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Der Kandidat

Wenn die SPD im kommenden Jahr um den Regierungswechsel auf Bundesebene kämpft, tut sie das voraussichtlich mit Peer Steinbrück an der Spitze. In einer Mischung aus Beiträgen und Gesprächen beleuchtet der "Hintergrund" die Person Steinbrück auf dem angestrebten Weg zum Kanzler.

Von Barbara Schmidt-Mattern und Theo Geers |
    Stefan Maas: Mit Stefan Maas, guten Abend! Tag der Entscheidungen bei der SPD: Ein sozialdemokratisches Urgestein tritt ab, Kurt Beck, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, macht Platz für den Wechsel an der Landesspitze. Und endlich steht fest, wer als SPD-Spitzenkandidat ins Rennen geht, wenn die Partei im kommenden Jahr für den Regierungswechsel im Bund wahlkämpft. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel heute Nachmittag im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale:

    O-Ton Gabriel: In Abstimmung mit den Mitgliedern des SPD-Parteivorstands werde ich für den kommenden Montag zu einer Sondersitzung des SPD-Parteivorstands einladen und Peer Steinbrück für die Bundestagswahl 2013 als Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers vorschlagen.

    Maas: Die K-Frage ist also geklärt. Eigentlich sollte sie erst im Januar entschieden werden, nach der Wahl in Niedersachsen. Dann hieß es, vielleicht schon im November beim Parteikonvent. An Stephan Detjen, den Leiter unseres Hauptstadtstudios, jetzt die Frage: Warum ist sie gerade heute gefallen?

    Stephan Detjen: Herr Maas, weil man in der Politik nicht auf Dauer Theater spielen kann. Wir haben ja heute gelernt – und das ist ganz offiziell bestätigt worden –, dass diese K-Frage, diese angebliche, vermeintliche Konkurrenz zwischen drei möglichen Kandidaten, seit Wochen beziehungsweise schon seit Monaten intern beantwortet war. Gabriel konnte nicht, weil er die selbst markierte Messlatte nicht erfüllt hat, Steinmeier wollte nicht. Das ist ja der Unterschied zu früheren K-Fragen, etwa zwischen ... zur Konkurrenz zwischen Angela Merkel und Edmund Stoiber zur Jahreswende 2001, 2002, oder zur SPD-internen Konkurrenz zwischen Schröder und Lafontaine 1998. Also: Die Troika des Jahres 2012 drohte zur Farce zu werden, und da hat man jetzt die Reißleine gezogen.

    Maas: Steinbrück selbst hat gesagt: Die Troika arbeitet weiter wie bisher auch. Funktioniert das wirklich, wenn jetzt der Kandidat feststeht?

    Detjen: Ja, der Kandidat steht ja im Grunde noch ... zumindest formell gesehen - noch nicht fest. Der muss von einem Parteitag nominiert werden, und viele Beobachter der SPD haben gesagt, den Parteitag wollen sie erstmal sehen, der Peer Steinbrück nominiert. Nun, es ist keine Frage, Peer Steinbrück wird nominiert werden, aber die Zerrissenheit der SPD ist ja noch nicht geklärt, auch in wichtigen Sachfragen noch nicht geklärt. Insofern: Die Troika ist jetzt zum Erfolg verdammt, nur die drei können gewährleisten, dass die SPD mit möglichst großer Geschlossenheit in den Vorstand geht.

    Maas: Bundeskanzlerin Merkel hat ihren Regierungssprecher heute erklären lassen, sie habe keine Vorlieben, was ihren Gegenkandidaten angeht. Kann ihr das eigentlich wirklich egal sein, wer gegen sie antritt, oder hat die SPD den für die Kanzlerin potenziell unbequemsten Kandidaten aufgestellt?

    Detjen: Ja, natürlich. Steinbrück ist der für Merkel zumindest potenziell unbequemste Kandidat. Er kann das schärfste Profil ihr entgegenstellen. Aber es wird auch für die SPD nicht reichen, jetzt einen Kavallerieoffizier gegen Merkel reiten zu lassen, da müssen noch die entsprechenden Umstände dazu kommen. Das wäre vor allen Dingen ein Einbruch der Konjunkturdaten, steigende Arbeitslosigkeit, das sind Dinge, wo entsprechende Indikatoren schon drauf hinweisen. Das würde das Erfolgsnarrativ der schwarz-gelben Koalition und insbesondere von Angela Merkel durchbrechen. Wenn das käme, dann könnte sozusagen das sozialdemokratische Konzept Attacke Steinbrück aufgehen.

    Maas: Herr Steinbrück hat aber noch ein anderes, internes, parteiinternes Problem: Er gilt als Verteidiger der Agenda 2010. Damit hat gerade die Parteilinke ein großes Problem, und die tut sich bis heute mit den Reformen sehr schwer, und eben auch mit der Person Peer Steinbrück. Barbara Schmidt-Mattern hat sich in Bochum umgehört:

    Beginn Beitrag:

    Spätsommerfest im Kleingartenverein Carolinenglück, mitten in Bochum-Hamme, einem Stadtteil mit vielen sozialen Problemen. Hier wählen die meisten traditionell SPD, so wie Jürgen Weiß, der erste Vereinsvorsitzende von Carolinenglück:

    "Ja, warum wähle ich SPD: Weil ich mit der Politik der anderen – mit CDU, FDP – nicht einverstanden bin."

    In Bochum-Hamme sind die Genossen noch vom alten Schlag. Nein zu Hartz IV und zur Rente mit 67, Ja zu gesetzlichen Mindestlöhnen und zu freier Bildung für alle. In Hamme stellen sie gerne Maximalforderungen auf. Kleingärtner Jürgen Weiß ist selbst zwar kein Parteimitglied, findet die SPD in diesen Zeiten aber nötiger denn je.

    "Es geht ja nur noch alles auf den kleinen Mann. Und oben die ... Ich möchte mich da auch gar nicht so weiter drüber äußern, muss ich mich aufregen ... "

    Dabei ähnelt der Rentner vom Temperament her eigentlich eher dem ruhigen Frank-Walter Steinmeier. Und deshalb, so hätte sich Jürgen Weiß gewünscht, hätte der auch Kanzlerkandidat werden sollen.

    "Schon alleine von seinem Auftreten, von seinem Wissen her. Ich meine, da steht, unser ehemaliger Finanzminister steht ja da auch nicht viel nach, aber ..."

    Peer Steinbrück ist eben nicht der Typ Kleingärtner. Für viele in Carolinenglück bleibt unvergessen, dass der forsche Hanseat einst über "linke Heulsusen" in der SPD witzelte und seine eigene Partei mit einem alten Sofa voller Katzenhaare verglich. All das trägt ihm die Parteilinke bis heute nach, ganz abgesehen davon, dass Steinbrück ihnen insgesamt zu konservativ ist. Auch Günther Weiß fällt ein zwiespältiges Urteil:

    "Er war damals als Finanzminister, meines Erachtens nach war er gut, und dann hat er ja auch viele Fehler gemacht, die in letzter Zeit erst zutage getreten sind."

    Welche Fehler genau, das mag Jürgen Weiß nicht so recht sagen. Er selbst stammt aus kleinen Verhältnissen, hat früher als Bergmann und Busfahrer gearbeitet. Steinbrücks ganzes Auftreten – das Bürgerliche und diese gewisse Abgehobenheit –, all das ist dem Kleingärtner fremd. Peer Steinbrück gehöre halt zur oberen Hälfte der Gesellschaft, sagt auch Rudi Malzahn, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins in Bochum-Hamme. Malzahn ist alles andere als begeistert über den Kanzlerkandidaten Steinbrück. Der ganze Kurs der Bundespartei passt dem 69-Jährigen nicht.

    "Ich habe auch Gabriel seinerzeit angeschrieben, dass die Basta-Politik aufhören muss, dass von unten nach oben regiert werden soll. Ist mir auch zugesagt worden, aber es wird sich nicht daran gehalten. Die Leute wissen gar nicht, was letztendlich hier unten bei den Bürgern los ist."

    Rudi Malzahn redet sich in Rage. Steinbrück solle mal nicht denken, er könne so weitermachen wie damals, als er in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsident war und manches Mal die Linken in der Landespartei vor den Kopf stieß mit seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik. Peer Steinbrück und das Urgestein aus Bochum, Rudi Malzahn: Unterschiedlicher könnten zwei Genossen in der SPD nicht sein. Eines aber verbindet sie: An Selbstbewusstsein mangelt es beiden nicht. Zumal Bochum-Hamme nicht irgendein Ortsverein ist. Hier, in Carolinenglück, beantragten sie vor über vier Jahren den Parteiausschluss von Wolfgang Clement. Davon zehren die Genossen bis heute.

    "Wir werden oder sind – und teilweise auch heute noch – die Ewiggestrigen genannt, weil wir eine Sozialpolitik vertreten, die heute von der Bundespartei vertreten wird, die wir schon 2003 in Anträgen gestellt haben."

    Auch Rudi Malzahn hätte sich gewünscht, dass Frank-Walter Steinmeier Kanzlerkandidat wird. Aber nun könne er hoffentlich Fraktionschef bleiben, egal, wie die Bundestagswahl in einem Jahr ausgeht. Noch mehr Hoffnung setzt der Genosse von der Bochumer Basis in seinen obersten Parteichef Sigmar Gabriel: Der werde die Mannschaft hoffentlich zusammenhalten. Dass die SPD nun doch früher als angekündigt ihren Kanzlerkandidaten ausrufen will, das immerhin findet Rudi Malzahn richtig. Seine Begründung birgt allerdings eine weitere Breitseite gegen Peer Steinbrück: Die SPD-Basis habe nämlich jetzt ein Jahr Zeit, den Mann zu erziehen. Sein Wahlprogramm werde man sich genau angucken, so die Warnung aus Bochum, und wenn die Basis im Revier nicht einverstanden ist, dann, sagt Rudi Malzahn, kann Steinbrück uns vergessen. Der Genosse aus Bochum zählt noch einmal auf: Es brauche mehr Bildung, mehr Kindergärten, eine bessere Sozialpolitik. In Hamme und in ganz Deutschland.

    Beitragsende


    Maas: Im Beitrag von Barbara Schmidt-Mattern haben wir gerade gehört, dass sich die Mitglieder ihren Kandidaten noch erziehen wollen, wenn es um seine Positionen geht. – Stephan Detjen, steuert die SPD nicht auf ein klassisches Dilemma zu, ein Kandidat, der nicht mit allen Positionen seiner Partei in Deckung zu bringen ist, gegen manche sich sogar öffentlich positioniert, und eine Partei, die jetzt anfängt, an ihrem Kanzlerkandidaten herumzuschrauben, bis nicht mehr Steinbrück drin ist, wo Steinbrück draufsteht?

    Detjen: Ja, wer das in der SPD versuchen sollte, der hat sich wirklich dann den falschen Kandidaten gewählt. Peer Steinbrück wird sich nicht verbiegen und auch nicht erziehen lassen, auch nicht von der eigenen Partei. Das hat er nie getan, das ist sein Profil, dass er sich nicht verbiegen lässt. Er hat sich auch nie wirklich integrieren lassen in die SPD. Das ist sozusagen der größte Trumpf, den er ausspielen kann, seine Geradlinigkeit, seine Entschlossenheit, die er gegen Merkel ins Spiel bringen wird, mit der er sich gegen Merkel profilieren wird. Aber genau aus demselben Grund kann er in diesem Wahlkampf auch zum größten Problem für seine Partei und auch für sich selber werden.

    Maas: Andrea Nahles hat heute Nachmittag gesagt, jetzt, wo feststeht, wer Kandidat werden wird, könne man endlich einen Wahlkampf machen, der auch 100 Prozent auf den Kandidaten passt. Heißt das aber jetzt, der Partei bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als sich thematisch Peer Steinbrück unterzuordnen?

    Detjen: Im Wahlkampf ist das so, da muss sich eine Partei hinter einem Kandidaten formieren. Aber gerade dieser Kandidat ist derjenige, der natürlich die Brüche, die Verwerfungen, die Schismen, die innerparteilichen Spaltungen, unter denen die SPD spätestens seit der Agenda 2010, für die Steinbrück ja auch steht, leidet, der diese Wunden immer wieder reizen wird. Von daher ist er nicht nur für Angela Merkel, sondern auch für die eigene Partei eine echte Herausforderung.

    Maas: Beim Gruppenfoto heute Nachmittag in der Parteizentrale hat Sigmar Gabriel seine beiden Mitstreiter mit dem Satz "Näher zu Willy" näher an die Figur von Willy Brandt herangerückt. War das nur ein Witz oder ist das auch thematisch als ... ist das auch thematisch für den Wahlkampf zu verstehen?

    Detjen: Ja, ich weiß nicht, ob Willy Brandt in dem bevorstehenden Wahlkampf wirklich der Orientierungsgeber, der Wegweiser, als der er da mit dieser zeigenden Geste im Willy-Brandt-Haus steht, fungieren kann. Der nächste Wahlkampf wird ein wirtschaftspolitischer Kompetenzwahlkampf sein und ein Europa-Wahlkampf. Das sind nicht die Themen, für die Willy Brandt in der SPD steht, das ist eher schon Helmut Schmidt. Also, beide Parteien werden sich an ihren Altvorderen orientieren. Die SPD hat sich gestern ... die CDU hat sich gestern in einem Festakt im Deutschen Historischen Museum an Kohl als den großen Europäer orientiert, die SPD wird versuchen – und muss versuchen –, sich dann an ihren Helmut, den anderen Altkanzler, an Helmut Schmidt zu orientieren.

    Maas: Die Frage, wofür Peer Steinbrück eigentlich genau steht, wird sich in den nächsten Monaten ja erst noch erweisen müssen in ganz vielen Positionen. Bei einem großen Thema ist es aber ganz klar: Nach dem Platzen der US-Immobilienblase hat er sich als Finanzminister der Großen Koalition einen Namen als Krisenmanager gemacht, und mit diesem Thema ist er seitdem auch auf allen Bühnen zu Gast. – Auch wenn er die Bühne am Anfang dafür teilen musste, wie Theo Geers berichtet:

    Beginn Beitrag:

    Seinen bislang größten Auftritt als Finanzpolitiker hatte Peer Steinbrück, als er im Hintergrund stand und den Vortritt einer anderen überlassen musste. Berlin, 5. Oktober 2008, heute vor fast vier Jahren:

    O-Ton Angela Merkel:

    "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein."

    Peer Steinbrück sagte damals gar nichts. Jedenfalls nicht zu den Guthaben. Er, der SPD-Finanzminister, stand nur da, leicht versetzt hinter ihr, der Kanzlerin, die ihn eigentlich gar nicht dabei haben wollte. Peer Steinbrück hinter Angela Merkel: Es ist dieser eine Auftritt, der sich den Menschen ins Gedächtnis gebrannt hat. Steinbrück ist zu diesem Zeitpunkt seit knapp drei Jahren Finanzminister der Großen Koalition. Unverhofft war er in dieses Amt gekommen, im November 2005. Franz Müntefering hatte ihn am Rande einer Veranstaltung beiseite genommen: Du musst das machen, hatte Münte in seinem Staccato gesagt, Bedenkzeit gab es so gut wie keine. Steinbrück sagte zu – und fand ein Desaster vor.

    "Glaubwürdige Politik, meine Damen und Herren, muss sich den Realitäten stellen, das weiß ich. Und diese Realitäten heißen zum Beispiel, dass rund 20 Prozent des Bundeshaushaltes, also insgesamt etwa 50 Milliarden Euro, nicht durch nachhaltige Einnahmen gedeckt sind."

    Steinbrück muss und will Schulden abbauen. Nur wie?

    "Also, das heißt: Wenn jemand glaubt, er könnte aus diesem Bundeshaushalt in einer Radikaloperation zehn, 15, 20, 25 Milliarden Euro auf einmal herausschneiden, dann irrt er! Das ist Voodoo-Fiskalpolitik, die da vorgeschlagen wird."

    Voodoo will Steinbrück nicht betreiben. Zaubern kann er auch nicht. Überzeugt, der Bund habe vor allem ein Einnahmenproblem, steigert Steinbrück die Einnahmen, dreht an der Steuerschraube. In seinen ersten beiden Jahren als Finanzminister werden die Eigenheimzulage gestrichen oder die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent erhöht. Das Ergebnis: Die Neuverschuldung sinkt kontinuierlich: 2006 auf 27,6 Milliarden Euro, zehn Milliarden weniger als erwartet. 2007 sind es 14,3 Milliarden, 2008 11,5 und 2011 will Steinbrück ohne neue Schulden auskommen. Doch Steinbrück darf nur ins Gelobte Land blicken, betreten wird er es nicht. Die Finanzkrise macht ab 2008 all seine Planungen zunichte. Es beginnt mit der Krisenbank IKB, es setzt sich fort mit der Hypo Real Estate, und es gipfelt in der Lehmann-Pleite im September 2008. Aus dem Finanzminister wird ein Krisenmanager.

    "Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn wir sagen, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern weltweit vor einer der größten finanzpolitischen Herausforderungen stehen, es ist Gefahr im Verzug."

    Die Gefahr sieht Steinbrück vor allem darin, dass die Bankenkrise auf die Realwirtschaft überspringt. Also peitscht die Bundesregierung unter seiner Ägide in nur einer Woche ein Gesetz zur Einrichtung eines Bankenrettungsfonds durch Bundestag und Bundesrat. 80 Milliarden Euro stehen zur Verfügung, um schwankenden Banken mit Kapitalspritzen zu Hilfe zu kommen. Im Gegenzug erhält der Staat Beteiligungen an diesen Banken, und ihre Manager bekommen Auflagen aufgebrummt. Peer Steinbrück knallhart:

    "Diese Manager sollten pro Jahr nicht mehr als 500.000 Euro bekommen. Und keine Boni und keine Abfindungen."

    Steinbrück wird zu einem der beliebtesten Politiker des Landes. Immer wieder betont er damals, er helfe nicht den Bankern, sondern der Wirtschaft, für die der Geld- und Kreditkreislauf nicht unterbrochen werden dürfe. Doch das Wachstum bricht ein. Anfang 2009 kommt Steinbrück um Konjunkturprogramme nicht mehr herum. Massiv finanziert der Staat eine verlängerte Kurzarbeit, damit Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht entlassen. Hinzu kommen öffentliche Investitionen, Steuererleichterungen und – als Maßnahme mit der größten Publicity – die Abwrackprämie für Altautos. Für alles zusammen nimmt Peer Steinbrück 50 Milliarden Euro in die Hand. Im Gegenzug zerplatzen all seine Planungen auf einen ausgeglichenen Haushalt wie Seifenblasen. Im Gedächtnis hängen bleibt dafür etwas anderes: Steinbrücks Kampf gegen Steuerhinterziehung, vor allem die in der Schweiz.

    "Die siebte Kavallerie in Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann, aber die muss man nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt, und wenn das alleine schon Nervosität hervorruft, ja, dann kommt da ja richtig Zug in den Kamin."

    Die siebte Kavallerie in Fort Yuma, die ausreiten könne, es aber nicht müsse, das war der große Auftritt, das war die Drohung, die Schweiz auf eine schwarze Liste von Steueroasen zu setzen. So groß wie die Empörung darüber in der Schweiz damals war, so groß die Sympathie damals für den Vorstoß hierzulande. Und im Kampf gegen die Steuerhinterziehung ist Steinbrück Überzeugungstäter geblieben. Bis heute. Das Steuerabkommen mit der Schweiz lehnt er ab.

    "Sie fangen mich nicht mit goldenen Mohrrüben von Geldversprechen ein."

    So etwas schafft vor allem eins: Glaubwürdigkeit. Und mit der wucherte Steinbrück auch und gerade in den letzen Tagen, als er sein 30-Seiten-Papier zur Bankenregulierung vorlegt. Einschränkung des Hochfrequenzhandels, Trennung von Investmentbanking und anderen Bankgeschäften: Das sind nur zwei Stichworte in diesem Konzept. Es wirkt wie eine Blaupause für ein Arbeitsprogramm als Kanzler und nicht als nochmaliger Finanzminister.

    Beitragsende

    Maas: Das hat Peer Steinbrück ja sogar selber ausgeschlossen, noch einmal Minister in einer Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel zu werden. Was heißt das für Steinbrück, wenn die SPD nicht stärkste Kraft wird?

    Detjen: Innerparteilich, Herr Maas, ist das sicherlich eine richtige Weichenstellung. Damit demonstriert der künftige Kanzlerkandidat oder der heute faktisch gekorene Kanzlerkandidat der SPD die Siegeszuversicht, die Entschlossenheit, die er in der Partei nun mal demonstrieren muss. Aber er weiß natürlich auch: Schon bei einem Sieg wäre es schwer genug, die SPD programmatisch hinter sich zu bringen. Und im Fall einer Niederlage wird sich die SPD sicher nicht mehr nach diesem Kandidaten sehnen, dann käme die Stunde Sigmar Gabriels.

    Maas: Das heißt also, Steinbrück bringt die SPD ins Wahlziel sozusagen, und dann übernehmen die anderen?

    Detjen: Na ja, wenn er gewinnt, dann ist er Kanzler, dann muss sich die SPD weiter hinter ihn scharen. Aber das ist Spekulation. Ich glaube, etwas ganz anderes ist heute, tja, wenn nicht sicher, dann jedoch viel wahrscheinlicher geworden als bisher: Wir wissen nicht, wer in einem Jahr als zukünftiger Kanzler nach der Bundestagswahl feststehen wird, aber viel wahrscheinlicher ist es geworden, dass wir seit heute wissen, wer in welcher Koalition auch immer – ob in einer Großen Koalition oder in einer rot-grünen Koalition – Außenminister werden wird, nämlich Frank-Walter Steinmeier. Und das ist wahrscheinlich das, was er im Herzen immer angestrebt hat.

    Maas: Tag der Entscheidung bei der SPD. Seit heute steht fest, wer wahrscheinlich für die SPD ins Rennen um die Kanzlerkandidatur gehen wird. Für Ihr Interesse an dieser Sendung dankt Stefan Maas, ich wünsche Ihnen allen noch weiterhin einen schönen, spannenden Radio-Abend!