"Ich saß in der Station am Bullauge und beobachtete. Wer weiß warum, sehr oft, fast immer schien es so, als ob jemand von der Seite mich beobachtete. In jenem Augenblick war etwas. Und mir schien, dass irgendetwas Großes mich beobachtete, und schaute, wie ich das machte. Wie ich mit diesem Flug zurecht komme."
Der Himmel ist leer. Vom Anfang und Zweck der bemannten Raumfahrt. Von Bernd Schuh.
"Was das war, ist schwer zu sagen. Aber es war wirklich. Es war irgend eine gewaltige Vernunft des Weltalls. Mir schien es manchmal so, als ob ich das Raumschiff Gagarins, Wostok, mit ausgestreckten Antennen fliegen sehe. Ich weiß nicht, waren das Kontakte mit der Vergangenheit oder der Zukunft."
Viele Jahre nach ihren Flügen erinnerten sich sowjetische Kosmonauten an quasi mystische Erscheinungen. Erhebende Gefühle, über die sie wohl erst nach dem Lösen der Fesseln von jeglicher Parteidoktrin sprechen konnten. Juri Gagarin, ihr Vorreiter im Kosmos, hatte nach seiner Landung sagen müssen, er habe Gott nicht gefunden, da oben.
Am 12. April 1961 schickte die Sowjetunion eine 20 Millionen PS starke Wostok-Rakete in den Himmel. An ihrer Spitze eine Raumkapsel mit menschlicher Fracht: Juri Alexejewitsch Gagarin, ein 27 Jahre junger Luftwaffenoffizier, der erste Mensch im Weltraum.
"Hören Sie die Stimme des ersten Raumfahrers der Welt, von Bord des sowjetischen Raumschiff-Sputniks Wostok."
Aus dem sechsköpfigen Kosmonautenteam der Sowjetunion war Gagarin wohl wegen seiner unbeschwerten Art ausgewählt worden. Alle brannten darauf, als erster mit einer Rakete aufsteigen zu dürfen. Die Kandidaten sollten – neben ihrer physischen und geistigen Fitness – ein Symbol ihrer Zeit und ihrer Heimat sein, grenzenlos patriotisch, zugleich einfach und bescheiden. Als die Kosmonauten Monate zuvor ihr künftiges Raumschiff erstmals besichtigten, war Gagarin als erster spontan hineingestiegen und hatte dazu wie nebenbei seine Schuhe ausgezogen. Vielleicht war es diese schlichte Geste, die ihn dem Kommandanten des Kosmodroms so sympathisch machte, dass dessen Wahl schließlich auf Gagarin fiel.
Gagarins mehr als anderthalbstündiger Aufenthalt im erdnahen Weltraum war 1961 eine politische Sensation. In der Auseinandersetzung zwischen den Systemen, zwischen Kapitalismus im Westen und Sozialismus im Osten, war dem Osten erneut ein Schlag gegen den Westen gelungen. Schon dreieinhalb Jahre zuvor hatten die Sowjets die westliche Welt mit Sputnik I geschockt, dem ersten künstlichen Erdsatelliten.
"Am 4. Oktober 1957 ging das Lied von Sputnik I um die Welt. Millionen schlugen sich den Schlaf um die Ohren, der uns eine Stufe ins All gab."
"Da kam das im Radio. Also dass die Russen so etwas fertig brachten war für mich ein Wunder. Mit dem Sputnik, das war die größte Pleite für Amerika."
Der erste künstliche Erdtrabant war der Startschuss für die Erschließung des Weltraums zu militärischen und wirtschaftlichen Zwecken. Es sollte zwar noch acht Jahre dauern, bevor der erste kommerzielle Nachrichtensatellit in Stellung ging, aber die Zukunftsperspektiven einer Stationierung von Satelliten im All waren damals schon abzusehen. Die von Menschen im Weltraum hingegen nicht. Klar war nur, dass die hohen Sicherheitsanforderungen für bemannte Raumflüge die Kosten solcher Missionen um ein Vielfaches steigerten. Doch der Prestigegewinn schien es wert.
"So feierte der sowjetische Präsident Nikita Chruschtschow den Flug Gagarins als "Sieg der Arbeit, der Wissenschaft und des Verstandes der Völker der Sowjetunion". Und US-Präsident John F. Kennedy begründete die Anstrengungen um die Vorherrschaft im All mit dem Kampf von Gut gegen Böse."
"Wenn wir die Schlacht gewinnen wollen, die sich Freiheit und Tyrannei in der Welt liefern."
"Wer bleibt, der mag versauern, wir zieh'n hinaus ins All..."
"Mir, einem Bürger der deutschen demokratischen Republik, ist als erstem Deutschen die große Ehre zuteil geworden, mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus 31 in den Kosmos zu fliegen. Ich widme meinen Flug meinem sozialistischen Vaterland,...Siegmund Jähn."
Als Siegmund Jähn 1978 seine Pflichtansage aus dem Kosmos funkte, lagen allerdings die Amerikaner schon einige Jahre vorn.
Mit der Mondlandung von Apollo 11 im Jahr 1969 und der durch sie ausgelösten Euphorie, diesmal hauptsächlich der westlichen Welt, wurden die militärischen Wurzeln und Ziele der Raumfahrtanstrengungen weitgehend aus dem Bewusstsein gedrängt.
"Die Raumfahrt sähe ohne das Militär ganz anders aus. Ich denke, wir hätten keine Menschen im Weltraum ohne die militärischen Programme, weil die sündhaft teuer sind",
sagt der Techniksoziologe Johannes Weyer.
"Das Apolloprogramm ist ein Folgeprogramm des militärischen Wettrüstens. Es ist ein Versuch, die Russen zu schlagen, ohne mit ihnen Krieg zu führen. Eisenhower war entsetzt, als er die Pläne für das Apollo Programm vorgelegt bekam. Er sagte: ich will doch nicht meine Kronjuwelen versetzen, nur um einen Menschen auf den Mond zu bringen."
Auch als Ablenkungsmanöver von innenpolitischer Schwäche mussten die sündhaft teuren bemannten Raumfahrtprogramme immer wieder herhalten. Das war schon bei Kennedys berühmter Rede so, mit der er das Milliarden schwere Apolloprogramm einleitete. Die mediale Aufbereitung der Erfolge feierte einen Mythos: den Menschheitstraum von der Eroberung des Kosmos, vom unbezähmbaren Drang nach weiter und mehr. Kandidaten für diese Missionen mussten nicht zwangsrekrutiert werden: Bewerber für den Astronautenjob gab es mehr als genug. Sie alle sahen in der Reise ins All die Erfüllung eines Lebenstraums.
"Man hat die endless frontier, also die endlose Grenze immer weiter hinausgeschoben, da wird der Wildwest Mythos bemüht, um zu sagen, der Mensch hat sich nicht zufrieden gegeben mit dem, was er kennt und was er weiß, sondern er hat versucht, die Grenzen seines Wissens auszudehnen, die amerikanischen Siedler sind immer weiter in den Westen gezogen, genauso kann man begründen, dass wir in den Weltraum fliegen, und die Planeten erobern."
"Der schwerste Schritt ist bereits getan. Und wir werden in wenigen Jahrzehnten die technischen Hilfsmittel in der Hand haben, große Expeditionen in den Weltenraum hinauszusenden, die uns Einblicke verschaffen können, die die kühnsten Vorstellungen der Wissenschaftler übertreffen werden."
So klang es schon 1959 aus dem Munde des Raketenpioniers Wernher von Braun, der seit seiner Jugend den unbezähmbaren Drang zu den Sternen zu stillen versuchte. Und deshalb nicht davor zurückschreckte, für die Nationalsozialisten eine angeblich finale Vernichtungswaffe zu bauen, die V2-Rakete. Das Hohelied vom Raketenpionier und seinen Weltraumvisionen wurde in den 90er-Jahren gründlich entzaubert, als publik wurde, wie tief er und seine Mitarbeiter in die Machenschaften des NS-Staates verstrickt waren. Tausende jüdische Zwangsarbeiter hatten bei der Entwicklung der V2-Rakete ihr Leben gelassen. Von Braun kannte die Umstände und nahm sie billigend in Kauf, um seinen Raketenträumen frönen zu können. In einer im Jahr der Mondlandung erschienenen Biografie zitiert ihn Biograf Bernd Ruland mit den Worten:
"Das war für mich natürlich jedes Mal ein außerordentlich deprimierender Eindruck, wenn ich in das unterirdische Werk hineingehen und dort die Häftlinge bei der Arbeit sehen musste. Diese Hungergestalten lasteten schwer auf der Seele jedes anständigen Mannes. Ich kann es nicht leugnen."
Mit dem Know-How, das er aus der Kriegsraketenproduktion für die Nazis nach dem Krieg in die USA hinüberrettete, schafften es die Amerikaner schließlich zum Mond. Mit den Worten des Satirikers Tom Lehrer
"What is it, that makes America the world's greatest nuclear power, what is it that will make it possible for us to spend 20000 Million Dollars of our tax payers money to put some idiot on the moon, well, it was the great enormous superiority of American technology, of course, as provided by our great American scientists such as Dr. Wernher von Braun."
"Das Militär hat in der Technikgeschichte viele Entwicklungen angestoßen vor allem aber beschleunigt. Ich denke zum Beispiel an den Telegrafen, der von Napoleon ganz stark vorangetrieben worden ist. Ich denke an die Eisenbahn, die keine militärische Entwicklung ist, aber systematisch ausgebaut worden ist im Ersten Weltkrieg; ich denke an das Flugzeug, an die Atomphysik im Zweiten Weltkrieg und danach. das Militär war sicher immer ein Technologietreiber und das gilt besonders für die Raumfahrt, und auch die rapide Weiterentwicklung der Raketentechnik in den 50er und 60er Jahren ist vor allem erklärbar durch die Interessen des sowjetischen und des amerikanischen Militärs, nämlich zur Weltmacht und zur Weltraummacht zu werden, den Weltraum zu beherrschen und damit die Erde zu beherrschen, Atombomben im Weltall zu stationieren und so weiter und so fort."
"Dennoch muss man sagen, die Raumfahrt ist eine dual-use-Technologie, also eine zivil-militärisch doppelt verwendbare Technologie, sie können mit einer Rakete einen Atomsprengkopf starten, genauso einen Erdbeobachtungssatelliten für die Klimaforschung."
Der Nutzen unbemannter Raumfahrtprogramme ist unbestreitbar. Davon künden Abermillionen Satellitenschüsseln an Hauswänden und auf Balkonen, davon kündet Google Earth und jedes Navi. Doch scharf trennen lassen sich die beiden Verwendungszwecke fast nie. Denn die Übergänge, wenn auch verborgen, sind oft fließend.
"Alle Staaten, die uns Kopfzerbrechen bereiten, haben ihr Know-how erworben über zivile Programme. Das ist das große Problem dass wir eine Technik in die Welt setzen, Proliferation ist das Fachwort, die eben auch für militärische Zwecke nutzbar ist. Und das ist eben die Problematik der Raumfahrttechnik, ähnlich wie in der Atomtechnik, dass man über das zivile Know How auch das militärische Know-how erwerben kann."
Selbst in einem so offenbar zivilen Projekt wie dem Aufbau des europäischen Navigationssatellitennetzes Galileo steckt neben der politischen auch eine militärische Logik.
"Wenn wir den politischen Willen haben, Truppen weltweit einzusetzen, dann brauchen wir natürlich vernünftige Geodaten, wo sie sind und wohin ihre Waffen schießen sollen. Egal wie man das politisch bewertet. Aber wenn man politisch der Meinung ist, wir wollen unsere Soldaten in aller Welt einsetzen, dann braucht man auch die Technologien dafür, dann macht das auch Sinn, Galileo auf europäischer Ebene zu entwickeln."
Ohne die militärischen Optionen der Raketentechnik im Hintergrund hätte es die teuren bemannten Raumfahrtprogramme nicht gegeben. Heute geht es nicht mehr um die Auseinandersetzung zwischen Ost und West, aber immer noch um militärische Kontrolle. Feinde wechseln, Waffen bleiben. Und die Astronauten?
"Ich träume sehr oft, dass ich fliege, nicht mit einem Fluggerät, ich breite einfach meine Arme aus, dann presse ich sie an den Körper, spanne die Muskeln an und fliege los. Ich fliege irgendwohin und lande auf einem völlig anderen Planeten, wo die Landschaft, die Blumen, das Gras völlig anders sind als auf der Erde. Da laufen Leute herum, normale Leute, sie gehen umher und reden miteinander. Aber, das ist interessant, niemand versucht mich anzusprechen. Dann wache ich auf und denke: interessant warum wollten Sie nicht mit mir reden diese Leute."
"Es ist ja offenbar so, dass es viele Menschen reizt. Es ist ein Traum, den vor allem ja Wernher von Braun und seine Kollegen geträumt haben, der Erde entfliehen zu können, im Weltall schweben zu können, gucken Sie in die Literatur, in die Musik, immer wieder haben wir in den Charts Titel, die davon handeln, in den Weltraum fliehen zu können, das ist so eine mythisch romantische Hoffnung, sich von der Erde erheben zu können, dass manche Leute da glänzende Augen bekommen, kann ich verstehen, ich selbst würde nie ins Weltall fliegen, dazu bin ich zu risikoscheu."
"Die Challenger steigt klar in den blauen Himmel auf. Wir sehen Weitwinkelaufnahmen, das Abtrennen der großen Triebwerke. In einer gewaltigen Explosion sind die Triebwerke hier beiseite geflogen. Wir müssen hier mal eine Sekunde beobachten, was passiert. Es sieht sehr seltsam aus. Lassen Sie mich einen Augenblick auf den Bildschirm schauen. Es sah etwas nach einer Detonation eins der beiden Hilfstriebwerke aus. Aber noch ist hier nichts Negatives. (...) Ich muss mal hören. (...) Es fallen hier einzelne Teile über dem Gelände nach unten. Es mag also sein, dass es sich um eine Explosion dieser großen Triebwerke handelt. Die Challenger ist explodiert. Die Challenger ist explodiert, und wir wissen nicht, was passiert ist. Das Notrettungssystem hat versagt. Wir stehen vermutlich vor der größten Katastrophe der bemannten Raumfahrt."
Vor 25 Jahren explodiert die Raumfähre Challenger beim Start. In der Höllenglut kommen sieben Astronauten um. Die Geschichte der bemannten Raumfahrt ist voll von tragischen Unglücken. Noch bevor Gagarin als erster Mensch in den Raum startet, kommt sein Kollege Walentin Bodarenko beim Training durch ein Feuer in der Druckkammer ums Leben. Sechs Jahre nach Gagarins Flug muss dieser seinen Freund Vladimir Komarow öffentlich betrauern, weil dessen Schleudersitz versagte und er deshalb mit seiner Landekapsel am Boden zerschellte.
"Teure Genossen, es ist schwer, die ganze Tiefe der Trauer auszudrücken."
Im Januar 1967 kommen bei einer Startsimulation in der Apollo Kommandokapsel drei Astronauten durch einen Brand ums Leben. Im Februar 2003 zerbricht die Raumfähre Columbia mit sieben Astronauten beim Wiedereintritt in die Atmosphäre. Statistisch gesehen hat einer von 20, die bisher oben waren, sein Leben verloren, die beim Training verunglückten Raumfahrer nicht mitgezählt. Zu letzteren gehört auch Juri Gagarin, der sechs Jahre nach seiner Erdumkreisung bei einem Testflug mit einem MiG-15-Jagdflugzeug aus ungeklärter Ursache abstürzt. Er wird nur 34 Jahre alt.
Die Astronauten zahlen einen hohen Preis für die Visionen und Wünsche, die sie verkörpern, und die letztlich helfen, die Hochtechnologie Raumfahrt dem Steuerzahler schmackhaft zu machen.
"Es gibt neben dem Drang in die Ferne, dem Erobern neuer Kontinente, neuer Planeten, gibt es ganz andere Motive, die eine Rolle spielen, es ist ein hoch profitables Geschäft, weil es wird zu 100 Prozent, wenn nicht sogar zu mehr vom Staat finanziert, das heißt die Firmen die in den Geschäften sind, haben sehr hohe Profite, müssen sich in der Regel nicht am Markt bewähren. Wenngleich man sagen muss, als Wirtschaftsfaktor ist es völlig unbedeutend, in Deutschland ist es nicht einmal 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Beschäftigung, was von der Raumfahrt abhängt. Es ist also ein winziger Wirtschaftssektor, dessen Bedeutung man nicht zu hoch einschätzen sollte, wie das in den Hochglanzbroschüren immer aussieht. Und dann gibt es natürlich andere Motive, vor allem die großen Forschungsanstalten, die von Raumfahrt leben, haben ein institutionelles Eigeninteresse, sie kämpfen um ihr Überleben und wollen sich selbst auch absichern, indem sie immer neue Projekte, immer neue Folgeprojekte erfinden, mit denen sie dann sicherstellen können, dass ihnen ihre Mitarbeiter erhalten bleiben und sie weiter an solchen Projekten forschen können. Ich glaube, das sind die drei großen Treiber, die Politik, die Wirtschaftslobby und die Forschungsanstalten, die die Raumfahrt immer weiter vorantreiben."
Der Traum von der Eroberung des Alls wird weitergeträumt und fortgesponnen, er bleibt lebendig. Menschen 2020 auf dem Mond, 2050 auf dem Mars – Ziele, die schon jetzt gesteckt werden, auch wenn die Mittel dafür buchstäblich in den Sternen stehen.
"Das wird von der Raumfahrtlobby immer wieder inszeniert, wenn es um langfristige Budgetplanung geht. Solche Pläne wie Deutschland will federführend dabei sein, wenn Astronauten auf den Mond geschickt werden, das sind im Grunde immer strategisch platzierte Initiativen der Raumfahrtlobby, um Entscheidungsprozesse in Berlin zu beeinflussen. Soll das Raumfahrtbudget aufgestockt oder eingefroren werden, und dann lanciert man eben ein solches neues Großprojekt, das ein bisschen Zugkraft hat, einen Marketingeffekt, PR-Effekt verspricht, das ist glaube ich der Hintergrund solcher Programme. Denn es ist doch ziemlich unrealistisch, dass wir 2020 einen deutschen Astronauten auf dem Mond haben werden."
Nach Armstrong sind die Amerikaner noch fünfmal auf dem Mond gelandet. Mit Apollo 17 wurde das Programm eingestellt. Auch der PR-Effekt nutzte sich ab. Die Sowjetunion hatte mit dem Bau von Orbitalstationen geantwortet. Noch während des amerikanischen Mondprogramms schossen sie Saljut1 in eine Erdumlaufbahn. 1973 folgten die Amerikaner mit dem Skylab. 1986 schließlich begann die kurz vor dem Zerfall stehende Sowjetunion mit dem Bau der Raumstation "Mir". Mir steht für Frieden und signalisiert ein Zeitalter der Kooperation und der Mittelteilung.
"Am Abend, nachdem die dann abgelegt haben, haben wir in der Mirstation zusammengesessen, haben Gitarre gespielt und gesungen. Wenn man dann da draußen ist – es ist überwältigend, absolut überwältigend, im Freien zu sein und wenn man sich mit dem Rücken zur Station dreht also von diesem Zuhause, das einen da beherbergt, nichts mehr sieht sondern nur die Erde vor, über oder unter sich – mir fehlen selbst fünf Jahre nach der Mission wirklich die Worte dafür. Man hat dann natürlich ne Phase, möcht ich mal sagen, nach zwei drei Monaten, wo so eine gewisse Routine eintritt."
Die Krönung der Zusammenarbeit: die internationale Raumstation ISS, für die 1994 der Startschuss fiel. Eine der Hauptaufgaben der zahlreichen Astronauten, die sich bisher längere Zeit in den Raumstationen aufgehalten haben: Experimente in Schwerelosigkeit.
"Ich verfolge das seit vielen, vielen Jahren",
sagt Techniksoziologe Johannes Weyer.
"Da ist uns sehr viel versprochen worden, neue Legierungen, alles mögliche, auch das eine oder andere Produkt, das darauf basiert, aber der Umfang überzeugt mich nicht wirklich, aber viele dieser Experimente können sie auch an Bord von unbemannten Satellitendaten machen, dafür brauchen sie keine Menschen, der Mensch stört ja auch. Eigentlich stört der Mensch bei vielen Experimenten, außer bei den Experimenten, die er an sich selbst durchführt, den weltraummedizinischen Experimenten."
"Seit heute führe ich das Experiment M. 103 K. durch. Es geht um das Sammeln des 24 Stunden Urins. Was lässt sich zu diesem Experiment sagen? Das Absaugen mit dem Urinsammelbehälter ist sehr schwierig, es lässt sich in keiner Weise regulieren, obwohl ich nachts schon die Luft abgesaugt und in die Hülle einige Servietten gestopft habe, in der Hoffnung dass der Gummi sich in der Nacht wenigstens etwas dehnt und dann nicht mehr so eng anliegen würde, das klappte aber nicht. Du fängst mit diesem Akt an, aber es kommt nichts. Es verursacht nur ein höllisches Brennen in der Harnröhre."
"Vor allem stellt man seit Jahrzehnten immer dieselben Fragen, wie kann der Mensch im Weltall überleben, was ist mit dem Knochenschwund, was ist mit der Raumfahrerkrankheit, wir wissen ja, dass praktisch alle Raumfahrer erstmal richtig krank werden, arbeitsunfähig sind, man hat in den letzten 30 Jahren nur sehr geringe Fortschritte gemacht darin, wie diese Schwierigkeiten beherrscht werden können."
Zu den Kuriosa in der Schwerelosigkeitsforschung gehören die Fragen nach Sex im Weltraum. Wenn die Schwere fehlt, lässt die Durchblutung der Beine nach, Blut strömt bevorzugt in den Kopf. Dagegen haben die Sowjets spezielle Beinkleider entwickelt, die Tschibis-Hose; sie holt mittels Unterdruck das Blut in die unteren Körperregionen zurück. Einen Vergleich mit Viagra braucht dieses High-Tech-Produkt der Raumfahrtforschung nicht zu scheuen. Die Frage, ob und mit welchem Erfolg Sex im Weltraum möglich sei, wird öffentlich nicht beantwortet. Bekannt ist lediglich, dass Enthaltsamkeit ein Problem darstellt, besonders nach Benutzung der Tschibishose, die die sexuelle Erregung erheblich verstärken kann.
"Es sind schon drei Monate vergangen. Meine Haut schält sich bereits in kleineren und größeren Hautfetzen ab, ohne dass ich die Socken ausziehe. Die Jungs sagen, dass nach einem halben Jahr die Beine vollständig abgepellt sind. Darunter ist noch genug Haut, sie ist hell wie bei einem Jüngling. Gibt es so etwas, dass ein 46 jähriger Mann die Haut eines Jünglings hat?"
Genug Material für die immer wieder propagierte und immer wieder verschobene Mission Mars hat man offenbar noch nicht gesammelt. Warum sonst sind seit Juni 2010 sechs künftige Marsmissionäre in einem Blechcontainer bei Moskau weggesperrt. Bei dieser Trockenübung ohne Schwerelosigkeit sollen drei Russen, ein Chinese, ein Italiener und ein Franzose neue Erkenntnisse zur Gruppendynamik und zum Beispiel zur Auswirkung salzarmer Ernährung liefern. Wenn sich der Container im Spätherbst nach 520 Tagen für die gemischte Truppe erstmals wieder öffnet, gibt es nur ein sicheres Ergebnis des Experiments: die sechs haben zwei Sommer und die Fußball-WM 2010 verpasst und zehn Millionen Dollar verprasst.
"Da scheint mir viel Showeffekt dabei zu sein. Dieses Mars 500 findet auf der Erde statt, ich denke, vieles von dem was erforscht wird, außer vielleicht Fragen der Gruppendynamik, ist völlig belanglos für den späteren Flug auf den Mars."
AUTOR Niemand kann sagen, ob und warum ein menschlicher Marsbesuch erfolgreicher sein wird als die bisherigen 30 unbemannten Marsmissionen, von denen im übrigen 17 fehlschlugen. Der Flug zum roten Planeten – kein Meilenstein der Menschheit sondern ein weißer Elefant?
"Die hat es immer gegeben, die sogenannten weißen Elefanten, also die Dinge, die sehr viel Geld gekostet haben, aber keinen Nutzen gebracht haben. Ich halte das nicht für ein ernsthaftes Projekt, selbst die Amerikaner werden das nicht realisieren können. Es wird nur gemeinsam von allen Nationen der Erde realisiert werden können, und man wird überlegen müssen, wo das Geld herkommen soll. Ich denke die große Menschheitsaufgabe ist derzeit die Klimakatastrophe und nicht die Reise zum Mars."
Bleibt die Flucht vor dem Armageddon. Die bemannte Raumfahrt als Nachhaltigkeitsstratgie, die uns dereinst den Exodus von einer warum auch immer zerstörten Erde ermöglicht.
"Das ist auch ein Topos, den man immer wieder findet: wir brauchen die Raumfahrt, um eines Tages von diesem Planeten fliehen zu können. Nur überlegen Sie mal, wie viel Schadstoffe Sie emittieren, überlegen Sie mal wie viele Starts Sie durchführen müssen, wie viele Ressourcen Sie benötigen, um diese ganzen Starts durchführen zu können. Also ich halte das für absolut widersinnig. Wir sollten unsere Ressourcen einsetzen, um diese Erde zu retten, und nicht von dieser Erde zu fliehen."
In einer Zeit klammer staatlicher Kassen muss man den Menscheitstraum Weltraumfahrt vielleicht privaten Pionieren überlassen.
"Also ich sehe das nicht, dass nach dem Scheitern der NASA, die ja nicht mehr in der Lage ist, Menschen in den Weltraum zu transportieren, dass private Unternehmen das besser können."
Die Leistung, einen Menschen ins All zu befördern, bemisst sich auch daran, dass es nach Gagarin weitere 42 Jahre dauerte, bis eine dritte Nation das zweifelhafte Kunststück geschafft hatte: am 15. Oktober 2003 brachte die chinesische Volksrepublik einen der ihren in eine nennenswerte Höhe über dem Erdboden – damit hatte auch der erste Taikonaut den Taikong, das Weltall angekratzt. Auch Indien versuchte bald darauf, im Weltraum präsent zu sein; im Oktober 2008 nahm die Hinduskultur den Mond ins Visier. Zunächst noch ohne Astronauten.
Präsident Reagans Worte, die der Motivation nach der Challenger-Katastrophe dienen sollten, klingt nach Pioniergeist und Menschenmut, nach Wagemut und Visionen
"Wenn es dieses Bedürfnis gibt, dann sollen es die Pioniere doch machen, aber bitte auf eigene Kosten."
Mag sein, dass in Zukunft der eine oder andere Netz-Milliardär seine privaten Träume als Weltraumfahrer verwirklicht. Die Triebfedern der nationalen und internationalen Raumfahrtanstrengungen sind jedenfalls andere.
Juri Gagarin, "der uns in den Weltraum rief", wie es sein amerikanischer Kollege John Glenn einmal pathetisch formulierte, wurde nach seinem Flug als sozialistischer Held herumgereicht. Lieber wäre er noch einmal in eine Raumkapsel gestiegen. Vielleicht um weiter nach Gott zu suchen? Doch selbst vom Gott des 21. Jahrhunderts, dem Profit, scheint im vom Menschen bereisten Kosmos keine Spur.
Der Himmel ist leer. Vom Anfang und Zweck der bemannten Raumfahrt. Von Bernd Schuh.
"Was das war, ist schwer zu sagen. Aber es war wirklich. Es war irgend eine gewaltige Vernunft des Weltalls. Mir schien es manchmal so, als ob ich das Raumschiff Gagarins, Wostok, mit ausgestreckten Antennen fliegen sehe. Ich weiß nicht, waren das Kontakte mit der Vergangenheit oder der Zukunft."
Viele Jahre nach ihren Flügen erinnerten sich sowjetische Kosmonauten an quasi mystische Erscheinungen. Erhebende Gefühle, über die sie wohl erst nach dem Lösen der Fesseln von jeglicher Parteidoktrin sprechen konnten. Juri Gagarin, ihr Vorreiter im Kosmos, hatte nach seiner Landung sagen müssen, er habe Gott nicht gefunden, da oben.
Am 12. April 1961 schickte die Sowjetunion eine 20 Millionen PS starke Wostok-Rakete in den Himmel. An ihrer Spitze eine Raumkapsel mit menschlicher Fracht: Juri Alexejewitsch Gagarin, ein 27 Jahre junger Luftwaffenoffizier, der erste Mensch im Weltraum.
"Hören Sie die Stimme des ersten Raumfahrers der Welt, von Bord des sowjetischen Raumschiff-Sputniks Wostok."
Aus dem sechsköpfigen Kosmonautenteam der Sowjetunion war Gagarin wohl wegen seiner unbeschwerten Art ausgewählt worden. Alle brannten darauf, als erster mit einer Rakete aufsteigen zu dürfen. Die Kandidaten sollten – neben ihrer physischen und geistigen Fitness – ein Symbol ihrer Zeit und ihrer Heimat sein, grenzenlos patriotisch, zugleich einfach und bescheiden. Als die Kosmonauten Monate zuvor ihr künftiges Raumschiff erstmals besichtigten, war Gagarin als erster spontan hineingestiegen und hatte dazu wie nebenbei seine Schuhe ausgezogen. Vielleicht war es diese schlichte Geste, die ihn dem Kommandanten des Kosmodroms so sympathisch machte, dass dessen Wahl schließlich auf Gagarin fiel.
Gagarins mehr als anderthalbstündiger Aufenthalt im erdnahen Weltraum war 1961 eine politische Sensation. In der Auseinandersetzung zwischen den Systemen, zwischen Kapitalismus im Westen und Sozialismus im Osten, war dem Osten erneut ein Schlag gegen den Westen gelungen. Schon dreieinhalb Jahre zuvor hatten die Sowjets die westliche Welt mit Sputnik I geschockt, dem ersten künstlichen Erdsatelliten.
"Am 4. Oktober 1957 ging das Lied von Sputnik I um die Welt. Millionen schlugen sich den Schlaf um die Ohren, der uns eine Stufe ins All gab."
"Da kam das im Radio. Also dass die Russen so etwas fertig brachten war für mich ein Wunder. Mit dem Sputnik, das war die größte Pleite für Amerika."
Der erste künstliche Erdtrabant war der Startschuss für die Erschließung des Weltraums zu militärischen und wirtschaftlichen Zwecken. Es sollte zwar noch acht Jahre dauern, bevor der erste kommerzielle Nachrichtensatellit in Stellung ging, aber die Zukunftsperspektiven einer Stationierung von Satelliten im All waren damals schon abzusehen. Die von Menschen im Weltraum hingegen nicht. Klar war nur, dass die hohen Sicherheitsanforderungen für bemannte Raumflüge die Kosten solcher Missionen um ein Vielfaches steigerten. Doch der Prestigegewinn schien es wert.
"So feierte der sowjetische Präsident Nikita Chruschtschow den Flug Gagarins als "Sieg der Arbeit, der Wissenschaft und des Verstandes der Völker der Sowjetunion". Und US-Präsident John F. Kennedy begründete die Anstrengungen um die Vorherrschaft im All mit dem Kampf von Gut gegen Böse."
"Wenn wir die Schlacht gewinnen wollen, die sich Freiheit und Tyrannei in der Welt liefern."
"Wer bleibt, der mag versauern, wir zieh'n hinaus ins All..."
"Mir, einem Bürger der deutschen demokratischen Republik, ist als erstem Deutschen die große Ehre zuteil geworden, mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus 31 in den Kosmos zu fliegen. Ich widme meinen Flug meinem sozialistischen Vaterland,...Siegmund Jähn."
Als Siegmund Jähn 1978 seine Pflichtansage aus dem Kosmos funkte, lagen allerdings die Amerikaner schon einige Jahre vorn.
Mit der Mondlandung von Apollo 11 im Jahr 1969 und der durch sie ausgelösten Euphorie, diesmal hauptsächlich der westlichen Welt, wurden die militärischen Wurzeln und Ziele der Raumfahrtanstrengungen weitgehend aus dem Bewusstsein gedrängt.
"Die Raumfahrt sähe ohne das Militär ganz anders aus. Ich denke, wir hätten keine Menschen im Weltraum ohne die militärischen Programme, weil die sündhaft teuer sind",
sagt der Techniksoziologe Johannes Weyer.
"Das Apolloprogramm ist ein Folgeprogramm des militärischen Wettrüstens. Es ist ein Versuch, die Russen zu schlagen, ohne mit ihnen Krieg zu führen. Eisenhower war entsetzt, als er die Pläne für das Apollo Programm vorgelegt bekam. Er sagte: ich will doch nicht meine Kronjuwelen versetzen, nur um einen Menschen auf den Mond zu bringen."
Auch als Ablenkungsmanöver von innenpolitischer Schwäche mussten die sündhaft teuren bemannten Raumfahrtprogramme immer wieder herhalten. Das war schon bei Kennedys berühmter Rede so, mit der er das Milliarden schwere Apolloprogramm einleitete. Die mediale Aufbereitung der Erfolge feierte einen Mythos: den Menschheitstraum von der Eroberung des Kosmos, vom unbezähmbaren Drang nach weiter und mehr. Kandidaten für diese Missionen mussten nicht zwangsrekrutiert werden: Bewerber für den Astronautenjob gab es mehr als genug. Sie alle sahen in der Reise ins All die Erfüllung eines Lebenstraums.
"Man hat die endless frontier, also die endlose Grenze immer weiter hinausgeschoben, da wird der Wildwest Mythos bemüht, um zu sagen, der Mensch hat sich nicht zufrieden gegeben mit dem, was er kennt und was er weiß, sondern er hat versucht, die Grenzen seines Wissens auszudehnen, die amerikanischen Siedler sind immer weiter in den Westen gezogen, genauso kann man begründen, dass wir in den Weltraum fliegen, und die Planeten erobern."
"Der schwerste Schritt ist bereits getan. Und wir werden in wenigen Jahrzehnten die technischen Hilfsmittel in der Hand haben, große Expeditionen in den Weltenraum hinauszusenden, die uns Einblicke verschaffen können, die die kühnsten Vorstellungen der Wissenschaftler übertreffen werden."
So klang es schon 1959 aus dem Munde des Raketenpioniers Wernher von Braun, der seit seiner Jugend den unbezähmbaren Drang zu den Sternen zu stillen versuchte. Und deshalb nicht davor zurückschreckte, für die Nationalsozialisten eine angeblich finale Vernichtungswaffe zu bauen, die V2-Rakete. Das Hohelied vom Raketenpionier und seinen Weltraumvisionen wurde in den 90er-Jahren gründlich entzaubert, als publik wurde, wie tief er und seine Mitarbeiter in die Machenschaften des NS-Staates verstrickt waren. Tausende jüdische Zwangsarbeiter hatten bei der Entwicklung der V2-Rakete ihr Leben gelassen. Von Braun kannte die Umstände und nahm sie billigend in Kauf, um seinen Raketenträumen frönen zu können. In einer im Jahr der Mondlandung erschienenen Biografie zitiert ihn Biograf Bernd Ruland mit den Worten:
"Das war für mich natürlich jedes Mal ein außerordentlich deprimierender Eindruck, wenn ich in das unterirdische Werk hineingehen und dort die Häftlinge bei der Arbeit sehen musste. Diese Hungergestalten lasteten schwer auf der Seele jedes anständigen Mannes. Ich kann es nicht leugnen."
Mit dem Know-How, das er aus der Kriegsraketenproduktion für die Nazis nach dem Krieg in die USA hinüberrettete, schafften es die Amerikaner schließlich zum Mond. Mit den Worten des Satirikers Tom Lehrer
"What is it, that makes America the world's greatest nuclear power, what is it that will make it possible for us to spend 20000 Million Dollars of our tax payers money to put some idiot on the moon, well, it was the great enormous superiority of American technology, of course, as provided by our great American scientists such as Dr. Wernher von Braun."
"Das Militär hat in der Technikgeschichte viele Entwicklungen angestoßen vor allem aber beschleunigt. Ich denke zum Beispiel an den Telegrafen, der von Napoleon ganz stark vorangetrieben worden ist. Ich denke an die Eisenbahn, die keine militärische Entwicklung ist, aber systematisch ausgebaut worden ist im Ersten Weltkrieg; ich denke an das Flugzeug, an die Atomphysik im Zweiten Weltkrieg und danach. das Militär war sicher immer ein Technologietreiber und das gilt besonders für die Raumfahrt, und auch die rapide Weiterentwicklung der Raketentechnik in den 50er und 60er Jahren ist vor allem erklärbar durch die Interessen des sowjetischen und des amerikanischen Militärs, nämlich zur Weltmacht und zur Weltraummacht zu werden, den Weltraum zu beherrschen und damit die Erde zu beherrschen, Atombomben im Weltall zu stationieren und so weiter und so fort."
"Dennoch muss man sagen, die Raumfahrt ist eine dual-use-Technologie, also eine zivil-militärisch doppelt verwendbare Technologie, sie können mit einer Rakete einen Atomsprengkopf starten, genauso einen Erdbeobachtungssatelliten für die Klimaforschung."
Der Nutzen unbemannter Raumfahrtprogramme ist unbestreitbar. Davon künden Abermillionen Satellitenschüsseln an Hauswänden und auf Balkonen, davon kündet Google Earth und jedes Navi. Doch scharf trennen lassen sich die beiden Verwendungszwecke fast nie. Denn die Übergänge, wenn auch verborgen, sind oft fließend.
"Alle Staaten, die uns Kopfzerbrechen bereiten, haben ihr Know-how erworben über zivile Programme. Das ist das große Problem dass wir eine Technik in die Welt setzen, Proliferation ist das Fachwort, die eben auch für militärische Zwecke nutzbar ist. Und das ist eben die Problematik der Raumfahrttechnik, ähnlich wie in der Atomtechnik, dass man über das zivile Know How auch das militärische Know-how erwerben kann."
Selbst in einem so offenbar zivilen Projekt wie dem Aufbau des europäischen Navigationssatellitennetzes Galileo steckt neben der politischen auch eine militärische Logik.
"Wenn wir den politischen Willen haben, Truppen weltweit einzusetzen, dann brauchen wir natürlich vernünftige Geodaten, wo sie sind und wohin ihre Waffen schießen sollen. Egal wie man das politisch bewertet. Aber wenn man politisch der Meinung ist, wir wollen unsere Soldaten in aller Welt einsetzen, dann braucht man auch die Technologien dafür, dann macht das auch Sinn, Galileo auf europäischer Ebene zu entwickeln."
Ohne die militärischen Optionen der Raketentechnik im Hintergrund hätte es die teuren bemannten Raumfahrtprogramme nicht gegeben. Heute geht es nicht mehr um die Auseinandersetzung zwischen Ost und West, aber immer noch um militärische Kontrolle. Feinde wechseln, Waffen bleiben. Und die Astronauten?
"Ich träume sehr oft, dass ich fliege, nicht mit einem Fluggerät, ich breite einfach meine Arme aus, dann presse ich sie an den Körper, spanne die Muskeln an und fliege los. Ich fliege irgendwohin und lande auf einem völlig anderen Planeten, wo die Landschaft, die Blumen, das Gras völlig anders sind als auf der Erde. Da laufen Leute herum, normale Leute, sie gehen umher und reden miteinander. Aber, das ist interessant, niemand versucht mich anzusprechen. Dann wache ich auf und denke: interessant warum wollten Sie nicht mit mir reden diese Leute."
"Es ist ja offenbar so, dass es viele Menschen reizt. Es ist ein Traum, den vor allem ja Wernher von Braun und seine Kollegen geträumt haben, der Erde entfliehen zu können, im Weltall schweben zu können, gucken Sie in die Literatur, in die Musik, immer wieder haben wir in den Charts Titel, die davon handeln, in den Weltraum fliehen zu können, das ist so eine mythisch romantische Hoffnung, sich von der Erde erheben zu können, dass manche Leute da glänzende Augen bekommen, kann ich verstehen, ich selbst würde nie ins Weltall fliegen, dazu bin ich zu risikoscheu."
"Die Challenger steigt klar in den blauen Himmel auf. Wir sehen Weitwinkelaufnahmen, das Abtrennen der großen Triebwerke. In einer gewaltigen Explosion sind die Triebwerke hier beiseite geflogen. Wir müssen hier mal eine Sekunde beobachten, was passiert. Es sieht sehr seltsam aus. Lassen Sie mich einen Augenblick auf den Bildschirm schauen. Es sah etwas nach einer Detonation eins der beiden Hilfstriebwerke aus. Aber noch ist hier nichts Negatives. (...) Ich muss mal hören. (...) Es fallen hier einzelne Teile über dem Gelände nach unten. Es mag also sein, dass es sich um eine Explosion dieser großen Triebwerke handelt. Die Challenger ist explodiert. Die Challenger ist explodiert, und wir wissen nicht, was passiert ist. Das Notrettungssystem hat versagt. Wir stehen vermutlich vor der größten Katastrophe der bemannten Raumfahrt."
Vor 25 Jahren explodiert die Raumfähre Challenger beim Start. In der Höllenglut kommen sieben Astronauten um. Die Geschichte der bemannten Raumfahrt ist voll von tragischen Unglücken. Noch bevor Gagarin als erster Mensch in den Raum startet, kommt sein Kollege Walentin Bodarenko beim Training durch ein Feuer in der Druckkammer ums Leben. Sechs Jahre nach Gagarins Flug muss dieser seinen Freund Vladimir Komarow öffentlich betrauern, weil dessen Schleudersitz versagte und er deshalb mit seiner Landekapsel am Boden zerschellte.
"Teure Genossen, es ist schwer, die ganze Tiefe der Trauer auszudrücken."
Im Januar 1967 kommen bei einer Startsimulation in der Apollo Kommandokapsel drei Astronauten durch einen Brand ums Leben. Im Februar 2003 zerbricht die Raumfähre Columbia mit sieben Astronauten beim Wiedereintritt in die Atmosphäre. Statistisch gesehen hat einer von 20, die bisher oben waren, sein Leben verloren, die beim Training verunglückten Raumfahrer nicht mitgezählt. Zu letzteren gehört auch Juri Gagarin, der sechs Jahre nach seiner Erdumkreisung bei einem Testflug mit einem MiG-15-Jagdflugzeug aus ungeklärter Ursache abstürzt. Er wird nur 34 Jahre alt.
Die Astronauten zahlen einen hohen Preis für die Visionen und Wünsche, die sie verkörpern, und die letztlich helfen, die Hochtechnologie Raumfahrt dem Steuerzahler schmackhaft zu machen.
"Es gibt neben dem Drang in die Ferne, dem Erobern neuer Kontinente, neuer Planeten, gibt es ganz andere Motive, die eine Rolle spielen, es ist ein hoch profitables Geschäft, weil es wird zu 100 Prozent, wenn nicht sogar zu mehr vom Staat finanziert, das heißt die Firmen die in den Geschäften sind, haben sehr hohe Profite, müssen sich in der Regel nicht am Markt bewähren. Wenngleich man sagen muss, als Wirtschaftsfaktor ist es völlig unbedeutend, in Deutschland ist es nicht einmal 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Beschäftigung, was von der Raumfahrt abhängt. Es ist also ein winziger Wirtschaftssektor, dessen Bedeutung man nicht zu hoch einschätzen sollte, wie das in den Hochglanzbroschüren immer aussieht. Und dann gibt es natürlich andere Motive, vor allem die großen Forschungsanstalten, die von Raumfahrt leben, haben ein institutionelles Eigeninteresse, sie kämpfen um ihr Überleben und wollen sich selbst auch absichern, indem sie immer neue Projekte, immer neue Folgeprojekte erfinden, mit denen sie dann sicherstellen können, dass ihnen ihre Mitarbeiter erhalten bleiben und sie weiter an solchen Projekten forschen können. Ich glaube, das sind die drei großen Treiber, die Politik, die Wirtschaftslobby und die Forschungsanstalten, die die Raumfahrt immer weiter vorantreiben."
Der Traum von der Eroberung des Alls wird weitergeträumt und fortgesponnen, er bleibt lebendig. Menschen 2020 auf dem Mond, 2050 auf dem Mars – Ziele, die schon jetzt gesteckt werden, auch wenn die Mittel dafür buchstäblich in den Sternen stehen.
"Das wird von der Raumfahrtlobby immer wieder inszeniert, wenn es um langfristige Budgetplanung geht. Solche Pläne wie Deutschland will federführend dabei sein, wenn Astronauten auf den Mond geschickt werden, das sind im Grunde immer strategisch platzierte Initiativen der Raumfahrtlobby, um Entscheidungsprozesse in Berlin zu beeinflussen. Soll das Raumfahrtbudget aufgestockt oder eingefroren werden, und dann lanciert man eben ein solches neues Großprojekt, das ein bisschen Zugkraft hat, einen Marketingeffekt, PR-Effekt verspricht, das ist glaube ich der Hintergrund solcher Programme. Denn es ist doch ziemlich unrealistisch, dass wir 2020 einen deutschen Astronauten auf dem Mond haben werden."
Nach Armstrong sind die Amerikaner noch fünfmal auf dem Mond gelandet. Mit Apollo 17 wurde das Programm eingestellt. Auch der PR-Effekt nutzte sich ab. Die Sowjetunion hatte mit dem Bau von Orbitalstationen geantwortet. Noch während des amerikanischen Mondprogramms schossen sie Saljut1 in eine Erdumlaufbahn. 1973 folgten die Amerikaner mit dem Skylab. 1986 schließlich begann die kurz vor dem Zerfall stehende Sowjetunion mit dem Bau der Raumstation "Mir". Mir steht für Frieden und signalisiert ein Zeitalter der Kooperation und der Mittelteilung.
"Am Abend, nachdem die dann abgelegt haben, haben wir in der Mirstation zusammengesessen, haben Gitarre gespielt und gesungen. Wenn man dann da draußen ist – es ist überwältigend, absolut überwältigend, im Freien zu sein und wenn man sich mit dem Rücken zur Station dreht also von diesem Zuhause, das einen da beherbergt, nichts mehr sieht sondern nur die Erde vor, über oder unter sich – mir fehlen selbst fünf Jahre nach der Mission wirklich die Worte dafür. Man hat dann natürlich ne Phase, möcht ich mal sagen, nach zwei drei Monaten, wo so eine gewisse Routine eintritt."
Die Krönung der Zusammenarbeit: die internationale Raumstation ISS, für die 1994 der Startschuss fiel. Eine der Hauptaufgaben der zahlreichen Astronauten, die sich bisher längere Zeit in den Raumstationen aufgehalten haben: Experimente in Schwerelosigkeit.
"Ich verfolge das seit vielen, vielen Jahren",
sagt Techniksoziologe Johannes Weyer.
"Da ist uns sehr viel versprochen worden, neue Legierungen, alles mögliche, auch das eine oder andere Produkt, das darauf basiert, aber der Umfang überzeugt mich nicht wirklich, aber viele dieser Experimente können sie auch an Bord von unbemannten Satellitendaten machen, dafür brauchen sie keine Menschen, der Mensch stört ja auch. Eigentlich stört der Mensch bei vielen Experimenten, außer bei den Experimenten, die er an sich selbst durchführt, den weltraummedizinischen Experimenten."
"Seit heute führe ich das Experiment M. 103 K. durch. Es geht um das Sammeln des 24 Stunden Urins. Was lässt sich zu diesem Experiment sagen? Das Absaugen mit dem Urinsammelbehälter ist sehr schwierig, es lässt sich in keiner Weise regulieren, obwohl ich nachts schon die Luft abgesaugt und in die Hülle einige Servietten gestopft habe, in der Hoffnung dass der Gummi sich in der Nacht wenigstens etwas dehnt und dann nicht mehr so eng anliegen würde, das klappte aber nicht. Du fängst mit diesem Akt an, aber es kommt nichts. Es verursacht nur ein höllisches Brennen in der Harnröhre."
"Vor allem stellt man seit Jahrzehnten immer dieselben Fragen, wie kann der Mensch im Weltall überleben, was ist mit dem Knochenschwund, was ist mit der Raumfahrerkrankheit, wir wissen ja, dass praktisch alle Raumfahrer erstmal richtig krank werden, arbeitsunfähig sind, man hat in den letzten 30 Jahren nur sehr geringe Fortschritte gemacht darin, wie diese Schwierigkeiten beherrscht werden können."
Zu den Kuriosa in der Schwerelosigkeitsforschung gehören die Fragen nach Sex im Weltraum. Wenn die Schwere fehlt, lässt die Durchblutung der Beine nach, Blut strömt bevorzugt in den Kopf. Dagegen haben die Sowjets spezielle Beinkleider entwickelt, die Tschibis-Hose; sie holt mittels Unterdruck das Blut in die unteren Körperregionen zurück. Einen Vergleich mit Viagra braucht dieses High-Tech-Produkt der Raumfahrtforschung nicht zu scheuen. Die Frage, ob und mit welchem Erfolg Sex im Weltraum möglich sei, wird öffentlich nicht beantwortet. Bekannt ist lediglich, dass Enthaltsamkeit ein Problem darstellt, besonders nach Benutzung der Tschibishose, die die sexuelle Erregung erheblich verstärken kann.
"Es sind schon drei Monate vergangen. Meine Haut schält sich bereits in kleineren und größeren Hautfetzen ab, ohne dass ich die Socken ausziehe. Die Jungs sagen, dass nach einem halben Jahr die Beine vollständig abgepellt sind. Darunter ist noch genug Haut, sie ist hell wie bei einem Jüngling. Gibt es so etwas, dass ein 46 jähriger Mann die Haut eines Jünglings hat?"
Genug Material für die immer wieder propagierte und immer wieder verschobene Mission Mars hat man offenbar noch nicht gesammelt. Warum sonst sind seit Juni 2010 sechs künftige Marsmissionäre in einem Blechcontainer bei Moskau weggesperrt. Bei dieser Trockenübung ohne Schwerelosigkeit sollen drei Russen, ein Chinese, ein Italiener und ein Franzose neue Erkenntnisse zur Gruppendynamik und zum Beispiel zur Auswirkung salzarmer Ernährung liefern. Wenn sich der Container im Spätherbst nach 520 Tagen für die gemischte Truppe erstmals wieder öffnet, gibt es nur ein sicheres Ergebnis des Experiments: die sechs haben zwei Sommer und die Fußball-WM 2010 verpasst und zehn Millionen Dollar verprasst.
"Da scheint mir viel Showeffekt dabei zu sein. Dieses Mars 500 findet auf der Erde statt, ich denke, vieles von dem was erforscht wird, außer vielleicht Fragen der Gruppendynamik, ist völlig belanglos für den späteren Flug auf den Mars."
AUTOR Niemand kann sagen, ob und warum ein menschlicher Marsbesuch erfolgreicher sein wird als die bisherigen 30 unbemannten Marsmissionen, von denen im übrigen 17 fehlschlugen. Der Flug zum roten Planeten – kein Meilenstein der Menschheit sondern ein weißer Elefant?
"Die hat es immer gegeben, die sogenannten weißen Elefanten, also die Dinge, die sehr viel Geld gekostet haben, aber keinen Nutzen gebracht haben. Ich halte das nicht für ein ernsthaftes Projekt, selbst die Amerikaner werden das nicht realisieren können. Es wird nur gemeinsam von allen Nationen der Erde realisiert werden können, und man wird überlegen müssen, wo das Geld herkommen soll. Ich denke die große Menschheitsaufgabe ist derzeit die Klimakatastrophe und nicht die Reise zum Mars."
Bleibt die Flucht vor dem Armageddon. Die bemannte Raumfahrt als Nachhaltigkeitsstratgie, die uns dereinst den Exodus von einer warum auch immer zerstörten Erde ermöglicht.
"Das ist auch ein Topos, den man immer wieder findet: wir brauchen die Raumfahrt, um eines Tages von diesem Planeten fliehen zu können. Nur überlegen Sie mal, wie viel Schadstoffe Sie emittieren, überlegen Sie mal wie viele Starts Sie durchführen müssen, wie viele Ressourcen Sie benötigen, um diese ganzen Starts durchführen zu können. Also ich halte das für absolut widersinnig. Wir sollten unsere Ressourcen einsetzen, um diese Erde zu retten, und nicht von dieser Erde zu fliehen."
In einer Zeit klammer staatlicher Kassen muss man den Menscheitstraum Weltraumfahrt vielleicht privaten Pionieren überlassen.
"Also ich sehe das nicht, dass nach dem Scheitern der NASA, die ja nicht mehr in der Lage ist, Menschen in den Weltraum zu transportieren, dass private Unternehmen das besser können."
Die Leistung, einen Menschen ins All zu befördern, bemisst sich auch daran, dass es nach Gagarin weitere 42 Jahre dauerte, bis eine dritte Nation das zweifelhafte Kunststück geschafft hatte: am 15. Oktober 2003 brachte die chinesische Volksrepublik einen der ihren in eine nennenswerte Höhe über dem Erdboden – damit hatte auch der erste Taikonaut den Taikong, das Weltall angekratzt. Auch Indien versuchte bald darauf, im Weltraum präsent zu sein; im Oktober 2008 nahm die Hinduskultur den Mond ins Visier. Zunächst noch ohne Astronauten.
Präsident Reagans Worte, die der Motivation nach der Challenger-Katastrophe dienen sollten, klingt nach Pioniergeist und Menschenmut, nach Wagemut und Visionen
"Wenn es dieses Bedürfnis gibt, dann sollen es die Pioniere doch machen, aber bitte auf eigene Kosten."
Mag sein, dass in Zukunft der eine oder andere Netz-Milliardär seine privaten Träume als Weltraumfahrer verwirklicht. Die Triebfedern der nationalen und internationalen Raumfahrtanstrengungen sind jedenfalls andere.
Juri Gagarin, "der uns in den Weltraum rief", wie es sein amerikanischer Kollege John Glenn einmal pathetisch formulierte, wurde nach seinem Flug als sozialistischer Held herumgereicht. Lieber wäre er noch einmal in eine Raumkapsel gestiegen. Vielleicht um weiter nach Gott zu suchen? Doch selbst vom Gott des 21. Jahrhunderts, dem Profit, scheint im vom Menschen bereisten Kosmos keine Spur.