Jörg Münchenberg: Herr Appel, schaut man auf die aktuellen Konjunkturdaten, dann besteht durchaus Anlass einer gewissen Hoffnung. Die deutsche Wirtschaft hat in den letzten zwei Quartalen wieder zugelegt. Es gibt auch andere positive Signale, wenn man mal den Blick weiter fasst - nach Osten, nach China zum Beispiel. -, dass die Wirtschaft langsam wieder Tritt fasst. Wie ist da die Einschätzung der Deutschen Post?
Frank Appel: Ja, also insgesamt kann man sagen, dass sicherlich Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist. Wir als Logistikunternehmen sind ja Unternehmen, was ein typischer Frühindikator ist. Das Problem ist leider nur so ein bisschen: Wir wissen es auch immer erst dann, wenn es passiert ist, weil uns unsere Kunden nicht sagen, wie viel sie jetzt in den nächsten vier Wochen, in den nächsten drei Monaten transportieren werden. Wenn wir dann eben diesen Anstieg des vierten Quartalsvolumens gesehen hätten, dann wäre das eine klare Indikation, dass wirklich was passiert. Wir haben das mit Ablauf des dritten Quartals nur im geringen Ausmaß gesehen. Nichtsdestotrotz gibt es Kommentare von großen Kunden aus der Hightech-Industrie und auch anderen, dass die schon sehen, dass das Volumen wieder ansteigt und dass wieder höhere Nachfragen da sind. Deswegen sind wir verhalten positiv, wir haben noch keine Erholung gesehen in unseren Zahlen, unsere Zahlen sind immer noch niedriger als im Vorjahr.
Münchenberg: Nun sagen ja manche sogar, das Schlimmste sei schon ausgestanden in der Finanz- und Wirtschaftskrise. So weit gehen Sie definitiv nicht?
Appel: Nein, es ist zunächst erst mal nicht auszuschließen, dass es wieder Rückschläge geben wird. Das wird sehr viel davon abhängen, wie die Konsumenten sich verhalten. Die Konsumenten haben sich in dieser Krise bisher sehr rational verhalten, sie sind eigentlich diejenigen, die am meisten Stabilität erzeugt haben, weil sie nämlich ihr Kaufverhalten gar nicht wahnsinnig geändert haben. Wenn Sie in Deutschland Menschen fragen, werden Sie wahrscheinlich auch häufig hören, dass gar nicht so viele sich von der Krise betroffen fühlen bisher. Deswegen muss es jetzt Ziel sein, dass jetzt kein Konsumenteneinbruch stattfindet. Das hat natürlich auch was damit zu tun, dass nicht jetzt die Arbeitslosigkeit dramatisch steigt, weil das natürlich Folgen mit sich bringt. Wenn die Menschen merken, dass ihre Kollegen arbeitslos werden, dann fangen sie an, natürlich ihr Konsumentenverhalten zu verändern. Deswegen wird das erste Halbjahr 2010 sehr viel Bedeutung haben, wie sich das insgesamt verhält, ob wir eine Zwischenerholung erleben und dann wieder einen Abbruch, oder ob wir tatsächlich einen positiven Trend sehen.
Münchenberg: Die Deutsche Post als einer der größten Logistiker bekommt das natürlich alles zu spüren - auch an den Geschäftszahlen unmittelbar. Eine Reaktion ist jetzt auch bei vielen Unternehmen, aber auch bei der Deutschen Post, dass man versucht, Kosten zu senken, also sich aus der Krise zu sparen. Ist das nicht manchmal auch ein gefährlicher Weg, der dann auch an die Substanz von Unternehmen gehen könnte?
Appel: Nein, ich glaube, das ist absolut geboten. Also es ist genau falsch zu sagen: Wir können das Problem überwintern. Ich glaube, es war genau richtig, was wir getan haben, dass wir sehr frühzeitig angefangen haben, die Kosten rauszunehmen. Wenn Sie Kunden haben, denen 30 Prozent, 50 Prozent des Volumens wegfällt, dann können Sie nicht sagen: Wir hoffen mal darauf, dass es eine schnelle Reaktion gibt. Dann müssen Sie intelligente Antworten finden. Die bestehen nicht da drin, Arbeitsplätze abzubauen, sondern Kosten zu flexibilisieren oder auch eben zugekaufte Kosten zu reduzieren. Also wir haben weltweit nicht immer nur gesagt, wir müssen jetzt Arbeitsplätze abbauen, sondern wir haben gesagt: Wir müssen die Kosten, die wir haben, verbessern. Und das führt teilweise dazu, dass wir Löhne reduziert haben, dass wir Kurzarbeit in anderen Ländern auch teilweise gemacht haben, weniger in Deutschland. Und ich glaube, genau das muss das Ziel sein, dass man versucht, sich dem Volumen anzupassen. Ich glaube, das ist die Verantwortung, dass man nicht wartet. Denn wenn man den Berg vor sich herschiebt und hofft, dass irgendwann die Konjunktur wieder anzieht, dann macht man genau das Verkehrte. Und ich glaube, man darf das nicht so weit treiben, dass man Strukturen kaputt macht, aber davon sind wir weit, weit entfernt. Wir haben keine Strukturen kaputt gemacht, wir haben einfach die bestehenden Strukturen optimiert.
Münchenberg: Herr Appel, kommen wir mal auf das Inlandsgeschäft zu sprechen. Sie haben es vorhin ja schon angedeutet, da ist ein ganz großer Baustein das Briefgeschäft bei der Deutschen Post, weil viele Menschen ihr Verhalten mittlerweile einfach ändern - sie chatten, sie verschicken SMS. Die Firmen überlegen jetzt, ob sie elektronische Post verschicken können, Werbung wird eher ins Internet platziert. Das geht ja alles bei der Post weg. Zunächst mal die grundsätzliche Frage: Stirbt der klassische Brief?
Appel: Also, der klassische Brief wird sicherlich rückläufig sein, aber er wird niemals sterben. Es wird immer ein Niveau geben, wo der klassische Brief einfach unschlagbar ist in seinen Eigenschaften gegenüber jedem anderen Medium, und das wird auch in Zukunft so sein. Die Unbekannte dabei ist: Wir wissen nicht, ob das bei 50 Prozent, bei 70 oder bei 80 Prozent vom heutigen Volumen sein wird, und das ist die Herausforderung.
Münchenberg: Und trotzdem ist es ja so, ich habe es vorhin schon angesprochen: Das Verhalten ändert sich, es ist einfach ein technologischer Wandel, der da auch mitspielt. Insofern muss ja die Post reagieren, zumal das Briefgeschäft bislang die "Cash-Cow" wie es so schön heißt, war im Konzern. Das heißt, man hat da richtig gutes Geld verdient. Das ändert sich jetzt. Ganz konkret: Wie will die Post gegensteuern?
Appel: Ja, wir wollen einen Brief im Internet - oder einen "Online-Brief" machen. Es gibt da drei V's, das ist Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Vertraulichkeit. Und diese Dinge müssen wir nach vorne bringen, genau so, wie wir das mit dem klassischen Brief machen. Und da gibt es ein Potenzial, weil es Menschen gibt, die haben ein Kommunikationsbedürfnis, und die möchten das gerne, dass ihre Information verschlüsselt ist und dass keiner sie mit lesen kann. Sie möchten wissen, dass es auch wirklich den Empfänger erreicht, auch dann, wenn er selber vielleicht gar keinen Internetzugang hat, sondern er möchte einen klassischen Brief. Und das können wir kombinieren. Und das verkörpert der Name "Deutsche Post". Und deswegen sehen wir hier Wachstumspotenziale, auch ganz neue Angebote zu machen, die aber immer damit verbunden sind, dass Sie den Empfänger eindeutig identifiziert haben, dass Sie den Absender eindeutig identifiziert haben, dass Sie sicherstellen, dass die Information vertraulich gehandhabt wird, dass keine sie mitlesen kann und dass sie auch wirklich ausgeliefert wird.
Münchenberg: Geht es ein bisschen genauer - Stichwort elektronischer Brief, elektronisch Post, was kostet das, wie steht's mit der Sicherheit?
Appel: Also die Preise können wir noch nicht sagen. Aber wir wollen dieses Produkt im ersten Halbjahr nächsten Jahres an dem Markt bringen. Wir testen gerade die Software, die eben genau diese Verschlüsselung erzeugt, das es eben hoch verschlüsselt ist, damit keiner mitlesen kann. Da sind wir momentan im internen Test, und da arbeiten wir auch mit "Hackern", die sich das anschauen und nicht wissen, wie der Algorithmus der Programmierung ist und nichts anderes tun, als den ganzen Tag zu versuchen, dieses System zu knacken - was ihnen bisher noch nicht gelungen ist. Und das wird weiter kontinuierlich optimiert. Über ein "Pricing-Modell" wollen wir noch nicht reden, weil wir natürlich da einen Wettbewerbsvorteil haben gegenüber anderen. Wenn wir heute schon anfangen, über das "Pricing" zu reden, dann würden wir eventuell Wettbewerbern erklären, wie wir das genau machen würden. Und das werden wir erst dann tun können, wenn wir wirklich das Produkt an den Markt bringen.
Münchenberg: Nun ist der Trend nicht ganz neu, sondern es ist schon seit Jahren zu beobachten, dass das Briefvolumen langsam zurück geht. Bei der dänischen Post, habe ich jetzt gelesen, da gibt's schon ein elektronisches Portal. Die sind da also deutlich weiter als die Deutsche Post. Also hat man da den Trend nicht ein bisschen verschlafen oder zu spät reagiert?
Appel: Nein, ich glaube, dass wir da vom Zeitpunkt her sehr gut liegen, das sind eh‘ nur ein paar Monate hin oder her. Der Punkt ist ja immer: Wenn wir zu früh damit begonnen hätten, dann hätten wir - und wir werden das ja dadurch - unser Kerngeschäft kannibalisieren. Und dann hätte man wahrscheinlich früher angefangen, den klassischen Brief zu ersetzen. Und ich glaube, das wäre auch nicht im Sinne des Erfinders gewesen. Sie haben ja einen sich beschleunigten Trend der Substitution jetzt durch das Internet, und gleichzeitig müssen Sie natürlich selber hergehen, nicht die Substitution zu früh selbst zu beschleunigen. Ich glaube, wir sind da momentan in einem optimalen Zeitfenster. Ich glaube nicht, dass wir da zu spät sind, sonst würde es solche Produkte heute schon im Markt eingeführt geben, die gibt es heute nicht. Da sind ja andere schon auf diese Idee gekommen. Ich glaube, vom Timing her liegen wir da genau richtig.
Münchenberg: Nun ist das eine der elektronische Brief, um auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Das andere ist - Sie haben es selber gesagt - an die Kosten muss man weiter rangehen. Nun gab es erst Tarifverhandlungen, die sind beendet worden. In zwei Punkten allerdings, das muss man sagen, haben Sie sich ja nicht durchsetzen können: Einmal, was die Dauer der Arbeitszeit angeht, da wollten Sie mehr als 38,5 Stunden, das hat Ver.di verhindert. Und auch die Lohnerhöhung jetzt zum 1. Dezember wird kommen....
Appel: Ja, ich glaube, wir müssen vielleicht erst mal konstatieren, dass wir einen laufenden Vertrag hatten. Und wir haben gesagt: Wir müssen darüber noch mal reden, wie wir jetzt die nächsten zwei Jahre oder die nächsten Jahre damit umgehen. Ich finde das schon einen Erfolg, einen signifikanten Erfolg, auch einen signifikanten Beitrag unserer Mitarbeiter, dass es uns gelungen ist, für zwei Jahre eine Nullrunde zu vereinbaren. Wir hatten ja gar nichts, wir hatten einen geschlossenen Vertrag. Wir haben diesen alten Vertrag nicht aufgemacht. Aber ich glaube, da muss man auch realistisch sein. Man kann auch nicht beliebig sagen, dass die Gewerkschaft einen geschlossenen Vertrag auflösen soll. Deswegen bin ich mit dem Gesamtergebnis sehr zufrieden. Nun, ich glaube, wir haben einen fairen Kompromiss gefunden.
Münchenberg: Nun haben Sie aber trotzdem diesen Tarifabschluss als "Etappe" bezeichnet, wohl wissend, dass es vielleicht für zwei Jahre jetzt Ruhe schafft. Aber, wie gesagt, Sie haben den Druck vom Briefsektor her. Bis zum Ende 2011 läuft jetzt diese Einigung. Müssen sich die Mitarbeiter dann auf eine deutlich härtere Gangart einstellen, auch gerade, was das Thema Arbeitszeit anbelangt?
Appel: Das wird sehr stark davon abhängen, wie die Situation dann sein wird. Also, so wie ich im Sommer gesagt habe, dass ich Sorge habe, weil wir erhebliche Volumenrückgänge haben - und die habe ich ja weiterhin, weil wir weiter Volumenrückgänge haben -, aber wir haben jetzt einen signifikanten Beitrag der Mitarbeiter bekommen, der die Situation für die nächsten zwei Jahre stabilisieren wird. Das wird sehr davon abhängen, wie es die nächsten Jahre weitergeht. Wenn wir keine wirtschaftliche Erholung haben, dann haben wir keinerlei Entlastung am Markt, die Substitution findet sowieso statt. Das heißt, wir werden in zwei Jahren sehen müssen, wo wir dann stehen. Und dann muss man genau so ehrlich sagen, wie wir das im Sommer gesagt haben - das war unser Ziel, ehrlich zu sagen: Es ist eine schwierige Situation.
Münchenberg: Ich würde trotzdem ganz gern beim Thema Brief mal bleiben. Fakt ist ja: Das Briefvolumen geht zurück. Das heißt doch aber auch, Sie haben irgendwann zu viele Briefträger?
Appel: Ja natürlich, das haben wir heute schon, dass wir immer wieder reduzieren. Also wir haben nicht zu viele Briefträger heute, weil, wenn Volumen rückgängig werden, dann regeln wir das dadurch, dass wir Mitarbeiter, die in Ruhestand gehen, nicht mehr ersetzen und deren Arbeit auf die Schulter anderer verteilen. Und es gibt da Produktivitätsmaßnahmen, das heißt, die Arbeit wird effizienter gestaltet damit wir das dann auffangen können. Und das ist natürlich ein kontinuierlicher Prozess, den wir seit 15 Jahren machen, den die Mitarbeiter auch kennen. Und das Kernthema ist, dass momentan der Volumenrückgang sich beschleunigt hat, und das ist die echte Herausforderung.
Münchenberg: Im Interview der Woche heute Frank Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post. Herr Appel, viele Briefträger klagen ja auch jetzt über eine steigende Arbeitsbelastung. Ihre Arbeitswege werden heute längst über Computer ausgerechnet, viele kommen früher zur Arbeit, auch um ihre Taschen zu packen, weil zu wenig Zeit ist. Also hier kann man doch eigentlich, auch was Rationalisierung angeht, kaum noch mehr den Druck erhöhen, oder?
Appel: Also, zunächst einmal würde ich das zurückweisen, und ich fühle mich darin bestätigt, dass eben unsere gerade gelaufene Mitarbeiterbefragung zeigt, dass wir die Mitarbeiterzufriedenheit gegenüber dem Frühjahr deutlich gesteigert haben. Man kann das zwar immer lesen, natürlich gibt es Mitarbeiter, aber in welchem Unternehmen gibt es die nicht, die sich über Überlastung beklagen. Aber wenn insgesamt bei einer umfassenden Befragung, an der sich sehr viele Menschen beteiligt haben in unserem Unternehmen, diese sagen, die Mitarbeiterzufriedenheit ist heute höher, deutlich höher als vor einem Jahr, dann würde ich nicht sagen, dass wir jetzt nur völlig überlastete Kräfte haben, die alle unter ihrer Arbeit leiden. Deswegen würde ich mal sagen, ja, man findet solche Kommentare immer wieder in der Zeitung. Man wird sicherlich Einzelfälle finden, aber das ist kein Flächenphänomen. Ich glaube, unsere Mitarbeiter fühlen sich immer noch sehr wohl, wissen, was sie für einen Wertbeitrag leisten und fühlen sich auch fair bezahlt. Deswegen glaube ich, ist das erst mal als Faktum zu bestreiten. Nichtsdestotrotz haben Sie Recht. Wir haben in den letzten Jahren die Prozesse, was die Zustellung angeht, weiter optimiert. Ich habe mir da selber ein Bild davon gemacht. Ich habe vor drei Monaten selber zugestellt. Ja, da sind nicht mehr beliebige Produktivitätsreserven zu holen in der gegebenen Arbeitszeit. Deswegen habe ich ja im Sommer gesagt, natürlich können wir in der gegebenen Arbeitszeit nicht mehr beliebige Optimierungen machen, sondern wir müssen da überlegen, die Arbeitszeit zu verlängern. Das haben wir jetzt im ersten Schritt nicht getan. Damit können wir jetzt auch leben als Unternehmen. Nichtsdestotrotz haben wir weiterhin natürlich die Diskussion. Sie können nicht durch Arbeitsverdichtung die Produktivitätsreserven neu erholen, sondern Sie brauchen neue Ideen. Wir sortieren zukünftig nicht nur die Gangfolge, das heißt, wie zugestellt wird. Heute wird für die normalen Standardbriefe dem Zusteller das sortiert wie die Hausnummern sind. Das können wir zukünftig auch durch neue Investitionen in die Briefcenter auch für die großen Briefe tun. Das verkürzt die Dauer der Sortierung am Morgen, weil nicht mehr der Zusteller selbst das sortieren muss. Und damit schöpfen wir Produktivität. Aber da gibt es nicht mehr eine beliebige Anzahl. Und deswegen kommen wir wieder zurück auf das Thema Lohn, denn Arbeitszeit ist letzten Endes die Produktivität und die Kosten, die wir da haben.
Münchenberg: Nun ist ja die Post trotzdem ein besonderes Unternehmen. Das werden Sie auch immer wieder leidvoll erfahren, wenn sich die Leute darüber aufregen, dass die Post nicht pünktlich kommt. Aber so jemand wie ein Briefträger hat ja durchaus eine gewisse soziale Funktion. Er bringt gute Nachrichten, schlechte Nachrichten. Dieses Bild von so einem Briefträger, der vielleicht auch noch mal Zeit hat zu einem Schwätzchen, der hat doch eigentlich in einem DAX-geführten Konzern, wo es vor allem um Rendite geht, um Kostenminimierung, eigentlich keinen Platz mehr, oder?
Appel: Also, ich glaube, das ist sehr schwarz-weiß geschildert. Natürlich haben wir ein interessantes Phänomen, dass wir seit zwölf Jahren unsere Preise nicht mehr erhöht haben. Und damit sind wir wahrscheinlich die einzige Industrie, die das so in dieser Form erlebt hat, dass keine Preiserhöhung mehr stattgefunden hat. Und trotzdem haben wir natürlich deutlich gestiegene Löhne gehabt. Das können Sie natürlich nur Produktivitätserhöhung machen. Aber wie gesagt, wenn man mal mit so einem Zusteller mitgeht, dann sieht man schon, dass es schon, dass es schon an der einen oder anderen Stelle mal so etwas gibt. Da kam eine Dame auf mich zu und sagte: "Sie, junger Mann" - da habe ich mich gefreut, denn das habe ich schon lange nicht mehr gehört, dass jemand "junger Mann" zu mir sagt - "Sie sind doch bei der Post" - die hat mich vorher nie gesehen, ich hatte aber natürlich eine gelbe Jacke mit dem Posthorn an - und hat gesagt: "Können Sie nicht meine Briefe mitnehmen?" Und dann habe ich mich kurz mit der unterhalten. Das hat aber nicht dazu geführt, dass wir nicht rechtzeitig fertig geworden sind. Also, es ist schon so, diese Zeiten sind kürzer geworden, das stimmt, aber es ist nicht unmöglich geworden, weiterhin auch noch mal an der einen oder anderen Stelle mit den Menschen zu sprechen.
Münchenberg: Stichwort Kundenzufriedenheit: Es gab jetzt im Sommer einen Modellversuch. Da wurden dann die Zustellzeiten gerade an Montagen eingeschränkt. Es gab auch teilweise Ärger bei den Kunden. Da war bei der Post von einem Testlauf die Rede. Was hat man jetzt aus diesem Test gelernt? Ist es vielleicht dann doch etwas, was man wiederholen wird, eben auch im Hinblick darauf, Kosten zu sparen?
Appel: Vielleicht zunächst noch mal zur Kundenzufriedenheit. Es wird auch immer gerne natürlich gesagt, die Kunden sind unzufrieden. Ja, ich ärgere mich über jeden Kunden, der mit unserer Dienstleistung nicht zufrieden ist. Da muss man jeden Tag daran arbeiten. Das stört mich, das ärgert mich, denn ein unzufriedener Kunde ist kein Kunde, der gerne unsere Dienstleistung kauft. Aber wenn man dann wiederum externe Studien hat, de ja regelmäßig gemacht werden, wo auch wir verglichen werden mit anderen Dienstleistungen, da gibt es die größte Studie in Deutschland, das ist der Kundenmonitor, die unabhängig von irgendeinem Unternehmen gemacht wird. Da werden Banken, Autowerkstätten und alles getestet. Und da haben wir die höchste Kundenzufriedenheit unserer Kunden in den letzen zehn Jahren in diesem Jahr gehabt.
Münchenberg: Noch mal die Frage zum Test bitte.
Appel: Ja, aber das ist wichtig, dass ich das jetzt positioniere. Und jetzt zu dem Test. Natürlich gab es da auch Dinge, die nicht rund gelaufen sind. Aber das ist ja genau das, was ein Unternehmer tun muss. Er muss neue Dinge ausprobieren, neue Prozesse. Und wenn Sie einen neuen Prozess einführen, dann haben Sie nicht gleich eine Null-Fehler-Rate, sondern da gibt es Reibungsverluste. Deswegen gab es Dinge, die nicht funktioniert haben. Das haben wir erkannt. Wir haben unsere Lehren daraus gezogen. Deswegen kann es sein, dass wir so was wieder machen werden. Wir haben dazu noch keine Entscheidung getroffen. In der Starkverkehrszeit, die wir jetzt haben, die sich im Wesentlichen zwischen November und dem Frühjahr bewegt, haben wir keinerlei Möglichkeit, überhaupt solche Dinge zu tun, weil wir genügend Volumen haben. Ob wir das dann im nächsten Sommer wieder tun werden oder in einer modifizierten Form, das wird man sehen. Aber trotzdem ist unser Job, wenn man unter Druck steht, was die Produktivität anbetrifft, dann muss man als Unternehmen neue Dinge ausprobieren. Das ist, glaube ich, genau richtig. Und da funktioniert auf Anhieb nicht alles. Und das tut mir natürlich leid, weil das unsere Kunden verärgert. Und das ärgert mich, wenn was schief geht. Aber trotzdem ist es, glaube ich, richtig, diesen Weg zu gehen, aus den Fehlern zu lernen und sie beim nächsten Mal von Anfang an richtig zu machen.
Münchenberg: Gibt es weiter Überlegungen - die gab es im Vorfeld auch schon mal, die wurden dann immer wieder zurück gezogen, weil es sehr laute Proteste gab - die Zustellung einzuschränken? Es ist ja alles geregelt in der Universaldienstleistungsverordnung, so heißt das schöne Wort. Also, gibt es da Überlegungen, denn die soll ja nächstes Jahr modifiziert werden, die Zustellzeiten insgesamt zu verringern? Ist das auch ein Anliegen der Post?
Appel: Nein, wir wollen weiterhin unsere Dienstleistung sechs Tage in der Woche erbringen. Was wir immer wieder sagen ist, dass sich die Politik - denn diese Postuniversaldienstverordnung, die wird alle 25 Jahre mal angepackt - mal darüber Gedanken machen muss, wie gestalte ich eine Universaldienstverordnung so flexibel, dass eine Post oder ein Universaldiensterbringer auch flexibel reagieren kann, denn wir wissen nicht, was in 25 Jahren ist. Die Postuniversaldienstverordnung, wie sie heute ist, ist geschaffen worden, da gab es noch nicht mal ein Internet. Da gab es gar nichts. Da gab es auch keine Universitäten, die miteinander kommunizieren haben. Das heißt, wir sagen, ihr müsst euch darüber Gedanken machen, wie gestaltet ihr das so flexibel, dass im Zweifel wir maximal die Kundenbedürfnisse erbringen können. Kundenbedürfnisse sind, dass man Briefmarken bekommt, dass man Pakete aufgeben und empfangen kann, dass man Briefe empfangen kann, das sind alle Dienstleistungen, die erbracht werden müssen. Aber in welcher Form und wie häufig die erbracht werden müssen, das ist auch ein bisschen abhängig davon, was der Kunde dafür bezahlen möchte und wann er das bezahlen möchte und ob wir da unterschiedliche Preissysteme haben und was auch immer. Konkret gibt es überhaupt keine Pläne. Was wir immer nur sagen, ihr als Politik könnt das jetzt nicht anpassen und die Vergangenheit einfach nur fortschreiben, sondern ihr müsst intelligent auch die Zukunft konzipieren, ohne dass die Post heute schon Pläne hat.
Münchenberg: Flexibilität klingt natürlich besser als wenn ich sagen würde "Hintertürchen offen lassen", um zum Beispiel eine Post mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten einzuführen, die eben dann auch unterschiedlich viel kostet oder eben vielleicht doch die Zustellzeiten zu variieren. Ist es nicht dann doch das, worum es eigentlich geht?
Appel: Ja, wie gesagt, man muss einfach realistisch betrachten, dass wir heute ein deutlich rückläufiges Volumen haben. Und das oberste Ziel muss sein, dass wir eine maximale Leistung für die Bürger in diesem Land erbringen. Und das ist mein erklärter Wunsch und auch mein Ziel. Und dafür müssen Sie sagen, wie können Sie das erreichen? Können Sie das immer nur dadurch erreichen, dass Sie weiterhin genau vorschreiben, wie viele Filialen oder wie viele Briefkästen, oder gibt es intelligentere Möglichkeiten?
Münchenberg: Herr Appel, noch zwei Fragen. Das eine wäre, die Post hat jetzt keinen Antrag gestellt für eine Portoerhöhung für Briefe und Postkarten. Also 2010 wird sich da nichts ändern. Sie haben vorhin immer wieder auf die Kosten hingewiesen, die ja auch reduziert werden müssen. Wie passt das zusammen, auf der einen Seite hat man ein Kostenproblem, auf der anderen Seite stellt man keinen Antrag auf Portoerhöhung?
Appel: Zum einen gibt es den Wettbewerb, und man kann natürlich nur bestimmte Preise durchsetzen, von denen man überzeugt ist, dass sie auch im Wettbewerb durchsetzbar sind . . .
Münchenberg: Wobei man sagen muss, dass der Wettbewerb natürlich auf dem deutschen Markt nicht so funktioniert.
Appel: Es gibt eine Menge Wettbewerber in Deutschland. Und das zweite ist genau so wichtig. Wir haben ja eine klare Preisformel, der wir unterliegen, und die sagt heute uns schon, dass wir im Jahr 2011 die Preise wieder senken müssen. Eine Umstellung des Portos um ein paar Cent ist ein Riesenunterfangen, denn es müssen alle Kunden ihre Maschinen umstellen, wir müssen neue Briefmarken drucken und was alles dahinter steht. Das ist ein Riesenumstellungsaufwand, weil Sie ja sicherstellen müssen, dass die alten Briefmarken noch weiter genutzt werden. Das heißt, Sie kriegen so krumme Briefmarken, die Sie zusätzlich verkaufen müssen. Das ist ein Riesenaufwand. Das heißt, die Kosten haben Sie zwei mal. Sie müssen nämlich einmal für die Erhöhung und dann im nächsten Jahr wieder, damit es wieder auf dem gleichen Niveau ist, zurück umstellen. Und haben wir gesagt, das ist völlig unverhältnismäßig. Und deswegen haben wir uns entschieden zu sagen: Nein, wir fahren da jetzt geradeaus.
Münchenberg: Stichwort Mehrwertsteuerprivileg. 19 Prozent, die Post ist davon befreit als Universaldienstleister. Die neue Koalition überlegt jetzt, das zu kippen, zumindest, was den Firmenbereich angeht, die Großkundenverträge. Was würde das für die Deutsche Post bedeuten, wenn auch jetzt die Deutsche Post da plötzlich 19 Prozent Mehrwertsteuer erheben muss?
Appel: Also, das können wir noch nicht genau sagen. Zunächst einmal ist es ja so, dass es ein Gesetzgebungsverfahren dafür gibt und es gibt ein EU-Recht und es gibt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Und nach unserer Interpretation und auch von renommierten Juristen gibt es eine weitgehende Befreiung der Mehrwertsteuer nach diesem Urteil des EuGH. Das wird teilweise unterschiedlich gesehen. Nichtsdestotrotz habe ich da volles Vertrauen in die neue Regierung und auch in das Parlament, das die eine gesetzeskonforme Regel schaffen werden. Und da muss man entscheiden, was tatsächlich überhaupt mehrwertsteuerpflichtig wird. Das ist heute völlig unklar. Ich glaube, für die privaten Kunden ist heute schon ziemlich klar, das ist auch bisher in den Aussagen der Regierung immer, dass die privaten Kunden auf jeden Fall ausgenommen werden, dass es keine Mehrwertsteuer gibt. Das heißt, für die privaten Kunden wird sich gar nichts ändern mit großer Wahrscheinlichkeit. Aber es ist heute zu früh, denn wir wissen noch nicht, was am Ende das Parlament beschließt. Wir sagen immer, und wir haben da auch Vertrauen in Regierung und Parlament, es gibt eine klare EU-Verordnung, die jetzt vom EuGH noch weiter präzisiert worden ist, und die sagt, wenn man keine einzelvertraglichen Vereinbarungen macht und man gleichzeitig Universaldienstleister ist, braucht man oder soll man keine Mehrwertsteuer erheben. Wir glauben, dass das für den Großteil unseres Geschäftes gilt, weil bei uns alle Preise und alle Bedingungen transparent sind. Die sind nicht individual-rechtlich vereinbart worden und deswegen, sagen wir, sind wir weitgehend mehrwertsteuerbefreit. Wenn andere Unternehmen das auch tun, werden die auch mehrwertsteuerbefreit. Und deswegen müssen wir uns mal den weiteren Prozess ansehen. Aber ich habe da zumindest mal Vertrauen in die Regierung, weil die Regierung ein Interesse hat, eine rechtskonforme Regulierung zu schaffen. Und deswegen müssen wir mal abwarten und deswegen ist es heute zu früh, irgend etwas dazu zu sagen.
Münchenberg: Nun haben wir ja ganz viel über die elektronischen Briefe gesprochen. Zu Weihnachten schreibt man ja viele Briefe - da würde mich interessieren - was macht eigentlich der Chef der Deutschen Post? Schreiben Sie selber noch Briefe oder geht das eben doch alles elektronisch heute?
Appel: Nein, ich nutze weder SMS-Verteiler, um Weihnachtsgrüße zu verschicken, noch nutze ich E-Mail, und das ist jedes Mal ein enormer Stress, weil ich natürlich viel schreibe, sowohl privat, aber auch geschäftlich. Und das müssen Sie dann in Ihren vollen Terminkalender dann noch einbauen. Und das findet dann manchmal relativ lange abends statt, dass ich das mit nach Hause nehme und dann zu Hause sitze und viele Karten schreibe, weil ich mir Mühe gebe, möglichst jedem einen persönlichen Satz da rein zu schreiben. Und das ist, Sie können es sich vorstellen, nicht wenig. Aber ich schreibe weder E-Mails noch SMS, denn ein Weihnachtsgruß ist entweder überflüssig oder er ist persönlich, das heißt handschriftlich. Sonst können Sie es sich auch gleich schenken. Dann brauchen Sie ihn auch gar nicht schicken. Und bei einer E-Mail wissen Sie, wenn man meinen Job hat wird jeder auf der anderen Seite meinen, das hat sein Büro gemacht, die haben einen Verteiler gehabt, da hat er einmal den Text freigegeben, und dann haben die auf den Knopf gedrückt und dann haben die das geschrieben. Und dann habe Sie keine Wertschätzung, und dann kann ich es auch gleich lassen. Und deswegen mache ich das nicht.
Münchenberg: Klares Plädoyer vom Postchef für den Brief. Vielen Dank.
Frank Appel: Ja, also insgesamt kann man sagen, dass sicherlich Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist. Wir als Logistikunternehmen sind ja Unternehmen, was ein typischer Frühindikator ist. Das Problem ist leider nur so ein bisschen: Wir wissen es auch immer erst dann, wenn es passiert ist, weil uns unsere Kunden nicht sagen, wie viel sie jetzt in den nächsten vier Wochen, in den nächsten drei Monaten transportieren werden. Wenn wir dann eben diesen Anstieg des vierten Quartalsvolumens gesehen hätten, dann wäre das eine klare Indikation, dass wirklich was passiert. Wir haben das mit Ablauf des dritten Quartals nur im geringen Ausmaß gesehen. Nichtsdestotrotz gibt es Kommentare von großen Kunden aus der Hightech-Industrie und auch anderen, dass die schon sehen, dass das Volumen wieder ansteigt und dass wieder höhere Nachfragen da sind. Deswegen sind wir verhalten positiv, wir haben noch keine Erholung gesehen in unseren Zahlen, unsere Zahlen sind immer noch niedriger als im Vorjahr.
Münchenberg: Nun sagen ja manche sogar, das Schlimmste sei schon ausgestanden in der Finanz- und Wirtschaftskrise. So weit gehen Sie definitiv nicht?
Appel: Nein, es ist zunächst erst mal nicht auszuschließen, dass es wieder Rückschläge geben wird. Das wird sehr viel davon abhängen, wie die Konsumenten sich verhalten. Die Konsumenten haben sich in dieser Krise bisher sehr rational verhalten, sie sind eigentlich diejenigen, die am meisten Stabilität erzeugt haben, weil sie nämlich ihr Kaufverhalten gar nicht wahnsinnig geändert haben. Wenn Sie in Deutschland Menschen fragen, werden Sie wahrscheinlich auch häufig hören, dass gar nicht so viele sich von der Krise betroffen fühlen bisher. Deswegen muss es jetzt Ziel sein, dass jetzt kein Konsumenteneinbruch stattfindet. Das hat natürlich auch was damit zu tun, dass nicht jetzt die Arbeitslosigkeit dramatisch steigt, weil das natürlich Folgen mit sich bringt. Wenn die Menschen merken, dass ihre Kollegen arbeitslos werden, dann fangen sie an, natürlich ihr Konsumentenverhalten zu verändern. Deswegen wird das erste Halbjahr 2010 sehr viel Bedeutung haben, wie sich das insgesamt verhält, ob wir eine Zwischenerholung erleben und dann wieder einen Abbruch, oder ob wir tatsächlich einen positiven Trend sehen.
Münchenberg: Die Deutsche Post als einer der größten Logistiker bekommt das natürlich alles zu spüren - auch an den Geschäftszahlen unmittelbar. Eine Reaktion ist jetzt auch bei vielen Unternehmen, aber auch bei der Deutschen Post, dass man versucht, Kosten zu senken, also sich aus der Krise zu sparen. Ist das nicht manchmal auch ein gefährlicher Weg, der dann auch an die Substanz von Unternehmen gehen könnte?
Appel: Nein, ich glaube, das ist absolut geboten. Also es ist genau falsch zu sagen: Wir können das Problem überwintern. Ich glaube, es war genau richtig, was wir getan haben, dass wir sehr frühzeitig angefangen haben, die Kosten rauszunehmen. Wenn Sie Kunden haben, denen 30 Prozent, 50 Prozent des Volumens wegfällt, dann können Sie nicht sagen: Wir hoffen mal darauf, dass es eine schnelle Reaktion gibt. Dann müssen Sie intelligente Antworten finden. Die bestehen nicht da drin, Arbeitsplätze abzubauen, sondern Kosten zu flexibilisieren oder auch eben zugekaufte Kosten zu reduzieren. Also wir haben weltweit nicht immer nur gesagt, wir müssen jetzt Arbeitsplätze abbauen, sondern wir haben gesagt: Wir müssen die Kosten, die wir haben, verbessern. Und das führt teilweise dazu, dass wir Löhne reduziert haben, dass wir Kurzarbeit in anderen Ländern auch teilweise gemacht haben, weniger in Deutschland. Und ich glaube, genau das muss das Ziel sein, dass man versucht, sich dem Volumen anzupassen. Ich glaube, das ist die Verantwortung, dass man nicht wartet. Denn wenn man den Berg vor sich herschiebt und hofft, dass irgendwann die Konjunktur wieder anzieht, dann macht man genau das Verkehrte. Und ich glaube, man darf das nicht so weit treiben, dass man Strukturen kaputt macht, aber davon sind wir weit, weit entfernt. Wir haben keine Strukturen kaputt gemacht, wir haben einfach die bestehenden Strukturen optimiert.
Münchenberg: Herr Appel, kommen wir mal auf das Inlandsgeschäft zu sprechen. Sie haben es vorhin ja schon angedeutet, da ist ein ganz großer Baustein das Briefgeschäft bei der Deutschen Post, weil viele Menschen ihr Verhalten mittlerweile einfach ändern - sie chatten, sie verschicken SMS. Die Firmen überlegen jetzt, ob sie elektronische Post verschicken können, Werbung wird eher ins Internet platziert. Das geht ja alles bei der Post weg. Zunächst mal die grundsätzliche Frage: Stirbt der klassische Brief?
Appel: Also, der klassische Brief wird sicherlich rückläufig sein, aber er wird niemals sterben. Es wird immer ein Niveau geben, wo der klassische Brief einfach unschlagbar ist in seinen Eigenschaften gegenüber jedem anderen Medium, und das wird auch in Zukunft so sein. Die Unbekannte dabei ist: Wir wissen nicht, ob das bei 50 Prozent, bei 70 oder bei 80 Prozent vom heutigen Volumen sein wird, und das ist die Herausforderung.
Münchenberg: Und trotzdem ist es ja so, ich habe es vorhin schon angesprochen: Das Verhalten ändert sich, es ist einfach ein technologischer Wandel, der da auch mitspielt. Insofern muss ja die Post reagieren, zumal das Briefgeschäft bislang die "Cash-Cow" wie es so schön heißt, war im Konzern. Das heißt, man hat da richtig gutes Geld verdient. Das ändert sich jetzt. Ganz konkret: Wie will die Post gegensteuern?
Appel: Ja, wir wollen einen Brief im Internet - oder einen "Online-Brief" machen. Es gibt da drei V's, das ist Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Vertraulichkeit. Und diese Dinge müssen wir nach vorne bringen, genau so, wie wir das mit dem klassischen Brief machen. Und da gibt es ein Potenzial, weil es Menschen gibt, die haben ein Kommunikationsbedürfnis, und die möchten das gerne, dass ihre Information verschlüsselt ist und dass keiner sie mit lesen kann. Sie möchten wissen, dass es auch wirklich den Empfänger erreicht, auch dann, wenn er selber vielleicht gar keinen Internetzugang hat, sondern er möchte einen klassischen Brief. Und das können wir kombinieren. Und das verkörpert der Name "Deutsche Post". Und deswegen sehen wir hier Wachstumspotenziale, auch ganz neue Angebote zu machen, die aber immer damit verbunden sind, dass Sie den Empfänger eindeutig identifiziert haben, dass Sie den Absender eindeutig identifiziert haben, dass Sie sicherstellen, dass die Information vertraulich gehandhabt wird, dass keine sie mitlesen kann und dass sie auch wirklich ausgeliefert wird.
Münchenberg: Geht es ein bisschen genauer - Stichwort elektronischer Brief, elektronisch Post, was kostet das, wie steht's mit der Sicherheit?
Appel: Also die Preise können wir noch nicht sagen. Aber wir wollen dieses Produkt im ersten Halbjahr nächsten Jahres an dem Markt bringen. Wir testen gerade die Software, die eben genau diese Verschlüsselung erzeugt, das es eben hoch verschlüsselt ist, damit keiner mitlesen kann. Da sind wir momentan im internen Test, und da arbeiten wir auch mit "Hackern", die sich das anschauen und nicht wissen, wie der Algorithmus der Programmierung ist und nichts anderes tun, als den ganzen Tag zu versuchen, dieses System zu knacken - was ihnen bisher noch nicht gelungen ist. Und das wird weiter kontinuierlich optimiert. Über ein "Pricing-Modell" wollen wir noch nicht reden, weil wir natürlich da einen Wettbewerbsvorteil haben gegenüber anderen. Wenn wir heute schon anfangen, über das "Pricing" zu reden, dann würden wir eventuell Wettbewerbern erklären, wie wir das genau machen würden. Und das werden wir erst dann tun können, wenn wir wirklich das Produkt an den Markt bringen.
Münchenberg: Nun ist der Trend nicht ganz neu, sondern es ist schon seit Jahren zu beobachten, dass das Briefvolumen langsam zurück geht. Bei der dänischen Post, habe ich jetzt gelesen, da gibt's schon ein elektronisches Portal. Die sind da also deutlich weiter als die Deutsche Post. Also hat man da den Trend nicht ein bisschen verschlafen oder zu spät reagiert?
Appel: Nein, ich glaube, dass wir da vom Zeitpunkt her sehr gut liegen, das sind eh‘ nur ein paar Monate hin oder her. Der Punkt ist ja immer: Wenn wir zu früh damit begonnen hätten, dann hätten wir - und wir werden das ja dadurch - unser Kerngeschäft kannibalisieren. Und dann hätte man wahrscheinlich früher angefangen, den klassischen Brief zu ersetzen. Und ich glaube, das wäre auch nicht im Sinne des Erfinders gewesen. Sie haben ja einen sich beschleunigten Trend der Substitution jetzt durch das Internet, und gleichzeitig müssen Sie natürlich selber hergehen, nicht die Substitution zu früh selbst zu beschleunigen. Ich glaube, wir sind da momentan in einem optimalen Zeitfenster. Ich glaube nicht, dass wir da zu spät sind, sonst würde es solche Produkte heute schon im Markt eingeführt geben, die gibt es heute nicht. Da sind ja andere schon auf diese Idee gekommen. Ich glaube, vom Timing her liegen wir da genau richtig.
Münchenberg: Nun ist das eine der elektronische Brief, um auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Das andere ist - Sie haben es selber gesagt - an die Kosten muss man weiter rangehen. Nun gab es erst Tarifverhandlungen, die sind beendet worden. In zwei Punkten allerdings, das muss man sagen, haben Sie sich ja nicht durchsetzen können: Einmal, was die Dauer der Arbeitszeit angeht, da wollten Sie mehr als 38,5 Stunden, das hat Ver.di verhindert. Und auch die Lohnerhöhung jetzt zum 1. Dezember wird kommen....
Appel: Ja, ich glaube, wir müssen vielleicht erst mal konstatieren, dass wir einen laufenden Vertrag hatten. Und wir haben gesagt: Wir müssen darüber noch mal reden, wie wir jetzt die nächsten zwei Jahre oder die nächsten Jahre damit umgehen. Ich finde das schon einen Erfolg, einen signifikanten Erfolg, auch einen signifikanten Beitrag unserer Mitarbeiter, dass es uns gelungen ist, für zwei Jahre eine Nullrunde zu vereinbaren. Wir hatten ja gar nichts, wir hatten einen geschlossenen Vertrag. Wir haben diesen alten Vertrag nicht aufgemacht. Aber ich glaube, da muss man auch realistisch sein. Man kann auch nicht beliebig sagen, dass die Gewerkschaft einen geschlossenen Vertrag auflösen soll. Deswegen bin ich mit dem Gesamtergebnis sehr zufrieden. Nun, ich glaube, wir haben einen fairen Kompromiss gefunden.
Münchenberg: Nun haben Sie aber trotzdem diesen Tarifabschluss als "Etappe" bezeichnet, wohl wissend, dass es vielleicht für zwei Jahre jetzt Ruhe schafft. Aber, wie gesagt, Sie haben den Druck vom Briefsektor her. Bis zum Ende 2011 läuft jetzt diese Einigung. Müssen sich die Mitarbeiter dann auf eine deutlich härtere Gangart einstellen, auch gerade, was das Thema Arbeitszeit anbelangt?
Appel: Das wird sehr stark davon abhängen, wie die Situation dann sein wird. Also, so wie ich im Sommer gesagt habe, dass ich Sorge habe, weil wir erhebliche Volumenrückgänge haben - und die habe ich ja weiterhin, weil wir weiter Volumenrückgänge haben -, aber wir haben jetzt einen signifikanten Beitrag der Mitarbeiter bekommen, der die Situation für die nächsten zwei Jahre stabilisieren wird. Das wird sehr davon abhängen, wie es die nächsten Jahre weitergeht. Wenn wir keine wirtschaftliche Erholung haben, dann haben wir keinerlei Entlastung am Markt, die Substitution findet sowieso statt. Das heißt, wir werden in zwei Jahren sehen müssen, wo wir dann stehen. Und dann muss man genau so ehrlich sagen, wie wir das im Sommer gesagt haben - das war unser Ziel, ehrlich zu sagen: Es ist eine schwierige Situation.
Münchenberg: Ich würde trotzdem ganz gern beim Thema Brief mal bleiben. Fakt ist ja: Das Briefvolumen geht zurück. Das heißt doch aber auch, Sie haben irgendwann zu viele Briefträger?
Appel: Ja natürlich, das haben wir heute schon, dass wir immer wieder reduzieren. Also wir haben nicht zu viele Briefträger heute, weil, wenn Volumen rückgängig werden, dann regeln wir das dadurch, dass wir Mitarbeiter, die in Ruhestand gehen, nicht mehr ersetzen und deren Arbeit auf die Schulter anderer verteilen. Und es gibt da Produktivitätsmaßnahmen, das heißt, die Arbeit wird effizienter gestaltet damit wir das dann auffangen können. Und das ist natürlich ein kontinuierlicher Prozess, den wir seit 15 Jahren machen, den die Mitarbeiter auch kennen. Und das Kernthema ist, dass momentan der Volumenrückgang sich beschleunigt hat, und das ist die echte Herausforderung.
Münchenberg: Im Interview der Woche heute Frank Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post. Herr Appel, viele Briefträger klagen ja auch jetzt über eine steigende Arbeitsbelastung. Ihre Arbeitswege werden heute längst über Computer ausgerechnet, viele kommen früher zur Arbeit, auch um ihre Taschen zu packen, weil zu wenig Zeit ist. Also hier kann man doch eigentlich, auch was Rationalisierung angeht, kaum noch mehr den Druck erhöhen, oder?
Appel: Also, zunächst einmal würde ich das zurückweisen, und ich fühle mich darin bestätigt, dass eben unsere gerade gelaufene Mitarbeiterbefragung zeigt, dass wir die Mitarbeiterzufriedenheit gegenüber dem Frühjahr deutlich gesteigert haben. Man kann das zwar immer lesen, natürlich gibt es Mitarbeiter, aber in welchem Unternehmen gibt es die nicht, die sich über Überlastung beklagen. Aber wenn insgesamt bei einer umfassenden Befragung, an der sich sehr viele Menschen beteiligt haben in unserem Unternehmen, diese sagen, die Mitarbeiterzufriedenheit ist heute höher, deutlich höher als vor einem Jahr, dann würde ich nicht sagen, dass wir jetzt nur völlig überlastete Kräfte haben, die alle unter ihrer Arbeit leiden. Deswegen würde ich mal sagen, ja, man findet solche Kommentare immer wieder in der Zeitung. Man wird sicherlich Einzelfälle finden, aber das ist kein Flächenphänomen. Ich glaube, unsere Mitarbeiter fühlen sich immer noch sehr wohl, wissen, was sie für einen Wertbeitrag leisten und fühlen sich auch fair bezahlt. Deswegen glaube ich, ist das erst mal als Faktum zu bestreiten. Nichtsdestotrotz haben Sie Recht. Wir haben in den letzten Jahren die Prozesse, was die Zustellung angeht, weiter optimiert. Ich habe mir da selber ein Bild davon gemacht. Ich habe vor drei Monaten selber zugestellt. Ja, da sind nicht mehr beliebige Produktivitätsreserven zu holen in der gegebenen Arbeitszeit. Deswegen habe ich ja im Sommer gesagt, natürlich können wir in der gegebenen Arbeitszeit nicht mehr beliebige Optimierungen machen, sondern wir müssen da überlegen, die Arbeitszeit zu verlängern. Das haben wir jetzt im ersten Schritt nicht getan. Damit können wir jetzt auch leben als Unternehmen. Nichtsdestotrotz haben wir weiterhin natürlich die Diskussion. Sie können nicht durch Arbeitsverdichtung die Produktivitätsreserven neu erholen, sondern Sie brauchen neue Ideen. Wir sortieren zukünftig nicht nur die Gangfolge, das heißt, wie zugestellt wird. Heute wird für die normalen Standardbriefe dem Zusteller das sortiert wie die Hausnummern sind. Das können wir zukünftig auch durch neue Investitionen in die Briefcenter auch für die großen Briefe tun. Das verkürzt die Dauer der Sortierung am Morgen, weil nicht mehr der Zusteller selbst das sortieren muss. Und damit schöpfen wir Produktivität. Aber da gibt es nicht mehr eine beliebige Anzahl. Und deswegen kommen wir wieder zurück auf das Thema Lohn, denn Arbeitszeit ist letzten Endes die Produktivität und die Kosten, die wir da haben.
Münchenberg: Nun ist ja die Post trotzdem ein besonderes Unternehmen. Das werden Sie auch immer wieder leidvoll erfahren, wenn sich die Leute darüber aufregen, dass die Post nicht pünktlich kommt. Aber so jemand wie ein Briefträger hat ja durchaus eine gewisse soziale Funktion. Er bringt gute Nachrichten, schlechte Nachrichten. Dieses Bild von so einem Briefträger, der vielleicht auch noch mal Zeit hat zu einem Schwätzchen, der hat doch eigentlich in einem DAX-geführten Konzern, wo es vor allem um Rendite geht, um Kostenminimierung, eigentlich keinen Platz mehr, oder?
Appel: Also, ich glaube, das ist sehr schwarz-weiß geschildert. Natürlich haben wir ein interessantes Phänomen, dass wir seit zwölf Jahren unsere Preise nicht mehr erhöht haben. Und damit sind wir wahrscheinlich die einzige Industrie, die das so in dieser Form erlebt hat, dass keine Preiserhöhung mehr stattgefunden hat. Und trotzdem haben wir natürlich deutlich gestiegene Löhne gehabt. Das können Sie natürlich nur Produktivitätserhöhung machen. Aber wie gesagt, wenn man mal mit so einem Zusteller mitgeht, dann sieht man schon, dass es schon, dass es schon an der einen oder anderen Stelle mal so etwas gibt. Da kam eine Dame auf mich zu und sagte: "Sie, junger Mann" - da habe ich mich gefreut, denn das habe ich schon lange nicht mehr gehört, dass jemand "junger Mann" zu mir sagt - "Sie sind doch bei der Post" - die hat mich vorher nie gesehen, ich hatte aber natürlich eine gelbe Jacke mit dem Posthorn an - und hat gesagt: "Können Sie nicht meine Briefe mitnehmen?" Und dann habe ich mich kurz mit der unterhalten. Das hat aber nicht dazu geführt, dass wir nicht rechtzeitig fertig geworden sind. Also, es ist schon so, diese Zeiten sind kürzer geworden, das stimmt, aber es ist nicht unmöglich geworden, weiterhin auch noch mal an der einen oder anderen Stelle mit den Menschen zu sprechen.
Münchenberg: Stichwort Kundenzufriedenheit: Es gab jetzt im Sommer einen Modellversuch. Da wurden dann die Zustellzeiten gerade an Montagen eingeschränkt. Es gab auch teilweise Ärger bei den Kunden. Da war bei der Post von einem Testlauf die Rede. Was hat man jetzt aus diesem Test gelernt? Ist es vielleicht dann doch etwas, was man wiederholen wird, eben auch im Hinblick darauf, Kosten zu sparen?
Appel: Vielleicht zunächst noch mal zur Kundenzufriedenheit. Es wird auch immer gerne natürlich gesagt, die Kunden sind unzufrieden. Ja, ich ärgere mich über jeden Kunden, der mit unserer Dienstleistung nicht zufrieden ist. Da muss man jeden Tag daran arbeiten. Das stört mich, das ärgert mich, denn ein unzufriedener Kunde ist kein Kunde, der gerne unsere Dienstleistung kauft. Aber wenn man dann wiederum externe Studien hat, de ja regelmäßig gemacht werden, wo auch wir verglichen werden mit anderen Dienstleistungen, da gibt es die größte Studie in Deutschland, das ist der Kundenmonitor, die unabhängig von irgendeinem Unternehmen gemacht wird. Da werden Banken, Autowerkstätten und alles getestet. Und da haben wir die höchste Kundenzufriedenheit unserer Kunden in den letzen zehn Jahren in diesem Jahr gehabt.
Münchenberg: Noch mal die Frage zum Test bitte.
Appel: Ja, aber das ist wichtig, dass ich das jetzt positioniere. Und jetzt zu dem Test. Natürlich gab es da auch Dinge, die nicht rund gelaufen sind. Aber das ist ja genau das, was ein Unternehmer tun muss. Er muss neue Dinge ausprobieren, neue Prozesse. Und wenn Sie einen neuen Prozess einführen, dann haben Sie nicht gleich eine Null-Fehler-Rate, sondern da gibt es Reibungsverluste. Deswegen gab es Dinge, die nicht funktioniert haben. Das haben wir erkannt. Wir haben unsere Lehren daraus gezogen. Deswegen kann es sein, dass wir so was wieder machen werden. Wir haben dazu noch keine Entscheidung getroffen. In der Starkverkehrszeit, die wir jetzt haben, die sich im Wesentlichen zwischen November und dem Frühjahr bewegt, haben wir keinerlei Möglichkeit, überhaupt solche Dinge zu tun, weil wir genügend Volumen haben. Ob wir das dann im nächsten Sommer wieder tun werden oder in einer modifizierten Form, das wird man sehen. Aber trotzdem ist unser Job, wenn man unter Druck steht, was die Produktivität anbetrifft, dann muss man als Unternehmen neue Dinge ausprobieren. Das ist, glaube ich, genau richtig. Und da funktioniert auf Anhieb nicht alles. Und das tut mir natürlich leid, weil das unsere Kunden verärgert. Und das ärgert mich, wenn was schief geht. Aber trotzdem ist es, glaube ich, richtig, diesen Weg zu gehen, aus den Fehlern zu lernen und sie beim nächsten Mal von Anfang an richtig zu machen.
Münchenberg: Gibt es weiter Überlegungen - die gab es im Vorfeld auch schon mal, die wurden dann immer wieder zurück gezogen, weil es sehr laute Proteste gab - die Zustellung einzuschränken? Es ist ja alles geregelt in der Universaldienstleistungsverordnung, so heißt das schöne Wort. Also, gibt es da Überlegungen, denn die soll ja nächstes Jahr modifiziert werden, die Zustellzeiten insgesamt zu verringern? Ist das auch ein Anliegen der Post?
Appel: Nein, wir wollen weiterhin unsere Dienstleistung sechs Tage in der Woche erbringen. Was wir immer wieder sagen ist, dass sich die Politik - denn diese Postuniversaldienstverordnung, die wird alle 25 Jahre mal angepackt - mal darüber Gedanken machen muss, wie gestalte ich eine Universaldienstverordnung so flexibel, dass eine Post oder ein Universaldiensterbringer auch flexibel reagieren kann, denn wir wissen nicht, was in 25 Jahren ist. Die Postuniversaldienstverordnung, wie sie heute ist, ist geschaffen worden, da gab es noch nicht mal ein Internet. Da gab es gar nichts. Da gab es auch keine Universitäten, die miteinander kommunizieren haben. Das heißt, wir sagen, ihr müsst euch darüber Gedanken machen, wie gestaltet ihr das so flexibel, dass im Zweifel wir maximal die Kundenbedürfnisse erbringen können. Kundenbedürfnisse sind, dass man Briefmarken bekommt, dass man Pakete aufgeben und empfangen kann, dass man Briefe empfangen kann, das sind alle Dienstleistungen, die erbracht werden müssen. Aber in welcher Form und wie häufig die erbracht werden müssen, das ist auch ein bisschen abhängig davon, was der Kunde dafür bezahlen möchte und wann er das bezahlen möchte und ob wir da unterschiedliche Preissysteme haben und was auch immer. Konkret gibt es überhaupt keine Pläne. Was wir immer nur sagen, ihr als Politik könnt das jetzt nicht anpassen und die Vergangenheit einfach nur fortschreiben, sondern ihr müsst intelligent auch die Zukunft konzipieren, ohne dass die Post heute schon Pläne hat.
Münchenberg: Flexibilität klingt natürlich besser als wenn ich sagen würde "Hintertürchen offen lassen", um zum Beispiel eine Post mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten einzuführen, die eben dann auch unterschiedlich viel kostet oder eben vielleicht doch die Zustellzeiten zu variieren. Ist es nicht dann doch das, worum es eigentlich geht?
Appel: Ja, wie gesagt, man muss einfach realistisch betrachten, dass wir heute ein deutlich rückläufiges Volumen haben. Und das oberste Ziel muss sein, dass wir eine maximale Leistung für die Bürger in diesem Land erbringen. Und das ist mein erklärter Wunsch und auch mein Ziel. Und dafür müssen Sie sagen, wie können Sie das erreichen? Können Sie das immer nur dadurch erreichen, dass Sie weiterhin genau vorschreiben, wie viele Filialen oder wie viele Briefkästen, oder gibt es intelligentere Möglichkeiten?
Münchenberg: Herr Appel, noch zwei Fragen. Das eine wäre, die Post hat jetzt keinen Antrag gestellt für eine Portoerhöhung für Briefe und Postkarten. Also 2010 wird sich da nichts ändern. Sie haben vorhin immer wieder auf die Kosten hingewiesen, die ja auch reduziert werden müssen. Wie passt das zusammen, auf der einen Seite hat man ein Kostenproblem, auf der anderen Seite stellt man keinen Antrag auf Portoerhöhung?
Appel: Zum einen gibt es den Wettbewerb, und man kann natürlich nur bestimmte Preise durchsetzen, von denen man überzeugt ist, dass sie auch im Wettbewerb durchsetzbar sind . . .
Münchenberg: Wobei man sagen muss, dass der Wettbewerb natürlich auf dem deutschen Markt nicht so funktioniert.
Appel: Es gibt eine Menge Wettbewerber in Deutschland. Und das zweite ist genau so wichtig. Wir haben ja eine klare Preisformel, der wir unterliegen, und die sagt heute uns schon, dass wir im Jahr 2011 die Preise wieder senken müssen. Eine Umstellung des Portos um ein paar Cent ist ein Riesenunterfangen, denn es müssen alle Kunden ihre Maschinen umstellen, wir müssen neue Briefmarken drucken und was alles dahinter steht. Das ist ein Riesenumstellungsaufwand, weil Sie ja sicherstellen müssen, dass die alten Briefmarken noch weiter genutzt werden. Das heißt, Sie kriegen so krumme Briefmarken, die Sie zusätzlich verkaufen müssen. Das ist ein Riesenaufwand. Das heißt, die Kosten haben Sie zwei mal. Sie müssen nämlich einmal für die Erhöhung und dann im nächsten Jahr wieder, damit es wieder auf dem gleichen Niveau ist, zurück umstellen. Und haben wir gesagt, das ist völlig unverhältnismäßig. Und deswegen haben wir uns entschieden zu sagen: Nein, wir fahren da jetzt geradeaus.
Münchenberg: Stichwort Mehrwertsteuerprivileg. 19 Prozent, die Post ist davon befreit als Universaldienstleister. Die neue Koalition überlegt jetzt, das zu kippen, zumindest, was den Firmenbereich angeht, die Großkundenverträge. Was würde das für die Deutsche Post bedeuten, wenn auch jetzt die Deutsche Post da plötzlich 19 Prozent Mehrwertsteuer erheben muss?
Appel: Also, das können wir noch nicht genau sagen. Zunächst einmal ist es ja so, dass es ein Gesetzgebungsverfahren dafür gibt und es gibt ein EU-Recht und es gibt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Und nach unserer Interpretation und auch von renommierten Juristen gibt es eine weitgehende Befreiung der Mehrwertsteuer nach diesem Urteil des EuGH. Das wird teilweise unterschiedlich gesehen. Nichtsdestotrotz habe ich da volles Vertrauen in die neue Regierung und auch in das Parlament, das die eine gesetzeskonforme Regel schaffen werden. Und da muss man entscheiden, was tatsächlich überhaupt mehrwertsteuerpflichtig wird. Das ist heute völlig unklar. Ich glaube, für die privaten Kunden ist heute schon ziemlich klar, das ist auch bisher in den Aussagen der Regierung immer, dass die privaten Kunden auf jeden Fall ausgenommen werden, dass es keine Mehrwertsteuer gibt. Das heißt, für die privaten Kunden wird sich gar nichts ändern mit großer Wahrscheinlichkeit. Aber es ist heute zu früh, denn wir wissen noch nicht, was am Ende das Parlament beschließt. Wir sagen immer, und wir haben da auch Vertrauen in Regierung und Parlament, es gibt eine klare EU-Verordnung, die jetzt vom EuGH noch weiter präzisiert worden ist, und die sagt, wenn man keine einzelvertraglichen Vereinbarungen macht und man gleichzeitig Universaldienstleister ist, braucht man oder soll man keine Mehrwertsteuer erheben. Wir glauben, dass das für den Großteil unseres Geschäftes gilt, weil bei uns alle Preise und alle Bedingungen transparent sind. Die sind nicht individual-rechtlich vereinbart worden und deswegen, sagen wir, sind wir weitgehend mehrwertsteuerbefreit. Wenn andere Unternehmen das auch tun, werden die auch mehrwertsteuerbefreit. Und deswegen müssen wir uns mal den weiteren Prozess ansehen. Aber ich habe da zumindest mal Vertrauen in die Regierung, weil die Regierung ein Interesse hat, eine rechtskonforme Regulierung zu schaffen. Und deswegen müssen wir mal abwarten und deswegen ist es heute zu früh, irgend etwas dazu zu sagen.
Münchenberg: Nun haben wir ja ganz viel über die elektronischen Briefe gesprochen. Zu Weihnachten schreibt man ja viele Briefe - da würde mich interessieren - was macht eigentlich der Chef der Deutschen Post? Schreiben Sie selber noch Briefe oder geht das eben doch alles elektronisch heute?
Appel: Nein, ich nutze weder SMS-Verteiler, um Weihnachtsgrüße zu verschicken, noch nutze ich E-Mail, und das ist jedes Mal ein enormer Stress, weil ich natürlich viel schreibe, sowohl privat, aber auch geschäftlich. Und das müssen Sie dann in Ihren vollen Terminkalender dann noch einbauen. Und das findet dann manchmal relativ lange abends statt, dass ich das mit nach Hause nehme und dann zu Hause sitze und viele Karten schreibe, weil ich mir Mühe gebe, möglichst jedem einen persönlichen Satz da rein zu schreiben. Und das ist, Sie können es sich vorstellen, nicht wenig. Aber ich schreibe weder E-Mails noch SMS, denn ein Weihnachtsgruß ist entweder überflüssig oder er ist persönlich, das heißt handschriftlich. Sonst können Sie es sich auch gleich schenken. Dann brauchen Sie ihn auch gar nicht schicken. Und bei einer E-Mail wissen Sie, wenn man meinen Job hat wird jeder auf der anderen Seite meinen, das hat sein Büro gemacht, die haben einen Verteiler gehabt, da hat er einmal den Text freigegeben, und dann haben die auf den Knopf gedrückt und dann haben die das geschrieben. Und dann habe Sie keine Wertschätzung, und dann kann ich es auch gleich lassen. Und deswegen mache ich das nicht.
Münchenberg: Klares Plädoyer vom Postchef für den Brief. Vielen Dank.