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Der Jemen am Abgrund
Die vergessene Katastrophe

Im Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten schaut die Welt auf Syrien. Derweil spielt sich im Jemen eine ähnlich dramatische Tragödie ab. Die Vereinten Nationen warnen vor einer Hungerkatastrophe, das US-Militär intensiviert seine Angriffe auf Al-Qaida-Stellungen im Land.

Von Jürgen Stryjak |
    Ein Junge steht im Jemen zwischen Häusertrümmern.
    Etwa 370.000 Kinder unter fünf Jahren sind derzeit akut durch den Hungertod bedroht. (picture alliance / dpa/ EPA/ Yahya Arhab)
    "Die Kampfjets bombardieren wahllos Wohnhäuser und Zivilisten", sagt der Gemüseverkäufer Sultan Awad: "Hier, gleich nebenan, da haben sie meinen Nachbarn, seine Frau und seinen Enkel getötet."
    "Ab drei Uhr nachmittags sind die Straßen leer", erklärt Said Hassan. "Die Leute eilen nach Hause, weil sie Angst vor den Bomben haben."
    Die beiden Männer leben in Taizz. Die Stadt im Südwesten Jemens befindet sich einem der am heftigsten umkämpften Gebiete des Landes. Taizz wird von den Huthi-Rebellen belagert. Viertel, in die die Rebellen eindringen können, werden von saudi-arabischen Kampfjets bombardiert.
    In den meisten Stadtteilen haben zwar regierungstreue Truppen die Kontrolle, aber immer wieder kommt es zu Zusammenstößen mit bewaffneten Milizen, die sich im Chaos des Krieges gebildet haben.
    Diese Milizen würden in ein Machtvakuum drängen, das entstand, weil die staatliche Autorität an etlichen Orten kollabiert sei, erklärt der Kulturfunktionär Abdul-Hadi al-Azazi. Wo der Staat funktioniere, gebe es diese Milizen nicht.
    Aber der jemenitische Staat funktioniert kaum noch. In den vergangenen Jahren gelang es den Huthi-Rebellen, Teile des Landes zu erobern, 2014 zum Beispiel Sanaa, die Hauptstadt des Jemen – eines Landes, das als eines der ärmsten der Welt gilt.
    Saudi-Arabien unterstützt die Regierung im Kampf gegen die Rebellen

    Die Truppen der international anerkannten Regierung von Abd Rabbo Mansour Hadi kämpfen erbittert gegen die Rebellen. Seit März 2015 werden sie dabei von Saudi-Arabien unterstützt, vor allem mit Angriffen aus der Luft.
    Anfang Februar wird die Saudi-arabische Fregatte "Al-Medina" im Hafen von Jeddah empfangen. Kurz zuvor war sie an der jemenitischen Westküste von Huthi-Rebellen angegriffen worden.
    "Mit unserer Militäroperation beweisen wir der Welt, dass Saudi-Arabien für Stabilität im Jemen sorgt", sagt General al-Bunyan, der Stabschef der Armee des Königreiches beim Empfang der Fregatte. Die Militäroperation heißt "Sturm der Entscheidung". Das sunnitische Saudi-Arabien sieht in den Huthi-Rebellen einen verlängerten Arm des schitischen Erzfeindes Iran.
    Die jemenitische Huthi-Volksgruppe gehört zu den Zaiditen – also zu einer Sonderform unter den Schiiten, die den Sunniten im Jemen mindestens ebenso nahesteht wie den Schiiten im Iran. Die Huthis hatten sich anfangs auch vor allem gegen die Diskriminierung im eigenen Land erhoben. Der Konflikt hat innerjemenitische Wurzeln. Aber der konfessionelle Blick auf den Konflikt, besonders in Saudi-Arabien, hat aus dem Bürgerkrieg einen regionalen Stellvertreterkrieg gemacht.
    Die saudischen Kampfjets beschießen nicht nur die Aufständischen, sondern auch Märkte, Krankenhäuser und Hochzeitsgesellschaften. Die Aufständischen kämpfen mit Panzern und Artillerie. In den vergangenen zweieinhalb Jahren sollen mehr als 10.000 Menschen ums Leben gekommen sein.
    Zerstörung bei einem Luftangriff auf eine Trauerfeier in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa am 8. Oktober 2016 (Foto vom 9. Oktober 2016).
    Zerstörung bei einem Luftangriff auf eine Trauerfeier in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa am 8. Oktober 2016 (Foto vom 9. Oktober 2016). (dpa / picture-alliance / Yahya Arhab)
    Laut UN 3,3 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht
    "Unsere Leben sind zerstört", klagt dieser Mann aus der Hauptstadt Sanaa. "Wir hausen unter einer Plane, ohne Küche oder Toilette. Wir haben nicht mal Decken für die Kinder. Die Lebensmittel, die wir erhalten, reichen gerade so, um nicht zu verhungern."
    Inzwischen sollen sieben von zehn Jemeniten auf Nothilfe aus dem Ausland angewiesen sein. Das wären knapp 20 Millionen Menschen. Aber diese Nothilfe, sagt William Spindler vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, könne nur sehr schwer ins Land gebracht werden, weil Häfen umkämpft und Flughäfen außer Betrieb seien. UN-Angaben zufolge sind 3,3 Millionen Menschen akut unterernährt und vom Hungertod bedroht, vor allem Kinder.
    "Kinder verhungern bereits", sagt die UNICEF-Beauftragte für den Jemen, "vor allem dort, wo wir nicht hinkommen. Außerdem bricht das Gesundheitswesen zusammen. Wir schätzen, dass im vergangenen Jahr mindestens 10.000 Kinder an Krankheiten starben, die man hätte behandeln können."