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Der Jangtse - ein Strom als Stromlieferant

Wer wird einst erzählen, von dem was untergegangen ist. Im Sturm des Wandels der chinesischen Gesellschaft droht nicht nur deren Tradition bis zur Unkenntlichkeit entstellt zu werden. Im Mahlstrom der Modernisierung verschwinden auch Landschaften, Kulturelles Erbe und schließlich das, was man Heimat nennt. Auch die Menschen werden entwurzelt, erniedrigt, voneinander getrennt, schließlich von jedem Miteinander entfremdet und einsame Monaden in einem immerwährenden Überlebenskampf.

Von Josef Schnelle |
    Eigentlich wollte der chinesische Jungregisseur Jia Zhang-Ke nur einen Dokumentarfilm über die Folgen des gigantischen Projekts des Drei-Schluchten-Staudamms drehen, das den drittgrößten Fluss der Erde, den Jangtse, seiner Schönheit zwar über eine weite Strecke beraubt, ihn aber zum Stromlieferant und Motor des Fortschritts macht. Millionen Menschen müssen mit rabiaten Methoden umgesiedelt werden. Atemberaubende Landschaften, die sogar chinesische Geldscheine zieren, und Kulturschätze von unschätzbarem Wert sind schon oder werden in den Fluten des Monsterdammes verschwinden. Jia Zhang-Ke drehte seinen Dokumentarfilm "Dong" aber es wurde ihm auch klar, dass dieser Wandel nach einer größeren Geschichte verlangte. Er plante gleich einen Spielfilm:

    "Fengije Altstadt, die eine 2000-jährige Geschichte hat, wurde abgerissen und für immer überflutet. Ich betrat diese, der Verdammnis preisgegebene Stadt mit meiner Kamera und wurde Zeuge von Zerstörungen und Sprengungen. Dort im donnernden Lärm und aufgewirbelten Staub beschlich mich allmählich das Gefühl, dass selbst an solch einem Ort voller Hoffnungslosigkeit das Leben wieder farbenfroh aufblühen kann."

    Regisseur Jia Zhang-Ke, der das in seinem Drehtagebuch schrieb, gehört zu der ganz jungen Generation des chinesischen Kinos. Den erfolgsverwöhnten Regieveteranen der fünften Generation nach der Kulturrevolution, die in den 90er Jahren die Festivals der Welt erobert haben, wirft er vor, nicht mehr genau hinzuschauen, mit historischen Märchenfilmen zwar den Massengeschmack der ganzen Welt zu bedienen, aber im Grunde jede Bodenhaftung verloren zu haben. Jia Zhang-Ke kommt weder aus Peking noch aus Hongkong. Seine Filme stehen an der Spitze einer ganz neuen Welle des chinesischen Kinos, das aus der Provinz kommt. Deswegen auch der neugierige Blick mit dem seine Hauptfigur, ein Bergarbeiter aus Shangxi nach Fengije kommt. Schon auf dem Boot über den Jangtse wird der Zauber der fremden Welt am Rande des Abgrunds klar.

    Die Hauptfigur Sang-ming reist seiner Vergangenheit hinterher. Einst hat er traditionellen Gebräuchen folgend seine Frau für dreitausend Yuan gekauft. Sie hat ihn dann bald verlassen - mit der gemeinsamen Tochter. Doch in der Granitstrasse Nr. 5 von Fengije findet er sie nicht mehr. Die ist nämlich schon untergegangen. Und auch wenn Nachbarhäuser noch stehen tragen sie das Zeichen für "Abreißen" oder der Wasserstand des Staudamms in wenigen Monaten ist schon markiert. Im Restleben dieser Welt mit Abrissfachleuten und Chaosgewinnlern richtet Sang-ming sich ein, findet sogar neue Freunde und neue Hoffnung - bis eines Tages seine fast erwachsene Tochter vor ihm steht. Eine Parallelgeschichte gibt es noch. Eine junge Frau sucht nach ihrem Ex-Mann. Eigentlich will sie ihm nur sagen, das alles vorbei ist. Doch der Abrissingenieur ziert sich bis endlich nach einem Walzer auf der schicken Brücke alles offenbar werden kann.

    Der chinesische Originaltitel "Sanxia Haoren" lässt sich übersetzen mit "Die guten Menschen der drei Schluchten". Die befinden sich allerdings in Sezuan, weswegen die Anklänge an Bert Brechts Stück "Der gute Mensch von Sezuan" durchaus gewollt sind. So gut gemeint das Prestige-Projekt der chinesischen Regierung vom gewaltigsten Staudamms der Erde als Motor des Fortschritts vielleicht gemeint sein mag. Ein Blick auf die Details macht klar, wie diese Gesellschaft funktioniert. Und so ist es auch ein kleines Wunder wie dieser schonungslose Sozialkrimi mit poetischen Momenten überhaupt die Zensur passieren konnte.

    Jia Zang-Ke betrachtet die Zensur sowieso schon jetzt als Relikt aus einer fernen Zeit. Rauchende Jugendliche und unvorteilhafte politische Graffitis an den Wänden der untergehenden Stadt seien ihm vorgehalten worden. An der kritischen Generalbotschaft hat keiner herumgemäkelt. Die kennt in China jeder. Und an deren Wahrheit hegt niemand Zweifel: Mit dem stillen Leben ist es vorbei in China, schließlich steht immer mehr Menschen das Wasser bis zum Hals.