Zwischen Olivenbaumfeldern und kleinen idyllischen Dörfern liegt das Flüchtlingslager "Vial", der sogenannte "Hot-Spot" auf Chios. Hinter Stacheldrahtzaun stehen 67 Container, die Platz für 1.100 Menschen bieten sollen.
Polizisten bewachen das Eingangstor, achten darauf, dass niemand mit den Flüchtlingen spricht. Eine ehrenamtliche Dolmetscherin kommt mit einem Mann heraus. Sie versucht einem Beamten zu vermitteln, dass der Mann seine Familie im Krankenhaus besuchen möchte.
"Sag ihm, ich werde ihn in seine Heimat zurückschicken!", antwortet der Polizist und wimmelt beide ab.
Ein Stück weiter stehen Kinder hinter dem Zaun und winken Veronica Sanchez zu. Sie unterbrach ihre Europa-Reise, um Flüchtlingskinder in ihrer schwierigen Lage abzulenken. Sie ist eine Art "Freiwillige Entertainerin" hier im Camp. Die Behörden aber scheint das zu stören.
"Heute haben wir mit den Kindern gespielt, Ballons aufgeblasen und ihre Namen draufgeschrieben und dann meinte Einer: Raus! Du hast fünf Minuten, um zu gehen!"
Veronica Sanchez war vorher in der türkischen Stadt Çeşme, die gegenüber von Chios liegt und von wo aus die Flüchtlinge nach Griechenland aufbrechen. Für die 36-jährige Mexikanerin ist Vial kein Gefängnis, es sei schlimmer. Besonders für die Kinder, die sie betreut.
"Sie sind sehr dünn. Von Größe 10 tragen sie nach einem Monat nur noch Größe 8. Sie sind sehr dünn, die Hosen fallen runter. Ich kenne sie aus Çeşme, ich habe sie selbst dort angezogen. Ich kenne sie."
1500 Asylanträge und nur zwei Bearbeiter
Laut Polizeiangaben befinden sind rund 1.800 registrierte Menschen auf der Insel, davon haben über 1.500 Asyl beantragt. Gerade einmal vier Mitarbeiter der griechischen Asylbehörde sind im geschlossenen Flüchtlingslager Vial. Am Tag finden maximal zwei Interviews mit Asylsuchenden statt. Und nur einer von ihnen kann über die Anträge entscheiden: Nikos Papamanolis.
"Die Wahrheit ist, die Zahlen sprechen für sich. Wir sind wenige, aber wir warten noch auf die Hilfe unserer Kollegen der anderen europäischen Länder. In den nächsten Wochen. Dann, nehme ich an, wird es eine komplett andere Situation sein."
Erst in einer Woche, sagt er, kommen drei vom EASO – dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen nach Chios. Wann der Rest der geplanten 40 Mitarbeiter kommt – unklar. Bis jetzt finde das EU-Türkei-Abkommen keine Anwendung in Chios, so Papamanolis. Er entscheidet noch nach dem alten Prinzip. Nämlich: Hat der Mensch ein Recht auf Asyl? Ja oder Nein. Das soll sich aber ändern. Wenn seine EU-Kollegen eintreffen.
"Zuerst müssen wir schauen, ob für den Antragssteller die Türkei ein sicherer Drittstaat ist. Wenn es nicht so ist, erst dann schauen wir und prüfen wir hier genau seinen Antrag."
Es scheint, als wäre für Nikos Papamanolis vieles noch unklar. Wie genau das neue Asylgesetz umgesetzt werden soll, welche Ausnahmen wann gelten. Die Praxis werde es aber schon zeigen, so hofft er.
Ein Reisebus fährt vor, fast 40 Geflüchtete steigen aus. Sie waren kurzzeitig verschwunden, heißt es und sind nun wieder zurück, um Asyl zu beantragen:
"Die meisten von ihnen hier sind schon registriert. Sie wissen aber nicht, wie es weitergeht und beantragen Asyl. Sie verstehen nicht, dass sie hier eingesperrt werden. Verstehst du, was hier für ein Spiel gespielt wird? Ich will auch nur ihr Bestes, aber sie werden veräppelt", sagt ein Polizist, der anonym bleiben möchte.
"Anstatt ihnen zu helfen, einen Weg zu finden weiterzureisen, sperren sie die hier ein. Mit Absicht meiner Meinung nach."
Der Polizist will danach nicht mehr ins Mikrofon sprechen. Er erzählt, dass er seine Versetzung beantragen will. Und ja: Hier in Vial - das seien für ihn Gefangene, deren Situation hoffnungslos sei.