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Der IS in Syrien und dem Irak
"Ein militärischer Erfolg ist nicht alles"

Trotz der Rückschläge in Hochburgen wie Rakka und Mossul erfahre der IS in Syrien und im Irak noch große Unterstützung, sagte der Islamwissenschaftler Wilfried Buchta im DLF. Er generiere sich als Verteidiger der Sunniten und deren Interessen und profitiere von einem Machtvakuum in beiden Staaten.

Wilfried Buchta im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Kinder spielen in einem ehemals von Rebellen gehaltenen Stadtteil von Aleppo zwischen zerstörten Häusern und hinter einem Auto, das auf dem Dach liegt.
    "Wenn in Mossul keine legitime neue gerechte Ordnung eingeführt wird, nach der Vertreibung und nach dem Sieg über den IS, ist es sehr wahrscheinlich, dass der IS aus dieser Situation danach Profit schlägt", sagt Wilfried Buchta (AFP / Joseph Eid)
    Ann-Kathrin Büüsker: Ungeachtet derartiger ziviler Verluste will US-Präsident Donald Trump den amerikanischen Einsatz in Syrien noch forcieren. Er hatte ja angekündigt, möglichst schnell nach Amtsantritt eine Strategie gegen den selbsternannten Islamischen Staat vorzulegen. Bis jetzt kam da allerdings nichts. Heute lädt die US-Führung nun zu einem Treffen der Anti-IS-Koalition nach Washington ein.
    Ist der selbsternannte Islamische Staat so tatsächlich zu besiegen, militärisch zu besiegen? Darüber möchte ich mit Wilfried Buchta sprechen, Islamwissenschaftler und Autor. Er hat von 2005 bis 2011 als politischer Analyst für die UNO-Friedensmission im Irak gearbeitet. Guten Tag, Herr Buchta.
    Wilfried Buchta: Guten Tag!
    Büüsker: Herr Buchta, lassen Sie uns vielleicht zunächst einmal auf die Ausgangslage gucken. Die Anti-IS-Koalition, die fliegt jetzt seit Monaten Luftangriffe gegen die Terroristen. Eine Allianz versucht, Mossul zu erobern. Wie stark ist der Islamische Staat in der Region Syrien und Irak überhaupt noch?
    Buchta: Ich glaube, dass es immer noch große Teile der syrischen und der irakischen Bevölkerung gibt, die den IS unterstützen, vor allem Sunniten. Ausgenommen natürlich vor allem die Sunniten, denn der IS geriert sich als Verteidiger der sunnitischen Interessen. Wir haben in Syrien und im Irak ja gewissermaßen einen Religionskrieg, einen Krieg zwischen den Konfessionen. Im Irak sind es die Schiiten gegen die Sunniten und in Syrien sind es die schiitisch-alawitischen Kräfte um Baschar al-Assad, den Präsidenten, und die Mehrheit der Bevölkerung der Sunniten. Und in beiden Ländern übernimmt der IS die Rolle des Verteidigers der sunnitischen Interessen.
    Büüsker: Verstehe ich Sie dann auch richtig, dass der Einfluss des IS weit hinausgeht über die Metropolen, die wir ihm sonst zuschreiben, Rakka und Mossul?
    Buchta: Ja, natürlich! Auch auf dem flachen Land gibt es sunnitische Bevölkerungsgruppen, die dem IS immer noch die Treue halten, vor allem unter den Nomaden und unter der ländlichen Bevölkerung. Aber die Hochburg, wie Sie schon sagten, ist vor allem Rakka und daneben die Millionenstadt Mossul, in der der IS jetzt seit knapp einem halben Jahr einen Abwehrkampf ausführt gegen die übermächtige Allianz, und es sieht so aus, als ob auch die letzten Bastionen des IS im Westen Mossuls nach und nach in die Hände der Gegner übergehen.
    "Schiitische Zentralregierung in Bagdad kümmert sich vor allem um eigenen Klientel"
    Büüsker: Glauben Sie denn, dass es langfristig im Kampf gegen den Islamischen Staat hilft, wenn diese Metropolen erobert werden?
    Buchta: Sehen Sie, militärische Siege sind nicht alles. Vor allem, weil der IS ja davon profitiert, dass es in beiden Staaten ein Machtvakuum gibt. In beiden Staaten haben wir Regierungen, die keine oder eingeschränkte Legitimität genießen und bei großen Bevölkerungsgruppen auf Widerstand stoßen. Im Irak ist es so, dass nach 2003, als die Amerikaner die US-Invasion durchführten, die sunnitische Minderheit unter Saddam Hussein von allen Machtpositionen verdrängt wurden. An ihre Stelle traten schiitische Parteien, die die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten repräsentierten und 2005 durch legitime freie Wahlen, demokratische Wahlen, die die Amerikaner durchführten, dann auch an die Macht kamen und seither die Sunniten politisch und wirtschaftlich-sozial an den Rand drängen.
    Büüsker: Wie realistisch ist es denn, dass dieses Machtvakuum, was wir in Syrien sehen, was wir zum Teil auch im Irak sehen, dass das irgendwie aufgelöst wird? Welche Strategien gibt es dafür?
    Buchta: Das ist eine sehr schwierige Frage, denn westliche Ordnungsmächte, die jetzt die verschiedenen, miteinander verfeindeten ethnischen und konfessionellen Gruppen zu einem Frieden zwingen könnten, gibt es nicht. Die Amerikaner haben sich nach und nach zurückgezogen aus der Region. 2011 haben die Amerikaner ihre Truppen aus dem Irak abgezogen. Und das 2003 entstandene Machtvakuum durch den Wegfall des Diktators Saddam Hussein ist nie richtig geschlossen worden. Auch die schiitische Zentralregierung in Bagdad kümmert sich vor allem um die Interessen und Belange ihrer eigenen Klientel, das heißt der Schiiten. Die Sunniten sind weitgehend verdrängt worden aus allen Machtpositionen und insofern findet der IS immer wieder auch Anhänger unter Sunniten, die sich marginalisiert, benachteiligt fühlen, und es gibt zum Beispiel im Irak nur eine sehr schwache Regierung unter Haider al-Abadi, der zwar Versöhnungsangebote an die Adresse der Sunniten aussendet, der aber so schwach ist, dass er sie gegen Widerstände in der eigenen Regierung unter schiitischen Hardlinern nicht durchsetzen kann.
    Büüsker: Sie haben eben gesagt, das Ganze ging vor allem los, als die Amerikaner ihre Truppen aus dem Irak abgezogen haben. Jetzt sehen wir gerade, dass die Regierung Trump 1.000 neue Soldaten nach Syrien geschickt hat, um dort die Initiative gegen Rakka voranzutreiben. Kann das ein Schritt sein, tatsächlich Boots on the Ground, um vor Ort für Ordnung zu sorgen?
    Buchta: Ich war sechs Jahre im Irak und ich habe den Amerikanern über die Schulter geschaut, wie sie militärisch versucht haben, dort Frieden und Ordnung herzustellen, und ich halte das für eine vergebliche Mühe. Denn wenn große Bevölkerungsgruppen nicht fähig und willens sind, die Macht friedlich untereinander zu teilen, dann helfen auch große Interventionsstreitkräfte nichts, denn sie können einen zerbrochenen Staat, dessen Institutionen keine Legitimität genießen, nicht wieder aufbauen.
    Büüsker: Wenn die Region so zerbrochen ist in unterschiedliche Regionen, wäre dann ein föderales System eine Lösungsmöglichkeit?
    Buchta: Aber auch das setzt einen Machtteilungsmechanismus voraus und einen Willen und eine Bereitschaft, eine Fähigkeit der jeweils miteinander verfeindeten Kontrahenten, fair und gerecht miteinander umzugehen. Das sehe ich nicht. Im Augenblick ist es so, dass zum Beispiel in Syrien jetzt eine von Kurden dominierte Angriffsstreitmacht, in der es auch einige wenige Araber gibt, versuchen, die arabisch-sunnitische Hochburg des IS, Rakka zurückzuerobern. Wenn es ihnen gelingen würde, würden dort Kurden herrschen. Das wiederum würde der einheimischen Bevölkerung nicht gefallen. Die würden dann wahrscheinlich sehr bald wieder den geflohenen und vertriebenen IS wieder unterstützen. Und eine ähnliche Situation haben wir auch in Mossul. Wenn dort keine legitime neue gerechte Ordnung eingeführt wird, nach der Vertreibung und nach dem Sieg über den IS, ist es sehr wahrscheinlich, dass der IS aus dieser Situation danach Profit schlägt, indem er sich erneut als Verteidiger der Sunniten und deren Interessen geriert und Zulauf erhält.
    "All das spielt dem IS natürlich in die Hände"
    Büüsker: Wir haben hier so etwas wie eine Radikalisierungsspirale, die sich immer wieder gegenseitig befeuert. Was könnte denn da helfen? Wenn wir zum Beispiel in die Flüchtlingslager rund um Mossul gucken: Würde es helfen, den Menschen dort mehr zu helfen, eine finanzielle Perspektive zu geben?
    Buchta: Ja, sicherlich würde das helfen. Aber sehen Sie: Im Irak ist die Korruption sehr weit verbreitet und wir sehen aus den bisherigen Erfahrungen in Ramadi und Falludscha, zwei anderen Hochburgen des IS, die 2016 wieder in die Hände der irakischen Zentralregierung gelangt sind, dass dort die Wiederaufbauarbeiten kaum vorangehen. Das heißt, 90 Prozent der damals geflohenen sunnitischen Bevölkerung haben immer noch keine Bleibe, haben immer noch keine infrastrukturelle Versorgung, und das ist natürlich Öl ins Feuer der Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten. Sehr viele, in ihrer Loyalität zum IS schwankend gewordene Sunniten werden sich dann bemüßigt fühlen, sich wieder notgedrungen dem IS anzuschließen.
    Ein weiterer Faktor sind auch Menschenrechtsverletzungen von Seiten schiitischer Milizen an der sunnitischen Zivilbevölkerung, die pauschal im Verdacht steht, mit dem IS zu sympathisieren, und viele hundert, wenn nicht tausende von sunnitischen Zivilisten sind mittlerweile dieser Mordmaschinerie der schiitischen Milizen zum Opfer gefallen. All das spielt dem IS natürlich in die Hände.
    Büüsker: So die Einschätzung von Wilfried Buchta, Islamwissenschaftler und Autor. Wir haben gesprochen über den Kampf der Anti-IS-Koalition gegen den Islamischen Staat. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Buchta.
    Buchta: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.