"Die Vorstellung, der philosophische Logos habe den vorphilosophischen Mythos überwunden, hat uns die Sicht auf den Umfang der philosophischen Terminologie verengt; neben dem Begriff im strengen Sinne gibt es ein weites Feld mythischer Transformationen, die sich in einer vielgestaltigen Metaphorik niedergeschlagen haben. Dieses Vorfeld des Begriffs ist in seinem 'Aggregatszustand' plastischer, sensibler für das Unausdrückliche, weniger beherrscht durch fixierte Traditionsformen. Hier hat sich oft Ausdruck verschafft, was in der starren Architektonik der Systeme kein Medium fand. Hier wird behutsame Forschung noch reiche Bestände erheben können."
Als der 1920 geborene Münsteraner Philosoph Hans Blumenberg im Jahr 1957 diese Sätze schrieb, startete er damit ein Projekt, das so gar nicht in den Kanon der philosophischen Forschung zu passen schien. Hans Blumenberg schickte sich nämlich an, eine Kategorie zu beschreiben, die seiner Ansicht nach bisher in der philosophischen Begriffsgeschichte nicht ausreichend wahrgenommen worden war. Denn nicht nur die klaren Definitionen seien es, die menschliches Denken und Verhalten bestimmten, sondern vor allem die Metaphern.
Laut der Brockhaus Enzyklopädie geht unser Fremdwort Metapher auf das griechische Wort metaphérein, anderswo hintragen, zurück. Das gemeinte Wort wird ersetzt durch ein anderes, in seinem Bild- und Bedeutungsgehalt Ähnliches: "Quelle" für Ursache, "kaltes Herz" für Gefühlsarmut, "fauler Zauber" für Betrug. Neben einer Fülle von über einen langen Zeitraum entstandenen Metaphern, die wir in unserem Alltag verwenden, existieren auch jene, die künstlich gebildet werden. Vor allem deshalb, weil die vorhandene Sprache nicht ausreicht zur Beschreibung neuer Phänomene: Atomkern, Mobiltelefon oder Glühbirne.
Diese in der Sprachwissenschaft so benannten notwendigen Metaphern sind es, die Hans Blumenberg besonders interessieren. Er nennt sie allerdings absolute Metaphern. Sie bilden die Grundbestände der philosophischen Sprache, kreieren eine Terminologie jenseits nachprüfbarer Definitionsgewalt, die aber gleichwohl das Denken wirkmächtig strukturiert.
"Ihre Wahrheit ist pragmatisch. Sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität. Dem historisch verstehenden Blick indizieren sie also die fundamentalen, tragenden Gewissheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten."
Zweckmäßigkeit und Schönheit des Metaphorischen bestehen in seiner Eigenschaft, sich nicht in das logische Begriffsdenken übersetzen zu lassen – für die geisteswissenschaftlichen Disziplinen eine geradezu ketzerische Sichtweise. Ausgerechnet mit der Geburt des wissenschaftlichen Denkens im Zeitalter der Aufklärung entstehen laut Hans Blumenberg scheinbar vorwissenschaftliche Grundmetaphern, die dem mythischen Denken zwar immer noch verhaftet sind, ohne die jedoch Erkenntnis wesentlich schwieriger wäre. Die wissenschaftliche Weltauffassung ist das, was sie am wenigsten sein will: metaphernhaltig.
Der Staatsphilosoph Thomas Hobbes fasst die Gesellschaft als einen Körper auf; die Entdeckung des doppelten Blutkreislaufs verändert die Städteplanung grundlegend; René Descartes' Wissenschaftstheorie sieht die Natur als eine uhrwerksähnliche Maschinerie. Für Hans Blumenberg stehen jedoch zwei absolute Metaphern wie tragende Säulen in der Eingangshalle der Neuzeit.
Da ist zum einen das heliozentrische Weltbild, gefördert durch die Schriften des Nikolaus Kopernikus. Mit der Erkenntnis, dass nicht die Erde, sondern die Sonne im Mittelpunkt unseres astrophysikalischen Systems steht, werden wir zum Gegenstand der Gravitation, statt ihr Ausgangspunkt zu sein. Gleichzeitig brechen damit der mittelalterliche Ordo-Gedanke und das teleologische Weltbild zusammen.
Gravitationsfelder und Umlaufbahnen sind es in der Folgezeit, die die Ordnung des Universums bestimmen. Und nicht mehr der im Menschen angelegte Zweck, als stellvertretender Baumeister Gottes die kosmische Architektur zu überwachen. Hinzu kommt die Lichtmetapher im Zusammenhang mit dem Denken der Aufklärung. Sie suggeriert, dass vorher Dunkelheit herrschte und nun alles durch Definitionen und Begriffe erhellt werden kann. Doch sie allein bringen den Menschen nicht zur Vernunft, denn ohne Metaphern bleibt die Welt unvollständig.
Seit den 1950er-Jahren begleitet der Versuch Hans Blumenbergs, eine umfassende Metaphorologie zu entwickeln, seine übrigen Arbeiten wie ein Hintergrundrauschen. In seinen Hauptwerken "Die kopernikanische Wende", "Die Legitimität der Neuzeit" oder "Die Lesbarkeit der Welt" klingt immer wieder das Experiment an, die Unverzichtbarkeit der Metaphern als wichtigstes Hilfsmittel der Erkenntnis methodologisch fassbarer zu machen, und ihre stiefmütterliche Behandlung in der Ideengeschichte auf die philosophische Tagesordnung zu setzen. Hans Blumenbergs Versuche – er starb 1996 – eine komplexe Metaphorologie zu entwickeln, blieben bruchstückhaft.
Trotzdem drängt sich die Frage auf, inwieweit sein Ansatz heute ein nützliches Werkzeug zur Beschreibung einer immer verflochtener werdenden Welt sein könnte.
Denn folgt man Hans Blumenbergs Denken, so entstehen Metaphern immer in Zeiten des Umbruchs. Sie werden zur Chiffre für eine Epoche, in der die Sprache in eine Krise gerät, nicht mehr ausreicht zur Darstellung neuer Entwicklungen und spektakulärer Ereignisse. In seiner Schrift "Paradigmen zu einer Metaphorologie", erschienen 1960, sagt Hans Blumenberg dazu:
"Metaphorik kann auch dort im Spiele sein, wo ausschließlich terminologische Aussagen auftreten, die aber ohne Hinblick auf eine Leitvorstellung in ihrer umschließenden Sinneinheit gar nicht verstanden werden können. Nicht nur die Sprache denkt uns vor und steht uns bei unserer Weltsicht gleichsam im Rücken; noch zwingender sind wir durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt."
Existieren in der Gegenwart des postmodernen Ideendurcheinanders absolute Metaphern, sind sie noch brauchbar und nützlich, unser Weltverhältnis zu fassen? Denn das Definieren, scheint es, ist die Lust des 21. Jahrhunderts. Vom Algorithmus eines Großrechnerprogramms bis zum Export von Karamellbonbons wird alles definiert – und damit zu einem Ende gebracht, Unsagbarkeiten, Unbegriffliches hat da keinen Platz. Alles soll auf der Grundlage von Messbarkeit verhandelt werden, einer Sicherheit, die einzig eine für den jeweiligen Zweck entworfene Terminologie zu gewährleisten scheint. Doch: Wer bewahrt uns vor der Täuschung, dass ein Begriff nicht doch nur eine Metapher sein könnte?
An dieser Stelle lohnt sich ein genauerer Blick auf ein Nebengleis der Metapher, den Blumenberg anbietet. Vor allem dort, wo sie nicht als solche wahrgenommen, sondern für Begriffe gehalten werden, sieht er neben den absoluten Metaphern eine Fülle unklarer Denkformen etabliert, die im Vorfeld der Begriffsbildung stehen, darüber allerdings nicht hinaus kommen. Durch sie wird keine Totalität des Verstehens erzeugt, sondern ein diffuser und ornamentaler Interpretationswirrwarr, von Begriffsbildung kann keine Rede sein. In seinem Theoriefragment der Metaphorologie spielt dieser Umstand für Hans Blumenberg keine so große Rolle – trotzdem lohnt es sich, diesen Aspekt weiter zu verfolgen.
Unklare Sprachbilder wirken wie komprimierte Dateien, die beim Entpacken einen ganzen Wust von Konnotationen und Wissenspartikeln nach sich ziehen. Allerdings ohne, dass es den sprechenden Akteuren bewusst wäre. Tagtäglich werden Axiome benutzt, neu gebildet oder aus dem Arsenal der Sprache hervorgekramt, allgemeine Akzeptanz voraussetzend. Bei näherer Betrachtung bestimmter sprachlicher Konstrukte sind jedoch Zweifel angebracht, ob metaphorische Vereinfachungen, auf die man sich geeinigt hat, nicht eher vernebeln als verdeutlichen.
Das Wort "Klimawandel" beispielsweise suggeriert einen langsamen Vorgang – und damit die Möglichkeit, während des Verwandelns noch genügend Zeit zu haben, ihn aufzuhalten oder zumindest gestalten zu können. Wandel impliziert auch sanften Fortschritt, dass es um etwas Notwendiges geht, dem man sich nicht in den Weg stellen kann und auch nicht sollte. Schließlich verwandelt sich auch das Erscheinungsbild eines Waldes oder einer Wiese im Laufe des Jahres, die Ansichten der Menschen unterliegen einer ständigen Veränderung und wir werden alle älter.
Wandel führt planbare, gutmütige Entwicklung in seinem Interpretationsfeld mit, er ist nichts Abruptes, Überfallartiges, sondern stetig vollzieht er einen Weg, der sowieso nicht aufzuhalten ist. Hinzu kommt, dass Wandel auf einen Endpunkt in der Zukunft verweist, der nichts Schreckhaftes hat, sondern dem natürlichen Gang der Evolution entspricht. In einer Zeit, in der die Intervalle zwischen den Innovationsschüben immer kürzer werden, birgt der Wandel das Versprechen einer erträglichen Entwicklung, die niemandem auffallen und keinen schmerzen wird.
Darüber hinaus bezeichnen Wandlungen einen Vorgang, dessen Auswirkungen man nicht mehr als einschneidend oder beängstigend wahrnehmen wird, wenn sie erst eingetreten sind: Hätte man uns vor 20 Jahren gesagt, dass wir in der U-Bahn oder auf der Straße von Mitmenschen umgeben sein werden, die ihr Intimstes lautstark in eine knapp 15 Quadratzentimeter große Box sprechen, wäre das bestimmt eine unangenehme Vorstellung gewesen. Hinter der Vokabel "Wandel im Kommunikationsverhalten", benutzt in den 1990er-Jahren, hätte niemand eine zunehmende Distanzlosigkeit in der Gesprächskultur vermutet.
Klimawandel redet ein: Bis Staaten wie die Niederlande oder Bangladesch komplett unter Wasser stehen, Lappland zu einem Sonnenanbeter-Paradies wird oder ganzjährig über Mitteleuropa Orkane hinwegfegen, wie man sie heute nicht einmal aus der Karibik kennt – bis dahin wird uns schon etwas eingefallen sein. Schließlich braucht der Wandel nicht nur Zeit, er hat sie auch im Überfluss – so jedenfalls die beruhigende Hintergrundinformation dieser Metapher. Wäre stattdessen von einer Klimakatastrophe die Rede, bliebe viel weniger Deutungsspielraum. Hier wäre sofort klar, dass außer der schnellen Flucht nichts mehr bliebe.
Verschleiernde Metaphern scheinen immer dann zu entstehen, wenn eine klare Sprache vermieden werden soll – ein krasser Unterschied zu ihren ursprünglichen Funktionen als Hilfsmittel der Welthandhabung und des Verstehens komplizierter Zusammenhänge. Denn eines ist der Mensch von Anbeginn an: neugierig auf Grenzen und Erweiterung seiner Erkenntnisfähigkeiten. Hans Blumenberg in seiner Schrift "Schiffbruch mit Zuschauer", erschienen 1979:
"Wenn wir schon einsehen müssen, dass wir nicht die Wahrheit von der Wissenschaft erwarten dürfen, so wollen wir doch wenigstens wissen, weshalb wir wissen wollten, was zu wissen nun mit Enttäuschung verbunden ist. Metaphern sind in diesem Sinne Leitfossilien einer archaischen Schicht des Prozesses der theoretischen Neugierde. Das Rätsel der Metapher kann nicht allein aus der Verlegenheit um den Begriff verstanden werden. Rätselhaft ist, weshalb Metaphern überhaupt 'ertragen' werden."
Tatsächlich sind manche Metaphern nur schwer zu erdulden: Ein Gelände, auf dem hochgefährlicher radioaktiver Abfall "zwischengelagert" wird, der bei unsachgemäßer Behandlung noch in 10.000 Jahren ganze Landstriche vergiften könnte, maskiert sich sprachlich als "Entsorgungspark": Eine Sorge verschwindet und dort wo sie ist, lässt sich sogar noch lustwandeln. In einem Zinksarg mit Bundesadler auf dem Deckel liegt ein Soldat, der bei einem "Friedenseinsatz" ums Leben kam – vorzugsweise "am Hindukusch", einer Gebirgsgegend also mit dem herrlichen Panorama schneebedeckter Gipfel.
Der zeitgenössische Metapherngebrauch arbeitet mit einem Standard von Erwartungen, einem kulturellen und ästhetischen Repertoire, das den jeweiligen Nutzern zur Verfügung steht. Je armseliger und verengter dieses Arsenal ausgestattet ist, desto leichter lassen sich Metaphern manipulativ und verschleiernd missbrauchen. Wenn die Wirtschaft angekurbelt werden soll, entsteht sofort das Bild eines zunächst stotternden, dann endlich anspringenden Motors – und nicht das eines bis zur Erschöpfung ackernden Maschinisten.
Im Januar 2012, während des Wirtschaftsforums in Davos, sprach die Bundeskanzlerin in ihrer Eröffnungsrede von einer Sisyphusarbeit, die den westlichen Staaten bevorstünde, und meinte damit große Anstrengungen, Durchhaltewillen, der letztendlich von Erfolg gekrönt sein würde. Tatsächlich aber ist das Handeln des Sisyphus in der griechischen Mythologie niemals erfolgreich, sondern Sinnbild absurden Strebens, das immer wieder von vorne begonnen werden muss. Der Stein, den der mythische Held unter großen Mühen einen Berg hinaufrollt, stürzt immer wieder hinunter.
Hartnäckig wird in politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen die Gretchenfrage gestellt – aber offenbar will keiner Faustens Antwort hören. Denn dieses Bild der deutschen Sprache bezeichnet ein ergebnisorientiertes Nachforschen, deren Sinn darin besteht, die Voraussetzung für vertrauensvolle Zusammenarbeit überhaupt erst möglich zu machen. Goethes Faust gibt aber auf Gretchens ängstliche Frage – Heinrich, wie hältst du es mit der Religion – nur eine ausweichende und unwirsche Antwort. Der springende Punkt in dieser Szene ist, dass die verführte Margarete trotzdem bei Faust bleibt und damit in ihr Unglück rennt. Die Gretchenfrage zu stellen wäre somit für den Antwortenden eher eine Aufforderung zum geschickten Lügen als zur klaren Aussage – verbunden mit der Gewissheit, dass die Antwort den Frager verspottet. Metaphern beziehen sich immer auf ein semantisches Vorverständnis eines ausgedachten Adressaten.
Je eingeschränkter dieses Vorverständnis ist, desto leichter wird ihr beeinflussender Gebrauch. Diesen Januskopf einer metaphernangereicherten Rede – einerseits beleuchtend, andererseits aufsaugend und zweckorientiert-vereinnahmend – beschrieb Hans Blumenberg in seinem Buch "Schiffbruch mit Zuschauer" mit einem Rückgriff auf den vorsokratischen Philosophen Heraklit.
"Es mag die erste absolute Metapher der Philosophie gewesen sein, dass Heraklit das Denken als Feuer beschrieb, nicht nur, weil Feuer das göttliche Element für ihn war, sondern weil es die Eigenschaft hat, ständig Fremdes aufzunehmen und in sich zu verwandeln."
Hatte Hans Blumenberg sogar den bloß rhetorischen, ornamentalen und beiläufig benutzten Metaphern eine aufklärende Funktion zugesprochen, so erweist sich ihr heutiger Gebrauch in erster Linie als verfälschend, tarnend und bagatellisierend. Der Münsteraner Philosoph hatte argumentiert: Das Metaphorische hat dort seinen Platz, wo eine direkte Übersetzung in logische Begriffssprache unmöglich ist und nur durch sprachliche Bilder geleistet werden kann.
Heute scheint es so, dass nur mehr Icons kreiert werden, um eine Versprachlichung, einen Bedeutungsdiskurs überhaupt gar nicht erst zustande kommen zu lassen. Die Metapher ist also kein Zwischen- oder Übergangsstadium mehr, sondern ein trügerischer Endpunkt. Aus einer Daseinsbewältigungsstrategie qua Metapher ist über weite Strecken ein Vermeidungsmechanismus der vernunftgeleiteten Aussprache geworden. Das glatte Gegenteil der blumenbergschen Intention geschieht: Metaphern als Flucht aus der Sprachgenauigkeit, aus der suchenden Umschreibung auf dem Weg zu klareren Bezeichnungen.
Eine wahre Flut von verdunkelnden Metaphern entsteht mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise um das Jahr 2010 herum. Banken oder ganze Staaten sind nicht etwa hoffnungslos pleite, sondern nach den Regelungen des inoffiziellen Sprachspiels lediglich in Schieflage geraten. Wer oder was schief liegt, aus der Spur gerät, neben der Musik läuft, kann mit vereinter Anstrengung und nüchternem Expertenwissen wieder auf die rechte Bahn gebracht werden. Die Assoziation zu einem schräg stehenden Hochhaus, das jeden Moment einstürzen kann, gilt es zu vermeiden – deshalb sollen entstehende Verluste aufgefangen, abgefedert oder wattiert werden. Dass dieses zum Pittoresken umgelogene Desaster dreistellige Milliardenbeträge verschlingt, gerät nicht ins Blickfeld.
Ein Bankenrettungsfonds wird geschaffen – der Subtext hierzu: Fonds bedeutet, dass jeder gleichberechtigt einzahlt und nicht der eine mehr und der andere weniger oder gar nichts. Rettung beinhaltet eine barmherzige Hilfeleistung für jemanden, der sich allein nicht mehr zu helfen weiß. Ein in der Finanzgeschichte einmaliger Erpressungsvorgang durch die großen internationalen Geldinstitute wird so zu einer solidarischen Tat, einem Akt der tätigen Nächstenliebe. Ein festgeschnürtes Rettungspaket, ein ganzes Bündel von Maßnahmen evoziert ein Handeln der Vernunft gemäß, da die Metaphern in den Status von Begriffen transponiert werden. In seinem "Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit", erschienen 1979, karikierte Hans Blumenberg bereits eine Gleichsetzung nach solchem Muster:
"Der Begriff gilt als ein Produkt der Vernunft, wenn nicht sogar ihr Triumph, und ist es wohl auch. Das lässt aber nicht die Umkehrung zu, Vernunft sei nur dort, wo es gelungen oder wenigstens angestrebt sei, die Wirklichkeit, das Leben oder das Sein auf den Begriff zu bringen. Es gibt keine Identität zwischen Vernunft und Begriff."
Die Hintergrundmetapher, die das Szenario kollabierender Märkte, Staatsfinanzen und Zahlungsfähigkeiten großer Unternehmen orchestriert, ist das eines pulsierenden Herzens. Akustisch drückt sich dies in der geräuschvollen Hektik auf den internationalen Börsenparketten aus, das Rauschen des Blutes muss hörbar sein, das Ächzen der Herzkammern, keuchender Atem, der Sauerstoff in die Lebensmaschinerie pumpt. Schon das geringste Anzeichen einer arteriellen Verstopfung oder eines Hustens kann verheerende Auswirkungen haben. Die kleinste momentane Flaute bedeutet hier Alarmbereitschaft. Der Markt muss brummen. Verantwortlich für diesen Imperativ der Hyperaktivität – argumentiert man mit Hans Blumenberg – ist die in der Aufklärung erscheinende negative Konnotation der Windstille, entstanden durch den florierenden Überseehandel. In seinem 1987 entstandenen Essay "Die Sorge geht über den Fluss" sagt er:
"Windstille war einmal eine Metapher für die Dämpfung und Schlichtung der Leidenschaften gewesen und damit für das Ideal des durch die Vernunft beruhigten Lebens. Es war das Zeitalter der Vernunft, der Aufklärung, das hiergegen entdeckte, man ermangele der treibenden Energie, durch die erst die Helligkeit der Vernunft in die Dynamik der öffentlichen Wirkung, des Geschichtsantriebes, der Handlungsfähigkeit umgesetzt werde."
Sind die Metaphern durch ihre politische und ökonomische Instrumentalisierung, ihre Kastration zu bloßen systembestätigenden Worthülsen an das Ende ihrer Wirksamkeit gekommen? In seiner kulturhistorischen Analyse hatte Hans Blumenberg nachgewiesen, dass Leitmetaphern wie das Licht der Aufklärung oder das Uhrwerk stilbildend für erkenntnistheoretische Überlegungen ganzer Epochen waren. Sie weckten nicht nur die theoretische Neugierde der Philosophen, sondern fanden Eingang in Alltagsstrukturen.
Geht man auf die Suche nach Leitmetaphern unserer Zeit und lässt sich dabei von der Argumentation Hans Blumenbergs führen, so stößt man auf zwei Bilder, von denen zumindest eines schon von ihm des Öfteren angesprochen wurde: zum einen die Metapher des Netzes und zum anderen die des Schiffes, genauer gesagt der Schiffsreise. In seinem bereits erwähnten Buch "Schiffbruch mit Zuschauer" entwickelt er Seefahrt und Havarie, Hafen, Segel und volle Fahrt zu einer umfassenden Daseinsmetapher der Neuzeit. Den überstandenen Schiffbruch sieht er dabei als eine philosophische Ausgangserfahrung, die den Weg für vollkommen Neues eröffnet.
"In den großen Metaphern und Gleichnissen schlägt sich nieder, wird abgewandelt und ausgebaut, was an imaginativer Orientierung gewonnen wurde. Eine der immer präsenten Prägungen ist die vom Leben als Seefahrt. Sie umspannt Ausfahrt und Heimkehr, Hafen und fremde Küste, Ankergrund und Navigation, Sturm und Windstille, Seenot und Schiffbruch, nacktes Überleben und bloßes Zuschauen."
Suchen und schließlich gewinnen einer imaginativen Orientierung – Hans Blumenberg bezieht sich hier auf eine Begebenheit, die von dem antiken Philosophen Zenon berichtet wird: Der hatte mit einer Ladung Purpur an Bord, die ihn zu einem reichen Mann machen sollte, Schiffbruch erlitten und wurde daraufhin zum Gründer der philosophischen Schule der Stoa. Zenons Kommentar: "Erst als Schiffbrüchiger bin ich glücklich zur See gefahren."
Hans Blumenberg sagt nun, dass der Mensch zwar sein Leben auf dem festen Land errichtet, er aber nur durch die Metaphorik der Seefahrt in die Lage versetzt wird, die Bewegung des Daseins in sich selber wahrzunehmen. Oft diene die Vorstellung von Gefahren auf hoher See nur dazu, sich die Sicherheit des Lebens in dem festen Hafen des Alltags genauer ausmalen zu können.
Folgt man Hans Blumenberg auf diesem Denkweg, so lässt sich heute – über 30 Jahre nach Entstehung dieser Seefahrtsmetaphorik fragen – ist unser heimatlicher Hafen tatsächlich so sicher? Sieht man sich die boomende Industrie der Kreuzfahrtschiffe und den entsprechenden Traumschifftourismus an, könnte man auf die Idee kommen, dass hier eher eine Umkehrung der Vorzeichen stattgefunden hat: Die Menschen gehen an Bord, weil dort eine Sicherheit geboten wird, wie sie so sonst nirgends mehr zu haben ist. Diese schwimmenden Wohnvierteln gleichenden Schiffe erzeugen die Illusion der großen gefahrvollen Fahrt – bei gleichzeitiger Bewahrung der alltäglichen Lebenswelt. Theater, Kinos, Shopping Malls, Tennisplätze, Kirchen – alles wie zu Hause, nur ohne das Wagnis des Scheiterns von Lebensentwürfen, des plötzlichen Einbruchs unwägbarer Gefahren. Schifffahrt immer noch als Leitmetapher der Moderne, diesmal jedoch als schwebende Insel des Behütetseins in einem Meer des immer komplizierter werdenden Lebens. Unterwegs und an Deck sein – aber geborgen und abgeschirmt.
Wie ein höhnisches Memento aus vortechnischen Zeiten wirkt da die Havarie eines dieser Kolosse ausgerechnet an einem Freitag, dem 13. Die vor der toskanischen Küste sinkende "Costa Concordia" ist mitsamt ihrer hochgezüchteten Technik und dem daran gekoppelten Versprechen von Sicherheit einem archaischen Ritual zum Opfer gefallen: Der Kapitän wollte sich vor seinem Ausbilder symbolisch verbeugen und fuhr deshalb gefährlich nah an die Küste. Metaphorisch gesprochen, hat hierdurch die Leitmetapher Seefahrt einen 70 Meter langen Riss erfahren – im Kiel der "Costa Concordia".
Als stabilere Leitmetapher der Turbomoderne erweist sich die des digitalen Netzes. Die computerisierte Kommunikation, soziale Netzwerke, die Verbindung aller nur erdenklichen Akteure in unvorstellbar kurzer Zeit ist im Sinne Hans Blumenbergs zu einer absoluten Metapher geworden. Sie hat nicht nur theoretische Aufgaben, sondern unübersehbare pragmatische Konsequenzen – eine Kombination, die nach Ansicht Blumenbergs für sie charakteristisch ist. Wer vom Netz geht, ist schlichtweg nicht mehr vorhanden. Ein Virus im Computersystem eines Onlinehändlers oder der Hausbank kann zum Zusammenbruch ganzer Firmen oder Kommunikationsstränge führen.
Das Netz trägt, verbindet, ist fein gewoben und seine Knoten sind zahlreich. Es ist niemals vollständig zu durchschauen und vollständig zu ergründen. Und trotzdem ist es nicht mehr wegzudenken aus menschlichem Selbstverständnis und Weltverhältnis. Das Internet macht frei, durch Facebook oder Twitter sind per Mausklick mehr Menschen zu erreichen als mit einem Romanbestseller. Das Web als Metapher einer anonymen Allgegenwart, als gigantisches, digitales Gemeindehaus im lange verheißenen, globalen Dorf. In Abwandlung von Zenons Zitat: Erst als Webnutzer bin ich in der Welt angekommen.
Am Netz entlang verläuft das öffentliche und längst auch das private Leben, als Leitmetapher dringt es in die unterschiedlichsten Sphären ein, verbindet sie und lässt neue Knoten entstehen. Kein Friseurladen, kein Autohändler, einsamer Single oder Wissenschaftler, der ohne es auskäme und der nicht an dem Grad seiner individuellen Vernetzung, der kundigen oder dilettantischen Anwendung des World Wide Web gemessen würde.
Das Netz vergisst dich nie, es ist hypertolerant. Und wird damit zur Verheißung eines sozialen Gedächtnisses. Der Cyberspace ist unendlich wie das Weltall und führt in immer tiefere Tiefen. Und mit diesen unendlichen und nie enden wollenden Möglichkeiten kann er auch niemals auf natürliche Weise zu Tode kommen. Der Nutzer nimmt Teil an diesem unaufhörlichen kosmischen Jux der Unsterblichkeit.
Darüber hinaus könnte die digitale Vernetzung zu einer Leitmetapher werden, die in eine Gemeinschaft führt, in der das Privatleben als historisch überholt gilt. Von Mark Zuckerberg, einem der Gründer von Facebook, stammt der Satz, dass wir in einer Post-Privacy-Gesellschaft leben: Nichts zählt mehr außer 24-stündiger Teilnahme an der völligen Offenlegung der eigenen Person.
Hans Blumenbergs Metaphernlehre, sein Versuch der Metaphorologie – ein Auslaufmodell, nicht brauchbar zur Sinndeutung der Postmoderne? Man wird einem Denker dann am ehesten gerecht, wenn man ihn nicht nur in seiner Zeit belässt, sondern zumindest versucht, seine Theorien zu transformieren. Hans Blumenbergs Leistung besteht in erster Linie darin, dass er sich in der Epoche der Ideologien keiner der gängigen Philosophieströmungen des 20. Jahrhunderts zuordnen lässt. Vor allem deshalb, weil er in seinen Schriften einen eher narrativen als theoretischen Stil pflegt. Und in dieser Dimension des Erzählerischen findet er in der zunächst ästhetisch-rhetorischen Kategorie der Metapher das eigentliche Movens menschlicher Kultur, einen in seinen Worten "archaischen Prozess der theoretischen Neugierde."
Der Rekurs auf Vernunft, Wahrheit oder Begründung hat sich nach seiner Auslegung in unserem Zeitalter als unwirksam erwiesen: Zuviel ist geschehen, als dass man es in einer metaphernlosen Sprache ausdrücken könnte. Hans Blumenberg geht es dabei nicht um eine Verdammung der Ratio, sondern er betont, dass Philosophie und menschliches Denken ohne die Hinzunahme von Bildern und Metaphern wesentlich unvollständig bleiben müssen. Mit seiner niemals vollständig ausgearbeiteten Metaphorologie hat er ein Deutungsangebot vorgelegt, das heute wieder an Aktualität gewinnt – zumal, wenn man sich an seine Wurzeln erinnert, wie der Münsteraner Denker sie in seinen "Paradigmen zu einer Metaphorologie" beschreibt:
"Die Metaphorologie versucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösungen, die systematischen Kristallisationen, aber sie will auch fassbar machen, mit welchem Mut sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft."
Zur Person:
Michael Reitz lebt als Philosoph und Hörfunkjournalist in Köln.
Als der 1920 geborene Münsteraner Philosoph Hans Blumenberg im Jahr 1957 diese Sätze schrieb, startete er damit ein Projekt, das so gar nicht in den Kanon der philosophischen Forschung zu passen schien. Hans Blumenberg schickte sich nämlich an, eine Kategorie zu beschreiben, die seiner Ansicht nach bisher in der philosophischen Begriffsgeschichte nicht ausreichend wahrgenommen worden war. Denn nicht nur die klaren Definitionen seien es, die menschliches Denken und Verhalten bestimmten, sondern vor allem die Metaphern.
Laut der Brockhaus Enzyklopädie geht unser Fremdwort Metapher auf das griechische Wort metaphérein, anderswo hintragen, zurück. Das gemeinte Wort wird ersetzt durch ein anderes, in seinem Bild- und Bedeutungsgehalt Ähnliches: "Quelle" für Ursache, "kaltes Herz" für Gefühlsarmut, "fauler Zauber" für Betrug. Neben einer Fülle von über einen langen Zeitraum entstandenen Metaphern, die wir in unserem Alltag verwenden, existieren auch jene, die künstlich gebildet werden. Vor allem deshalb, weil die vorhandene Sprache nicht ausreicht zur Beschreibung neuer Phänomene: Atomkern, Mobiltelefon oder Glühbirne.
Diese in der Sprachwissenschaft so benannten notwendigen Metaphern sind es, die Hans Blumenberg besonders interessieren. Er nennt sie allerdings absolute Metaphern. Sie bilden die Grundbestände der philosophischen Sprache, kreieren eine Terminologie jenseits nachprüfbarer Definitionsgewalt, die aber gleichwohl das Denken wirkmächtig strukturiert.
"Ihre Wahrheit ist pragmatisch. Sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität. Dem historisch verstehenden Blick indizieren sie also die fundamentalen, tragenden Gewissheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten."
Zweckmäßigkeit und Schönheit des Metaphorischen bestehen in seiner Eigenschaft, sich nicht in das logische Begriffsdenken übersetzen zu lassen – für die geisteswissenschaftlichen Disziplinen eine geradezu ketzerische Sichtweise. Ausgerechnet mit der Geburt des wissenschaftlichen Denkens im Zeitalter der Aufklärung entstehen laut Hans Blumenberg scheinbar vorwissenschaftliche Grundmetaphern, die dem mythischen Denken zwar immer noch verhaftet sind, ohne die jedoch Erkenntnis wesentlich schwieriger wäre. Die wissenschaftliche Weltauffassung ist das, was sie am wenigsten sein will: metaphernhaltig.
Der Staatsphilosoph Thomas Hobbes fasst die Gesellschaft als einen Körper auf; die Entdeckung des doppelten Blutkreislaufs verändert die Städteplanung grundlegend; René Descartes' Wissenschaftstheorie sieht die Natur als eine uhrwerksähnliche Maschinerie. Für Hans Blumenberg stehen jedoch zwei absolute Metaphern wie tragende Säulen in der Eingangshalle der Neuzeit.
Da ist zum einen das heliozentrische Weltbild, gefördert durch die Schriften des Nikolaus Kopernikus. Mit der Erkenntnis, dass nicht die Erde, sondern die Sonne im Mittelpunkt unseres astrophysikalischen Systems steht, werden wir zum Gegenstand der Gravitation, statt ihr Ausgangspunkt zu sein. Gleichzeitig brechen damit der mittelalterliche Ordo-Gedanke und das teleologische Weltbild zusammen.
Gravitationsfelder und Umlaufbahnen sind es in der Folgezeit, die die Ordnung des Universums bestimmen. Und nicht mehr der im Menschen angelegte Zweck, als stellvertretender Baumeister Gottes die kosmische Architektur zu überwachen. Hinzu kommt die Lichtmetapher im Zusammenhang mit dem Denken der Aufklärung. Sie suggeriert, dass vorher Dunkelheit herrschte und nun alles durch Definitionen und Begriffe erhellt werden kann. Doch sie allein bringen den Menschen nicht zur Vernunft, denn ohne Metaphern bleibt die Welt unvollständig.
Seit den 1950er-Jahren begleitet der Versuch Hans Blumenbergs, eine umfassende Metaphorologie zu entwickeln, seine übrigen Arbeiten wie ein Hintergrundrauschen. In seinen Hauptwerken "Die kopernikanische Wende", "Die Legitimität der Neuzeit" oder "Die Lesbarkeit der Welt" klingt immer wieder das Experiment an, die Unverzichtbarkeit der Metaphern als wichtigstes Hilfsmittel der Erkenntnis methodologisch fassbarer zu machen, und ihre stiefmütterliche Behandlung in der Ideengeschichte auf die philosophische Tagesordnung zu setzen. Hans Blumenbergs Versuche – er starb 1996 – eine komplexe Metaphorologie zu entwickeln, blieben bruchstückhaft.
Trotzdem drängt sich die Frage auf, inwieweit sein Ansatz heute ein nützliches Werkzeug zur Beschreibung einer immer verflochtener werdenden Welt sein könnte.
Denn folgt man Hans Blumenbergs Denken, so entstehen Metaphern immer in Zeiten des Umbruchs. Sie werden zur Chiffre für eine Epoche, in der die Sprache in eine Krise gerät, nicht mehr ausreicht zur Darstellung neuer Entwicklungen und spektakulärer Ereignisse. In seiner Schrift "Paradigmen zu einer Metaphorologie", erschienen 1960, sagt Hans Blumenberg dazu:
"Metaphorik kann auch dort im Spiele sein, wo ausschließlich terminologische Aussagen auftreten, die aber ohne Hinblick auf eine Leitvorstellung in ihrer umschließenden Sinneinheit gar nicht verstanden werden können. Nicht nur die Sprache denkt uns vor und steht uns bei unserer Weltsicht gleichsam im Rücken; noch zwingender sind wir durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt."
Existieren in der Gegenwart des postmodernen Ideendurcheinanders absolute Metaphern, sind sie noch brauchbar und nützlich, unser Weltverhältnis zu fassen? Denn das Definieren, scheint es, ist die Lust des 21. Jahrhunderts. Vom Algorithmus eines Großrechnerprogramms bis zum Export von Karamellbonbons wird alles definiert – und damit zu einem Ende gebracht, Unsagbarkeiten, Unbegriffliches hat da keinen Platz. Alles soll auf der Grundlage von Messbarkeit verhandelt werden, einer Sicherheit, die einzig eine für den jeweiligen Zweck entworfene Terminologie zu gewährleisten scheint. Doch: Wer bewahrt uns vor der Täuschung, dass ein Begriff nicht doch nur eine Metapher sein könnte?
An dieser Stelle lohnt sich ein genauerer Blick auf ein Nebengleis der Metapher, den Blumenberg anbietet. Vor allem dort, wo sie nicht als solche wahrgenommen, sondern für Begriffe gehalten werden, sieht er neben den absoluten Metaphern eine Fülle unklarer Denkformen etabliert, die im Vorfeld der Begriffsbildung stehen, darüber allerdings nicht hinaus kommen. Durch sie wird keine Totalität des Verstehens erzeugt, sondern ein diffuser und ornamentaler Interpretationswirrwarr, von Begriffsbildung kann keine Rede sein. In seinem Theoriefragment der Metaphorologie spielt dieser Umstand für Hans Blumenberg keine so große Rolle – trotzdem lohnt es sich, diesen Aspekt weiter zu verfolgen.
Unklare Sprachbilder wirken wie komprimierte Dateien, die beim Entpacken einen ganzen Wust von Konnotationen und Wissenspartikeln nach sich ziehen. Allerdings ohne, dass es den sprechenden Akteuren bewusst wäre. Tagtäglich werden Axiome benutzt, neu gebildet oder aus dem Arsenal der Sprache hervorgekramt, allgemeine Akzeptanz voraussetzend. Bei näherer Betrachtung bestimmter sprachlicher Konstrukte sind jedoch Zweifel angebracht, ob metaphorische Vereinfachungen, auf die man sich geeinigt hat, nicht eher vernebeln als verdeutlichen.
Das Wort "Klimawandel" beispielsweise suggeriert einen langsamen Vorgang – und damit die Möglichkeit, während des Verwandelns noch genügend Zeit zu haben, ihn aufzuhalten oder zumindest gestalten zu können. Wandel impliziert auch sanften Fortschritt, dass es um etwas Notwendiges geht, dem man sich nicht in den Weg stellen kann und auch nicht sollte. Schließlich verwandelt sich auch das Erscheinungsbild eines Waldes oder einer Wiese im Laufe des Jahres, die Ansichten der Menschen unterliegen einer ständigen Veränderung und wir werden alle älter.
Wandel führt planbare, gutmütige Entwicklung in seinem Interpretationsfeld mit, er ist nichts Abruptes, Überfallartiges, sondern stetig vollzieht er einen Weg, der sowieso nicht aufzuhalten ist. Hinzu kommt, dass Wandel auf einen Endpunkt in der Zukunft verweist, der nichts Schreckhaftes hat, sondern dem natürlichen Gang der Evolution entspricht. In einer Zeit, in der die Intervalle zwischen den Innovationsschüben immer kürzer werden, birgt der Wandel das Versprechen einer erträglichen Entwicklung, die niemandem auffallen und keinen schmerzen wird.
Darüber hinaus bezeichnen Wandlungen einen Vorgang, dessen Auswirkungen man nicht mehr als einschneidend oder beängstigend wahrnehmen wird, wenn sie erst eingetreten sind: Hätte man uns vor 20 Jahren gesagt, dass wir in der U-Bahn oder auf der Straße von Mitmenschen umgeben sein werden, die ihr Intimstes lautstark in eine knapp 15 Quadratzentimeter große Box sprechen, wäre das bestimmt eine unangenehme Vorstellung gewesen. Hinter der Vokabel "Wandel im Kommunikationsverhalten", benutzt in den 1990er-Jahren, hätte niemand eine zunehmende Distanzlosigkeit in der Gesprächskultur vermutet.
Klimawandel redet ein: Bis Staaten wie die Niederlande oder Bangladesch komplett unter Wasser stehen, Lappland zu einem Sonnenanbeter-Paradies wird oder ganzjährig über Mitteleuropa Orkane hinwegfegen, wie man sie heute nicht einmal aus der Karibik kennt – bis dahin wird uns schon etwas eingefallen sein. Schließlich braucht der Wandel nicht nur Zeit, er hat sie auch im Überfluss – so jedenfalls die beruhigende Hintergrundinformation dieser Metapher. Wäre stattdessen von einer Klimakatastrophe die Rede, bliebe viel weniger Deutungsspielraum. Hier wäre sofort klar, dass außer der schnellen Flucht nichts mehr bliebe.
Verschleiernde Metaphern scheinen immer dann zu entstehen, wenn eine klare Sprache vermieden werden soll – ein krasser Unterschied zu ihren ursprünglichen Funktionen als Hilfsmittel der Welthandhabung und des Verstehens komplizierter Zusammenhänge. Denn eines ist der Mensch von Anbeginn an: neugierig auf Grenzen und Erweiterung seiner Erkenntnisfähigkeiten. Hans Blumenberg in seiner Schrift "Schiffbruch mit Zuschauer", erschienen 1979:
"Wenn wir schon einsehen müssen, dass wir nicht die Wahrheit von der Wissenschaft erwarten dürfen, so wollen wir doch wenigstens wissen, weshalb wir wissen wollten, was zu wissen nun mit Enttäuschung verbunden ist. Metaphern sind in diesem Sinne Leitfossilien einer archaischen Schicht des Prozesses der theoretischen Neugierde. Das Rätsel der Metapher kann nicht allein aus der Verlegenheit um den Begriff verstanden werden. Rätselhaft ist, weshalb Metaphern überhaupt 'ertragen' werden."
Tatsächlich sind manche Metaphern nur schwer zu erdulden: Ein Gelände, auf dem hochgefährlicher radioaktiver Abfall "zwischengelagert" wird, der bei unsachgemäßer Behandlung noch in 10.000 Jahren ganze Landstriche vergiften könnte, maskiert sich sprachlich als "Entsorgungspark": Eine Sorge verschwindet und dort wo sie ist, lässt sich sogar noch lustwandeln. In einem Zinksarg mit Bundesadler auf dem Deckel liegt ein Soldat, der bei einem "Friedenseinsatz" ums Leben kam – vorzugsweise "am Hindukusch", einer Gebirgsgegend also mit dem herrlichen Panorama schneebedeckter Gipfel.
Der zeitgenössische Metapherngebrauch arbeitet mit einem Standard von Erwartungen, einem kulturellen und ästhetischen Repertoire, das den jeweiligen Nutzern zur Verfügung steht. Je armseliger und verengter dieses Arsenal ausgestattet ist, desto leichter lassen sich Metaphern manipulativ und verschleiernd missbrauchen. Wenn die Wirtschaft angekurbelt werden soll, entsteht sofort das Bild eines zunächst stotternden, dann endlich anspringenden Motors – und nicht das eines bis zur Erschöpfung ackernden Maschinisten.
Im Januar 2012, während des Wirtschaftsforums in Davos, sprach die Bundeskanzlerin in ihrer Eröffnungsrede von einer Sisyphusarbeit, die den westlichen Staaten bevorstünde, und meinte damit große Anstrengungen, Durchhaltewillen, der letztendlich von Erfolg gekrönt sein würde. Tatsächlich aber ist das Handeln des Sisyphus in der griechischen Mythologie niemals erfolgreich, sondern Sinnbild absurden Strebens, das immer wieder von vorne begonnen werden muss. Der Stein, den der mythische Held unter großen Mühen einen Berg hinaufrollt, stürzt immer wieder hinunter.
Hartnäckig wird in politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen die Gretchenfrage gestellt – aber offenbar will keiner Faustens Antwort hören. Denn dieses Bild der deutschen Sprache bezeichnet ein ergebnisorientiertes Nachforschen, deren Sinn darin besteht, die Voraussetzung für vertrauensvolle Zusammenarbeit überhaupt erst möglich zu machen. Goethes Faust gibt aber auf Gretchens ängstliche Frage – Heinrich, wie hältst du es mit der Religion – nur eine ausweichende und unwirsche Antwort. Der springende Punkt in dieser Szene ist, dass die verführte Margarete trotzdem bei Faust bleibt und damit in ihr Unglück rennt. Die Gretchenfrage zu stellen wäre somit für den Antwortenden eher eine Aufforderung zum geschickten Lügen als zur klaren Aussage – verbunden mit der Gewissheit, dass die Antwort den Frager verspottet. Metaphern beziehen sich immer auf ein semantisches Vorverständnis eines ausgedachten Adressaten.
Je eingeschränkter dieses Vorverständnis ist, desto leichter wird ihr beeinflussender Gebrauch. Diesen Januskopf einer metaphernangereicherten Rede – einerseits beleuchtend, andererseits aufsaugend und zweckorientiert-vereinnahmend – beschrieb Hans Blumenberg in seinem Buch "Schiffbruch mit Zuschauer" mit einem Rückgriff auf den vorsokratischen Philosophen Heraklit.
"Es mag die erste absolute Metapher der Philosophie gewesen sein, dass Heraklit das Denken als Feuer beschrieb, nicht nur, weil Feuer das göttliche Element für ihn war, sondern weil es die Eigenschaft hat, ständig Fremdes aufzunehmen und in sich zu verwandeln."
Hatte Hans Blumenberg sogar den bloß rhetorischen, ornamentalen und beiläufig benutzten Metaphern eine aufklärende Funktion zugesprochen, so erweist sich ihr heutiger Gebrauch in erster Linie als verfälschend, tarnend und bagatellisierend. Der Münsteraner Philosoph hatte argumentiert: Das Metaphorische hat dort seinen Platz, wo eine direkte Übersetzung in logische Begriffssprache unmöglich ist und nur durch sprachliche Bilder geleistet werden kann.
Heute scheint es so, dass nur mehr Icons kreiert werden, um eine Versprachlichung, einen Bedeutungsdiskurs überhaupt gar nicht erst zustande kommen zu lassen. Die Metapher ist also kein Zwischen- oder Übergangsstadium mehr, sondern ein trügerischer Endpunkt. Aus einer Daseinsbewältigungsstrategie qua Metapher ist über weite Strecken ein Vermeidungsmechanismus der vernunftgeleiteten Aussprache geworden. Das glatte Gegenteil der blumenbergschen Intention geschieht: Metaphern als Flucht aus der Sprachgenauigkeit, aus der suchenden Umschreibung auf dem Weg zu klareren Bezeichnungen.
Eine wahre Flut von verdunkelnden Metaphern entsteht mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise um das Jahr 2010 herum. Banken oder ganze Staaten sind nicht etwa hoffnungslos pleite, sondern nach den Regelungen des inoffiziellen Sprachspiels lediglich in Schieflage geraten. Wer oder was schief liegt, aus der Spur gerät, neben der Musik läuft, kann mit vereinter Anstrengung und nüchternem Expertenwissen wieder auf die rechte Bahn gebracht werden. Die Assoziation zu einem schräg stehenden Hochhaus, das jeden Moment einstürzen kann, gilt es zu vermeiden – deshalb sollen entstehende Verluste aufgefangen, abgefedert oder wattiert werden. Dass dieses zum Pittoresken umgelogene Desaster dreistellige Milliardenbeträge verschlingt, gerät nicht ins Blickfeld.
Ein Bankenrettungsfonds wird geschaffen – der Subtext hierzu: Fonds bedeutet, dass jeder gleichberechtigt einzahlt und nicht der eine mehr und der andere weniger oder gar nichts. Rettung beinhaltet eine barmherzige Hilfeleistung für jemanden, der sich allein nicht mehr zu helfen weiß. Ein in der Finanzgeschichte einmaliger Erpressungsvorgang durch die großen internationalen Geldinstitute wird so zu einer solidarischen Tat, einem Akt der tätigen Nächstenliebe. Ein festgeschnürtes Rettungspaket, ein ganzes Bündel von Maßnahmen evoziert ein Handeln der Vernunft gemäß, da die Metaphern in den Status von Begriffen transponiert werden. In seinem "Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit", erschienen 1979, karikierte Hans Blumenberg bereits eine Gleichsetzung nach solchem Muster:
"Der Begriff gilt als ein Produkt der Vernunft, wenn nicht sogar ihr Triumph, und ist es wohl auch. Das lässt aber nicht die Umkehrung zu, Vernunft sei nur dort, wo es gelungen oder wenigstens angestrebt sei, die Wirklichkeit, das Leben oder das Sein auf den Begriff zu bringen. Es gibt keine Identität zwischen Vernunft und Begriff."
Die Hintergrundmetapher, die das Szenario kollabierender Märkte, Staatsfinanzen und Zahlungsfähigkeiten großer Unternehmen orchestriert, ist das eines pulsierenden Herzens. Akustisch drückt sich dies in der geräuschvollen Hektik auf den internationalen Börsenparketten aus, das Rauschen des Blutes muss hörbar sein, das Ächzen der Herzkammern, keuchender Atem, der Sauerstoff in die Lebensmaschinerie pumpt. Schon das geringste Anzeichen einer arteriellen Verstopfung oder eines Hustens kann verheerende Auswirkungen haben. Die kleinste momentane Flaute bedeutet hier Alarmbereitschaft. Der Markt muss brummen. Verantwortlich für diesen Imperativ der Hyperaktivität – argumentiert man mit Hans Blumenberg – ist die in der Aufklärung erscheinende negative Konnotation der Windstille, entstanden durch den florierenden Überseehandel. In seinem 1987 entstandenen Essay "Die Sorge geht über den Fluss" sagt er:
"Windstille war einmal eine Metapher für die Dämpfung und Schlichtung der Leidenschaften gewesen und damit für das Ideal des durch die Vernunft beruhigten Lebens. Es war das Zeitalter der Vernunft, der Aufklärung, das hiergegen entdeckte, man ermangele der treibenden Energie, durch die erst die Helligkeit der Vernunft in die Dynamik der öffentlichen Wirkung, des Geschichtsantriebes, der Handlungsfähigkeit umgesetzt werde."
Sind die Metaphern durch ihre politische und ökonomische Instrumentalisierung, ihre Kastration zu bloßen systembestätigenden Worthülsen an das Ende ihrer Wirksamkeit gekommen? In seiner kulturhistorischen Analyse hatte Hans Blumenberg nachgewiesen, dass Leitmetaphern wie das Licht der Aufklärung oder das Uhrwerk stilbildend für erkenntnistheoretische Überlegungen ganzer Epochen waren. Sie weckten nicht nur die theoretische Neugierde der Philosophen, sondern fanden Eingang in Alltagsstrukturen.
Geht man auf die Suche nach Leitmetaphern unserer Zeit und lässt sich dabei von der Argumentation Hans Blumenbergs führen, so stößt man auf zwei Bilder, von denen zumindest eines schon von ihm des Öfteren angesprochen wurde: zum einen die Metapher des Netzes und zum anderen die des Schiffes, genauer gesagt der Schiffsreise. In seinem bereits erwähnten Buch "Schiffbruch mit Zuschauer" entwickelt er Seefahrt und Havarie, Hafen, Segel und volle Fahrt zu einer umfassenden Daseinsmetapher der Neuzeit. Den überstandenen Schiffbruch sieht er dabei als eine philosophische Ausgangserfahrung, die den Weg für vollkommen Neues eröffnet.
"In den großen Metaphern und Gleichnissen schlägt sich nieder, wird abgewandelt und ausgebaut, was an imaginativer Orientierung gewonnen wurde. Eine der immer präsenten Prägungen ist die vom Leben als Seefahrt. Sie umspannt Ausfahrt und Heimkehr, Hafen und fremde Küste, Ankergrund und Navigation, Sturm und Windstille, Seenot und Schiffbruch, nacktes Überleben und bloßes Zuschauen."
Suchen und schließlich gewinnen einer imaginativen Orientierung – Hans Blumenberg bezieht sich hier auf eine Begebenheit, die von dem antiken Philosophen Zenon berichtet wird: Der hatte mit einer Ladung Purpur an Bord, die ihn zu einem reichen Mann machen sollte, Schiffbruch erlitten und wurde daraufhin zum Gründer der philosophischen Schule der Stoa. Zenons Kommentar: "Erst als Schiffbrüchiger bin ich glücklich zur See gefahren."
Hans Blumenberg sagt nun, dass der Mensch zwar sein Leben auf dem festen Land errichtet, er aber nur durch die Metaphorik der Seefahrt in die Lage versetzt wird, die Bewegung des Daseins in sich selber wahrzunehmen. Oft diene die Vorstellung von Gefahren auf hoher See nur dazu, sich die Sicherheit des Lebens in dem festen Hafen des Alltags genauer ausmalen zu können.
Folgt man Hans Blumenberg auf diesem Denkweg, so lässt sich heute – über 30 Jahre nach Entstehung dieser Seefahrtsmetaphorik fragen – ist unser heimatlicher Hafen tatsächlich so sicher? Sieht man sich die boomende Industrie der Kreuzfahrtschiffe und den entsprechenden Traumschifftourismus an, könnte man auf die Idee kommen, dass hier eher eine Umkehrung der Vorzeichen stattgefunden hat: Die Menschen gehen an Bord, weil dort eine Sicherheit geboten wird, wie sie so sonst nirgends mehr zu haben ist. Diese schwimmenden Wohnvierteln gleichenden Schiffe erzeugen die Illusion der großen gefahrvollen Fahrt – bei gleichzeitiger Bewahrung der alltäglichen Lebenswelt. Theater, Kinos, Shopping Malls, Tennisplätze, Kirchen – alles wie zu Hause, nur ohne das Wagnis des Scheiterns von Lebensentwürfen, des plötzlichen Einbruchs unwägbarer Gefahren. Schifffahrt immer noch als Leitmetapher der Moderne, diesmal jedoch als schwebende Insel des Behütetseins in einem Meer des immer komplizierter werdenden Lebens. Unterwegs und an Deck sein – aber geborgen und abgeschirmt.
Wie ein höhnisches Memento aus vortechnischen Zeiten wirkt da die Havarie eines dieser Kolosse ausgerechnet an einem Freitag, dem 13. Die vor der toskanischen Küste sinkende "Costa Concordia" ist mitsamt ihrer hochgezüchteten Technik und dem daran gekoppelten Versprechen von Sicherheit einem archaischen Ritual zum Opfer gefallen: Der Kapitän wollte sich vor seinem Ausbilder symbolisch verbeugen und fuhr deshalb gefährlich nah an die Küste. Metaphorisch gesprochen, hat hierdurch die Leitmetapher Seefahrt einen 70 Meter langen Riss erfahren – im Kiel der "Costa Concordia".
Als stabilere Leitmetapher der Turbomoderne erweist sich die des digitalen Netzes. Die computerisierte Kommunikation, soziale Netzwerke, die Verbindung aller nur erdenklichen Akteure in unvorstellbar kurzer Zeit ist im Sinne Hans Blumenbergs zu einer absoluten Metapher geworden. Sie hat nicht nur theoretische Aufgaben, sondern unübersehbare pragmatische Konsequenzen – eine Kombination, die nach Ansicht Blumenbergs für sie charakteristisch ist. Wer vom Netz geht, ist schlichtweg nicht mehr vorhanden. Ein Virus im Computersystem eines Onlinehändlers oder der Hausbank kann zum Zusammenbruch ganzer Firmen oder Kommunikationsstränge führen.
Das Netz trägt, verbindet, ist fein gewoben und seine Knoten sind zahlreich. Es ist niemals vollständig zu durchschauen und vollständig zu ergründen. Und trotzdem ist es nicht mehr wegzudenken aus menschlichem Selbstverständnis und Weltverhältnis. Das Internet macht frei, durch Facebook oder Twitter sind per Mausklick mehr Menschen zu erreichen als mit einem Romanbestseller. Das Web als Metapher einer anonymen Allgegenwart, als gigantisches, digitales Gemeindehaus im lange verheißenen, globalen Dorf. In Abwandlung von Zenons Zitat: Erst als Webnutzer bin ich in der Welt angekommen.
Am Netz entlang verläuft das öffentliche und längst auch das private Leben, als Leitmetapher dringt es in die unterschiedlichsten Sphären ein, verbindet sie und lässt neue Knoten entstehen. Kein Friseurladen, kein Autohändler, einsamer Single oder Wissenschaftler, der ohne es auskäme und der nicht an dem Grad seiner individuellen Vernetzung, der kundigen oder dilettantischen Anwendung des World Wide Web gemessen würde.
Das Netz vergisst dich nie, es ist hypertolerant. Und wird damit zur Verheißung eines sozialen Gedächtnisses. Der Cyberspace ist unendlich wie das Weltall und führt in immer tiefere Tiefen. Und mit diesen unendlichen und nie enden wollenden Möglichkeiten kann er auch niemals auf natürliche Weise zu Tode kommen. Der Nutzer nimmt Teil an diesem unaufhörlichen kosmischen Jux der Unsterblichkeit.
Darüber hinaus könnte die digitale Vernetzung zu einer Leitmetapher werden, die in eine Gemeinschaft führt, in der das Privatleben als historisch überholt gilt. Von Mark Zuckerberg, einem der Gründer von Facebook, stammt der Satz, dass wir in einer Post-Privacy-Gesellschaft leben: Nichts zählt mehr außer 24-stündiger Teilnahme an der völligen Offenlegung der eigenen Person.
Hans Blumenbergs Metaphernlehre, sein Versuch der Metaphorologie – ein Auslaufmodell, nicht brauchbar zur Sinndeutung der Postmoderne? Man wird einem Denker dann am ehesten gerecht, wenn man ihn nicht nur in seiner Zeit belässt, sondern zumindest versucht, seine Theorien zu transformieren. Hans Blumenbergs Leistung besteht in erster Linie darin, dass er sich in der Epoche der Ideologien keiner der gängigen Philosophieströmungen des 20. Jahrhunderts zuordnen lässt. Vor allem deshalb, weil er in seinen Schriften einen eher narrativen als theoretischen Stil pflegt. Und in dieser Dimension des Erzählerischen findet er in der zunächst ästhetisch-rhetorischen Kategorie der Metapher das eigentliche Movens menschlicher Kultur, einen in seinen Worten "archaischen Prozess der theoretischen Neugierde."
Der Rekurs auf Vernunft, Wahrheit oder Begründung hat sich nach seiner Auslegung in unserem Zeitalter als unwirksam erwiesen: Zuviel ist geschehen, als dass man es in einer metaphernlosen Sprache ausdrücken könnte. Hans Blumenberg geht es dabei nicht um eine Verdammung der Ratio, sondern er betont, dass Philosophie und menschliches Denken ohne die Hinzunahme von Bildern und Metaphern wesentlich unvollständig bleiben müssen. Mit seiner niemals vollständig ausgearbeiteten Metaphorologie hat er ein Deutungsangebot vorgelegt, das heute wieder an Aktualität gewinnt – zumal, wenn man sich an seine Wurzeln erinnert, wie der Münsteraner Denker sie in seinen "Paradigmen zu einer Metaphorologie" beschreibt:
"Die Metaphorologie versucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösungen, die systematischen Kristallisationen, aber sie will auch fassbar machen, mit welchem Mut sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft."
Zur Person:
Michael Reitz lebt als Philosoph und Hörfunkjournalist in Köln.