" ... Ich finde es gut, dass unser Sohn Ihrem Sohn in die Schnauze gehauen hat und ich wisch mir den Arsch mit ihren Menschenrechten. – Wow!"
Im Wein – oder wie hier im Whisky – liegt die Wahrheit. Sagt der Volksmund. Und diese Wahrheit wird von niemandem offener ausgesprochen als von Narren und Kindern. Behauptet ebenfalls der Volksmund. Aus dem Kindesalter sind sie schon lange heraus – die vier Personen, die ein Zwischenfall nicht ganz freiwillig zusammenführt. Sich zu Narren zu machen, gelingt den Vieren allerdings in gerade einmal einer Stunde. 60 Minuten genügen, damit sich vier vermeintlich zivilisierte Menschen ihre Masken vom Gesicht reißen und den Beweis erbringen, dass auch im dritten Jahrtausend der Mensch immer noch des Menschen Wolf ist. Der von Christoph Waltz gespielte Alan bringt es so auf den Punkt:
" ... Ich glaube an den Gott des Gemetzels. ... Wissen Sie, es braucht eine gewisse Lehrzeit, um Gewalt durch Recht zu ersetzen. Der Ursprung des Gesetzes ist brutale Gewalt. – Das gilt vielleicht für Neandertaler, aber nicht in unserer Welt. – Erzählen Sie mir was über unsere Welt! – Ach, Sie öden mich an. Dieses ganze Gespräch ödet mich an. ..."
Und dabei haben sie alle es doch so gut gemeint. Nancy und Alan Cowan sind zu Penelope und Michael Longstreet gekommen, um über eine Prügelei ihrer elfjährigen Jungen vor einigen Tagen zu sprechen. Mit dem Streit der Kinder hat Polanski kurz vorher seinen Film eröffnet. Zusammen mit dem Schlussbild ist es die einzige Szene, die nicht in der Wohnung der Longstreets spielt. Zwei Elternpaare, die zum gehobenen Mittelstand zählen, wollen den Vorfall aufarbeiten, um ihn aus der Welt zu schaffen und damit gleichzeitig den Grundstein für eine Versöhnung zwischen ihren Söhnen legen. Die ersten Minuten des Gesprächs sind geprägt von Vernunft, Höflichkeit und gegenseitigem Respekt.
""Wir sind wirklich gerührt, wie großzügig Sie sich verhalten, und wir wissen zu schätzen, wie Sie versuchen die Wogen zu glätten anstatt die Sache noch zu verschärfen. – Das ist doch das Mindeste. – So viele Eltern ergreifen doch einfach Partei für ihre Kinder und führen sich selbst auf wie Kinder. Hätte Ethan unserem Zachary die zwei Zähne ausgeschlagen, hätten Alan und ich wahrscheinlich viel emotionaler reagiert. Ich bin mir nicht sicher, ob wir so gelassen wären. – Sie hat Recht. Ich wäre mir auch nicht sicher. – Ganz bestimmt. Weil wir alle wissen, dass es auch hätte andersrum passieren können."
Obwohl die Rolle von Täter und Opfer klar verteilt ist und von keinem der beiden Paare in Frage gestellt wird, liegen die Tücken – wie so oft – auch hier im Detail. Es ist die Wahl der Worte, die zu ersten Meinungsverschiedenheiten führt und die alsbald die gegensätzlichen Ansichten der Figuren an den Tag legt.
""Was sagt Zachary eigentlich dazu? Wie geht er mit der Situation um? – Ach, er redet nicht viel. Er ist etwas überfordert, denke ich. – Aber ihm ist klar, dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat? – Nein! Dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat, ist ihm nicht klar. – Wie kannst du das denn sagen? – Ihm ist klar, dass dieses gewalttätige Verhalten inakzeptabel ist. Nicht dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat. – Sie stören sich an dem Wort. Aber ich fürchte, das bringt es auf den Punkt. – Mein Sohn hat Ihren Sohn nicht entstellt. – Ihr Sohn hat unseren Sohn entstellt."
Mit den vier Personen treffen vier unterschiedliche Charaktere und Temperamente aufeinander. Jodie Foster verkörpert die angespannte und zu cholerischen Ausbrüchen neigende Penelope. John C. Reilly spielt ihren Ehemann, den gutmütigen Michael. Die beiden sind die Eltern des Opfers.
"... Der muss aufpassen! Der hat mich bald soweit. – Sie ist grässlich. – Nicht so wie er. – Sie ist falsch. ..."
Die Eltern des Täters werden von Christoph Waltz und Kate Winslet verkörpert. Er gibt als Geschäftsmann Alan den Chefzyniker, während seine Frau Nancy darum bemüht ist Haltung zu wahren. Zumindest am Anfang.
" ... Warum streitest du mit ihr? Wir wären hier schon längst raus, wenn du nicht so erbittert um jedes Wort feilschen würdest. – Hättest du lieber so ein Schaf wie ihren Mann?"
Klug und pointiert, entlarvend und abgründig, vor allem aber kurz und bündig – in nur 78 Minuten – liegen die Errungenschaften des zivilisierten Umgangs in Trümmern. Die Regeln des Miteinanders, die den Mensch als soziales Wesen auszeichnen, gelten nicht mehr. Der Gott des Gemetzels hat die Macht an sich gerissen – auch wenn auf diesem Schlachtfeld nicht ein Tropfen Blut fließt. Das Bemerkenswerte an der Eskalation: Die Frontlinie verläuft nicht nur zwischen den beiden Paaren. Das Quartett mischt seine Karten im Minutentakt neu.
"Dieses ganze Ausdiskutieren, dieses Einsichtzeigen steht mir ehrlich gesagt bis hier. Wir waren nett zu Ihnen. Wir haben Tulpen besorgt. Wissen Sie, meine Frau verkauft mich als Gutmenschen. Aber in Wahrheit fehlt mir völlig die Geduld für diesen gefühlsduseligen Blödsinn. Ich bin ein richtig fieses, cholerisches Dreckschwein. – Sind wir alle. – Nein, tut mir leid, sind wir nicht. ... Sie nicht. Natürlich! – Nein, ich nicht. Gott sei Dank! – Nein, nicht doch du. Du bist kultiviert. Hauptsache ist doch die Form zu wahren. – Wieso bist du so aggressiv mir gegenüber? – Ich bin nicht aggressiv. Ich bin nur ehrlich. – Oh doch – natürlich – du bist aggressiv."
Die vier Darsteller veranstalten großes Theater, spielen sich die Seele aus dem Leib und doch gegenseitig nie an die Wand. Dabei beweist in dieser scharfen Gesellschaftssatire vor allem ihr Taktgeber Roman Polanski Gespür für den Bildausschnitt und die Länge einer jeden Szene. Wie in einer Komödie. Und die hat Polanski mit "Der Gott des Gemetzels" irgendwie auch gedreht. Denn es ist hochamüsant Alan und Nancy dabei zuzusehen, wie sie immer wieder vergeblich versuchen, das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden, Alans Mobiltelefon im Minutentakt klingelt oder sich Nancy über Penelopes wertvollem Kokoschka-Bildband erbricht. Am Ende übrigens werden alle Vier dann doch bei einer Sache derselben Meinung sein: Dies ist der unglücklichste Tag ihres Lebens.
Mehr zum Thema:
Gott des Gemetzels - Homepage des Films
Im Wein – oder wie hier im Whisky – liegt die Wahrheit. Sagt der Volksmund. Und diese Wahrheit wird von niemandem offener ausgesprochen als von Narren und Kindern. Behauptet ebenfalls der Volksmund. Aus dem Kindesalter sind sie schon lange heraus – die vier Personen, die ein Zwischenfall nicht ganz freiwillig zusammenführt. Sich zu Narren zu machen, gelingt den Vieren allerdings in gerade einmal einer Stunde. 60 Minuten genügen, damit sich vier vermeintlich zivilisierte Menschen ihre Masken vom Gesicht reißen und den Beweis erbringen, dass auch im dritten Jahrtausend der Mensch immer noch des Menschen Wolf ist. Der von Christoph Waltz gespielte Alan bringt es so auf den Punkt:
" ... Ich glaube an den Gott des Gemetzels. ... Wissen Sie, es braucht eine gewisse Lehrzeit, um Gewalt durch Recht zu ersetzen. Der Ursprung des Gesetzes ist brutale Gewalt. – Das gilt vielleicht für Neandertaler, aber nicht in unserer Welt. – Erzählen Sie mir was über unsere Welt! – Ach, Sie öden mich an. Dieses ganze Gespräch ödet mich an. ..."
Und dabei haben sie alle es doch so gut gemeint. Nancy und Alan Cowan sind zu Penelope und Michael Longstreet gekommen, um über eine Prügelei ihrer elfjährigen Jungen vor einigen Tagen zu sprechen. Mit dem Streit der Kinder hat Polanski kurz vorher seinen Film eröffnet. Zusammen mit dem Schlussbild ist es die einzige Szene, die nicht in der Wohnung der Longstreets spielt. Zwei Elternpaare, die zum gehobenen Mittelstand zählen, wollen den Vorfall aufarbeiten, um ihn aus der Welt zu schaffen und damit gleichzeitig den Grundstein für eine Versöhnung zwischen ihren Söhnen legen. Die ersten Minuten des Gesprächs sind geprägt von Vernunft, Höflichkeit und gegenseitigem Respekt.
""Wir sind wirklich gerührt, wie großzügig Sie sich verhalten, und wir wissen zu schätzen, wie Sie versuchen die Wogen zu glätten anstatt die Sache noch zu verschärfen. – Das ist doch das Mindeste. – So viele Eltern ergreifen doch einfach Partei für ihre Kinder und führen sich selbst auf wie Kinder. Hätte Ethan unserem Zachary die zwei Zähne ausgeschlagen, hätten Alan und ich wahrscheinlich viel emotionaler reagiert. Ich bin mir nicht sicher, ob wir so gelassen wären. – Sie hat Recht. Ich wäre mir auch nicht sicher. – Ganz bestimmt. Weil wir alle wissen, dass es auch hätte andersrum passieren können."
Obwohl die Rolle von Täter und Opfer klar verteilt ist und von keinem der beiden Paare in Frage gestellt wird, liegen die Tücken – wie so oft – auch hier im Detail. Es ist die Wahl der Worte, die zu ersten Meinungsverschiedenheiten führt und die alsbald die gegensätzlichen Ansichten der Figuren an den Tag legt.
""Was sagt Zachary eigentlich dazu? Wie geht er mit der Situation um? – Ach, er redet nicht viel. Er ist etwas überfordert, denke ich. – Aber ihm ist klar, dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat? – Nein! Dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat, ist ihm nicht klar. – Wie kannst du das denn sagen? – Ihm ist klar, dass dieses gewalttätige Verhalten inakzeptabel ist. Nicht dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat. – Sie stören sich an dem Wort. Aber ich fürchte, das bringt es auf den Punkt. – Mein Sohn hat Ihren Sohn nicht entstellt. – Ihr Sohn hat unseren Sohn entstellt."
Mit den vier Personen treffen vier unterschiedliche Charaktere und Temperamente aufeinander. Jodie Foster verkörpert die angespannte und zu cholerischen Ausbrüchen neigende Penelope. John C. Reilly spielt ihren Ehemann, den gutmütigen Michael. Die beiden sind die Eltern des Opfers.
"... Der muss aufpassen! Der hat mich bald soweit. – Sie ist grässlich. – Nicht so wie er. – Sie ist falsch. ..."
Die Eltern des Täters werden von Christoph Waltz und Kate Winslet verkörpert. Er gibt als Geschäftsmann Alan den Chefzyniker, während seine Frau Nancy darum bemüht ist Haltung zu wahren. Zumindest am Anfang.
" ... Warum streitest du mit ihr? Wir wären hier schon längst raus, wenn du nicht so erbittert um jedes Wort feilschen würdest. – Hättest du lieber so ein Schaf wie ihren Mann?"
Klug und pointiert, entlarvend und abgründig, vor allem aber kurz und bündig – in nur 78 Minuten – liegen die Errungenschaften des zivilisierten Umgangs in Trümmern. Die Regeln des Miteinanders, die den Mensch als soziales Wesen auszeichnen, gelten nicht mehr. Der Gott des Gemetzels hat die Macht an sich gerissen – auch wenn auf diesem Schlachtfeld nicht ein Tropfen Blut fließt. Das Bemerkenswerte an der Eskalation: Die Frontlinie verläuft nicht nur zwischen den beiden Paaren. Das Quartett mischt seine Karten im Minutentakt neu.
"Dieses ganze Ausdiskutieren, dieses Einsichtzeigen steht mir ehrlich gesagt bis hier. Wir waren nett zu Ihnen. Wir haben Tulpen besorgt. Wissen Sie, meine Frau verkauft mich als Gutmenschen. Aber in Wahrheit fehlt mir völlig die Geduld für diesen gefühlsduseligen Blödsinn. Ich bin ein richtig fieses, cholerisches Dreckschwein. – Sind wir alle. – Nein, tut mir leid, sind wir nicht. ... Sie nicht. Natürlich! – Nein, ich nicht. Gott sei Dank! – Nein, nicht doch du. Du bist kultiviert. Hauptsache ist doch die Form zu wahren. – Wieso bist du so aggressiv mir gegenüber? – Ich bin nicht aggressiv. Ich bin nur ehrlich. – Oh doch – natürlich – du bist aggressiv."
Die vier Darsteller veranstalten großes Theater, spielen sich die Seele aus dem Leib und doch gegenseitig nie an die Wand. Dabei beweist in dieser scharfen Gesellschaftssatire vor allem ihr Taktgeber Roman Polanski Gespür für den Bildausschnitt und die Länge einer jeden Szene. Wie in einer Komödie. Und die hat Polanski mit "Der Gott des Gemetzels" irgendwie auch gedreht. Denn es ist hochamüsant Alan und Nancy dabei zuzusehen, wie sie immer wieder vergeblich versuchen, das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden, Alans Mobiltelefon im Minutentakt klingelt oder sich Nancy über Penelopes wertvollem Kokoschka-Bildband erbricht. Am Ende übrigens werden alle Vier dann doch bei einer Sache derselben Meinung sein: Dies ist der unglücklichste Tag ihres Lebens.
Gott des Gemetzels - Homepage des Films