Eines wird schnell klar: Je technischer wir unsere Welt zurichten, desto stärker wächst unsere Sehnsucht danach, sie zu beleben, sie zu animieren. Das ist mehr als ein Wortspiel, Animismus und Animation gehören zusammen. Anselm Franke:
"Vielleicht ist die Wichtigkeit der technischen Medien in der Moderne, also dieses Verlangen, die Bilder zu reproduzieren und zum Bewegen zu bringen, die dann so etwas wie das Kino erst hervorbringt oder den Trickfilm, vielleicht hängt die zusammen damit, dass wir auf der einen Seite ein mechanistisches, materialistisches, objektivierendes Weltbild haben und auf der anderen Seite ein Begehren, diese Sachen zu kompensieren. Und das findet dann im Bereich der Medien statt und der reinen, was wir als reine Fiktion gelernt haben wahrzunehmen."
1927 drehte der Berliner Maler und Filmemacher Hans Richter seinen Streifen "Vormittagsspuk". Da fliegen Hüte über Männern, da tun sich Spalten im Wirklichen auf, da verschwinden Bärte, und Schusswaffen gruppieren sich zu Ornamenten: Die dadaistische Avantgarde sah die Anarchie der Dinge als politisch-poetischen Kommentar zu dem, was man Realität nennt.
Wie lustig es beim Beseelen und Beleben zugehen kann, zeigt Walt Disneys Totentanz-Film "Dance of the Skeletons", der "Tanz der Gerippe" von 1931. Vier Skelette verlassen ihre Gräber und führen auf dem Friedhof einen "danse macabre" auf: sportlich, rhythmisch und allerbester Laune. Die gezeichneten Tänzer haben viel Spaß bei ihrem Knochenballett. Am irrsten ist wohl die Szene, in der eines der Knochengerüste ein anderes als Xylophon missbraucht. Der Tote animiert den Toten, und jeder Wirbel gibt einen Ton:
"Animismus" ist eher eine politische Ausstellung als eine ethnologische. Wer Tieren und Dingen eine Seele zusprach, galt früher als minderwertig. Heute weiß man: Wenn die Natur zum Rohstofflager wird, wenn Tiere Sachen statt Geschöpfe sind, wird die Umwelt zum Dämon. Deshalb haben die Ecuadorianer die Rechte der Natur in ihre Verfassung aufgenommen. Ein Film des brasilianischen Architekten Paulo Tavares zeigt, welche juristischen und politischen Folgen das hat. Auch wenn es den Animismus gar nicht gibt - er könnte helfen, der gewaltsamen Entseelung der Welt etwas entgegenzusetzen. Geht es also doch um Religion? Soll in Berlin der Animismus gerettet werden? Irene Albers:
"Wir wollen den Animismus nicht als religiöse Praxis verstehen, sondern als etwas, was viel weiter ausgreift, was man heute auch über den Bereich der Religion hinaus als Praxis beobachten kann."
Und Anselm Franke meint:
"Wenn wir von Religion sprechen, von einer modernen Warte aus, dann ist Religion untrennbar von der Idee, dass es sich hier um Glaube handelt. Und Glaube wird sofort in einen Gegensatz gesetzt zu Wissen. Und diesen Gegensatz zu vermeiden gilt es."
Und der Schmetterling? Das blaue Emblem der Ausstellung zeigt, dass es nicht so einfach ist, den Animismus ins Museum zu bringen, ohne ihm das Leben zu nehmen. Wer genau hinschaut sieht: Der hübsche Blaue steckt auf einer Nadel, die daran erinnert, dass nur das Tote ins Museum kommt. Skelette, Mumien und andere Leichen bevölkern das Haus des Wissens; beim Animismus erwachen sie zu einem neuen Leben.
Wer die Ausstellung gesehen hat, zweifelt - an sich, an der Vernunft, an dem Gedankengebäude, das wir Religion nennen. Und die Moderne entpuppt sich als der Versuch, den Dingen und den Wesen ihre Seele auszutreiben, aus Angst vor dem Unheimlichen. Am unheimlichsten wäre es aber, wenn ihr das eines Tages gelänge. Bis es soweit ist, schläft ein Gott in allen Dingen.