Jetzt hat sich gleich ein ganzen Konsortium an einer Lösung der Problems versucht und dazu Methoden der Genomforschung herangezogen. Mensch und Schimpanse, so die Ergebnisse, stimmen zu nahezu 99 Prozent in ihrem Erbgut überein. Aber was sagt diese Zahl wirklich aus? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Umgang mit unseren nächsten lebenden Verwandten?
Was zu beweisen war
Ein internationales Konsortium sequenziert und vergleicht das Schimpansengenom mit dem des Menschen
Ein Beitrag von Michael Stang
Was macht den Menschen zum Menschen und den Affen zum Tier? Dieser Frage gingen 67 Wissenschaftler des Schimpansen Sequenzierund Analysekonsortiums nach. Diese Woche stellten sie ihre Ergebnisse vor. Dabei verfolgten sie das ehrgeizige Ziel, diese Frage mit genetischen Beweisen beantworten zu können. Sie haben das komplette Erbgut unseres nächsten lebenden Verwandten entziffert, um ein direktes Vergleichsgenom zum bereits bekannten menschlichen Genom zum haben. Die Ziele der Wissenschaftler waren dabei unterschiedlich. Die einen wollten eindeutig klären, was den Menschen zum Menschen macht, die anderen etwas vorsichtiger was uns genau vom Affen unterscheidet.
Um das Vorhaben umzusetzen, haben sie sich der so genannten Schrotschussmethode bedient ähnlich wie bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Dabei wird das Genom wahllos zerstückelt, die erhaltenen Fragmente sequenziert und dann mit gewaltigem Computeraufwand wieder zusammengefügt.
Bei der Analyse des Schimpansengenoms waren für die Forscher vor allem die Unterschiede und nicht die Gemeinsamkeiten interessant. Diese so hofften sie können ihnen Auskunft geben, warum und wie sich die beiden Spezies seit ihrer Trennung vor rund sechs Millionen Jahren auseinander entwickelt haben.
Ze Cheng von der medizinischen Universität in Seattle hat sich mit ihren Kollegen dabei auf bestimmte Mutationen spezialisiert, die vor allem bei den Chromosomen 5 und 15 vorkommen. Diese Mutationen so genannte Duplikationen sind einfache Verdopplungen von bestimmten Gensequenzen.
" So eine Verdoppelung passiert einfach. Manchmal entsteht sie rein zufällig an einer Stelle, wo es sehr ungünstig ist und manchmal an einer Stelle, die eine Spaltung in zwei Arten auslöst. Ich denke, dass die Duplikationen eine wichtige Rolle für den Stammbaum spielen. Die Unterschiede zwischen Affe und Mensch sind gewaltig und jetzt ist es entscheidend, diese Duplikationen zu analysieren, weil wir nur so die Struktur des Genoms verstehen können, weil dies die Basis für alle weiteren Forschungen ist."
Diese Verdoppelungen könnten nach Meinung der Seattler Forscherin einer der wichtigsten Faktoren in der Einzigartigkeit des Menschen sein.
Doch bedeuteten solche Mutationen nicht automatisch eine Vorwärtsbewegung. Nur weil eine bestimmte Gensequenz verdoppelt wurde, heißt das nicht unbedingt, dass dadurch etwas verbessert wurde.
" Dabei haben wir entdeckt, dass etwa bestimmte Krankheiten erstaunlicherweise immer mit diesen Verdoppelungen einhergehen, die es nur beim Menschen gibt. Das bedeutet, dass diese Krankheiten wahrscheinlich nur auftreten, weil bestimmte Gensequenzen beim Menschen verdoppelt sind. Beim Schimpansen gibt es an dieser Stelle maximal eine Verdopplung, aber beim Menschen sind viele Sequenzen häufiger oder weniger vertreten."
Natürlich wissen Ze Cheng und ihre Kollegen, dass diese kleinen Veränderungen nicht die großen Unterschiede zwischen Mensch und Affe klären können. Dennoch überraschten die Ergebnisse die Forscher, da sie in ihren Augen eindeutiger waren, als sie lange vermuteten.
Schaut man sich die Sequenzen an, ist es den Forscher aus Seattle zufolge einfach, einen Schimpansen vor einem Menschen zu unterscheiden, so groß seien die Unterschiede. Auch wenn die Unterschiede für sie eindeutig sind, müssen sie die Details, was diese Veränderungen genau bedeuten, erst noch erforschen.
" Wir haben uns sehr genau die Gene angeschaut, die dafür verantwortlich sind, warum wir wie Menschen aussehen und welche, warum wir wie Schimpansen aussehen, etwa warum wir lange Haare haben. Wir haben immer nach solchen Genen soweit noch nicht gesucht. Aber wir erstellen gerade erst diese Verdopplungen, die nicht beim Menschen vorkommen."
Einen ganz anderen Weg in dem großen Projekt verfolgten Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Die Gruppe um Svante Pääbo schaute sich 21.000 Gene von fünf Organen von Schimpanse und Mensch. Dabei wollten sie vor allem herausfinden, welche dieser Gene aktiv sind. Anhand der verschiedenen Aktivitäten dieser Gene hofften die Forscher Hinweise darauf zu finden, warum sich Schimpansen und Menschen so deutlich unterscheiden.
" Bei drei Organen hatten wir große Differenzen erwartet. Natürlich beim Gehirn, weil es dort große Unterschiede in der Kognition, der Intelligenz und der Kultur zwischen Schimpanse und Mensch gibt. Dann die Hoden, denn sie sind direkt an der Fortpflanzung und damit an der Weiterentwicklung der Art beteiligt. Und die Leber, weil dort allein aufgrund der verschiedenen Ernährungsweisen Unterschiede auftreten. Und dann haben wir uns zwei Organe angeschaut, bei denen wir keine großen Veränderungen erwartet haben, das waren das Herz und die Nieren. Das liegt einfach daran, dass deren Physiologie beim Menschen und Schimpansen relativ ähnlich ist."
Dass die Leber die größten Unterschiede aufwies, überraschte niemanden. Sie ist ein relativ einfaches Organ und ändert sich unter verschiedenen Umständen etwas weil Menschen ihr Essen kochen relativ schnell. Pääbo und seine Kollegen vermuteten richtig, dass auch im Herz und in den Nieren die Unterschiede eher gering waren. Diese Organe sind einfach gut angepasst und mussten durch die Evolution nicht weiter optimiert werden. Interessanterweise zeigten aber die Hoden in ihrer Genaktivität rund ein Drittel Unterschiede.
Auf den ersten Blick jedoch überraschte die geringe Differenz der Gehirne. Gerade einmal acht Prozent genetische Unterschiede zwischen Mensch und Affenhirn konnten die Forscher feststellen. Dies ist aber mit der komplexen Struktur des Gehirns zu erklären. Aber schon geringe Veränderungen im Erbgut reichen aus um dem Gehirn andere geistige Fähigkeiten zu ermöglichen. Die Ergebnisse insgesamt waren aber auch für Svante Pääbo überraschend.
" Als wir die Erbsubstanz von Schimpanse und Mensch zum ersten Mal verglichen haben, war ich überrascht, wie ähnlich wir uns sind. Viele, die an diesem Projekt mitgearbeitet haben, dachten, dass wir bestimmte Schlüsselgene finden. Oder eine herausragende Chromosomenposition. Aber nach wie vor können wir einfach nicht sagen, warum wir so anders als Schimpansen aussehen und warum wir uns anders als sie verhalten."
Die großen Unterschiede wie etwa die Fähigkeit zur Sprache lassen sich zwar zum Teil auf nur eine einzige Genmutation zurückzuführen. Dennoch ist das komplexe Zusammenspiel von Basenpaaren, Genen und Proteinen komplizierter, als bislang angenommen. Das Genom des Menschen ist mit dem des Schimpansen zwar zu 98,8 Prozent deckungsgleich. Dennoch erscheinen vielen Forschern die Unterschiede gewaltig.
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Geschichte der Forschung an Schimpansen
Ein Beitrag von Volkart Wildermuth
Schimpansen. Affen, die den Menschen ähneln. Für Europäer waren das lange bloße Gerüchte. Als dann die ersten Exemplare zur Schau gestellt wurden, faszinierten sie nicht nur die Massen auf den Jahrmärkten, sondern auch die Forscher.
1699 beschrieb Edward Tyson als Erster die Anatomie eines Schimpansen. Der englische Arzt stellte fest, dass der Körperbau des Schimpansen dem des Menschen bemerkenswert ähnlich ist.
Eine interessante Merkwürdigkeit, nicht mehr. Erst die Evolutionstheorie von Charles Darwin erlaubte es, aus der Ähnlichkeit in der Anatomie auf eine gemeinsame Abstammung zu schließen.
1859 veröffentlichte Charles Darwin seine "Entstehung der Arten". Im letzten Kapitel schreibt er: "Licht wird auch fallen auf den Menschen und seine Geschichte". Dieser eine kleine Satz war für einen Gutteil der Kontroverse um die Evolutionstheorie verantwortlich. Seinen explosiven Satz führte Charles Darwin später in einem ganze Buch aus. Darin zitiert er einen französischen Neurologen mit den Worten: "Die tatsächlichen Unterschiede zwischen dem Gehirn des Menschen und dem der höheren Affen sind sehr gering. Man gebe sich in dieser Hinsicht keiner Illusion hin". Die Karikaturisten interpretierten das auf ihre Weise und zeichneten den bärtige Kopf Darwins auf einen Schimpansenkörper.
" Die Krone der Schöpfung musste sich absetzen können von unseren nächsten Verwandten, die uns so bedrohlich ähnlich sind, und in seinem Buch "Die Abstammung des Menschen", "The descent of man" hat Darwin ein Sakrileg begangen, er hat nämlich gesagt der Mensch stammt von Menschenaffen ab."
Meint der Anthropologe Carsten Niemitz von der Freien Universität Berlin. Doch obwohl die Schimpansen mit Darwin praktisch zur Verwandtschaft gehörten, konnte sich lange niemand vorstellen, dass in einem ähnlichem Gehirn auch ein ähnlicher Geist wohnen könnte.
1917 begann der deutsche Verhaltensforscher Wolfgang Köhler auf Teneriffa den Verstand der Schimpansen auszuloten. Zur Verblüffung der Fachwelt waren die Tiere in der Lage, ohne Anleitung schwierige planerische Aufgaben zu lösen. So setzen sie mehrer Stöcke zusammen, um eine weit entfernte Banane durch die Gitterstäbe des Käfigs zu angeln.
Die Experimente schafften es in die Schulbücher. Die breitere Öffentlichkeit veränderte ihr Bild vom dummen Affen aber erst, als eine junge Forscherin aus dem Urwald Tansanias zurückkehrte.
1964 veröffentlichte Jane Goodall ihre Beobachtungen an wilden Schimpansen, die sie nicht als bloße Tiere wahrnahm, sondern als eigenständige Persönlichkeiten.
" Schimpansen gleichen uns so sehr. Sie haben eine unglaublich komplexe Gesellschaft. Ihre Haltungen und Gesten sind unseren sehr ähnlich. Sie küssen und umarmen sich, sie klopfen sich auf den Rücken und drohen mit der Faust. Diese Gesten nutzen sie unter denselben Umständen wie wir, sie bedeuten das Gleiche. Unglücklicher Weise haben die Schimpansen auch eine dunkle Seite. Sie können extrem brutal sein, führen manchmal primitive Kriege. Fremde werden regelrecht gehasst, das erinnert uns leider an menschliches Verhalten. Gleichzeitig zeigen Schimpansen Liebe und Hilfsbereitschaft vor allem innerhalb der Familie."
Für Jane Godall ist der einzige wesentliche Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse die Fähigkeit zu sprechen. Das Vorbild von Jane Goodall ermutigte viele Forscher, wilde Schimpansen in vielen Regionen Afrikas zu beobachten.
1978 beschreiben William McGrew und Caroline Tutin als erste eine Art von Tradition bei wilden Schimpansen. Beim Lausen bilden die Affen in Mahale mit ihren Hände eine Art Dach über den Köpfen, ein Verhalten das in Gombe unbekannt ist. In Westafrika knacken Schimpansen Nüsse mit Steinen, in Ostafrika ist diese Technik unbekannt, obwohl es weder an Nüssen noch Steinen mangelt. Auch die Art und Weise, wie Stöcke für das Ameisenangeln vorbereitet werden, ist von Gruppe zu Gruppe verschieden. Sogar die Regeln des Flirtens gehorchen lokalen Traditionen berichtet Andrew Whiten von der Universität im englischen Fife.
" An manchen Stellen zerknipsen sie lautstark Blätter. Das Geräusch scheint "komm rüber, Liebes" zu bedeuten. Es gibt eine große Vielfalt von Verhaltensweisen die wie Traditionen aussehen."
In Experimenten im Zoo konnte Andrew Whiten kürzlich zeigen, dass sich regelrechte Moden in Schimpansengruppen ausbreiten können.
Schimpansen haben Kultur, damit zeigen sie in Ansätzen praktisch alle typisch menschlichen Verhaltensweisen. Trainiert man sie nur früh und lange genug, gelingt es ihnen sogar, sich mit Hilfe einer Zeichensprache verständlich zu machen. Der Abstand zu den Schimpansen ist trotz 6 Millionen Jahren getrennter Evolution, überraschend gering, meint Carsten Niemitz
" Was wir jetzt gewinnen, mit den Schimpansen, durch die genetische Forschung und durch das, was die Forschung in den letzen Jahren uns schon vorgelegt hat, hat etwas tragisches. Weil wir den Lebensraum der Schimpansen immer mehr zerstören und in dem Moment, in genau derselben Periode, wo wir wirklich verstehen, welchen Respekt wir diese Geschöpfen zollen müssen, in derselben Zeit entziehen wir ihnen in derartigem Maße ihren Lebensraum, das wir gar nicht wissen, ob wir sie überhaupt erhalten können. "