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Der klebrige Tod

Umwelt.- Die meisten Meeresschildkröten im Golf von Mexiko sterben durch die Kollision mit Schiffen oder verenden in Fischernetzen. Nun ist eine weitere grausame Todesursache hinzu gekommen: das Öl.

Von Volker Mrasek | 19.07.2010
    Sieben verschiedene Arten von Meeresschildkröten gibt es weltweit. Sechs gelten als bedroht. Fünf von ihnen kommen auch im Golf von Mexiko vor: die Echte und die Unechte Karettschildkröte, die Suppen-, die Leder- und die Atlantische Bastard-Schildkröte. Auch wenn sie inzwischen geschützt sind, lauern noch immer tödliche Gefahren auf die gepanzerten Tiere: Die meisten sterben durch die Kollision mit Schiffen oder enden als Beifang in Fischernetzen.

    Jetzt kommt auch noch die Öl-Pest im nördlichen Golf von Mexiko dazu. Die Zoologin Debby Crouse vom US Fish and Wildlife Service spricht von einem Rückschlag für den Artenschutz:

    "Wir verlieren Teile des aktuellen Brutjahrgangs und Tiere aller Altersklassen im Meer. Nehmen wir zum Beispiel die Atlantische Bastardschildkröte. Es ist die am stärksten gefährdete Art in der Welt. Ihr wichtigstes Verbreitungsgebiet ist nun ausgerechnet der Golf von Mexiko. In den 80er-Jahren fanden wir nur noch wenige hundert Nester der Bastardschildkröte. Durch intensive Anstrengungen zu ihrem Schutz hatten wir im letzten Jahr aber wieder rund 20.000. Die Ölpest jetzt könnte uns in dem Projekt wieder stark zurückwerfen."


    Debby Crouse gehört zum Kreis der Experten, die im Moment das Schlimmste verhindern wollen. Rettungsteams sind an den Stränden unterwegs und Schiffe vor der US-Golfküste. Sie suchen gezielt nach verölten und verletzten Meeresschildkröten. Die Tiere landen bei Veterinären beziehungsweise in speziellen "Entölungsstationen". Davon gibt es vier Stück: zwei in Florida und jeweils eine in Louisiana und Mississippi. Fast 150 Schildkröten seien vorübergehend in den Stationen untergebracht, sagt Barbara Schroeder. Sie ist die nationale Koordinatorin für Meeresschildkröten-Projekte in den USA, auch sie Zoologin:

    "Wir haben noch keine der Schildkröten aus den Stationen wieder freigelassen. Nur einige, die versehentlich von Anglern gefangen wurden. Wir haben uns sehr gut überlegt, wo wir sie aussetzen, und uns vorher genau angeschaut, was Strömungsmodelle über die Verteilung des Öls im Golf von Mexiko sagen. So haben wir uns für Südwest-Florida entschieden. Dort gibt es geeignete Habitate. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Öl an die Strände gelangt, ist sehr gering."

    Auch die Schildkröten aus den Stationen sollen am Ende in das vermeintlich sichere Refugium in Südwest-Florida gebracht werden. Das Öl-Desaster im Golf von Mexiko trifft auch die Jüngsten der Jüngsten unter den Schildkröten. Es ist Brutzeit. Weibchen haben ihre Nester an den Stränden gebaut und darin manchmal mehr als 100 Eier abgelegt. Auf den Nachwuchs, der nun schlüpft, wartet ein ölverseuchtes Meer. Wo immer möglich, sammeln Helfer die winzigen Schildkröten deshalb ein. Vor wenigen Tagen wurden die ersten von ihnen wieder ausgesetzt, und zwar außerhalb des Golfes, an Floridas Atlantikküste.

    "Bei den frisch geschlüpften Schildkröten wollten wir keinerlei Risiko eingehen. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, sie direkt im Atlantik auszusetzen."

    Die Ostküste Floridas soll zum Exil für viele tausend Atlantische Bastardschildkröten werden. Eier aus bis zu 700 Nestern wollen die Biologen umsiedeln und die Jungtiere am Atlantik schlüpfen lassen – ein aus der Not geborener Plan für eine besonders gefährdete Art. Bisher sind der Ölpest nach US-Medienberichten fast 500 Meeresschildkröten zum Opfer gefallen. Doch nicht unbedingt durch das Öl selbst. Es gibt Hinweise darauf, dass viele Tiere in den Netzen von Shrimps-Fischern umkommen, die sich in diesen hektischen Tagen nicht an sonst übliche Fangbeschränkungen halten. Debby Crouse will nicht ausschließen, dass auch die vielen Tonnen Dispersionsmittel, mit denen das Öl auf See zerstäubt wird, den Tieren schaden.

    "Das alles hier ist ein Experiment. Eines, das wir lieber vermieden hätten."