Manfred Götzke: Die Hauptschule nennen die meisten Eltern und Schüler nur noch Resteschule. Nur zwei Prozent der Eltern in Deutschland wollen ihre Kinder da hin schicken. Dass das keine Schulform mit Zukunft ist, hat auch in diesem Sommer die CDU erkannt, die Abschaffung der Hauptschule in ihr neues bildungspolitisches Konzept geschrieben und ein zweigliedriges Schulsystem gefordert. Da hatte die CDU-Spitze allerdings nicht mit den Fans der Schulform Hauptschule aus Hessen und Baden-Württemberg gerechnet. Ergebnis: Wenn auf dem CDU-Parteitag am Montag das schulpolitische Konzept beschlossen wird, dann ist von einem Aus für die Hauptschule nicht mehr die Rede. Roland Wöller ist CDU-Kultusminister in Sachsen, also in einem Bundesland, das bereits ein zweigliedriges Schulsystem hat, bestehend aus Gymnasium und Oberschule, also genau das, was die CDU nun doch nicht mehr einführen will. Herr Wöller, warum ist mit der CDU eine zeitgemäße Schulpolitik nicht möglich?
Roland Wöller: Sie war möglich und sie ist auch weiterhin möglich. Wir wissen ja: Dort, wo die Union regiert, sind wir bei PISA ganz vorne, nicht erst seit 2000. Und gerade die neuen Länder mit Sachsen an der Spitze haben unter Beweis gestellt, dass sie mit ihrem Weg - für uns ist es der sächsische Weg - sehr viel Erfolg gehabt haben, und der fließt jetzt maßgeblich in die Programmatik der CDU auf Bundesebene ein.
Götzke: Ja, sollte maßgeblich einfließen. Ursprünglich war ja davon die Rede, dass die CDU sich für die Oberschule entschließt, sie favorisiert - jetzt soll sie eine Schulform unter vielen sein. Wie sehr ärgert sie das?
Wöller: Mich ärgert das gar nicht, weil wir uns klar dazu positioniert haben. Wir haben ja schon eine Realität, auch in den westlichen Ländern - nehmen Sie Niedersachsen beispielsweise oder auch Hamburg oder Bremen, sogar Schleswig-Holstein. Die alten Länder entwickeln sich auf einem Zwei-Säulen-Modell. Wir haben ja große Herausforderungen in Deutschland: Neben der Internationalisierung und neben der Frage der Migration, die Frage der Demografie. Der Osten in Deutschland hat das Thema durch, dort haben sich die Schülerzahlen seit 1990 halbiert. Das kommt jetzt mit einer zeitlichen Verzögerung im Westen an, und wir werden sehen, dass gerade in den westdeutschen Flächenländern - auch in Baden-Württemberg, auch in Hessen und in Bayern - die Schülerzahlen um über ein Fünftel in den nächsten zehn Jahren zurückgehen wird. Darauf muss man sich einstellen, und die Antwort, die die CDU darauf gegeben hat, ist ein klares Zwei-Säulen-Modell: Neben dem Gymnasium eine weiterführende Schulart, wir nennen sie Oberschule, und unter diesem Dach der Oberschule wird es weiterhin den Hauptschulabschluss geben und den Hauptschulgang. Es war nie was anderes geplant, klar ist aber auch, dass es die Hauptschule so in zehn Jahren nicht mehr geben wird.
Götzke: Es war so geplant, wie Sie es jetzt darstellen, im Sommer. Jetzt, im aktuellen Antrag, ist ja auch ein klares Bekenntnis zur Hauptschule noch mit drin.
Wöller: Ein klares Bekenntnis sieht anders aus. Entscheidend ist ja, wie die Eltern sich entscheiden. Wir sehen ja, dass nur noch zwei Prozent der Eltern wollen, dass ihre Kinder auf eine Hauptschule gehen. Das zusammengenommen mit einem ...
Götzke: Warum hält die Union dennoch an der Hauptschule fest, wenn das so ist, wie sie sagen, was ja stimmt.
Wöller: Weil es natürlich auch darum geht, den Elternwillen zu berücksichtigen. Wir haben einen dramatischen Rückgang der Schülerzahlen. Nur noch zwei Prozent der Eltern wollen überhaupt, dass ihre Kinder auf die Hauptschule gehen. Das würde tiefe Konsequenzen haben, gerade im ländlichen Raum, aber dort, wo die Eltern es wollen, und da, wo es weiterhin funktionierende Schulen gibt, wollen wir nicht das Totenglöcklein läuten, sondern dann entscheiden die Eltern. Klar ist aber auch, dass es eine Richtung gibt, die viele Länder schon eingeschlagen haben, das ist das Zwei-Säulen-Modell mit Gymnasium und Oberschule, und das steht auch in dem Leitantrag so drin.
Götzke: Sie haben es ja gerade angedeutet, die Eltern wollen die Hauptschule nicht. Hat sich das in Baden-Württemberg und Hessen in der Union dort einfach noch nicht rumgesprochen?
Wöller: Wir haben einen intensiven Diskussionsprozess hinter uns. Es ist durchaus so, dass es Mitte des Jahres durchaus den Eindruck gab, als wenn wir den Hauptschulabschluss abschaffen wollen. Das ist nicht der Fall, den brauchen wir. Auch Sachsen hat seit 1990 den Hauptschulabschluss. Wir organisieren ihn aber auch anders. Der Vorteil der Mittelschule, Oberschule ist, dass wir Durchlässigkeit haben - man kann also von einem Bildungsgang in den anderen leicht wechseln -, und es gelingt uns, besonders Bildungs- und Kompetenzschwächere mitzunehmen. Viele schaffen einen Realschulabschluss. Diese Durchlässigkeit und diese Anschlussfähigkeit wollen wir, und die kann man unter dem Dach der Oberschule gut organisieren. Dort, wo es eben funktioniert mit den Hauptschulen, dann müssen die Hauptschulen eben weiterentwickelt werden, und ich glaube, das kann man in Richtung Zwei-Säulen-Modell tun.
Götzke:Gehört die Hauptschule zum Markenkern der CDU?
Wöller: Der Hauptschulabschluss gehört zum Markenkern der CDU. Er ist ein hinführender Abschluss, um eine Facharbeiterausbildung auszuüben, deswegen brauchen wir ihn auch weiter. Klar ist aber auch, gerade wegen der demografischen Entwicklung und des Schülerrückgangs muss er anders organisiert werden, auch aus den Augen der Schüler, durchlässiger, anschlussfähiger, aber der Hauptschulabschluss wird bleiben. Die Schulform unter diesem Dach, die wird sich ändern in Richtung Zweigliedrigkeit, das zeigt die Entwicklung in einigen Bundesländern. Dort, wo die Hauptschule existiert, wird es sie in zehn Jahren so in dieser Form nicht mehr geben. Das ist meine Überzeugung.
Götzke: Ein anderes, letztlich auch bildungspolitisches Thema wird auf dem Parteitag ja eine Rolle spielen: Der Streit um das Betreuungsgeld. Viele Frauen in der Unionsfraktion rebellieren gegen den Koalitionsbeschluss, Frauen, die ihre Kinder nicht in eine Kita schicken, eine Subvention zu zahlen. Können Sie die Frauen in der Union verstehen?
Wöller: Wir haben in Deutschland eine differenzierte Lage. Der Osten hat ein sehr weit ausgebautes Angebot an Betreuungsplätzen unter drei - das ist über 40 Prozent - und nahezu 95, 96 Prozent, was den Kindergarten betrifft. Das ist im Westen anders, dort muss noch aufgeholt werden, gerade um auch den Betreuungsplatz U3 zu garantieren bis zum Jahre 2013. Was das Geld anbetrifft, wir sind der Auffassung - gerade auch in Sachsen -, die Eltern müssen entscheiden, sie brauchen aber auch Betreuungsplätze. Uns ist wichtiger, dass wir das Geld in die Qualität der frühkindlichen Bildung investieren, aber weniger ausgeben wollen für den Geldbeutel der Eltern.
Götzke: Sie sind also gegen das Betreuungsgeld?
Wöller: Wir können uns vorstellen, dass Geld sinnvoller eingesetzt werden kann, nämlich für die Qualität der Kleinsten.
Götzke: Wie bewerten Sie es denn letztlich als Kultusminister eines Landes mit einer - Sie haben es ja schon gesagt - gut funktionierenden Kita-Landschaft, dass jetzt frühkindliche Pädagogik mit einer Subvention unterminiert werden soll?
Wöller: Sie wird nicht unterminiert, sondern entscheidend ist die Wahlfreiheit der Eltern, aber von staatlicher Seite müssen wir ein Angebot bereit halten, was flächendeckend ist, was den Bedarfszahlen entspricht und was vor allem qualitativ hochwertig ist. Es ist viel zu lange die frühkindliche Bildung unter dem Aspekt der Betreuung und Erziehung gesehen, aber Kindergärten, Kindertageseinrichtungen sind Bildungsinstitutionen, als solche müssen sie gesehen werden. Deswegen haben wir vor Jahren Bildungspläne in Kraft gesetzt, wir haben die Erzieherinnen und Erzieher weiterentwickelt, wir haben sie geschult. Es muss mehr Aufstiegsmöglichkeiten geben, auch in den Grundschulbereich, darauf müssen wir unsere Anstrengung konzentrieren. Je früher wir anfangen, deswegen kommt es ja auf den Anfang an, desto höher sind die Chancen auf einen ordentlichen Bildungsabschluss, auf Erfolg im Beruf und im Leben. Lieber früh investieren als spät reparieren, das muss sich auch in ganz Deutschland durchsetzen.
Götzke: Herr Wöller, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wöller: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Roland Wöller: Sie war möglich und sie ist auch weiterhin möglich. Wir wissen ja: Dort, wo die Union regiert, sind wir bei PISA ganz vorne, nicht erst seit 2000. Und gerade die neuen Länder mit Sachsen an der Spitze haben unter Beweis gestellt, dass sie mit ihrem Weg - für uns ist es der sächsische Weg - sehr viel Erfolg gehabt haben, und der fließt jetzt maßgeblich in die Programmatik der CDU auf Bundesebene ein.
Götzke: Ja, sollte maßgeblich einfließen. Ursprünglich war ja davon die Rede, dass die CDU sich für die Oberschule entschließt, sie favorisiert - jetzt soll sie eine Schulform unter vielen sein. Wie sehr ärgert sie das?
Wöller: Mich ärgert das gar nicht, weil wir uns klar dazu positioniert haben. Wir haben ja schon eine Realität, auch in den westlichen Ländern - nehmen Sie Niedersachsen beispielsweise oder auch Hamburg oder Bremen, sogar Schleswig-Holstein. Die alten Länder entwickeln sich auf einem Zwei-Säulen-Modell. Wir haben ja große Herausforderungen in Deutschland: Neben der Internationalisierung und neben der Frage der Migration, die Frage der Demografie. Der Osten in Deutschland hat das Thema durch, dort haben sich die Schülerzahlen seit 1990 halbiert. Das kommt jetzt mit einer zeitlichen Verzögerung im Westen an, und wir werden sehen, dass gerade in den westdeutschen Flächenländern - auch in Baden-Württemberg, auch in Hessen und in Bayern - die Schülerzahlen um über ein Fünftel in den nächsten zehn Jahren zurückgehen wird. Darauf muss man sich einstellen, und die Antwort, die die CDU darauf gegeben hat, ist ein klares Zwei-Säulen-Modell: Neben dem Gymnasium eine weiterführende Schulart, wir nennen sie Oberschule, und unter diesem Dach der Oberschule wird es weiterhin den Hauptschulabschluss geben und den Hauptschulgang. Es war nie was anderes geplant, klar ist aber auch, dass es die Hauptschule so in zehn Jahren nicht mehr geben wird.
Götzke: Es war so geplant, wie Sie es jetzt darstellen, im Sommer. Jetzt, im aktuellen Antrag, ist ja auch ein klares Bekenntnis zur Hauptschule noch mit drin.
Wöller: Ein klares Bekenntnis sieht anders aus. Entscheidend ist ja, wie die Eltern sich entscheiden. Wir sehen ja, dass nur noch zwei Prozent der Eltern wollen, dass ihre Kinder auf eine Hauptschule gehen. Das zusammengenommen mit einem ...
Götzke: Warum hält die Union dennoch an der Hauptschule fest, wenn das so ist, wie sie sagen, was ja stimmt.
Wöller: Weil es natürlich auch darum geht, den Elternwillen zu berücksichtigen. Wir haben einen dramatischen Rückgang der Schülerzahlen. Nur noch zwei Prozent der Eltern wollen überhaupt, dass ihre Kinder auf die Hauptschule gehen. Das würde tiefe Konsequenzen haben, gerade im ländlichen Raum, aber dort, wo die Eltern es wollen, und da, wo es weiterhin funktionierende Schulen gibt, wollen wir nicht das Totenglöcklein läuten, sondern dann entscheiden die Eltern. Klar ist aber auch, dass es eine Richtung gibt, die viele Länder schon eingeschlagen haben, das ist das Zwei-Säulen-Modell mit Gymnasium und Oberschule, und das steht auch in dem Leitantrag so drin.
Götzke: Sie haben es ja gerade angedeutet, die Eltern wollen die Hauptschule nicht. Hat sich das in Baden-Württemberg und Hessen in der Union dort einfach noch nicht rumgesprochen?
Wöller: Wir haben einen intensiven Diskussionsprozess hinter uns. Es ist durchaus so, dass es Mitte des Jahres durchaus den Eindruck gab, als wenn wir den Hauptschulabschluss abschaffen wollen. Das ist nicht der Fall, den brauchen wir. Auch Sachsen hat seit 1990 den Hauptschulabschluss. Wir organisieren ihn aber auch anders. Der Vorteil der Mittelschule, Oberschule ist, dass wir Durchlässigkeit haben - man kann also von einem Bildungsgang in den anderen leicht wechseln -, und es gelingt uns, besonders Bildungs- und Kompetenzschwächere mitzunehmen. Viele schaffen einen Realschulabschluss. Diese Durchlässigkeit und diese Anschlussfähigkeit wollen wir, und die kann man unter dem Dach der Oberschule gut organisieren. Dort, wo es eben funktioniert mit den Hauptschulen, dann müssen die Hauptschulen eben weiterentwickelt werden, und ich glaube, das kann man in Richtung Zwei-Säulen-Modell tun.
Götzke:Gehört die Hauptschule zum Markenkern der CDU?
Wöller: Der Hauptschulabschluss gehört zum Markenkern der CDU. Er ist ein hinführender Abschluss, um eine Facharbeiterausbildung auszuüben, deswegen brauchen wir ihn auch weiter. Klar ist aber auch, gerade wegen der demografischen Entwicklung und des Schülerrückgangs muss er anders organisiert werden, auch aus den Augen der Schüler, durchlässiger, anschlussfähiger, aber der Hauptschulabschluss wird bleiben. Die Schulform unter diesem Dach, die wird sich ändern in Richtung Zweigliedrigkeit, das zeigt die Entwicklung in einigen Bundesländern. Dort, wo die Hauptschule existiert, wird es sie in zehn Jahren so in dieser Form nicht mehr geben. Das ist meine Überzeugung.
Götzke: Ein anderes, letztlich auch bildungspolitisches Thema wird auf dem Parteitag ja eine Rolle spielen: Der Streit um das Betreuungsgeld. Viele Frauen in der Unionsfraktion rebellieren gegen den Koalitionsbeschluss, Frauen, die ihre Kinder nicht in eine Kita schicken, eine Subvention zu zahlen. Können Sie die Frauen in der Union verstehen?
Wöller: Wir haben in Deutschland eine differenzierte Lage. Der Osten hat ein sehr weit ausgebautes Angebot an Betreuungsplätzen unter drei - das ist über 40 Prozent - und nahezu 95, 96 Prozent, was den Kindergarten betrifft. Das ist im Westen anders, dort muss noch aufgeholt werden, gerade um auch den Betreuungsplatz U3 zu garantieren bis zum Jahre 2013. Was das Geld anbetrifft, wir sind der Auffassung - gerade auch in Sachsen -, die Eltern müssen entscheiden, sie brauchen aber auch Betreuungsplätze. Uns ist wichtiger, dass wir das Geld in die Qualität der frühkindlichen Bildung investieren, aber weniger ausgeben wollen für den Geldbeutel der Eltern.
Götzke: Sie sind also gegen das Betreuungsgeld?
Wöller: Wir können uns vorstellen, dass Geld sinnvoller eingesetzt werden kann, nämlich für die Qualität der Kleinsten.
Götzke: Wie bewerten Sie es denn letztlich als Kultusminister eines Landes mit einer - Sie haben es ja schon gesagt - gut funktionierenden Kita-Landschaft, dass jetzt frühkindliche Pädagogik mit einer Subvention unterminiert werden soll?
Wöller: Sie wird nicht unterminiert, sondern entscheidend ist die Wahlfreiheit der Eltern, aber von staatlicher Seite müssen wir ein Angebot bereit halten, was flächendeckend ist, was den Bedarfszahlen entspricht und was vor allem qualitativ hochwertig ist. Es ist viel zu lange die frühkindliche Bildung unter dem Aspekt der Betreuung und Erziehung gesehen, aber Kindergärten, Kindertageseinrichtungen sind Bildungsinstitutionen, als solche müssen sie gesehen werden. Deswegen haben wir vor Jahren Bildungspläne in Kraft gesetzt, wir haben die Erzieherinnen und Erzieher weiterentwickelt, wir haben sie geschult. Es muss mehr Aufstiegsmöglichkeiten geben, auch in den Grundschulbereich, darauf müssen wir unsere Anstrengung konzentrieren. Je früher wir anfangen, deswegen kommt es ja auf den Anfang an, desto höher sind die Chancen auf einen ordentlichen Bildungsabschluss, auf Erfolg im Beruf und im Leben. Lieber früh investieren als spät reparieren, das muss sich auch in ganz Deutschland durchsetzen.
Götzke: Herr Wöller, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wöller: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.