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"Der Hauptfehler ist wohl die Langeweile"

Der Satiriker, Kritiker und Autor Eckhard Henscheid hat eine Autobiografie geschrieben. Dabei versucht er, die Fehler seiner Kollegen zu vermeiden - vor allem die Langeweile. Henscheid erzählt nicht linear, sondern springt in den Zeiten und lässt immer wieder Raum für literarisch-stilistische Reflexionen.

Von Joachim Büthe |
    Autobiografien sind ein tückisches, ein fallenreiches Gebiet. Im schlimmsten Fall kommt der Verdacht auf, hier betreibe jemand eitle Selbstbespiegelung, im besten Fall die schon minder eitle Selbstvergewisserung, aber wie leicht geht das eine in das andere über. Da kann es nicht schaden, das Buch mit einer frühkindlichen Episode beginnen zu lassen, die im weiteren Verlauf so gar keine Rolle mehr spielen wird.

    "Öga - Bier!" soll der ein- oder zweijährige Eckhard in heimatlichen Biergärten von Tisch zu Tisch wackelnd gerufen bzw. schon kraftvoll gefordert haben; eine frühe und etwas täppische Leidenschaft, die bis zum ca. 40. Geburtstag stark anhielt, ehe sich diese (sagen wir es etwas deutlicher) Sucht dann immer entschiedener "dem Weine" zuwandte, um in ihm usw. – Da wollte ich wohl nicht näher ausführen, wie oft am Tage ich mich dem Weine zuwende."

    Was dieser bildschöne Beginn jedoch schon andeutet, ist die Rolle des Fragmentarischen, des nicht ganz zu Ende geführten Textes, dem man in diesem Buch noch öfter begegnen wird. Zwar ist es in sieben, analog den Lebensjahrzehnten, Kapitel eingeteilt, doch die plan lineare Erzählweise ist Henscheids Sache nicht.

    "Es ist linear angelegt, aber es springt gelegentlich etwas hin und her. Von vorne nach hinten und von hinten wieder nach vorn, auch so kreisförmige Bewegungen kann man herauslesen. Die rein lineare Erzählweise, die wäre mir mit einem Wort zu langweilig gewesen. Auch z.B. dass die epischen, die narratorischen Elemente nicht zu sehr dominieren, sondern sich mit reflexiven und pointilistischen Elementen abwechseln, auch um mir das Schreiben etwas zu versüßen. Ich habe quasi zur Kontrolle einige berühmte Kollegen gegengelesen, Autobiografien, die mir alle nicht gefallen haben, und ich habe versucht, einige Fehler zu vermeiden. Der Hauptfehler ist wohl die Langeweile oder, mit anderen Worten, dem Leser die Frage nahe zu legen, warum erzählt er mir das alles, was ist an ihm bedeutender als an mir, an anderen. Mit dieser Frage muss man rechnen."

    Damit keine Missverständnisse aufkommen: An dem für eine Selbstbiografie unerlässlichen Selbstbewusstsein mangelt es Henscheid nicht. "Und ich hatte recht. Wie stets." So heißt es an einer Stelle. Altersmilde Korrekturen und Relativierungen harscher literarischer Urteile wird man im Buch nicht vergeblich suchen, doch sie sind selten. Das wiederum könnte daran liegen, dass es da wenig zu korrigieren gibt.

    "Im Falle Luise Rinser, huldige ich mir im Buch etwas selber, hat das Gesamtfeuilleton meine Meinung übernommen, die aber, noch strenger genommen, von den ernsthaften Teilnehmern am Kulturgeschwätz damals schon, in den 70er-, 80er-Jahren, geteilt worden ist. Nur der provinziellere Teil des Feuilletons, der war noch 10 bis 20 Jahre der Meinung, dass man es hier mit einer ernsthaften Autorin zu tun hätte. Wenn ich im Buch gelegentlich damit kokettiere, dass ich in allen Punkten recht habe, in den literarischen Scharfurteilen, da muss ich keines zurücknehmen. Das stimmt alles und stimmt, je mehr Zeit vergeht, desto gewaltiger."

    Natürlich können in einer Autobiografie die Kontroversen und Leserbriefattacken, die Henscheids nicht nur literarische Scharfurteile auslösten, besonders wenn sie in der Frankfurter Allgemeinen standen, nicht fehlen. Auch juristische Auseinandersetzungen hatte er durchzustehen, die nicht immer zugunsten der Kunstfreiheit ausgingen, denn die juristische Logik ist eine andere. Die bekannteste und finanziell schmerzhafteste war die mit den Böll-Erben, und ausgerechnet an dieser Stelle nimmt Henscheid eine Korrektur vor. Nicht die Erben oder das damals zur Debatte stehende Buch betreffend, aber den Autor Böll insgesamt betreffend.

    "Einmal, einige der wenigen Male, raffe ich mich auf, eine Fehlmeinung ein wenig zu korrigieren. Dass damals wie heute meine Meinung zu Böll nicht so einheitlich unfreundlich ist, sondern er hat in meinem Leben zum Teil auch eine freundliche Rolle gespielt. Ich besitze sogar ein Autogramm von ihm für einen wichtigen Hinweis, wofür er mir ein Buch verehrt hat. Phasenweise war er besser als heute die Generalmeinung über ihn kursiert. Leider aber gerade bei den Büchern, die am wenigsten populär geworden sind, also etwa ein Roman wie 'Ende einer Dienstfahrt', der ist inzwischen völlig vergessen, den fand ich gut."

    Das Kapitel über die Lieblingsfeinde, zu denen Böll eben nicht gehört hat, sei hiermit zugeschlagen, nicht ohne zu erwähnen, dass die Beschäftigung mit ihnen, im Wort klingt es ja bereits an, Henscheid ein nicht unerhebliches Vergnügen bereitet hat. Die Begegnungen mit wichtigen und berühmten Persönlichkeiten, die man in Autobiografien erwartet, wird man in dieser, unter dem Strich erfreulich uneitlen, nur am Rande und zudem noch ironisch unterminiert finden. Dafür wird man reich entschädigt durch literarisch-stilistische Reflexionen, z.B. über die Frage, warum das unpassende, deplatzierte Wort manchmal besser sein kann als das richtige, besonders wenn es um den komischen Mehrwert geht. Auch das Scheitern hat seinen Ort in diesem Buch. Unter den ins Buch eingestreuten Fragmenten finden sich auch aufgegebene Romananfänge. Manche lesen sich wie Versuchsanordnungen, wie lang ein Satz denn werden muss, bevor es mit ihm endgültig nicht mehr weitergeht.

    "Ich lese ganz gern, nicht die verfehlten Romananfänge aus dem Buch, weil sie länger sind, sondern eine eigene Kunstgattung, die inzwischen 30 Jahre alt ist, die sich bei Lesungen besonders eignet. Das ist es nicht so, also das wäre nun naiv zu glauben, dass ich mit den betreffenden drei oder zehn Zeilen einen Roman eröffnen wollte. Das war von vornherein als verfehlter Romananfang geplant. Der Applaus bei diesen Texten bezeugt mir, dass das sehr wohl verstanden wird. Die Beispiele im Buch dienen auch ein bisschen dazu, zu informieren, was schief gegangen ist, zum Teil dann wirklich halbe Pläne. Leser sind ja neugierig und wollen es wissen, zum Teil auch ein bisschen didaktisch, um ihnen vorzuführen, dass es so nicht geht."

    Möglicherweise hat Henscheid ja auch anderen Memoirenschreibern zeigen wollen, dass es so nicht geht, so, wie er es gemacht hat, aber schon. Geübten Henscheid-Lesern wird das ein oder andere bekannt vorkommen, das kann bei dieser Form der Bilanzierung nicht völlig ausbleiben. Die eingangs erwähnte Gefahr der Langeweile besteht bei diesem, nicht nur stilistisch, das darf man ohnehin voraussetzen, vielfältigen Buch mit Sicherheit nicht. Und wer wissen möchte, wie das alles angefangen hat, dem sei noch eine frühkindliche Erinnerung nachgeliefert, die sich Henscheid als grundlegende zurechtgelegt hat. So könnte es gewesen sein.

    "Wer ist stärker, Löwe oder Tiger?" Wenn meine Mutter Glück hatte, dann hörte sie auf ihre Antwort ("Löwe" bzw. "Tiger") die heftig kopfnickend einverständige Antwort des ca. Vierjährigen: 'Isaa!' Meint: Ist auch, ist richtig. Hatte sie weniger Glück, kriegte sie bei der Antwort "Löwe" ein triumphal rechthaberisches 'Nein, Tiger!' zu hören. Und genauso penetrant umgekehrt, natürlich, je nach Bedarf. Zu vermuten steht, dass sich aus diesem frühen Widerspruchs- und Rechthabergeist bereits so onto- wie phylogenetisch meine spätere Existenz als widerborstiger Kritiker, Satiriker, als humoristischer Romancier herschreibt. Das Konziliante war mir wohl mein ganzes Leben auch nicht fremd; das affirmativ Akzeptanzfreudige und seelenruhig mit Gott und der Welt Einverständige weniger, fast nie gegeben."

    Eckhard Henscheid: Denkwürdigkeiten. Aus meinem Leben 1941 – 2011.
    Schöffling & Co., 413 Seiten, 22,95 Euro.