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Der Humor, der aus der Trauer kommt

"Du sollt nicht langweilen" - so hieß eine Veranstaltung am 2. Mai 1991 im Berliner Schillertheater, bei der Curt Bois seinen 90sten Geburtstag vorfeierte. Otto Sander las Texte, die gesamte Berliner Theaterprominenz war anwesend und gerührt als der Jubilar gleich alle Gäste zu seinem 100 Geburtstag im Jahr 2001 einlud. Diese Verabredung konnte der im Dezember 1991 gestorbene Schauspieler, bekanntermaßen nicht mehr einhalten. Dafür dass der Geburtstag heute trotzdem gebührend gefeiert werden kann sorgt aber eine neue Biografie von Gerold Ducke, der mit ihm schon 1980 seine Lebenserinnerungen "Zu schön um wahr zu sein" aufschrieb. Es ist eine liebevolle und materialreiche Würdigung geworden, in der sich mehr als 80 Jahre Theater- Film- und Zeitgeschichte spiegeln. Kinderstar, Varietesänger, Stummfilmkomiker, Taschendieb in Casablanca schließlich Charaktermime und umjubelter Träger des europäischen Filmpreises - das alles ist Curt Bois gewesen und auch Vertriebener, Emigrant, enttäuschter Rückkehrer. Der Vorhang ging für ihn zum ersten Mal 1908 auf. Da war er sechs Jahre alt und spielte das Heinerle in Leo Falls Operette "Der fidele Bauer".

Josef Schnelle |
    Um das "Wunderkind" entstand ein regelrechter Kult mit Postkarten, Autogrammstunden und Werbeauftritten und noch im gleichen Jahr wurde die Operette verfilmt. Das Heinerlelied kam dazu in ausgewählten Häusern asynchron von einer edisonschen Wachswalze. Ein Tonbild wie man das in Stummfilmzeiten nannte. Erst nach 150 ausverkauften Vorstellungen wurde "Der fidele Bauer" im Theater des Westens abgesetzt. Im Rollenfach Kinderstar spielte Bois alles was gut und teuer war. Ihm wurden sogar die Stücke auf den Leib geschrieben. Der kleine Junge wurde entsprechend selbstbewusst. Wenn er nicht sofort Szenenbeifall bekam, so die Anekdote, riss er sich manchmal die Maske vom Gesicht und wollte als Heinerle erkannt werden. Schließlich verdiente er auch den Lebensunterhalt für seine Familie. Curt Bois hat diese Rolle des Heinerle, mit der alles angefangen hat, nie vergessen. Noch bei der Verleihung des europäischen Filmpreises 1988 fiel er wieder im Theater des Westens auf die Knie und rief: "Ich bins doch das Heinerle".

    Die Theaterdirektoren standen Schlange und auch im Film, der gerade dem Variete den Rang abzulaufen begann, war Bois ein gern gesehener Gast, natürlich auch hier in Zwergenrollen, als kleiner Detektiv zum Beispiel oder als Knabe Willy in "Klebolin klebt alles". Es folgten Liftboys und andere komische Rollen, auch Auftritte in ernsten Filmen wie in dem Melodram "Des Pfarrers Töchterlein". Curt Bois Filmpersonality ist jedoch unverwechselbar. Er macht immer etwas zuviel, ist eine Spur zu schnell, eine Mischung aus Chaplin und Harold Lloyd und wenn er nicht in Frauenkleider schlüpft, trägt er meistens einen Frack auch in seiner besten Filmrolle der frühen Jahre als jugendlicher Kapellmeister 1919 in Ernst Lubitsch "Austernprinzessin". Als hyperaktiver Dirigent versteht er es in diesem Film eine gesittete Abendgesellschaft in ein Foxtrott tanzendes Tollhaus zu verwandeln. Es muss am Frack gelegen haben. Seinen ersten Frack hatte er schließlich schon als Kinderstar bekommen von der Ausstattungsfirma Baruch und Co.

    Die faszinierende Kindheitsgeschichte des Naturtalents Curt Bois nimmt in Gerold Duckes Buch einen beträchtlichen Raum ein. Auch dem Bildteil, mit mehr als 50 zwischengestreuten schwarz-weiß Fotografien: Szenenbildern, Plakate, Zeichnungen und Schnappschüssen kann man entnehmen: Bis ins hohe Alter wirkt Curt Bois wie ein eigensinniges , rotzfreches Kind, ewig bemüht sich vor dem Erwachsen werden doch noch zu drücken. Auf diese Weise war er auch der ideale Varietekünstler. Einer seiner Lieblingsrollen war der Blitzdichter, der sich vom Publikum Zitate zurufen ließ und daraus ein absurd kalauerndes Gedicht verfertigte. Gerne sang er auch die Lieder seines Jugendfreundes Friedrich Holländer, dessen Liedzeile "Ich mach alles mit den Beinen, lachen oder weinen" eigentlich nur Curt Bois bühnenwirksam umsetzen konnte. In den zwanziger Jahren trat er auch in Revuen nach Texten Kurt Tucholskys auf. In seiner Autobiografie "Zu wahr um schön zu sein" erzählt er wie ihn das Theatergenie Max Reinhardt entdeckte. Auf der Hörbuch-CD "Von Fritz Kortner bis Curt Bois" erschienen im Patmos Verlag kann man diese Passage anhören.

    Neben Max Reinhardt erkannte in den 20er Jahren auch Erwin Piscator die Qualitäten des nun herangereiften Charakterkomikers und holte ihn an Lessing-Theater für seine Inszenierung von Leo Lanias "Konjunktur". Curt Bois brachte einen Hauch leichte Muse ins politische Theater und war auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Doch neue Zeiten brachen an. Anfangs hatte sich die Theaterszene über die Nazis noch kräftig lustig gemacht. Doch die neuen Machthaber meinten es Ernst und wurden für den prominenten Juden Bois immer bedrohlicher. Eine Woche nach Hitlers Machtergreifung verließ er Berlin und gelangte über Österreich und England in die USA. 17 Jahre Emigration folgten, die meiste Zeit in Hollywood, das die Amerikaner damals "Little Weimar" nannten, weil es eine beträchtliche Kolonie deutscher Filmleute und Künstler im Exil aufwies, die von den Wochenschecks der Filmindustrie mehr oder weniger gut lebten. Erst dort lernte Curt Bois den deutschen Dramatiker Bertold Brecht kennen und als in Berlin der Reichstag brannte, dichtete der für ihn den Macky Messer Song um. In Curt Bois Vortrag schwingt noch die ganze Verbitterung und der Schmerz der Vertreibung aus Deutschland mit.

    Curt Bois spielte in 50 Hollywoodfilmen kleine und kleinste Rollen. Berühmt geworden ist sein Kabinettstückchen in Michael Curtiz Film "Casablanca", wo er in Ricks Cafe als Taschendieb auftritt, der vor Taschendieben warnt. So arbeitete er sich in der Hierarchie der Traumfabrik vom 350Dollar Kleindarstellerlohn bis zum passablen 1200Dollar Wochenscheck hoch, aber heimisch fühlte er sich nie. Es sei denn im Kreis der Mitemigranten in deren Diskussionszirkeln es immer nur um ein Thema ging: um Deutschland und den Faschismus.

    1950 kehrte Curt Bois nach Deutschland zurück. Viele Emigranten taten sich schwer im gespaltenen Nachkriegsdeutschland. Fritz Lang hat einmal gesagt, das sei die eigentliche Tragik der Emigration dass man zurückkehrt und sich fremd fühlt im eigenen Land. Man begegnete denen, die sich mit den braunen Machthabern arrangiert hatten und manch einer zum Beispiel Heinz Rühmann wechselte vorsichtshalber die Straßenseite, wenn er auf einen wie Bois traf.

    Anders als zum Beispiel Peter Lorre, der in Deutschland nie wieder Fuß fassen konnte, oder Fritz Lang, der Deutschland nur noch als Gastregisseur besuchte, gelang es Bois jedoch sich eine zweite Karriere aufzubauen. Mit Regisseur Fritz Kortner bildete er ein Traumteam und feierte einen Theatererfolg nach dem anderen: Shakespeare, Schiller, Moliere. Wie in den 20er Jahren Max Reinhardt sah Kortner in Bois den Charakterdarsteller, dem eine Prise Komik ja nie schaden konnte. Viele Probenfotos in Gerold Duckes Biografie spiegeln das Hass-Liebe-Verhältnis der beiden großartigen Theatermänner wieder. Seine erste wichtige Theaterrolle nach der Rückkehr in "Herr Puntila und sein Knecht Matti" spielte er allerdings bei Brecht im Berliner Ensemble.

    "Der Humor kommt aus der Trauer" hat Ducke sein Buch genannt. Wenn man Curt Bois zuhört, kann man rausbekommen, warum der Titel gut gewählt ist. Die heisere gebrochene Stimme enthüllt Verletzlichkeit und hinter dem humorigen Grundton versteckt sich stets bittere Erfahrung. Die Weisheit des Narren das ist Curt Bois Lebensprogramm gewesen. Auch bei seinem denkwürdigen Auftritt in Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin" 1987, bei dem er mehr gestützt als geleitet von Otto Sander über das Niemandsland an der Mauer mitten in Berlin irrt und den Potsdamer Platz sucht. Der Platz ist inzwischen wieder bebaut. Aber diese Szene ist Filmgeschichte und enthält irgendwie das ganze Leben des Curt Bois.