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Der Kinderbuchautor Martin Muser
Ein Hohelied auf die Freundschaft

Von Kinderabenteuern im Berliner Umland und im polnischen Ort Cedynia erzählt Martin Muser in seinen zwei Büchern mit dem Titel "Kannawoniwasein!". Finn und Jola, zwei grundverschiedene Kinder, sind die Hauptfiguren, die aufregende Sommerferien in Polen verbringen und dabei sogar auf den "Alten Fritz" treffen.

Von Karin Hahn |
Der Schriftsteller Martin Muser
Der Schriftsteller Martin Muser und 2x "Kannawoniwasein!" (Autorenportrait (c) Susanne Tessa Müller )
Finn kann nicht fassen, dass er endlich allein von Neustrelitz nach Berlin fahren darf. Als sein Vater einen unerwartet lukrativen Auftrag erhält, setzt er den Zehnjährigen kurzerhand in den Zug. Was soll schon passieren? Finn hat ein neues Handy, seine Geldbörse, "Papas Spezialstullen" und eine Fahrkarte. Und Finns Mutter wartet am richtigen Bahnsteig im Berliner Hauptbahnhof. Alles kein Problem, denken Finns getrennt lebende Eltern. Doch dann steigt in Fürstenberg ein junger Mann zu, setzt sich zielsicher zu dem Jungen und zeigt ihm Kartentricks. Als der Fremde in Gransee aussteigt, ist Finns Rucksack samt Fahrkarte weg und das Abenteuer beginnt. Dieser Anfang erinnert natürlich an Erich Kästners Kinderroman "Emil und die Detektive".
"Die Parallele zu Erich Kästner ist offensichtlich und die hatte sich bei mir dann so ergeben, dass ich diese wahre Geschichte als Ausgangspunkt genommen habe: Ein Kind wird vom Schaffner aus dem Zug gesetzt, das hatte ich in einem Zeitungsartikel gelesen und dann war die Frage einfach: Warum hat der Junge keine Fahrkarte? Und dann fand ich es als Geschichte schöner, dass sie ihm gestohlen wird, als dass er sie verloren hat und die Parallele zu Kästner fand ich dann auch schön und habe diese ja auch im Buch thematisiert, es ist also eher eine Verneigung vor Kästner."
Lass‘ uns verduften
Der genervte Zugschaffner übergibt Finn in Oranienburg zwei Polizisten, die irgendwie vom Pech verfolgt sind. Kaum mit dem Auto losgefahren, geschieht auch schon ein Unfall.
Schließlich erwachen die Polizisten aus ihrer Erstarrung.
"‘Kannawoniwasein!!‘, piepst der Runde und schaut in den Rückspiegel. Die Polizistin holt tief Luft, fingert ein Taschentuch aus der Jacke und tupft sich damit das Gesicht ab. Dann erst dreht sie sich um. Finn folgt ihrem Blick hinter ihnen steht ein Transporter. Die Motorhaube ist verbeult und darunter strömt weißer Dampf hervor. … Der Runde stößt schnaubend die Fahrertür auf. –‚Pass uff!‘, sagt er. 'Nu klatscht et. Aber nich Beifall!‘"
In dem Laster, der auf das Polizeiauto aufgefahren ist, sitzen Onkel Wojciech und seine zehnjährige Nichte Jola. Während die Erwachsenen hektisch debattieren, gesellt sich Jola zu Finn und erzählt dem Ahnungslosen, dass er sicher auf der Polizeiwache in einer Gummizelle landen wird.
"'Was würdest du denn machen?‘, fragt er das Mädchen. ‚Hmmm‘, sagt sie und wippt mit den Zehenspitzen. ‚Verduften.‘ – ‚Du meinst: abhauen?‘ – Das Mädchen nickt. ‚Ich würd auch mitkommen.‘ – ‚Aber ….‘, sagt Finn zögernd und überlegt, ob das Mädchen vielleicht verrückt ist. Doch sie scheint es wirklich ernst zu meinen. – ‚Besser als Gummizelle‘, sagt sie grinsend. ‚Außerdem isses ja nicht mehr weit. Und ich muss auch dringend mal wieder in die Tzitti.‘"
Rangeschmissen wird sich woanders
Die kesse Jola, die in der "Tzitti" ihre ältere Schwester besuchen will, und der ruhige Finn fliehen vor der Polizei und begegnen auf ihrem 55 Kilometer langen Weg bis Berlin allen möglichen Leuten, die mal freundlich sind, ein bisschen eigenartig oder richtig fies.
Als etablierter Drehbuchschreiber hatte sich Martin Muser mit der Idee, ein Kinderbuch zu schreiben, auf unsicheres Terrain begeben. Immer wieder hat er den Text umgeschrieben, die Figuren verändert, neue Konstellationen ausprobiert und sich aber dann doch für einen Jungen und ein Mädchen in der vorpubertären Phase entschieden. Weitere Überlegungen betrafen die Figurensprache, die den aus Schwaben stammenden Martin Muser ziemlich herausforderte, und die passende Erzählperspektive.
"Die Ich-Perspektive wollte ich um jeden Preis vermeiden. Ich bin ja letztendlich so ein bisschen reingefallen in das Genre Kinderbuch. Ich fand aber das viele Kinderbücher, die ich noch so in Erinnerung hatte, die alle so aus der Ich-Perspektive geschrieben waren, dass die mir so zu dicht dran waren oder so was Ranschmeißerisches haben und ich fand es einfach befreiend diese personale Erzählperspektive zu haben und trotzdem die Möglichkeit zu haben, über Gedankenströme in die Figur reinschlüpfen zu können. Und es gibt so einige wenige Momente, wo es ja wie so einen göttlichen Draufblick auf die Geschichte gibt, also wo dann auch diese Autoreninstanz sichtbar werden kann. Und diese Möglichkeiten zu haben, die man im Drehbuch so nicht hat, das fand ich auch beim Schreiben sehr schön."
Eine sprachliche Gratwanderung
Sicher ist der hohe Anteil an szenischen wie temporeichen Episoden dem Drehbuchschreiber geschuldet, aber es fehlt auch nicht an stillen Momenten. Alles passiert im Präsens und so ist der Leser immer ganz nah an den Gedanken und glaubwürdigen Erlebnissen der beiden Protagonisten, ob sie auf einem Hochstand im Wald übernachten und einen Wolf sehen oder den miesen Rucksackdieb, der zu einer Rockerbande gehört, stellen.
Charakterisiert werden die beiden Hauptfiguren durch ihre jeweilige Sprache. Bleibt Finn auf der hochsprachlichen Ebene, so berlinert Jola, was das Zeug hält und sie erfindet ganz eigene expressive Wortkombinationen.
"Das weiß ich, dass ich als Kind das immer sehr gemocht habe, so diese Sprachspielereien. Und die habe ich dann auch so ausprobiert beim Schreiben und das ist so eine Entscheidung, ist das schön oder ist das nicht schön. Irgendwann wird es ja auch albern. Und das ist so eine Gratwanderung gewesen. Im zweiten gibt es Hallo-Ponallo, es klingt gut und es ist witzig."
Wenn Jola sich richtig freut, dann ruft sie: "Kannawoniwasein!"
Hüpft sie auf dem Bett herum und stößt an die Decke, dann sagt sie dazu:
"Klong-Schaddong"
Und im "Schlüppi", Jolas Bezeichnung, springt sie in den See. Da steht Finn noch beschämt herum und überlegt, welche Unterhose er denn heute Morgen angezogen hat.
"Dieser Mädchentyp ist ja jetzt keine Erfindung von mir, seit Pippi Langstrumpf und so ist das ja gang und gäbe. Es scheint aber noch auffällig zu sein, das ein Mädchen so gestaltet ist, wie eben Jola gestaltet ist. Ich wollte es einfach nur nicht so machen, dass Mädchen sich nur für Pferde interessieren, Mädchen für den ganzen emotionalen Part zuständig sind. Ich wollte eigentlich ein Mädchen schreiben, von dem ich denke, das hätte ich als Junge damals cool gefunden. Oder man könnte auch sagen, vielleicht ist Finn so wie ich gewesen bin als Kind und Jola so wie ich gerne gewesen wäre."
Die Geschichte einer Selbstermächtigung
Jola fasziniert einfach durch ihre innere Kraft und Hartnäckigkeit, die nicht nur die Erwachsenen zur Weißglut treiben kann. Mit Jola kann Finn ausgelassen lachen und so richtig rumblödeln, ihr aber auch beweisen, dass er ein richtig guter Sachenfinder ist und ebenbürtiger Gesprächspartner, wenn es um so wichtige Themen wie Pubertät, Heimweh oder Klimaerwärmung geht.
"Und außerdem, glaube ich, ist es für Finn, der ja aus so geborgenen Familienverhältnissen kommt, ist es auch wie so eine Geschichte der Selbstermächtigung, mehr als für Jola, die sich das alles zutraut, ist es für Finn so ein bisschen Coming of Age im klassischen Sinne, dass er als Kind selbstständig wird."
Finn und Jola schließen einen alten Traktor kurz und fahren eine kurze Strecke bis der Tank leer ist. Sie begegnen hilfsbereiten dänischen Nudisten, einem uneinsichtigen Tankwart und einer herrischen Verkäuferin. Wie nebenbei schleichen sich in beide "Kannowoniwasein" - Geschichten auch ein paar gut verdauliche Wissensbrocken ein, z.B. über die Wiedervereinigung, die polnische Geschichte, aber auch den Preußenkönig Friedrich II.. Als Jola und Finn auf die Idee kommen zu trampen, sitzt in einem kleinen Auto ein Mann in der Uniform des alten Fritz. Udo, der Berliner Stadtführer, nimmt die beiden bis Löwenberg mit und schon entspinnt sich ein Gespräch.
"'Der Alte Fritz … das war doch der mit den ganzen Kriegen, oder?‘ – ‚Richtig, junge Dame‘, sagt Udo. 'Die Schlesischen Kriege und der Siebenjährige Krieg, die gehen auf mein Konto. Na ja, da habe ich mich nicht nur mit Ruhm bekleckert … Ansonsten war ich aber ein ganz guter König. Und ein Philosoph: 'Eine Krone ist auch nur ein Hut, in den es reinregnet.' Das habe ich gesagt. Guter Satz, was?‘"
Martin Muser: "Diese Infos, ich glaube, das ist ein Stück von mir, ich bin ein Lehrerkind und irgendwie gab es dann offensichtlich doch diesen Impuls, dass man in diesem Buch auch etwas lernen kann über Geschichte, über Physik, im zweiten Teil gibt es ja diese Erklärung, warum ein Schiff schwimmt. Es wäre diese Balance zu halten, das es so en passant drin ist und sich auch organisch aus der Handlung ergibt, wenn das so gelungen ist, fände ich das schön, ja."
Dann diese Schmuggelgeschichte
Nach ihrer glücklichen Ankunft in Berlin verabschieden sich Finn und Jola als gute Freunde. Ein neues wieder elternfreies Abenteuer erleben die beiden dann ein Jahr später im zweiten Teil "Kannawoniwasein! Manchmal fliegt einem alles um die Ohren". Finn ist in den Sommerferien zu Jolas Großeltern ins polnischen Cedynia eingeladen. So wie alle Brandenburger Orte im ersten Kinderbuch real sind, so hat Martin Muser sich für das zweite die polnische Seite der Oder genau angesehen. Gefahren werden Finn und Jola vom brummigen Onkel Wojciech, der immer so dubiose Geschäfte einfädelt und auch gleich weiter in die Ukraine tuckert. In Cedynia lernt Finn nicht nur Babcia und Dzaidek kennen, auch den kleinen Antek mit seinem dreibeinigen Hund Nuschki und Lasse und Bosse.
Martin Muser: "Es gibt ja diese beiden Brüder aus Berlin. In meiner eigenen Vorstellung sind das so wohlstandsverwahrloste Jugendliche. Es sind aber auch die Jungs, die ich aus meiner Kindheit noch kenne, vor denen ich immer Angst hatte, die Jungs, die so unfassbar böse sein können und so bedrohlich sein können. Die als Teil der Geschichte zu nehmen, das hatte sich für mich irgendwann ergeben. Ich hatte ganz viele Versatzstücke, eben diesen Polenmarkt mit den sogenannten Polenböllern, die Grenze, dann diese Schmuggelgeschichte, die hatte ich tatsächlich mal recherchiert. Es gab wohl so einen Jungen, der in Unmengen versucht hat, diese verbotenen Böller über die Grenze zu bringen. Und diese Auseinandersetzung mit den beiden Jungs ist für mich auch eher bisschen ähnlich wie im ersten Band auch so eine Ermächtigungsgeschichte von zwei Kindern, die Widerstand leisten, sage ich mal, gegen ein Terrorregime von diesen beiden Jungs."
Finn und Antek treten den Rückzug an
Im Gegensatz zum ersten Band, der wie ein Roadmovie funktioniert, erzählt Martin Muser nun begrenzt auf eine Woche von Ferienerlebnissen an einem Ort. Finn lernt ein bisschen Polnisch, fängt gemeinsam mit Nachbarn und Verwandten einen jungen Bullen ein, baut gemeinsam mit Antek und Jola ein Floß und alle drei schippern die Oder entlang. Als die Kinder jedoch den beiden aggressiven Jugendlichen begegnen, wird es wirklich gefährlich.
"Als der Jetski an ihnen vorbeiheult, erkennen Finn und Jolla die beiden Fahrer, Bosse und Lasse Hardenburg. Die Brüder haben Finn und Jolla auch erkannt und legen sich voll in die Kurve. Sie rasen direkt auf das Floß zu. ‚Hilfe!‘, ruft Antek ängstlich und nimmt Nuschki auf den Arm. ‚Die überfahren uns ja gleich!‘. Bosse und Lasse fahren knapp an dem Floß vorbei, das von den Wellen kräftig durchgeschaukelt wird. ‚Festhalten!‘, schreit Jola und packt Antek. Finn versucht, das Floß mit einem der Äste zu stabilisieren. ‚Äh, die Kackbratze und ihre Dorfdoofies!‘, ruft Lasse hämisch. ‚Ob die wohl schwimmen können?‘, feixt Bosse und wendet erneut.‘"
Das Floß kentert und schnell wird klar, der kleine Antek kann nicht schwimmen. Zum Glück rettet Finn den Jungen, der sogleich feststellt, dass sein dreibeiniger Hund verschwunden ist. Die Kinder sind empört und fordern eine Entschuldigung. Natürlich stellt Jola in ihrer direkten Art Lasse und Bosse zur Rede, aber beide streiten im Beisein ihrer gleichgültigen wie arroganten Eltern alles vehement ab.
"Finn und Antek treten den Rückzug an. Jola zögert, statt umzudrehen, macht sie noch einen Schritt nach vorwärts, beugt sich über den Tisch und spuckt Bosse und Lasse auf die Teller. Die gucken völlig baff."
Ein Hohelied auf die Freundschaft
Lasse und Bosse sinnen auf Vergeltung, da wissen sie noch nicht, dass Jola und Finn ihnen bereits hinterherspionieren und auch nach Nuschki suchen. Zu gern wollen die beiden Kinder herauszufinden, was die garstigen Brüder auf dem Polenmarkt in Hohenwutzen gekauft haben und im Schilde führen. Als es erneut zu einer bedrohlichen Szene kommt, ist jedoch Finn der Mutige und sorgt für Gerechtigkeit.
Warmherzig singt Martin Muser ein Hohelied auf die Freundschaft. Mit seinem präzisen Blick auf alle Protagonisten erzählt der Autor von wirklichkeitsnahen Alltagsabenteuern, die heute so allerdings nur im Kinderbuch möglich sind. Mit einem Augenzwinkern baut er gängige Klischees auf deutscher wie polnischer Seite in die Handlung ein und lässt den zweiten Teil von "Kannwoniwasein!" an einem Schauplatz spielen, der im Kinderbuch, und das ist ein Gewinn, trotz geografischer Nähe kaum vorkommt.
Martin Muser: "Kannawoniwasein! Manchmal muss man einfach verduften"
Carlsen Verlag, Hamburg, 169 Seiten, 12,00 Euro
Martin Muser: "Kannawoniwasein! Manchmal fliegt einem alles um die Ohren"
Carlsen Verlag, Hamburg, 176 Seiten, 12,00 Euro
Die beiden gleichnamigen Hörbücher sind bei Hörbuch Hamburg erschienen
gelesen von Stefan Kaminski