Der Kampf und der Gegner

Meine Lieben!

Von Doris Simon |
    Ihr werdet erstaunt sein, dass ich Euch immer noch von Stalingrad schreibe. Aber das Ende kommt und kommt nicht. Das hätte niemand geglaubt, dass die Russen hier so standhalten würden. Wir sind schon den ganzen Morgen am Schießen und unterstützen unsere Infanteristen vor uns in Spartakowka und Rynok im Häuserkampf. Im ersten Stock sind die unseren + im 2. die Russen. So ist das bald hier. Die Schützen machen hier wirklich was mit.

    Der Fahnenjunker Werner Karl Ehling im Oktober 1942. Zweieinhalb Monate später wird Ehling als vermisst gemeldet. Der Bericht des Funkers Heinrich Becker vermittelt die Frustration vieler Soldaten:

    Wir sind noch in Stalingrad am kämpfen, es nimmt und nimmt kein Ende. Die Stadt ist restlos zerstört, aber um jeden Schutthaufen und jeden Häuserrest muss gekämpft werden, die Schwierigkeiten sind unbeschreiblich, und man kann sich einen solchen Kampf nicht vorstellen, wenn man ihn nicht selbst erlebt hat.

    Heinrich Becker stirbt 1944 an den Folgen einer Verletzung in Rostock. Immer deutlicher wird die Verwunderung der Soldaten über einen Gegner, der über schier unendliches Reserven an Waffen zu verfügen scheint. Der Obergefreite Karl Bühler.

    Was hat doch der Russe uns an schweren Waffen alles gegenüberstehen: Stalinorgeln, leichte und schwere Granatwerfer, leichte und schwere Artillerie, die Ratsch-bum-Geschütze, nicht zu vergessen die Panzer und zuletzt die sowjetische Luftwaffe. Unglaublich ist der Feuerzauber, wenn er aus allen Rohren schießt. Die nächtlichen Störflüge der Sowjetbomber sind unsere derzeitigen schlimmsten Gegner. Ewig werde ich an die ohrenschmerzenden Detonationen der Bomben und Granaten denken, sofern ich das Glück habe, gesund aus all diesen Kämpfen zurückzukommen, zu Euch in die Heimat.

    Bühler wird im Januar 1943 vermißt gemeldet, ebenso wie der Gefreite August Stolze:

    An manchen Tagen erscheinen die Russen 3 bis 4 mal mit ihren schweren Panzern, gegen die wir mit unseren Panzern kaum etwas machen können. Die Panzer fahren auf unsere Schützenstellungen, walzen Bunker und Drahthindernisse nieder, schießen aus allen Rohren, und schon sind die russischen Infantristen in unseren Stellungen.

    Gerüchte über das Kriegsgeschehen an anderen Fronten machen die Runde. Der Feldpostinspektor Theodor Pausch notiert:

    In der Schweiz sollen von Papen und Molotow über die Waffenstillstandsbedingungen unterhandeln. Die letzte Nacht war merkwürdig ruhig, da glaubten unschuldige Gemüter schon, es wäre der Krieg mit Russland schon aus. Heute am Tag sind aber die Stukas geflogen wie immer und der russische Aufklärer war auch da... Es gingen doch alle Soldaten so gerne heim! Vor allem die aus dieser Gegend, die die meisten furchtbar öde und hässlich finden, und wo die Aussicht besteht, dass wir den ganzen Winter keine Ruhe finden.

    Auch Theodor Pausch kehrt nicht mehr zu seiner Familie zurück. Er bleibt in Russland vermisst, wie auch der Obergefreite Erwin Guhl. Er schreibt Wochen vorher über die Ausrüstung des Gegners:

    Der Russe hat scheinbar wieder Nachschub bekommen vom Amerikaner, weil er wieder Panzer u. Flieger zeigt. Das kann man schon merken, wenn er wieder etwas bekommen hat, dann steigen gleich wieder Großangriffe u. Durchbruchversuche, so stark wie im letzten Winter wird es aber hoffentlich nicht werden. Wir wollen mal hoffen, dass alles gut vorbei gehen wird u. dass der Krieg bald zu Ende geht.

    Der Russe macht seine üblichen Angriffe, wird abgeschlagen und (man) hat dann nicht seine Ruhe. Man muss sich wundern, dass er immer seine Leute trotz der starken Verluste noch immer verheizt. Das Menschenleben spielt bei ihm aber nicht die geringste Rolle. Es wird immer wieder versucht, wenn nicht mal der geringste Erfolg zu erwarten ist. Nach unseren Begriffen eine völlig unmögliche Auffassung.

    Oberst Friedrich Meyer. Er stirbt später in der Kriegsgefangenschaft. - Die extreme Anspannung und Belastung spiegelt sich immer deutlicher in den Briefen nach Hause wider. Der Gefreite Heinz Risse schreibt seiner Frau:

    Du willst mir Pantoffeln und Kerzen schicken. Lass das doch erst mal alles zu Hause. Wir wollen erst einmal sehen, was wird. Mir ist alles gleich, was wird. Du schreibst, ich solle nicht verzagen. Ich wünschte mir Dich mal einen Tag in meiner Lage, dann würdest Du an allem zweifeln was noch auf der Welt ist. Du glaubst nicht, wie wir mal für einige Augenblicke aufatmen, wenn auch nur ein paar deutsche Flugzeuge sich sehen lassen und bei den russischen Flugzeugen aufräumen.

    Auch Heinz Risse kehrt nicht mehr nach Deutschland zurück; seine Spur verliert sich im Kessel von Stalingrad. Der Unteroffizier Karl Kaufmann flüchtet sich in Zynismus:

    Den Zustand, unbelastet froh zu sein, den kenne ich schon seit langem nicht mehr. Nur Galgenhumor oder bissige Ironie, bringt noch einmal für kurze Zeit ein Lachen über das Gesicht.... Warten wir auf die Zeit, die sich dieser "großen" anschließt, sie soll uns ja alle entschädigen für die Entsagung und Entbehrung die wir jetzt auf uns nehmen müssen. Lassen wir uns überraschen

    Karl Kaufmann erlebt das Kriegsende nicht mehr. Er stirbt in Russland. Der Tierarzt Franz Schmitt macht die russische Propaganda verantwortlich für die sinkende Moral:

    Hier geht es um das nackte Leben und darum, den Mut nicht zu verlieren und den Unteroffizieren und Landsern Vorbild zu sein, damit sie nicht moralisch zusammenbrechen. Der Russe wirft dauernd Flugblätter ab mit den gemeinsten Lügen und verspricht ihnen den Himmel auf Erden, wenn sie zu ihm überlaufen, aber das war ja immer schon russische Methode, nie ehrlichen Kampf, nur raffinierte Methoden um dann so den Gegner zu vernichten.

    Franz Schmitt stirbt am 28. Januar 1943 in den Kämpfen im Kessel. Manche deutsche Soldaten klammern sich an die Propaganda des NS-Regimes. Der 21jährige Karl Dercks schreibt aus dem Kessel, dem auch er nicht entkommen wird:

    Siegen werden wir ja doch. Gibt es denn auf der ganzen Welt einen besseren, anständigeren Soldaten als den Deutschen? Mag der Feind uns noch so viele Greuel vorwerfen, die ein Deutscher überhaupt nicht begeht, er wird es doch nicht ändern können, dass die meisten uns als Befreier betrachten. Hier in Stalingrad vielleicht nicht, aber in der Ukraine ganz bestimmt.