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"Der Iran steht katastrophal da"

Die wirtschaftliche Lage im Iran sei im freien Fall, meint der iranisch-stämmige grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour. Das habe jedoch weniger mit den aufgrund seines Atomprogramms gegen den Iran verhängten Wirtschaftssanktionen zu tun, sondern vor allem mit der schlechten Wirtschaftspolitik von Präsident Mahmud Ahmadinedschad.

Omid Nouripour im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Gestern war der Basar in der iranischen Hauptstadt Teheran geschlossen. Das war nicht bemerkenswert, schließlich ist der Freitag ja der Ruhetag in islamischen Ländern. Aber auch am Mittwoch und Donnerstag ruhten die Geschäfte dort, nachdem es zu Unruhen gekommen war, gegen die die Polizei eingeschritten war.

    Der Hintergrund dieser Unruhen ist die desolate wirtschaftliche Lage im Iran. Die Landeswährung Rial ist im freien Fall, die Lebensmittel- und Energiepreise explodieren. Die religiöse Führung spricht von einer internationalen Verschwörung und einem Wirtschaftskrieg, unter denen der Iran leide. Und im westlichen Ausland heißt es kurz und bündig: Die Wirtschaftssanktionen, die gegen den Iran wegen dessen Atomprogramm verhängt worden sind, entfalten nun ihre Wirkung. Bei uns am Telefon der iranisch-stämmige grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour. Guten Morgen!

    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!

    Kapern: Herr Nouripour, wie steht der Iran wirtschaftlich Ihren Informationen, Ihrer Meinung nach da?

    Nouripour: Der Iran steht katastrophal da. Das hat aber in erster Linie nichts mit den Sanktionen zu tun, sondern mit dem Missmanagement, mit der Korruption, die grassiert. Mit einer Regierung, mit einem Präsidenten, der einfach alles nur gemacht hat, um seine Günstlinge zu bevorzugen, und nicht, um die Wirtschaft des Landes voranzubringen. Und das wissen auch die Menschen, deshalb richtet sich auch der Zorn und die Proteste, richten sich gegen die Regierung, und nicht etwa gegen die Sanktionen.

    Kapern: Warum sind Sie so sicher, dass nicht die Sanktionen die Ursache sind? Die Politiker im Westen scheinen das ja anders zu sehen, also die Politiker, die die Sanktionen beschlossen haben?

    Nouripour: Ich sage nicht, dass die Sanktionen damit nichts zu tun haben. Das ist überhaupt nicht der Fall. Es gibt diverse Sanktionen, zum Beispiel im Falle von einigen Medikamenten, bei denen es klar ist, dass das auf die Sanktionen zurückgeht, wo man sich fragen muss, ob das so wirklich auch richtig war. Weil man ja eigentlich die Bevölkerung nicht treffen wollte. Im Iran gibt es aber ein Narrativ seit über 30 Jahren, bei dem es darum geht, dass die Regierung immer sagt, wir sind stark genug, dass wir Sanktionen tatsächlich auch entgegentreten können. Diese Regierung hat das auch immer gesagt, und sie kann es nicht.

    Jenseits davon ist aber die wirtschaftliche Lage im freien Fall seit, spätestens, seit Ahmadinedschad tatsächlich Präsident geworden ist. Es gab eine Entlassung zum Beispiel vom Direktor der Zentralbank in der letzten Amtszeit von Ahmadinedschad, also, da waren die Sanktionen noch gar nicht in der Form da, wie es sie heute gibt, weil er den Zinssatz, den Leitzins anheben wollte, um die Inflation zu bekämpfen. Er hat ihn entlassen mit den Worten: Wer Zinsen anhebt, will an das Portemonnaie der Armen ran. Das ist natürlich wirtschaftspolitisch vollkommen absurd und hat mit sachlicher Politik nichts zu tun. Und das sehen auch die Leute.

    Kapern: Was sonst hat Ahmadinedschad in seiner Wirtschaftspolitik falsch gemacht?

    Nouripour: Es gibt einen festen Auftrag in der Verfassung Irans, das bestimmte Sektoren privatisiert werden müssen, dass die staatliche Wirtschaft, die es gab während des Krieges in den 80er-Jahren gegen den Irak, dass die Staatlichkeit sich immer weiter zurückzieht. Er hat immer wieder Mahnungen bekommen, auch vom mächtigsten Mann des Landes, vom Revolutionsführer, diese Privatisierungen endlich voranzutreiben. Das ist nicht passiert, im Gegenteil, die meisten Branchen, vor allem die wichtigen großen Branchen, sind einfach zwischen Staatsunternehmen hin und her geschoben worden. Das hat mit effizienter Wirtschaftspolitik nicht zu tun, und das spüren jetzt auch die Menschen.

    Kapern: Wenn die Basari, also die Händler in Teheran aufbegehren, dann wird man ja hellhörig, weil die nicht unwesentlich am Aufbegehren, mit Ihrem Aufbegehren zum Sturz des Schah beigetragen haben. Wenn die nun wieder auf die Barrikaden gehen, protestieren, heißt das, dass im Iran die Regimedämmerung anbricht?

    Nouripour: Da bin ich noch ein bisschen vorsichtig. Was Fakt ist, ist, dass kein Regime im Iran auf Dauer ohne die Basari und gegen deren Willen regieren kann, weil sie tatsächlich der Puls sind, nicht nur dann des Geldes, sondern vor allem auch weite Teile der Bevölkerung, wie sie denn eigentlich ticken. Also, das ist wirklich ein sehr, sehr wichtiger Sensor, auf den man gucken muss. Ob die Streitereien weitergehen, ob die Proteste weitergehen von den Basari, das wird man sehen. Zwei Tage machen noch keinen Generalstreik.

    Aber das ist schon ein sehr starker Rückschritt nicht nur für Ahmadinedschad, sondern für das ganze Regime. Und es kann durchaus sein, dass sie jetzt – dass das das Thema sein wird für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr, das ab jetzt alle, die dort tatsächlich antreten wollen, mit großen Versprechen angehen werden. Das kann durchaus tatsächlich auch zur Befriedung führen bis dahin, aber der nächste Präsident müsste dann liefern, was nicht ganz so einfach ist, wenn man sich den Trümmerhaufen anschaut, der hinterlassen wird von Ahmadinedschad. Und wenn man natürlich sieht, dass die Sanktionen nicht wirkungslos sind.

    Kapern: Sie haben eben selbst gesagt, dass die Verantwortung für die miserable Wirtschaftslage dem Staatspräsidenten Ahmadinedschad zugewiesen wird und eben nicht der religiösen Führung. Heißt das, dass die Theokratie eigentlich noch immer fest im Sattel sitzt, im Umkehrschluss?

    Nouripour: Nein, das tut sie nicht. Und das wissen auch die Menschen. Ahmadinedschad hat weite Teile der Ministerien, der Administration ausgetauscht. Sehr viele, die dort auf Posten sind, sind dort aufgrund ihrer ideologischen Loyalität, und zwar den Revolutionswächtern gegenüber. Das sind keine Theokraten. Das sind keine Mullahs, das sind tatsächlich in erster Linie frühere Soldaten. Und diese Leute werden auch verantwortlich gemacht für die Situation. Dass weite Teile tatsächlich der Geistlichkeit auch eine Rolle spielen, das ist keine Frage, aber das geht derzeit nicht unbedingt mit denen nach Hause, aber die haben auch nicht die Macht.

    Kapern: Mitte Oktober will die Europäische Union nach den Ölimporten nun auch die Gasimporte aus dem Iran verbieten. Ist das ein richtiger, nächster Schritt, um weiteren Druck aufzubauen?

    Nouripour: Ich finde, dass auf der einen Seite wir alles tun müssen, damit es nicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommt. Das heißt, dass viele der Sanktionen tatsächlich nicht in erster Linie dafür da sind, das Atomprogramm im Iran zu stoppen, sondern diejenigen, die mächtig drängen darauf, den Iran anzugreifen, tatsächlich auch ein wenig beruhigen sollen. Das hat bisher zumindest halbwegs geklappt, das ist auch okay so.

    Ich finde, das Wichtigste ist aber, dass das Signal geht an die iranische Bevölkerung, dass die Sanktionen sich nicht gegen sie und erst recht nicht alleine gegen das Atomprogramm richten, sondern dass es auch darum geht, wie es im Iran aussieht, wie die Menschenrechtssituation dort ist. Das würde für sehr viel mehr Fokussierung der Proteste auf Ahmadinedschad und auf das Regime im Iran tatsächlich hinwirken.

    Kapern: Der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Nouripour, danke für das Gespräch, und einen schönen Samstag wünsche ich Ihnen!

    Nouripour: Ich danke Ihnen auch, tschüss!

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