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Der Kalte Krieg ist vorbei

Das Verhältnis zwischen Moskau und dem Westen ist auch über 20 Jahre nach dem Kalten Krieg frostig. Sicherheitsexperten fordern einen Neuanfang der Beziehungen. US-Präsident Obama sollte den ersten Schritt machen, sagt Wolfgang Ischinger.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: In Berlin beginnt heute der European Defence Summit, der europäische Verteidigungsgipfel. Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft denken gemeinsam über die Entwicklung europäischer Sicherheit nach. Zum Auftakt heute Abend werden Tom Enders sprechen, der Vorstandsvorsitzende des Luftfahrtkonzerns EADS, und der ehemalige französische Premierminister Francois Fillon. Und wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann ist das durchaus beabsichtigt, denn Ähnliches geschieht mit globaler Zielrichtung alle Jahre wieder bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Den europäischen Verteidigungsgipfel kann man insofern als Zwischenkonferenz bezeichnen. Eingeladen hat unter anderen der Spitzendiplomat Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Guten Morgen!

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Ischinger, Sie haben zusammen mit jeweils einem russischen, US-amerikanischen und britischen Sicherheitsfachmann einen Bericht über gemeinsame Sicherheit im euroatlantischen Raum verfasst, in dem Sie Politiker daran erinnern, dass der Kalte Krieg seit 20 Jahren beendet ist. Wer hat dieses Ende verschlafen?

    Ischinger: Es ist leider nicht wirklich erfolgreich gelungen, den Kalten Krieg, nachdem er sozusagen auf dem erfreulicherweise nicht mehr vorhandenen Schlachtfeld ausgerottet werden konnte, auch aus den Köpfen zu vertreiben. Ich glaube nicht, dass das ein deutsches Problem ist, aber es ist jedenfalls nach unserer gemeinsamen Analyse, amerikanischen, europäischen, russischen Analyse, durchaus ein Problem in den Köpfen, in einigen Köpfen, sagen wir mal, in Washington, in Moskau erst recht und vielleicht auch noch an anderen Orten. Also es geht darum, das Denken in Kategorien des Kalten Krieges, das Denken in den sogenannten Kategorien von Nullsummenspielen, aus den Köpfen zu verdrängen. Und wir sehen das ja nicht nur in rein militärischen Fragestellungen; wir sehen es ja auch, wenn ich mal ein aktuelles Beispiel nennen darf, an der Unfähigkeit zwischen West und Ost, auch heute im Jahr 2013 zu einem Problem, so ein drängendes, humanitäres, wirklich schreckliches Problem wie die Syrien-Krise gemeinsam anzupacken.

    Heinemann: Welcher Denkhilfe bedarf es da?

    Ischinger: Es bedarf eines Anstoßes aus unserer Sicht – das ist der Kernpunkt dieses Berichts -, eines Neuanfangs von oben. Wir haben ja vor vier Jahren den sogenannten Reset erlebt zwischen Washington und Moskau im Bereich der nuklearen Rüstungskontrolle. Das war ja immerhin insoweit erfolgreich, als es zu einem neuen Rüstungskontrollabkommen führte.

    Heinemann: New START!

    Ischinger: Das New START Abkommen. Es hat drei Jahre gedauert, bis es dann schließlich umgesetzt werden konnte. Wir brauchen einen solchen Neuanfang, einen Reset. Das wird nur gehen – ich nenne hier die richtigen Namen, glaube ich -, wenn Obama auf der einen Seite und Putin (man wird ja sehen, ob der zu so was imstande ist) sich gemeinsam mit anderen Führern dazu bekennen, ein solches neues Denken zwischen West und Ost anzupacken. Ich gebe zu: Der Zeitpunkt heute klingt nicht gerade ideal für einen solchen Neuanfang. Aber es gibt nun hier keine Veranlassung zu warten, bis die Sonne wieder scheint zwischen West und Ost. Deswegen haben wir diesen drängenden Bericht gemeinsam geschrieben.

    Heinemann: Sie haben den Wetterbericht angesprochen, wir wollen mal das Bild aufgreifen. Das Verhältnis zwischen USA und NATO zu Russland ist eher frostig, und warum das aus russischer Sicht so ist, das hat bei uns im Deutschlandfunk in einer Diskussionssendung mal recht ausführlich der ehemalige SPD-Verteidigungsstaatssekretär Walther Stützle erklärt.

    O-Ton Walther Stützle: "Wenn ich in Moskau säße und hätte für den Staats- und Regierungschef oder für den Ministerpräsidenten Medwedew und den Präsidenten Putin aufzuschreiben, was denn die russische Bilanz ist seit 1990, dann müsste ich ihm sagen: Die NATO hat euch versprochen, sich nicht auszudehnen bis an die russische Grenze; sie hat das Wort gebrochen. Die NATO hat den Kosovo-Krieg geführt, wir haben geholfen, ihn zu beenden - das waren Ahtisaari und Tschernomyrdin -, anschließend haben sie den Kosovo unter sehr fragwürdigen völkerrechtlichen Spielregeln zum Staat erklärt. In Afghanistan haben sie ein Mandat gehabt, um dort eigene Sicherheitskräfte aufzubauen. Dem haben wir zugestimmt. Was ist geschehen? Sie haben einen Krieg geführt. In Irak haben sie eine Wüstenei hinterlassen und wir haben eine unklare Regierungssituation in Irak. In Libyen haben wir ihnen zusammen mit den Chinesen durch die Enthaltung im Sicherheitsrat möglich gemacht einzugreifen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Was haben sie gemacht? Sie sind in einen Bürgerkrieg eingestiegen und haben den Mörder Gaddafi ermordet, statt ihn vor den Strafgerichtshof zu bringen. Und in der Raketenabwehr haben sie uns vor zehn Jahren schon unter Clinton versprochen, dass wir das gemeinsam machen. Und was machen sie? Sie machen es allein, weil sie Bedingungen stellen, die für niemanden erfüllbar sind auf der russischen Seite. Das heißt, Syrien ist unser letzter strategischer Punkt im Nahen Osten und wir können den nicht räumen. Mal ganz abgesehen davon, dass wir nicht zulassen können, so würde ich ihm aufschreiben, wenn ich sein Mitarbeiter wäre, dass die Vereinigten Staaten gemeinsam mit Israel im Nahen Osten alleine bestimmen, was sich tut."

    Heinemann: …, sagt Walther Stützle. – Herr Ischinger, ist diese Düpierung Russlands Taktik oder Blödheit?

    Ischinger: Also sie existiert garantiert. Insoweit hat Walther Stützle recht. Bei einigen der einzelnen Argumente würde ich da so einige Fragezeichen machen. Aber er hat natürlich recht: In den Köpfen russischer Führungspersonen, russischer hoher Offiziere ist genau dieses umfassende Frustrationsgefühl vorherrschend. Und man kann nun nicht sagen, das ist nur die Schuld des Westens. Ich glaube, das wäre ganz falsch. Natürlich gibt es hier enorme Versäumnisse auch und gerade auf russischer Seite. Aber ich glaube, wir müssen uns da tatsächlich auch ein kleines bisschen selbst an die Nase fassen und erkennen, dass dieser Frust existiert, und überlegen, was könnte man denn sinnvollerweise dagegen tun.

    Heinemann: Was denn?

    Ischinger: Na ja, wie gesagt: das New START Abkommen im nuklearen Rüstungskontrollbereich war ein sinnvoller Anfang. Aber mit Vertrauen, mit dem Abbau von Misstrauen und mit dem Aufbau von Vertrauen ist das ja so eine Sache in der internationalen Politik. Verlieren kann man Vertrauen innerhalb von Sekunden, Aufbauen ist schwer. Das geht nicht über Sonntagsreden. Das russische Vertrauen in den Westen und umgekehrt wird nicht dadurch wachsen, dass man sich gegenseitig gute Absichten ankündigt, sondern es geht eigentlich nur durch konkrete Zusammenarbeit im Einzelnen.

    Heinemann: Entschuldigung! Sie werben für eine Sicherheitspartnerschaft. Wie weit ginge die?

    Ischinger: Wir haben ja einen gewissen Rückschritt erlebt, nicht wahr. Schon in den 90er-Jahren wurde über die Frage diskutiert, sollte man und wenn ja, unter welchen Umständen, die Tür zur NATO Russland gegenüber öffnen. Da gab es sehr unterschiedliche Meinungen, aber zumindest wurde das diskutiert. Heute sind wir in einer Lage, in der man dieses Thema eigentlich mit unseren russischen Partnern gar nicht mehr sinnvoll ansprechen kann. Das hält man in Moskau für ein Nichtthema. Die Dinge haben sich verhärtet. Wir brauchen also konkrete Formen der Zusammenarbeit. Ob das in Afghanistan ist, ob das bei der Terrorbekämpfung ist, ob das bei anderen Krisen ist, ob es bei der Raketenabwehr ist, wo ich der Meinung bin, das wäre eine riesige Chance gewesen, hier tatsächlich ein gemeinsames Programm zwischen West und Ost zu entwickeln, darum geht es: konkrete Zusammenarbeitsfelder zu erschließen.

    Heinemann: Mit dem Fernziel einer NATO-Mitgliedschaft Russlands?

    Ischinger: Ich will mich nicht für eine NATO-Mitgliedschaft Russlands aussprechen, aber ich möchte mich dafür aussprechen, dass wir zurückkehren zu dem ursprünglichen Ansatz, der unter der Regierung von Helmut Kohl bei uns vertreten wurde, nämlich dass man die Aktivitäten der NATO, damals die beginnende NATO-Erweiterung, so durchführt, dass dies für Russland akzeptabel und erträglich ist. Wir haben damals, nicht zuletzt auf deutsches Drängen, parallel zu den ersten NATO-Erweiterungsschritten den sogenannten NATO-Russland-Rat gegründet. Das war der Versuch, diese Entwicklung auf zwei gleichgewichtige Pfeiler zu stützen, also die NATO zu erweitern, unseren polnischen Nachbarn und anderen entgegenzukommen, die in die NATO drängten, ohne aber das Verhältnis zu Moskau dadurch zu belasten. Das ist auch heute noch eigentlich ein sinnvolles Ziel, dem sind wir leider in den letzten Jahren nicht nähergekommen.

    Heinemann: Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, zum heute beginnenden European Defence Summit, des europäischen Verteidigungsgipfels. Herr Ischinger, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Ischinger: Vielen Dank, Herr Heinemann. Auf Wiederhören.


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