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Der Gipfel (3/5)
Wie Lobbyisten den Kurs der EU beeinflussen

An kaum einem anderen Platz der Welt tummeln sich so viele Lobbyisten wie in Brüssel. Einige bestimmen den grundlegenden Kurs der EU seit Jahrzehnten mit, etwa der European Round Table of Industrialists. Positionen des Wirtschaftsclubs finden sich regelmäßig in Dokumenten des Rats und der EU-Kommission wieder.

Von Benjamin Dierks | 13.12.2017
    Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Arbeitsessen mit Vertretern des European Round Table of Industrialists, einer Lobbyorganisation der Industrie in Brüssel
    Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Arbeitsessen mit Vertretern des European Round Table of Industrialists, einer Lobbyorganisation der Industrie in Brüssel (AFP/ Wolfgang Kumm)
    Gut fünf Autominuten entfernt vom Sitz des Europäischen Rats steht ein Haus mit hübscher Gelbklinkerfassade aus der Jahrhundertwende. Nur ein kleines Klingelschild lässt darauf schließen, dass hier eine der einflussreichsten Organisationen des Kontinents residiert: der European Round Table of Industrialists, ein runder Tisch von Industriellen also.
    Brian Ager ist ihr Generalsekretär. Im Erdgeschoss des Gebäudes bahnt er sich seinen Weg vom Fahrstuhl in ein kleines Bürozimmer und bleibt vor einer großen Schwarzweißfotografie stehen:
    "So here you see the founding meeting of ERT in 1983. I believe this was in Paris."
    Auf dem Bild haben sich 18 Männer vor hohen Vorhängen zu einem Gruppenfoto versammelt. Ein Teil von ihnen steht in einer Reihe. Einige andere sitzen mit übergeschlagenen Beinen davor. Die Männer wirken gelöst.
    Industriebosse als treibende Kraft hinter EU-Binnenmarkt
    "This is the founder of ERT, Peer Gyllenhammar, the CEO of Volvo, this is Commissioner Davignon, this is Commissioner Ortoli. They looked very relaxed, don't they?"
    Brian Ager zeigt auf den Mann in der Mitte, Pehr Gyllenhammar, den früheren Chef des Autokonzerns Volvo, flankiert von zwei ehemaligen EU-Kommissaren. Das Gruppenfoto zeigt die Gründung des European Round Table 1983 in Paris. Neben dem Volvo-CEO waren die Chefs etwa von Shell, Nestlé, Philips, Renault, Thyssen und Siemens dabei. Wirtschaftsbosse aus ganz Europa hatten sich auf Initiative Gyllenhammars getroffen, um zu überlegen, wie sie die europäische Politik in ihrem Sinn beeinflussen konnten.
    "Und das erste Beispiel dafür war der Binnenmarkt. Damals in den 80er-Jahren bemerkten sie, dass sie sich weltweit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten, wenn sie einen starken Heimatmarkt in der EU schaffen. Außerdem würden sie der EU Jobs und Wachstum bescheren. Das war die Idee dahinter."
    Sagt Brian Ager. Bis heute basiert die Gruppe auf der persönlichen Mitgliedschaft europäischer Industriechefs. Ager ist ihr dauerhafter Vertreter in Brüssel. Dass der Europäische Rat in den 80er-Jahren die ersten Schritte hin zum gemeinsamen EU-Markt machte, wird vor allem dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors zugeschrieben. Tatsächlich aber waren die Industriechefs des Round Table eine treibende Kraft hinter dem Vorhaben.
    Pehr Gyllenhammar, von 1979 bis 1994 Vorstandsvorsitzender von Volvo
    Pehr Gyllenhammar, von 1979 bis 1994 Vorstandsvorsitzender von Volvo, war einer der Mitbegründer des European Round Table of Industrialists (Imago)
    Lobbyismus zum Wohle aller?
    Das europäische Binnenmarktprogramm geht zurück auf ein Papier der Lobbyisten. Darin aufgelistet sind eine Reihe konkreter Vorschläge, wie die Europäer sich mit einem geeinten Heimatmarkt gegen die starken Japaner und Amerikaner behaupten könnten.
    "Es ist ein großes Verdienst, dass sie die Weitsicht hatten, dass zu tun. Hätten sie das nicht getan und bestünde der Binnenmarkt heute nicht, ginge es Europa um einiges schlechter."
    Wer wissen will, wie der Europäische Rat funktioniert, muss auch die Interessengruppen beachten, die Politiker und Beamte beeinflussen. Brüssel zieht Lobbyisten aller Art an und der Round Table gehört zu den einflussreichsten. Brain Ager wird nicht müde zu betonen, dass die Gruppe dem Wohle aller in der EU diene. Als wolle er die Arglosigkeit des Lobbyverbands durch sein Äußeres unterstreichen, empfängt er in seinem Brüsseler Büro nicht im Jackett, sondern in gemütlicher blauer Strickjacke.
    Ager begann seine Karriere als britischer Regierungsbeamter, wechselte dann in die EU-Kommission und schließlich in die Industrie - als Interessenvertreter der Biotechnologiebranche und später eines Pharmaverbands. Anders als seine früheren Arbeitgeber wolle der Round Table Gesetzgebungsverfahren aber nicht direkt beeinflussen, sagt er.
    "Sie lobbyieren nicht für Partikularinteressen, denn die Mitglieder kommen aus verschiedenen Ländern und Sektoren und überlegen, wie sie Europa im Sinne der Gesellschaft, von Wachstum und Jobs weiterentwickeln können — und natürlich für ihre Unternehmen."
    Wunschlisten für weitreichende Deregulierung
    Verbraucherschützer und Bürgerverbände werfen dem Industriellenclub vor, die Institutionen mit seinen Wunschlisten für weitreichende Deregulierung geradezu zu bombardieren. Und immer wieder finden sich die Positionen des Round Table in Dokumenten des Rats und der EU-Kommission wieder. Brüssel will zum Beispiel Bürokratie abbauen. Der Plan dafür klingt den Forderungen des Round Table sehr ähnlich.
    Auch die Behauptung, dieser nehme keinen Einfluss auf Regulierungsverfahren, stimmt nicht ganz. Zum Beispiel ziehen die Wirtschaftsvertreter gerade gegen eine Verordnung zu Felde, die Bürger besser davor schützen soll, im Internet ausgespäht zu werden.
    "Oh ja stimmt, da beschweren wir uns dann doch mal. Wir haben ein großes Interesse daran zu erfahren, was die Institutionen, den Rat eingeschlossen, diskutiert haben, um die Digitalwirtschaft in Gang zu bringen. Und gegen einiges davon haben wir unsere Bedenken."
    Zugang zum Kanzleramt
    Zugang zur Politik erhalten die Industrievertreter in der Regel ohne Probleme. Man trifft sich regelmäßig mit EU-Kommissaren. Mitglieder der Kommission würden auch zu den Arbeitsgruppen der Lobbyisten geladen, berichtet Ager.
    "Kürzlich hatten wir ein Treffen mit Kommissar Sefcovic über Energiethemen."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel lud Mitglieder des European Round Table in den vergangenen Jahren mehrmals ins Kanzleramt ein. Mit dabei waren der damalige Präsident Frankreichs und der Chef der EU-Kommission. Zweimal im Jahr lädt einer der rund 50 Industriechefs zum Mitgliedertreffen ins jeweilige Heimatland. Manchmal kommen sie in einem Hotel zusammen, es wurden aber auch schon Museen oder Paläste gebucht.
    "Der klassische Rahmen dafür ist ein formelles Abendessen am Sonntagabend, oft in Anwesenheit des Regierungschefs oder Staatspräsidenten des Landes. Die werden gern eingeladen, um zur versammelten Mannschaft zu sprechen."
    Im Oktober fand das Treffen in Porto statt. Im Frühjahr tagte der Round Table in Griechenland.
    "You can ask and you can get. If you don’t ask then you don’t get."
    Man müsse halt fragen, dann komme man auch mit den Politikern in Kontakt, kokettiert Brian Ager. Das wird der European Round Table auch weiterhin tun — natürlich immer zum Wohle Europas.