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Der Kärntener Abwehrkämpfer

Aus politisch-kultureller Perspektive war der frühere Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider ein Ärgernis, eine Rechtspopulist und Übertreibungskünstler - eine Person, über die man sich rasch ereifern konnte. Seine derben Ausfälle trafen aber auch auf eine latente Fremdenfeindlichkeit und traditionelle Engstirnigkeit. Gleichwohl, oder gerade deshalb, war er sehr beliebt und trotz Niederlagen ein politisches Stehauf-Männchen. Heute Morgen ist er nach einem Autounfall gestorben.

Von Beatrix Novy |
    Wenn eine große Persönlichkeit stirbt, gibt das einen Schock. Aber erst recht, wenn der Tod einen großen Feind ereilt. Über Jahrzehnte hinweg war Jörg Haider das rote Tuch für die progressive Öffentlichkeit. Und immer wieder tat er sein Bestes, damit es so bleibe, trotz aller zwangsläufig eingetretenen Gewöhnungs- und Ermüdungserscheinungen, trotz Regierungsbeteiligung, Landesvaterimage, einhergehender Salonfähigkeit.

    Dass einer, der so oft politisch totgesagt wurde, nun tatsächlich tot ist, will auch nicht in den Kopf. So wirkungsvoll hatte Jörg Haider das Selbstbild seiner frühen politischen Erfolge gepflegt, kaum alternd, generationstypisch daueradoleszent, flexibel bis hin zum Widerspruch, zu Provokationen nach wie vor geneigt.

    Bis zuletzt und auf die Gefahr der Lächerlichkeit hin hatte Jörg Haider den Ortstafelstreit in Kärntner Gemeinden in Schwung gehalten. Selber Jurist, setzte er sich über das Recht hinweg, in jener Mischung aus Narzissmus und Berechnung, mit der manche starke Persönlichkeit in der Politik sich selbst zur Ausnahme erklärt, und das dürfte Geschwindigkeitslimits erst recht betreffen.

    Kein Bilderverbot konnte in den 80er Jahren seinen Aufstieg stoppen - die linksintellektuelle Zeitschrift "Falter" hatte lange versucht, Haiders auf die Selbstverstärkung medialer Wirksamkeit gegründete Strategie auszutrocknen, und keine Fotos von ihm gedruckt. Wenn dieses konsequente Ignorieren seiner physischen Ausstrahlung überhaupt ein erfolgversprechendes Konzept war, dann jedenfalls mit der falschen Zielgruppe.

    Haiders Adressaten lasen ja keinen "Falter". Sie waren eher Leute, die in den auskömmlichen, aber schmalen Lebensverhältnissen des Gewerkschaftsstaats das Gemauschel der großen Parteien missvergnügt verfolgten, die ihre zukunftsdüsteren Gespräche mit einem "Da kann mer nix moch’n" abschlossen - ständig die nächste Preissteigerung, den nächsten Wohnungseinbruch, die Jugomafia und die Überfremdung gewärtigend, verzweifelnd am beschleunigten Weltgefühl, das ihre alten Sicherheiten durcheinanderbrachte.

    Für das Lebensgefühl der Übervorteilten und Frustrierten brachte Jörg Haider ein Sensorium mit: Er war das Kind einer ausgesprochenen Opferfamilie. Beide Eltern waren frühe und aktive Nazis gewesen, und wie viele seiner Gesinnungsgenossen wurde der Vater nach dem Krieg im Lager Glasenbach interniert, die Mutter, ehemalige Bannjugendführerin, brachte die Familie mühsam durch. Der kleine Jörg Haider wuchs in einem nostalgischen Milieu auf, geprägt einerseits vom Kärntner Abwehrkampf gegen die Slowenen und vom traditionellen Antisemitismus, dessen Grundhaltung breite Bevölkerungsschichten nahestanden.

    Geprägt andererseits vom Leiden der mit ein paar Jahren Berufs- und Wahlverbot belegten Eltern und ihrer Freunde, derer also, die 1949 den Verband der Unabhängigen gründeten, Vorläufer der FPÖ. Während in Deutschland die 68er Generation ihre Eltern als Verdränger und Verschweiger angriff, während auch in Österreich junge Menschen sich gegen die starke Subkultur der Unverbesserlichen warfen, benötigte Jörg Haider nicht die Ablösung von der Wertewelt der Alten.

    Haider, schrieb einmal die Publizistin Christa Zöchling, fand die Identifikation mit dem Widerstand bei sich zuhaus: Eltern, die zwischen 1934 und 38 in der Illegalität gekämpft hatten. Es ist kein Zufall, dass auch die Psychoanalyse im Erfolg Jörg Haiders Aufschlüsse suchte für die Forschungsarbeit an totalitären Einstellungen.

    Jörg Haider wollte immer jung bleiben. Er ist gestorben, bevor er alt werden konnte, auf eine Weise, die sein Politikerleben metaphorisch abbildet und die, wie für jeden Menschen, eine besondere Tragödie ist.