Archiv


Der illegale Traum vom Kind

Das seit vier Jahren geltende italienische Bioethik-Gesetz gilt als eines der strengsten der Welt. Neben Sterbehilfe, Organspende oder Stammzellenforschung regelt es auch die künstliche Befruchtung, die in der italienischen Gesellschaft immer noch ein Tabu darstellt. Einzig Paare, die ungewollt kinderlos bleiben, beschäftigen sich damit. Und sie gehen oft genug ins Ausland, um das machen zu lassen, was in Italien seit 2004 verboten ist. Kirstin Hausen mit einem Beispiel aus Mailand.

    Ein kleiner Spielplatz im Osten der Stadt. Paolo, graumeliertes Haar, grüne Augen hinter einer randlosen Brille, kommt hier jeden Tag zwei Mal vorbei. Auf dem Weg zur Arbeit und nach Hause. Ein kurzer Blick auf die Kinder, ein kurzer Gedanke an Jacopo, seinen zweijährigen Sohn, der im Moment bei den Großeltern am Meer ist. Jacopo ist nicht sein leiblicher Sohn, sondern aus einer Samenspende entstanden.

    "Im Jahr 1990 bin ich an Krebs erkrankt und infolge einer Tumorentfernung vollkommen unfruchtbar geworden", erzählt Paolo. Der Traum vom Vatersein wäre damit eigentlich vorbei gewesen. In Italien sind Samenspenden verboten und Adoption kam für Paolo nicht in Frage.

    "Nicht jeder ist fähig, ein Kind von ein, zwei Jahren zu adoptieren, man muss sich seine eigenen Grenzen eingestehen" sagt er und lächelt entschuldigend. Paolos Frau Elisa wünschte sich ebenfalls ein Kind und schlug vor, zur künstlichen Befruchtung ins Ausland zu gehen. Die beiden wählten ein Fortpflanzungszentrum in Griechenland, spezialisiert auf Paare aus Italien.

    "Wie wir da in unserem Hotelzimmer saßen und beteten, das es klappen würde, das war so traurig", sagt der 43-Jährige Vater mit einem Kopfschütteln und spricht über die Wut, die er darüber empfunden habe, dass er sich seinen Kinderwunsch nicht zuhause, im eigenen Land, erfüllen durfte:

    " Psychologisch und finanziell war das sehr belastend. Vor allem, weil wir niemandem erzählen konnten, was wir machen. Du bist ja sozusagen ein Krimineller. Wir haben uns in der Zeit sehr einsam, richtig isoliert gefühlt. "

    Befürworter des strengen italienischen Bioethikgesetzes nennen die künstliche Befruchtung einen Eingriff in die Natur oder in Gottes Plan. Manche unterstellen den Paaren, sich ihr Kind "aus dem Katalog" aussuchen zu wollen. Unsinn, widerspricht Paolo:

    "Die Ärzte haben mir klipp und klar gesagt, dass mein Kind keine grünen Augen haben wird wie ich, dass wir einzig und allein Anspruch auf die gleiche Blutgruppe haben."

    Verlässliche Zahlen gibt es nicht, aber nach Schätzungen von Ärzten gehen jährlich mehrere zehntausend Italiener ins Ausland, um dort machen zu lassen, was in Italien verboten ist. Das ist zum einen die Befruchtung mit Spendersamen und zum anderen die Untersuchung befruchteter Eizellen auf mögliche Erbkrankheiten oder Genschäden. Dieses zweite Verbot findet die Gynäkologin Elisabetta Chelo ganz besonders grausam und ungerecht.

    "Das Verbot, die befruchteten Eizellen zu untersuchen bevor sie der Frau eingesetzt werden, bedeutet, dass die Paare, die es sich finanziell leisten können, ins Ausland gehen, um die Untersuchung dort zu machen, während die anderen erst wenn die Frau schwanger geworden ist eine vorgeburtliche Untersuchung machen lassen können und dann, wenn Missbildungen festgestellt werden, eventuell abtreiben, was ein Gesundheitsrisiko für die Frau darstellt und unnötigen Schmerz mit sich bringt."

    Der Grund für diese Vorschrift ist die Definition des ungeborenen Lebens. Laut des italienischen Bioethik-Gesetzes ist eine befruchtete Eizelle mit einem Menschen gleichzusetzen und damit genauso geschützt. Sie darf nicht selektiert oder eingefroren werden und nicht zu Forschungszwecken eingesetzt werden. Für die Fortpflanzungsmedizinerin Elisabetta Chelo bleibt die Würde der Frau dabei auf der Strecke.

    "Niemand von uns zertritt Embryos mit dem Stiefelabsatz oder spuckt verächtlich ins Reagenzglas. Der Respekt vor diesem menschlichen Gewebe darf nicht zum Verlust des Respekts vor der Frau führen."

    In Italien werden immer weniger Kinder geboren. Die künstliche Befruchtung ist trotzdem in weiten Bevölkerungskreisen verpönt. Paolo, hat weder Freunden noch Verwandten erzählt, wie sein Sohn Jacopo entstanden ist.

    "Sie würden es nicht verstehen, dabei ist es doch nur natürlich, sich ein Kind zu wünschen."