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Der Geschmack der Wörter

Neurologie. – Synästhetiker verbinden verschiedene Sinneswahrnehmungen miteinander, Wörter haben Farben, Töne lassen sich schmecken oder Geräusche sind auf der Haut spürbar. Es ist eine vergleichsweise seltene Erscheinung. Der Verbindung von Wortverarbeitung und Geschmackssinn untersucht eine britische Wissenschaftlerin. In der Fachzeitschrift "Nature" berichtet sie über dieses Phänomen.

Von Kristin Raabe |
    Im gesamten britischen Königreich war Julia Simner unterwegs - um ihre sechs Versuchteilnehmer zu testen. Denn die Synästhesie, die sie interessiert ist extrem selten. Die Wissenschaftlerin von der Universität Edinburgh suchte nach Menschen, die beim Hören, Sagen oder Lesen von Wörtern einen Geschmack auf der Zunge verspüren. Diese Art von Synästhesie, ist wie alle anderen Synästhesien auch, eine Fähigkeit und keine Krankheit. Auch wenn die meisten Betroffenen nicht gerne darüber reden, weil sie wissen, dass ihre Umwelt mit der Art ihrer Wahrnehmung nicht viel anfangen kann. Julia Simner:

    "”Die Anzahl der Wörter, die einen Geschmack hervorrufen variiert von Synästhetiker zu Synästhetiker. Wir hatten beispielsweise eine Teilnehmerin, bei der nur etwa 15 Prozent der Wörter mit Geschmackswahrnehmungen verbunden waren, bei einer anderen waren es 100 Prozent. Aber immer haben die entsprechenden Wörter, einen spezifischen Geschmack, der sich niemals ändert und das ganze Leben über gleich bleibt. Wenn beispielsweise das Wort ‚Juliet’ nach Süßigkeiten mit Orangengeschmack schmeckt, dann hat es das schon immer getan und wird auch in Zukunft danach schmecken. Allerdings können verschiedene Wörter denselben Geschmack haben. Zum Beispiel hatten wir einen Fall, wo die Wörter ‚Rand’, ‚Fleischer’ und Register’, alle nach Würstchen schmeckten.""

    Aus Studien mit anderen Formen von Synästhesien war bekannt, dass die betroffenen Wahrnehmungszentren im Gehirn bei den Synästhetikern miteinander kooperieren. Bei Menschen, die Wörter mit Farben assoziieren, ist beispielsweise das Sehzentrum aktiv, wenn sie ein Wort nur hören. Julia Simner wollte wissen, wie die Verbindung von Wörter und Geschmäckern funktioniert. Simner:

    "”Wir haben uns die Frage gestellt, ob diese ungewöhnlichen Geschmackswahrnehmung von dem Klang des Wortes abhängt oder von der Wortbedeutung. Wenn beispielsweise das Wort ‚Gefängnis’ den Geschmack von Schinken hervorruft, dann kann die Ursache dafür die Klangfolge der Buchstaben ‚G – E – F – Ä – N’ und so weiter sein, oder aber die Bedeutung des Wortes ‚Gefängnis’.""

    In ihrem Experiment versuchte die Wissenschaftlerin eine Situation zu schaffen, in der den Versuchsteilnehmern "das Wort auf der Zunge lag.” Dazu zeigte sie ihnen Bilder von ungewöhnlichen Gegenständen: Kastagnetten beispielsweise, oder ein Metronom. Wenn den Versuchspersonen beim Anblick der Bilder, das richtige Wort nicht gleich einfiel, sie die Bedeutung aber bereits erkannt hatten, dann hatten die meisten trotzdem eine Geschmackswahrnehmung. So gesehen lag ihnen das richtige Wort tatsächlich "auf der Zunge." Simner:

    "”Das bedeutet, dass die Geschmackswahrnehmung durch die Wortbedeutung hervorgerufen wird und nicht durch den Klang des Wortes. Wir hatten zum Beispiel eine Versuchsteilnehmerin, der wir ein Bild von einem Grammophon zeigten und sie sagte ‚Ich weiß, was das ist ....ähm, ähm, - Oh, ich schmecke gerade Schokolade.’ Der Geschmack war da, als sie die Bedeutung bereits erkannt hatte, aber das richtige Wort ihr noch nicht eingefallen war. Offensichtlich ist die Wortbedeutung für die Geschmackswahrnehmung wichtig.""

    Das bedeutet, dass die Zentren im Gehirn, die den Gegenständen Bedeutung beimessen, eine Verbindung zu den Geschmackszentren haben. Jedenfalls im Gehirn von Menschen mit dieser Form der Synästhesie. Das muss im Übrigen kein Nachteil sein: Synästhesien kommen gehäuft bei Künstlern vor und einige Tests konnten zeigen, dass viele Synästheten ein besonders gutes Gedächtnis haben.