Es wird ein spannendes Tarifjahr 2012. In den kommenden Monaten müssen neue Tarifverträge für mehr als neu Millionen Arbeitnehmer abgeschlossen werden. Ende Februar laufen die Verträge für die fast zwei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen aus. Am 31. März enden die Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie mit ihren mehr als 3,6 Millionen Mitarbeitern. Und je nach Region sind die Laufzeiten der Verträge in der Chemischen Industrie Ende Mai oder Ende Juni vorbei; 550.000 Beschäftigte arbeiten in diesem Wirtschaftszweig. Hinzu kommen weitere Tarifrunden von Bedeutung, auf die man entweder wegen der stattlichen Zahl an Beschäftigten - wie im Hotel- und Gaststättengewerbe oder bei den Banken - oder wegen ihrer Signalwirkung, wie beim Haustarifvertrag des Autobauers Volkswagen, blicken wird.
Doch die Schwergewichte im Verhandlungskalender der Sozialpartner sind der Öffentliche Dienst und die Metall- und Elektroindustrie. Morgen wird der IG Metall-Vorstand in Frankfurt seine Forderungsempfehlung für die ab März anstehenden Verhandlungen aussprechen. Wie es heißt, will der Vorstand seinen Tarifkommissionen empfehlen, bundesweit 6,5 Prozent mehr Lohn einzufordern. Diese Zahl entspricht den Erwartungen in den sieben IG Metall-Bezirken.
Die Bundestarifkommission von Ver.di will dann am Donnerstag ihre Forderungen für die Verhandlungen im Öffentlichen Dienst bekanntgeben. Für die Beschäftigten im Staatsdienst sollen nachhaltige Lohnerhöhungen von mindestens 6,1 bis 7 Prozent verlangt werden. Die erste Verhandlungsrunde wird am 01. März in Potsdam stattfinden.
Interessant ist das Tarifjahr 2012 aber nicht nur wegen der hohen Zahl an Arbeitnehmern, die von Lohnerhöhungen profitieren wollen und sollen. Für Konfliktpotenzial sorgen werden auch die äußeren Umstände, unter denen die Verhandlungen in diesem Jahr stattfinden, meint der Tarifexperte des arbeitgebernahen Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, Hagen Lesch:
"Für mich ist das Spannende, dass die Tarifparteien wieder den Konflikt lösen müssen zwischen hohen Erwartungen aufseiten der Arbeitnehmer und Gewerkschaften aufgrund eines sehr erfolgreichen Konjunkturverlaufs im letzten Jahr und eben der Tatsache, dass die Konjunktur jetzt einen kräftigen Dämpfer bekommen haben und Unternehmen auf diesen Dämpfer hinweisen und für maßvolle Tarifabschlüsse plädieren."
Denn die Tarifpartner verhandeln in ein schwächelndes Wirtschaftswachstum hinein. Die meisten Wachstumsprognosen liegen mittlerweile nur mehr unter einem Prozentpunkt. Lange hielten sich deshalb auch die Strategen im Gewerkschaftslager zurück mit konkreten Lohnforderungen. Sie wollten bis zuletzt abschätzen, wohin wirtschaftlich in diesem Jahr die Reise für Deutschland geht. Für Berthold Huber, den mächtigen Chef der IG Metall, sind die wirtschaftlichen Unsicherheiten groß:
"Nach einem für die deutsche Wirtschaft bemerkenswert gutem Jahr, wird das Jahr 2012 vor allem in der ersten Hälfte nach allen Prognosen und unserer eigenen Einschätzung von einer nachlassenden wirtschaftlichen Entwicklung geprägt sein. Die wirtschaftliche Entwicklung war und ist sehr volatil. Ich bin mir sehr sicher, dass diese starken Unsicherheiten mit diesem steten Auf und Ab in den Entwicklungen uns auf Jahre hinaus begleiten werden."
Keine einfache Aufgabe also, in solchen Zeiten Tarifpolitik zu machen, die - abhängig von der Laufzeit eines Tarifabschlusses - einem Zeitraum von ein bis zwei Jahre vorausgreifen soll.
"Wir fahren auf Sicht"..."
...meint denn auch Berthold Huber, der in den Jahren 2008 und 2010 so seine ganz persönlichen Erfahrungen mit unerwarteten Konjunktureinbrüchen machen musste, denn die Wirtschaftskrise verhagelte die beiden letzten Tarifabschlüsse in der Metall- und Elektrobranche.
""Wir haben 2008, als die Konjunktur ganz oben war, mit einer Forderung von acht Prozent, nachdem die Konjunktur innerhalb von drei, vier Wochen, die Auftragssituation eingebrochen ist ohne Ende - wir hatten ja schlagartige Einbrüche - hatten wir ein relativ gutes Ergebnis erzielt mit zwei Mal 2,1 - 4,2 - Prozent. Und niemand hat ja gesehen, dass das innerhalb von Wochen so schlagartig einbricht. Da war nur eine Ahnung da im Oktober, November 2008. Damit ist die Produktivität eingebrochen, wie sie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg, also 1948ff, eingebrochen ist. Wir hatten einen Einbruch von über 18 Prozent in der Metall- und Elektroindustrie - in der Produktivität."
Das alles soll 2012 anders werden. Nicht zuletzt deshalb, weil die IG Metall und mit ihr Vorsitzender gestärkt aus der Krise hervorgegangen sind: Es gab in der Metall- und Elektroindustrie weder 2008 noch 2010 große Massenentlassungen - dank verlängerter Kurzarbeit und der Umwelt- beziehungsweise Abwrackprämie für den Neukauf eines Autos. In den Jahren 1993 und 1994 - bei der vorletzten großen Krise in der Metall- und Elektroindustrie - sah das noch ganz anders aus: Eine Million Arbeitsplätze gingen damals verloren. Heute dagegen ist die IG Metall als Organisation so stark wie schon lange nicht mehr.
Ende Dezember hatte die IG Metall rund 6000 Mitglieder mehr als im Jahr zuvor. Insgesamt zählt man heute 2,2 Millionen organisierte Metaller. Auch deren Selbstbewusstsein ist gewachsen.
Deshalb soll das Tarifjahr 2012 für die IG Metall auch zu einem Erfolg werden. Am 24. Februar will die Gewerkschaft ihre endgültige Forderung bekannt geben. Und die wird nicht geringer ausfallen als die 6,5 Prozent, die jetzt schon im Raum stehen. Denn die Bilanzzahlen der Unternehmen fallen mehrheitlich gut aus. 2011 war ein Boomjahr für die elektro- und Metallverarbeitende Industrie. Das gilt ganz besonders für die Großen der Branche: Daimler, Audi, Siemens, Porsche und Bosch. Zählt man deren Beschäftigungszahlen zusammen, hat man schon etwa die Hälfte der Arbeitnehmer beschrieben, aber noch längst nicht die Hälfte der Betriebe. Trotzdem: Ein ordentlicher "Schluck aus der Pulle" ist für IG-Metall-Chef Berthold Huber eine ausgemachte Sache:
"2011 war ein überaus erfolgreiches Jahr in der Elektro- und Metallindustrie. Das zeigt sich in den glänzenden Jahresabschlüssen für 2011. Dieses Ergebnis kennen auch die Belegschaften, die diesen Erfolg in der Metall- und Elektroindustrie erst möglich gemacht haben. Die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie haben eine faire Einkommenserhöhung redlich verdient."
Und deshalb warnt der einflussreiche Gewerkschaftsboss auch:
"Wer keinen fairen Abschluss haben will, wird eine Nachschlagsdebatte kriegen."
Eine Nachschlagsdebatte - also ein Blick zurück auf ein gutes Jahr angesichts künftiger Unsicherheiten - für Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft ist das keine Basis für vernünftige Tarifverhandlungen.
"Die Arbeitgeber haben aber gute Argumente, glaube ich, um dieser Nachschlagsdebatte etwas entgegnen zu können, denn wir haben ja, als wir den Konjunktureinbruch hatten - 2009 und auch 2010 - eigentlich eine Tariflohndynamik gehabt, die gar nicht zur Konjunktur passte. Die Tariflöhne sind damals gestiegen, auch die Effektivverdienste sind gestiegen, während das reale Wachstum schrumpfte. Und da haben auch nicht die Arbeitgeber gesagt in der nächsten Tarifrunde, wir müssen jetzt eigentlich die Löhne kürzen, weil es so schlecht war. (...) Das zeigt auch, dass man mit diesen Nachschlagsdebatten vorsichtig umgehen muss. Das geht einmal in diese Richtung, einmal in die andere Richtung."
Dabei heizt die Euroschuldenkrise die Debatte über den Spielraum für Lohnerhöhungen zusätzlich an. Denn Huber bekommt auch Unterstützung aus der Wissenschaft. "Gerade wegen der Eurokrise wäre es volkswirtschaftlicher Unsinn, zur Lohnzurückhaltung aufzurufen", meint etwa Gerd Wagner, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin. Deutschland komme nur bei einer stärkeren Binnennachfrage einer ausgeglichenen Leistungsbilanz näher - und das würde mit dazu beitragen, aus der Eurokrise herauszukommen, so Wagner. Die jahrelang schwache Lohnentwicklung hierzulande habe "zu den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten beigetragen, die nun die Eurozone in die Krise gebracht haben", erklärt er wörtlich. Und der DIW-Vorstandsvorsitzende betont: "Man kann Griechenland zu Recht dafür kritisieren, dass das Land über seine Verhältnisse gelebt hat. Deutschland aber hat unter seinen Verhältnissen gelebt." Zitat Ende. Eine Meinung, die Hagen Lesch vom IW Köln ganz und gar nicht teilt:
"Nein, ich sehe wirklich nicht, warum wir unter unseren Möglichkeiten gelebt haben. Natürlich haben wir Lohnzurückhaltung gehabt, das heißt, für einen Arbeitsplatzbesitzer waren die Reallohnzuwächse gering - wir haben in der gesamten Wirtschaft in den letzten zehn Jahren praktisch keine Reallohnzuwächse gehabt - das sieht in der Industrie ganz anders aus als im Dienstleistungssektor, in der Metallindustrie hatten wir kräftige Reallohnzuwächse, in anderen Bereichen sogar schrumpfende. Nur: Man muss auch sehen, dass wir einen enormen Beschäftigungsaufbau gehabt haben, und ich sehe ehrlicherweise nicht mehr, wo die Lohnpolitik für die Konsumschwäche verantwortlich sein soll."
Denn die Gesprächspartner am Verhandlungstisch müssen nun einmal auch und in erster Linie nach vorne blicken. Dabei sind gerade die Industriebranchen Metall und Chemie enorm exportorientiert und damit abhängig von der Weltkonjunktur und der Wirtschaftslage in den Abnehmerländern. Angesichts der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise und der Schuldenprobleme in Europa und in den Vereinigten Staaten nehmen allerdings auch die Risiken weiter zu, die für die Entwicklung der Märkte von Bedeutung sind. Auch mögliche Finanzierungsengpässe bereiten den Unternehmen zunehmend Sorgen. Kann sich 2012 also das wiederholen, was im Jahr 2008 passiert war? Damals platzte mitten in die Tarifverhandlungen ein plötzlicher Wirtschaftsabschwung. Berthold Huber schüttelt mit dem Kopf, er glaubt nicht an ein ähnliches Szenario.
"Alle Aussagen, die wir aus den Betrieben haben, sagen: Wir kommen nicht wie 2008 in eine Situation, wo wir buchstäblich über Nacht - sprich: in 3 - 4 Wochen - die Konjunktur
zusammenbricht, die Aufträge wegbrechen, total. Alle Unternehmen sagen: Das wird nicht passieren. Wir haben ein stabiles Auftragspolster. Die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute sind zwar niedrig, bei einem niedrigen Plus, aber sie sind relativ stabil. Und auch der Sachverständigenrat sagt: 2008 wird 2012 nicht kommen."
Doch die Unwägbarkeiten sind da: je präsenter ein Unternehmen in der Welt, desto größer der Kreis der Konkurrenten. Wer international mithalten will, muss wettbewerbsfähig sein. Nicht nur in Sachen Qualität, sondern auch und gerade beim Preis. Der in die Insolvenz gerutschte Offenbacher Druckmaschinenhersteller Manroland und vor allem der massive Arbeitsplatzabbau bei Nokia-Siemens Networks sind die jüngsten Beispiele dafür, wie volatil - also flüchtig - die Weltwirtschaft ist. Nicht umsonst wird von Arbeitgeberseite stets betont, dass die Lohnzurückhaltung früherer Jahre jene Wettbewerbsfähigkeit erst ermöglicht hat, von der die deutsche Industrie heute profitiert - und mit ihr die gesamte Volkswirtschaft in der Eurozone.
Noch einmal Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln:
"Vor allem muss man auch sehen, dass wir mit der maßvollen Tarifpolitik gerade auch in der Exportwirtschaft dafür gesorgt haben, dass wir einen hohen Industriebeschäftigtenanteil haben. Der ist in Deutschland eine ganze Ecke höher als in Frankreich, ein Viertel höher als in Großbritannien. Das sichert uns aber auch gut bezahlte Arbeitsplätze, weil die Durchschnittsverdienste in der Industrie höher sind als in den meisten Dienstleistungssektoren. Und gut bezahlte Arbeitsplätze zu sichern heißt auch den Konsum zu stützen."
Wo also liegen Mitte und Maß für einen Tarifabschluss in unsicheren Zeiten? In Zeiten, in denen die heimische Wirtschaft - noch - boomt, die Weltwirtschaft aber voller Risiken ist? Wo Maß und Mitte liegen, ist bei einer momentan gut verdienenden Branche wie der Metall- und Elektroindustrie schon nicht ganz einfach zu sagen. Für den Öffentlichen Dienst aber ist es noch schwerer.
Für die 1,3 Millionen Tarifbeschäftigten bei Bund und Kommunen steht 2012 eine äußerst schwierige Gehaltsrunde bevor. Für die Länder wird erst wieder nächstes Jahr verhandelt. Ver.di und auch der Deutsche Beamtenbund dbb mit seiner Tarifunion drängen auf deutlich mehr Geld. Die Verdi-Bundestarifkommission wird am Donnerstag in Berlin ihre Forderung bekanntgeben. Unter dem Motto "Wir sind es wert" wird über eine Forderung nach einer Lohnerhöhung zwischen 6,1 und sieben Prozent plus einer sozialen Komponente spekuliert. Der Staat dürfe nicht nur Banken retten, sondern müsse auch etwas für die Beschäftigten und damit für das Wirtschaftswachstum tun, erklärte Verdi-Chef Frank Bsirske kämpferisch. Die Staatsdiener seien notfalls streikbereit. Dazu der Tarifexperte Hagen Lesch:
"Dass Ver.di streikfreudig ist, das wissen wir. Das haben sie in den letzten Jahren getan. Es ist aber auch bekannt, dass Ver.di eine ganz gut funktionierende Schlichtung hat, das heißt: Bevor es einen Arbeitskampf gibt, kann man einen Schlichter anrufen, der in der Vergangenheit immer sehr schnell einen Kompromiss gefunden hat. Während in der Metallindustrie die Schlichtung schwächer ist. In der Metallindustrie kann man nach Ablauf der Friedenspflicht, vier Wochen nach Ablauf des Tarifvertrags, losstreiken."
Keine einfache Situation. Im Jahr 2010 war ein Tarifabschluss erst nach einem Schlichterspruch zustande gekommen. Auch in diesem Jahr verweisen die Städte und Gemeinden auf leere Kassen und hohe Schulden. Der wirtschaftliche Aufschwung sei an ihnen vorbeigegangen, klagen sie. Eine Forderung nach bis zu sieben Prozent mehr Lohn und Gehalt würde mit sechs Milliarden Euro zu Buche schlagen, rechnet der Präsident der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände, Thomas Böhle, vor. Er ist der Verhandlungsführer der Kommunen und nennt die Forderung schlicht unrealistisch. Ein Arbeitgeberangebot wird es wohl trotzdem geben. Denn auch dem kommunalen Verhandlungsführer ist klar, dass eine Nullrunde nur schwer zu begründen sein wird, da die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst verständlicherweise eine Teilhabe am Aufschwung erwarten. Böhle warnt jedoch vor den Folgen der von Ver.di geforderten sozialen Komponente, also einem fixen Betrag für die unteren Gehaltsgruppen. Davon wären vor allem Entsorgungsbetriebe oder der Nahverkehr betroffen. Bereiche, in denen der Öffentliche Dienst in besonders scharfer Konkurrenz steht zu den privatwirtschaftlichen Betrieben, die ihrer Belegschaft schon jetzt bis zu 30 Prozent weniger an Lohn bezahlen. Einkommenszuwächse hier wären ein Signal für weitere Privatisierungen im öffentlichen Dienst, befürchtet der Verhandlungsführer der Kommunen.
Verdi-Chef Frank Bsirske hat harte Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern angekündigt: Nach zwei Jahren des Aufschwungs hätten die Beschäftigten Anspruch auf eine ordentliche Erhöhung ihrer Löhne und Gehälter. Verglichen mit der Metall- oder Chemieindustrie seien die Tarifeinkommen bei den öffentlich Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren deutlich weniger gestiegen. Seine Gewerkschaft sei auch zu Streikmaßnahmen bereit.
Peter Heesen, der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, äußerte sich Anfang Januar ähnlich auf der Jahrestagung seines Verbandes in Köln. Die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst hätten nicht nur ein Recht auf ihren Anteil am aktuellen Aufschwung, sagte er. Der Öffentliche Dienst stände zudem mit der freien Wirtschaft im Wettbewerb um guten Nachwuchs und Spitzenkräfte.
"Wir müssen wirklich auch gehaltlich mehr tun, um zukünftig junge Menschen für den Dienst an der Gemeinschaft zu gewinnen. Denn bedingt durch den seit 1993 betriebenen systematischen Stellenabbau haben wir im Öffentlichen Dienst in Deutschland ein Stadium erreicht, in dem die notwendige Leistungsfähigkeit des Dienstes insgesamt ernsthaft infrage gestellt ist. Da brauchen wir in Konkurrenz zu der freien Wirtschaft attraktivere Einstiegsgehälter. Dazu gehören auch deutlich höhere Anwärterbezüge und Ausbildungsvergütungen."
Und Heesen warnte eindringlich davor, den Staat kaputt zu sparen.
"Wir sind dabei, uns bis zur Handlungsunfähigkeit durchzusparen, nur weil wir meinen, wir brauchen einen schlanken Staat. Auch Menschen, die an Bulimie leiden, sind schlank. Aber die sind schlank und krank. Wollen wir wirklich eine Staatsbulimie?"
In Köln trafen Heesen und Verdi-Chef Bsirske übrigens auch zum ersten Mal auf Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, den neuen Verhandlungsführer der Arbeitgeber auf Bundesebene. Der CSU-Politiker warnte vor überzogenen Vorstellungen. Die Gewerkschaften müssten bei ihren Lohnforderungen "maßhalten", sagte er auf der DBB-Jahrestagung. Eine maßvolle Lohnpolitik habe gerade in der Krise einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität in Deutschland geleistet. So müsse es auch künftig sein.
"Ganz relevant schon am 1. März werden wir mit den Tarifverhandlungen von Bund und Kommunen beginnen, und ich halte es für sehr gut, wenn die Tarifparteien vor allem miteinander am Verhandlungstisch Lösungen suchen, über Lösungen reden und nicht schon im Vorfeld allzu viel übereinander."
Und der Bundesinnenminister warnte:
"Wir haben in den letzten Lohnrunden angemessene Ergebnisse gefunden, und ich bin sicher, dass wir das auch im März schaffen werden. Herr Bsirske nickt, Herr Heesen nickt. Also: Wir sind auf gutem Weg."
Ob die Tarifparteien wirklich bereits auf einem guten Weg sind? Noch bevor sie überhaupt am Verhandlungstisch Platz genommen haben. Die nächsten Wochen werden es zeigen. Bei den Metallern liegen die Trillerpfeifen und die roten IG Metallfahnen schon bereit. Und auch im Öffentlichen Dienst werden Straßenwärter und Kindergärtnerinnen für ihre Forderungen auf die Straße gehen.
Doch die Schwergewichte im Verhandlungskalender der Sozialpartner sind der Öffentliche Dienst und die Metall- und Elektroindustrie. Morgen wird der IG Metall-Vorstand in Frankfurt seine Forderungsempfehlung für die ab März anstehenden Verhandlungen aussprechen. Wie es heißt, will der Vorstand seinen Tarifkommissionen empfehlen, bundesweit 6,5 Prozent mehr Lohn einzufordern. Diese Zahl entspricht den Erwartungen in den sieben IG Metall-Bezirken.
Die Bundestarifkommission von Ver.di will dann am Donnerstag ihre Forderungen für die Verhandlungen im Öffentlichen Dienst bekanntgeben. Für die Beschäftigten im Staatsdienst sollen nachhaltige Lohnerhöhungen von mindestens 6,1 bis 7 Prozent verlangt werden. Die erste Verhandlungsrunde wird am 01. März in Potsdam stattfinden.
Interessant ist das Tarifjahr 2012 aber nicht nur wegen der hohen Zahl an Arbeitnehmern, die von Lohnerhöhungen profitieren wollen und sollen. Für Konfliktpotenzial sorgen werden auch die äußeren Umstände, unter denen die Verhandlungen in diesem Jahr stattfinden, meint der Tarifexperte des arbeitgebernahen Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, Hagen Lesch:
"Für mich ist das Spannende, dass die Tarifparteien wieder den Konflikt lösen müssen zwischen hohen Erwartungen aufseiten der Arbeitnehmer und Gewerkschaften aufgrund eines sehr erfolgreichen Konjunkturverlaufs im letzten Jahr und eben der Tatsache, dass die Konjunktur jetzt einen kräftigen Dämpfer bekommen haben und Unternehmen auf diesen Dämpfer hinweisen und für maßvolle Tarifabschlüsse plädieren."
Denn die Tarifpartner verhandeln in ein schwächelndes Wirtschaftswachstum hinein. Die meisten Wachstumsprognosen liegen mittlerweile nur mehr unter einem Prozentpunkt. Lange hielten sich deshalb auch die Strategen im Gewerkschaftslager zurück mit konkreten Lohnforderungen. Sie wollten bis zuletzt abschätzen, wohin wirtschaftlich in diesem Jahr die Reise für Deutschland geht. Für Berthold Huber, den mächtigen Chef der IG Metall, sind die wirtschaftlichen Unsicherheiten groß:
"Nach einem für die deutsche Wirtschaft bemerkenswert gutem Jahr, wird das Jahr 2012 vor allem in der ersten Hälfte nach allen Prognosen und unserer eigenen Einschätzung von einer nachlassenden wirtschaftlichen Entwicklung geprägt sein. Die wirtschaftliche Entwicklung war und ist sehr volatil. Ich bin mir sehr sicher, dass diese starken Unsicherheiten mit diesem steten Auf und Ab in den Entwicklungen uns auf Jahre hinaus begleiten werden."
Keine einfache Aufgabe also, in solchen Zeiten Tarifpolitik zu machen, die - abhängig von der Laufzeit eines Tarifabschlusses - einem Zeitraum von ein bis zwei Jahre vorausgreifen soll.
"Wir fahren auf Sicht"..."
...meint denn auch Berthold Huber, der in den Jahren 2008 und 2010 so seine ganz persönlichen Erfahrungen mit unerwarteten Konjunktureinbrüchen machen musste, denn die Wirtschaftskrise verhagelte die beiden letzten Tarifabschlüsse in der Metall- und Elektrobranche.
""Wir haben 2008, als die Konjunktur ganz oben war, mit einer Forderung von acht Prozent, nachdem die Konjunktur innerhalb von drei, vier Wochen, die Auftragssituation eingebrochen ist ohne Ende - wir hatten ja schlagartige Einbrüche - hatten wir ein relativ gutes Ergebnis erzielt mit zwei Mal 2,1 - 4,2 - Prozent. Und niemand hat ja gesehen, dass das innerhalb von Wochen so schlagartig einbricht. Da war nur eine Ahnung da im Oktober, November 2008. Damit ist die Produktivität eingebrochen, wie sie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg, also 1948ff, eingebrochen ist. Wir hatten einen Einbruch von über 18 Prozent in der Metall- und Elektroindustrie - in der Produktivität."
Das alles soll 2012 anders werden. Nicht zuletzt deshalb, weil die IG Metall und mit ihr Vorsitzender gestärkt aus der Krise hervorgegangen sind: Es gab in der Metall- und Elektroindustrie weder 2008 noch 2010 große Massenentlassungen - dank verlängerter Kurzarbeit und der Umwelt- beziehungsweise Abwrackprämie für den Neukauf eines Autos. In den Jahren 1993 und 1994 - bei der vorletzten großen Krise in der Metall- und Elektroindustrie - sah das noch ganz anders aus: Eine Million Arbeitsplätze gingen damals verloren. Heute dagegen ist die IG Metall als Organisation so stark wie schon lange nicht mehr.
Ende Dezember hatte die IG Metall rund 6000 Mitglieder mehr als im Jahr zuvor. Insgesamt zählt man heute 2,2 Millionen organisierte Metaller. Auch deren Selbstbewusstsein ist gewachsen.
Deshalb soll das Tarifjahr 2012 für die IG Metall auch zu einem Erfolg werden. Am 24. Februar will die Gewerkschaft ihre endgültige Forderung bekannt geben. Und die wird nicht geringer ausfallen als die 6,5 Prozent, die jetzt schon im Raum stehen. Denn die Bilanzzahlen der Unternehmen fallen mehrheitlich gut aus. 2011 war ein Boomjahr für die elektro- und Metallverarbeitende Industrie. Das gilt ganz besonders für die Großen der Branche: Daimler, Audi, Siemens, Porsche und Bosch. Zählt man deren Beschäftigungszahlen zusammen, hat man schon etwa die Hälfte der Arbeitnehmer beschrieben, aber noch längst nicht die Hälfte der Betriebe. Trotzdem: Ein ordentlicher "Schluck aus der Pulle" ist für IG-Metall-Chef Berthold Huber eine ausgemachte Sache:
"2011 war ein überaus erfolgreiches Jahr in der Elektro- und Metallindustrie. Das zeigt sich in den glänzenden Jahresabschlüssen für 2011. Dieses Ergebnis kennen auch die Belegschaften, die diesen Erfolg in der Metall- und Elektroindustrie erst möglich gemacht haben. Die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie haben eine faire Einkommenserhöhung redlich verdient."
Und deshalb warnt der einflussreiche Gewerkschaftsboss auch:
"Wer keinen fairen Abschluss haben will, wird eine Nachschlagsdebatte kriegen."
Eine Nachschlagsdebatte - also ein Blick zurück auf ein gutes Jahr angesichts künftiger Unsicherheiten - für Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft ist das keine Basis für vernünftige Tarifverhandlungen.
"Die Arbeitgeber haben aber gute Argumente, glaube ich, um dieser Nachschlagsdebatte etwas entgegnen zu können, denn wir haben ja, als wir den Konjunktureinbruch hatten - 2009 und auch 2010 - eigentlich eine Tariflohndynamik gehabt, die gar nicht zur Konjunktur passte. Die Tariflöhne sind damals gestiegen, auch die Effektivverdienste sind gestiegen, während das reale Wachstum schrumpfte. Und da haben auch nicht die Arbeitgeber gesagt in der nächsten Tarifrunde, wir müssen jetzt eigentlich die Löhne kürzen, weil es so schlecht war. (...) Das zeigt auch, dass man mit diesen Nachschlagsdebatten vorsichtig umgehen muss. Das geht einmal in diese Richtung, einmal in die andere Richtung."
Dabei heizt die Euroschuldenkrise die Debatte über den Spielraum für Lohnerhöhungen zusätzlich an. Denn Huber bekommt auch Unterstützung aus der Wissenschaft. "Gerade wegen der Eurokrise wäre es volkswirtschaftlicher Unsinn, zur Lohnzurückhaltung aufzurufen", meint etwa Gerd Wagner, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin. Deutschland komme nur bei einer stärkeren Binnennachfrage einer ausgeglichenen Leistungsbilanz näher - und das würde mit dazu beitragen, aus der Eurokrise herauszukommen, so Wagner. Die jahrelang schwache Lohnentwicklung hierzulande habe "zu den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten beigetragen, die nun die Eurozone in die Krise gebracht haben", erklärt er wörtlich. Und der DIW-Vorstandsvorsitzende betont: "Man kann Griechenland zu Recht dafür kritisieren, dass das Land über seine Verhältnisse gelebt hat. Deutschland aber hat unter seinen Verhältnissen gelebt." Zitat Ende. Eine Meinung, die Hagen Lesch vom IW Köln ganz und gar nicht teilt:
"Nein, ich sehe wirklich nicht, warum wir unter unseren Möglichkeiten gelebt haben. Natürlich haben wir Lohnzurückhaltung gehabt, das heißt, für einen Arbeitsplatzbesitzer waren die Reallohnzuwächse gering - wir haben in der gesamten Wirtschaft in den letzten zehn Jahren praktisch keine Reallohnzuwächse gehabt - das sieht in der Industrie ganz anders aus als im Dienstleistungssektor, in der Metallindustrie hatten wir kräftige Reallohnzuwächse, in anderen Bereichen sogar schrumpfende. Nur: Man muss auch sehen, dass wir einen enormen Beschäftigungsaufbau gehabt haben, und ich sehe ehrlicherweise nicht mehr, wo die Lohnpolitik für die Konsumschwäche verantwortlich sein soll."
Denn die Gesprächspartner am Verhandlungstisch müssen nun einmal auch und in erster Linie nach vorne blicken. Dabei sind gerade die Industriebranchen Metall und Chemie enorm exportorientiert und damit abhängig von der Weltkonjunktur und der Wirtschaftslage in den Abnehmerländern. Angesichts der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise und der Schuldenprobleme in Europa und in den Vereinigten Staaten nehmen allerdings auch die Risiken weiter zu, die für die Entwicklung der Märkte von Bedeutung sind. Auch mögliche Finanzierungsengpässe bereiten den Unternehmen zunehmend Sorgen. Kann sich 2012 also das wiederholen, was im Jahr 2008 passiert war? Damals platzte mitten in die Tarifverhandlungen ein plötzlicher Wirtschaftsabschwung. Berthold Huber schüttelt mit dem Kopf, er glaubt nicht an ein ähnliches Szenario.
"Alle Aussagen, die wir aus den Betrieben haben, sagen: Wir kommen nicht wie 2008 in eine Situation, wo wir buchstäblich über Nacht - sprich: in 3 - 4 Wochen - die Konjunktur
zusammenbricht, die Aufträge wegbrechen, total. Alle Unternehmen sagen: Das wird nicht passieren. Wir haben ein stabiles Auftragspolster. Die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute sind zwar niedrig, bei einem niedrigen Plus, aber sie sind relativ stabil. Und auch der Sachverständigenrat sagt: 2008 wird 2012 nicht kommen."
Doch die Unwägbarkeiten sind da: je präsenter ein Unternehmen in der Welt, desto größer der Kreis der Konkurrenten. Wer international mithalten will, muss wettbewerbsfähig sein. Nicht nur in Sachen Qualität, sondern auch und gerade beim Preis. Der in die Insolvenz gerutschte Offenbacher Druckmaschinenhersteller Manroland und vor allem der massive Arbeitsplatzabbau bei Nokia-Siemens Networks sind die jüngsten Beispiele dafür, wie volatil - also flüchtig - die Weltwirtschaft ist. Nicht umsonst wird von Arbeitgeberseite stets betont, dass die Lohnzurückhaltung früherer Jahre jene Wettbewerbsfähigkeit erst ermöglicht hat, von der die deutsche Industrie heute profitiert - und mit ihr die gesamte Volkswirtschaft in der Eurozone.
Noch einmal Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln:
"Vor allem muss man auch sehen, dass wir mit der maßvollen Tarifpolitik gerade auch in der Exportwirtschaft dafür gesorgt haben, dass wir einen hohen Industriebeschäftigtenanteil haben. Der ist in Deutschland eine ganze Ecke höher als in Frankreich, ein Viertel höher als in Großbritannien. Das sichert uns aber auch gut bezahlte Arbeitsplätze, weil die Durchschnittsverdienste in der Industrie höher sind als in den meisten Dienstleistungssektoren. Und gut bezahlte Arbeitsplätze zu sichern heißt auch den Konsum zu stützen."
Wo also liegen Mitte und Maß für einen Tarifabschluss in unsicheren Zeiten? In Zeiten, in denen die heimische Wirtschaft - noch - boomt, die Weltwirtschaft aber voller Risiken ist? Wo Maß und Mitte liegen, ist bei einer momentan gut verdienenden Branche wie der Metall- und Elektroindustrie schon nicht ganz einfach zu sagen. Für den Öffentlichen Dienst aber ist es noch schwerer.
Für die 1,3 Millionen Tarifbeschäftigten bei Bund und Kommunen steht 2012 eine äußerst schwierige Gehaltsrunde bevor. Für die Länder wird erst wieder nächstes Jahr verhandelt. Ver.di und auch der Deutsche Beamtenbund dbb mit seiner Tarifunion drängen auf deutlich mehr Geld. Die Verdi-Bundestarifkommission wird am Donnerstag in Berlin ihre Forderung bekanntgeben. Unter dem Motto "Wir sind es wert" wird über eine Forderung nach einer Lohnerhöhung zwischen 6,1 und sieben Prozent plus einer sozialen Komponente spekuliert. Der Staat dürfe nicht nur Banken retten, sondern müsse auch etwas für die Beschäftigten und damit für das Wirtschaftswachstum tun, erklärte Verdi-Chef Frank Bsirske kämpferisch. Die Staatsdiener seien notfalls streikbereit. Dazu der Tarifexperte Hagen Lesch:
"Dass Ver.di streikfreudig ist, das wissen wir. Das haben sie in den letzten Jahren getan. Es ist aber auch bekannt, dass Ver.di eine ganz gut funktionierende Schlichtung hat, das heißt: Bevor es einen Arbeitskampf gibt, kann man einen Schlichter anrufen, der in der Vergangenheit immer sehr schnell einen Kompromiss gefunden hat. Während in der Metallindustrie die Schlichtung schwächer ist. In der Metallindustrie kann man nach Ablauf der Friedenspflicht, vier Wochen nach Ablauf des Tarifvertrags, losstreiken."
Keine einfache Situation. Im Jahr 2010 war ein Tarifabschluss erst nach einem Schlichterspruch zustande gekommen. Auch in diesem Jahr verweisen die Städte und Gemeinden auf leere Kassen und hohe Schulden. Der wirtschaftliche Aufschwung sei an ihnen vorbeigegangen, klagen sie. Eine Forderung nach bis zu sieben Prozent mehr Lohn und Gehalt würde mit sechs Milliarden Euro zu Buche schlagen, rechnet der Präsident der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände, Thomas Böhle, vor. Er ist der Verhandlungsführer der Kommunen und nennt die Forderung schlicht unrealistisch. Ein Arbeitgeberangebot wird es wohl trotzdem geben. Denn auch dem kommunalen Verhandlungsführer ist klar, dass eine Nullrunde nur schwer zu begründen sein wird, da die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst verständlicherweise eine Teilhabe am Aufschwung erwarten. Böhle warnt jedoch vor den Folgen der von Ver.di geforderten sozialen Komponente, also einem fixen Betrag für die unteren Gehaltsgruppen. Davon wären vor allem Entsorgungsbetriebe oder der Nahverkehr betroffen. Bereiche, in denen der Öffentliche Dienst in besonders scharfer Konkurrenz steht zu den privatwirtschaftlichen Betrieben, die ihrer Belegschaft schon jetzt bis zu 30 Prozent weniger an Lohn bezahlen. Einkommenszuwächse hier wären ein Signal für weitere Privatisierungen im öffentlichen Dienst, befürchtet der Verhandlungsführer der Kommunen.
Verdi-Chef Frank Bsirske hat harte Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern angekündigt: Nach zwei Jahren des Aufschwungs hätten die Beschäftigten Anspruch auf eine ordentliche Erhöhung ihrer Löhne und Gehälter. Verglichen mit der Metall- oder Chemieindustrie seien die Tarifeinkommen bei den öffentlich Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren deutlich weniger gestiegen. Seine Gewerkschaft sei auch zu Streikmaßnahmen bereit.
Peter Heesen, der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, äußerte sich Anfang Januar ähnlich auf der Jahrestagung seines Verbandes in Köln. Die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst hätten nicht nur ein Recht auf ihren Anteil am aktuellen Aufschwung, sagte er. Der Öffentliche Dienst stände zudem mit der freien Wirtschaft im Wettbewerb um guten Nachwuchs und Spitzenkräfte.
"Wir müssen wirklich auch gehaltlich mehr tun, um zukünftig junge Menschen für den Dienst an der Gemeinschaft zu gewinnen. Denn bedingt durch den seit 1993 betriebenen systematischen Stellenabbau haben wir im Öffentlichen Dienst in Deutschland ein Stadium erreicht, in dem die notwendige Leistungsfähigkeit des Dienstes insgesamt ernsthaft infrage gestellt ist. Da brauchen wir in Konkurrenz zu der freien Wirtschaft attraktivere Einstiegsgehälter. Dazu gehören auch deutlich höhere Anwärterbezüge und Ausbildungsvergütungen."
Und Heesen warnte eindringlich davor, den Staat kaputt zu sparen.
"Wir sind dabei, uns bis zur Handlungsunfähigkeit durchzusparen, nur weil wir meinen, wir brauchen einen schlanken Staat. Auch Menschen, die an Bulimie leiden, sind schlank. Aber die sind schlank und krank. Wollen wir wirklich eine Staatsbulimie?"
In Köln trafen Heesen und Verdi-Chef Bsirske übrigens auch zum ersten Mal auf Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, den neuen Verhandlungsführer der Arbeitgeber auf Bundesebene. Der CSU-Politiker warnte vor überzogenen Vorstellungen. Die Gewerkschaften müssten bei ihren Lohnforderungen "maßhalten", sagte er auf der DBB-Jahrestagung. Eine maßvolle Lohnpolitik habe gerade in der Krise einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität in Deutschland geleistet. So müsse es auch künftig sein.
"Ganz relevant schon am 1. März werden wir mit den Tarifverhandlungen von Bund und Kommunen beginnen, und ich halte es für sehr gut, wenn die Tarifparteien vor allem miteinander am Verhandlungstisch Lösungen suchen, über Lösungen reden und nicht schon im Vorfeld allzu viel übereinander."
Und der Bundesinnenminister warnte:
"Wir haben in den letzten Lohnrunden angemessene Ergebnisse gefunden, und ich bin sicher, dass wir das auch im März schaffen werden. Herr Bsirske nickt, Herr Heesen nickt. Also: Wir sind auf gutem Weg."
Ob die Tarifparteien wirklich bereits auf einem guten Weg sind? Noch bevor sie überhaupt am Verhandlungstisch Platz genommen haben. Die nächsten Wochen werden es zeigen. Bei den Metallern liegen die Trillerpfeifen und die roten IG Metallfahnen schon bereit. Und auch im Öffentlichen Dienst werden Straßenwärter und Kindergärtnerinnen für ihre Forderungen auf die Straße gehen.