Klaus Schöning: Ich hätte ihn schon 1957 begegnen können, denn damals haben wir beide in Göttingen studiert. Aber tatsächlich habe ich ihn erst etwa zehn Jahre später kennen gelernt, als sein erstes Hörspiel beim Saarländischen Rundfunk produziert wurde, bei meinem später Kollegen Johann Kamps und bei Heinz Hostnig. Er hat insgesamt fast zehn Hörspiele geschrieben. Es waren sprachspielerische Stücke, auch inhaltlich sehr interessant und zeitbezüglich.
Frank Olbert: Sie selbst haben als Redakteur eher seine theoretischen Fähigkeiten genutzt. Er wurde zum Historiker des Neuen Hörspiels. Wie kam es denn zu dieser groß angelegten Sendereihe?
Klaus Schöning: Als ich ihn Ende der Sechziger Jahre kennen lernte, bestimmte das Neue Hörspiel einen großen Teil meiner Arbeit beim Westdeutschen Rundfunk. Wir produzierten Stücke beispielsweise von Handke, von Mon, später Kagel. Die Konzeption des Programms war seit 1963 geprägt durch zwei wesentliche Aspekte: Der eine war die Aufarbeitung der Hörspielgeschichte, des Phänomens "Hörspiel" als eigenständiges Genre in diesem flüchtigen Medium. Der andere Aspekt war, dass wir gewisse Defizite in der Produktion von Hörspielen feststellten, denn das, was sich als experimentelle Literatur, konkrete Poesie, Lautpoesie darstellte, war weitgehend ausgeblendet. In dieser Zeit schien es mir notwendig, die Geschichte des Hörspiels in einer historischen Systematisierung darzustellen, die es damals eigentlich nicht gab. Es gab eine ganze Reihe interessanter Hörspielbücher, die sich vor allem mit der Dramaturgie beschäftigten, allen voran natürlich das von Heinz Schwitzke, der ganz nachhaltig den ganzen Überbau des traditionellen Hörspiels geprägt hat und sehr normativ war. Uns ging es um eine etwas objektivere, schlicht dokumentarische Aufarbeitung. In dieser Situation lief mir Reinhard Döhl über den Weg. Ich erzählte ihm davon. Und er ist ja nicht nur Autor, Poet und bildender Künstler gewesen, sondern auch Hochschullehrer. Er hatte in Stuttgart einen Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur im Kontext der Medien. Das heißt, mein Ansinnen ließ sich durchaus auch mit seinem Interesse verbinden Die Sendereihe sollte streng historisch sein und hatte einen Titel, der in der heutigen Medienlandschaft, in der Lektionen und Didaktisches nicht mehr so gefragt sind, kurios klingen mag: "Versuch einer Geschichte und Typologie des Hörspiels in Lektionen". Es sollten allerdings keine Sendungen sein, die den Charakter einer Vorlesung hatten, sondern sie sollten das akustische Medium, in dem sie stattfanden, berücksichtigen. Und da war Reinhard Döhl ein exzellenter Autor, sowohl aus seiner Praxis als Poet der Konkreten Poesie, aus dem Background der Collagetechnik, als auch aus seinem großen Wissen im Bereich der experimentellen Literatur und Kunst zu Beginn des Jahrhunderts. Er war ein wunderbarer Interpret Hans Arps. Seine Dissertation beschrieb und untersuchte Hans Arp nicht als bildenden Künstler, sondern als Poeten, Dadaisten.
Frank Olbert: Welche Wirkung hatte denn die Sendereihe?
Klaus Schöning: Sie hatte vor allem die Wirkung, dass das Hörspiel auch wissenschaftlich ernst genommen wurde. Die Teile zum Neuen Hörspiel und zum NS-Hörspiel sind ja dann bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Buchform erschienen. Auch das NS-Hörspiel war zu der damaligen Zeit ein völlig unaufgearbeitetes Kapitel. Den für diese beiden Publikationen nötigen wissenschaftlichen Apparat zusammenzustellen, war eine immense Arbeit. Ich habe versucht, Reinhard Döhl zu einer Fortsetzung zu ermutigen, denn im Grunde genommen hätte man das, was gesendet wurde, einfach drucken können. Aber das wollte er nicht. Ich finde es nach wie vor bewundernswert, wie er seine universitäre Arbeit - auch die Arbeit an unserer Sendereihe, die ja 16 Jahre lang lief und die gesamte Hörspielgeschichte bis in die Achtziger Jahre aufarbeitete – und seine künstlerischen Arbeiten miteinander vereinbaren konnte. Er war Mitglied der Stuttgarter Gruppe, zu der auch Helmut Heißenbüttel, Max Bense, Franz Mon und Ernst Jandl gehörten. Er hat neben der Konkreten Poesie, die ja auch eine visuelle ist, Graphiken und Aquarelle produziert. Er war häufig in Japan und hat mit japanischen Kalligraphen zusammengearbeitet, hat Zen-Buddhismus kennengelernt, eine Beziehung, die - wie ich im Nachhinein finde - zu seinem zurückhaltenden, humorvollen und die eigene Persönlichkeit zurücknehmenden Wesen passt. Das charakterisierte ihn. Vielleicht kommt noch hinzu, dass er ein Westfale war. Er war wie ein japanischer Zen-Mönch aus Westfalen mit einer griechisch-stoischen Haltung, ein überaus humorvoller, aber sehr zurückhaltender Mensch, ein sehr liebenswerter Freund.